13

Jonathan Haidt: Konservative und liberale Psyche

Jonathan Haidt, Psychologieprofessor mit dem Schwerpunkt ‚Moralforschung‘, hat einen bemerkenswerten TED-Vortrag gehalten. Er destilliert aus der Gewichtung der fünf moralischen Werten (Care, Fairness/Justice, Loyalty, Respect, Purity) die politische Einstellung. Ob rechts, ob links, ob Mitte, das alles erklärt sich aus der Moral. Vortrag und einige sehr kritische Anmerkungen nach dem Klick.

Den Unterschied zwischen Konservativen und Liberalen macht Haidt also an ihrer Gewichtung seiner fünf weltumspannenden moralischen Werte fest: Während Liberale (inklusive der Linken) care und fairness, also Fürsorge und Gerechtigkeit, über die anderen Werte stellen, sind für Konservative alle Werte ungefähr gleich wichtig.

(Ich verzichte darauf, seine fünf moralischen Werte zu problematisieren. Obwohl sie hochproblematisch sind. An einer Stelle sagt Haidt: „Within any country, the disagreement isn’t over harm and fairness. Everbody – we debate over what’s fair. But everybody agrees that harm and fairness matter.“ Man fragt sich, ob wenigstens er weiß, wovon er spricht.)

Folgt man ihm in seiner Überlegung, dann finden Liberale (also auch Linke), dass Loyalität, Hochachtung und Reinheit nichts mit Moral zu tun haben, für Konservative schon. Der Konservative ist sicherheitsbedürftig, der Liberale eher experimentell veranlagt. Der Konservative hat ein wenig Angst vor der Zukunft und baut drum Mauern (an der Landesgrenze zu Mexiko beispielsweise) oder pflanzt Hecken, der Liberale will bloß spielen. Sicherheit versus Risiko, Schach gegen Mensch ärgere Dich nicht. Gegen Schluß definiert Haidt Konservative so:

Conservatives speak for institutions and traditions; want order even at cost to those of the bottom.

Was eine hinreichende Erklärung dafür abgäbe, warum man sich Konservatismus leisten können muss.

Aber ich will nicht zynisch werden. Also weiter: Woher kommts, dass wer konservativ ist? Erklärst sich sein Sicherheitsbedürfnis aus seiner Religiosität oder seiner Dummheit? Das nicht, meint Haidt, und damit dürfte er recht haben. Erklärt sie sich aus dem kulturellen Background, dem ökonomischen Kapital oder der sozialen Einbettung? Darauf geht Haidt nicht ein. Sie erklärt sich, sagt er, aus einer diffusen Angst vor dem Chaos und aus der Entwicklungsgeschichte des Menschen. Beides ist schon in Babys angelegt.

Das ist bemerkenswert, weil symptomatisch: diese obskure Mischung aus Psychologie und Evolutionstheorie, mit ein bisschen Freud und ein wenig Darwin. Wichtig ist natürlich (so schließt Haidt), dass wir verstehen, wer wir sind, und dass wir uns den Andersdenkenden nicht als moralisch überlegen vorkommen. Alle wollen die Welt verbessern, jeder auf seine Art. In seinen Worten:

Our righteous minds were ‚designed‘ to unite us into teams, divide us against other teams, blind us to the truth.

Und the truth, da streben wir ja alle hin. Die Frage ist, wessen truth wir entgegenstreben.

Es ist nett von Haidt, davon auszugehen, dass alle Welt eine gute, gerechte und sichere Gesellschaft will, die irgendwo in der Mitte liegt. (Wobei man natürlich nochmal drüber reden müsste, was gut, gerecht und sicher heißt.) Es ist auch nett von ihm, Verständnis für das andere politische Lager einzufordern. Was er völlig verkennt: seine eine Wahrheit, seine eine Welt, in der alles zusammenpasst und alle Rädchen ineinanderlaufen, ist kein Nullsummenspiel zwischen den beiden, sehr schematischen Richtungen conservatives und liberals. Vermutlich Haidt spricht von seinesgleichen zu seinesgleichen: nämlich dem, was man in Frankreich die Champagnerlinke nennt. Wohlsituierte Intellektuelle, die es sich leisten können, nett zu sein, und Sympathien haben für die Unterdrückten, Armen, Übervorteilten, die Migranten und Frauen, eventuell für Umsturz und Revolution. Denn „revolution is fun“, wie er sagt. Also: Party. Yay!

Seine schlußendliche Aufforderung, das alles (zumindest für einen Moment) ein bisschen entspannter zu sehen, das ist die Aufforderung, sich zu entpolitisieren. Wir sollen, sagt Haidt, an den Dalai Lama denken, an seine enorme moralische Autorität, die von seiner moralischen Bescheidenheit kommt. Nicht etwa von seiner Gottgleichheit, auch nicht von seinen Herrschaftsinsignien, und auch nicht von seinem Ruf als Vertreter der Unterdrückten, seiner medialen Inszenierung oder der Tatsache, dass sich seine politischen Standpunkte gegen China verwenden lassen: Nein. Moralische Bescheidenheit.

Die Frage war: Can you be not for or against anything? Und die Antwort ist: No.

(via René)

13 Kommentare

  1. 01

    ich hatte ein noch viel flaueres Gefühl im Magen, als du es hier beschreibst. Ich hab nur gedacht: was für ein Bullshit!! Aber ich hab keine Waffe, keinen Ansatz gefunden, mich damit auseinanderzusetzen. Wie soll man sich dagegen wehren, wenn der Typ ein ausgewiesener Wissenschaftler ist, aber mit seiner Konstatieronotoligie 100 Jahre Psychoanalyse vom Tisch fegt. Alles zugunsten eines Ying-Yang-vulgär-Hegelianismus auf Küchenpsychologiebasis. Piep piep piep, wir haben uns alle lieb. Ich kann gar nicht ausdrücken, wie ich mich ärgere. Aber wahrscheinlich bin ich einfach zu links geboren.

  2. 02

    Die Grundaussage, ein bisschen entspannter mit den Ansichten der Gegenseite umzugehen, ist durchaus begrüßenswert. Ich sehe via Social Media (yay!) im Vorfeld der US-Präsidentenwahl ziemlich hautnah, wie dort drüben diskutiert wird. Das ist faszinierend und zeigt ziemlich schnell, wie stark die Spaltung der USA tatsächlich ist. (Wobei man die Grundaussage besser den Konservativen an’s Herz legen sollte)

    Haidts grundsätzlicher Fehler ist aber imho, dass seine Grundaussage „alle wollen eine bessere Welt“ eine Definition des Wertes Fairness ist. Denn je nachdem wie man Fairness gegenüber den anderen Werten wie zB Loyalität gewichtet, verschiebt sich die Definition von „bessere Welt doch recht massiv.

    Konservativismus bedeutet eben leider oft nicht eine bessere Welt für alle, sondern eine bessere Welt für seinesgleichen. Und zwar, weil man es verdient hat, weil man auf der richtigen Seite steht, auf der Seite Gottes usw. Damit lässt sich recht viel erklären. Von Schäuble über Bush bis zu Al-Qaida.

    Noch ein Beispiel zum Schluss: Letztes Jahr war die Frau von Dick Cheney zu Gast bei der Daily Show. Man lese sich das Transkript der entscheidenden Stelle hier durch:
    http://www.crooksandliars.com/2007/10/11/the-daily-show-lynne-cheneys-interests/

    Mir fiel damals die Kinnlade runter.
    Diese Unterscheidung zwischen us and them, selbst unter Alliierten, die zwar auf der linken Seite auch da ist, aber nicht so stark ausgebildet (und nicht so kaltherzig I may add), ist vielleicht der größte Unterschied zwischen den Lagern. Loyalität und Patriotismus hat eben einen entscheidenden Einfluss wie man Fairness und eine bessere Welt definiert.

  3. 03
    Viva Hammonia

    Ziemlich verquast.
    Außerdem denke ich dass Gruppendynamik und Geltungsbedürfnis ebenfalls entscheidende Rollen spielen bei der politischen Selbstfindung.

    Zudem spielen die Unterscheidungen links/rechts in zunehmendem Maße realpolitisch kaum noch eine herausragende Rolle, es sind lediglich waberige Identitätsstützen und repräsentieren oftmals nur noch einen „Lifestyle“.

  4. 04

    Some men aren’t looking for anything logical. They can’t be bought, bullied, reasoned, or negotiated with. Some men just want to watch the world burn…

  5. 05

    batmanbutlerzitierer.

  6. 06

    Ich habe mal vor einigen Jahren ein Buch gelesen (Sorry, Name entfallen), indem es ausschließlich darum ging, wie Rechte und Linke vermeintlich lieben. Und einen grundlegende Aussage war die, und ich konnte und kann der bis heute einiges abgewinnen, dass Linke vor allem immer den Horizont im Blick haben und versuchen das große Ganze zu erfassen und zu interpretieren. Zum universellen stellen sie daher eher eine soziale Bindung her, als zu den Menschen und Umständen in ihrer direkten Umgebung, verschärft sogar noch: Für das größere Ziel werden diese engeren Kontakte oft über Bord gespült. Der Rechte hingegen fokussiert nur auf sein engeres Umfeld (Werte wir Kameradschaft etc.) und verliert dabei vollkommen größere Zusammenhänge aus den Augen.
    Ich denke schon, dass man politische Neigungen und Richtungen an bestimmten psychologischen Profilen entlang definieren kann. Das kann aber natürlich keine allgemein gültige bzw. allein stehende Definition sein.

  7. 07

    Da gibt es noch etwas Altes von mir:

    Auf dem Internationalen Kongress für Urologie und Geburtsheilkunde in Prag haben australische Forscher eine Studie veröffentlicht, die den Schluss nahelegt, dass es einen Zusammenhang zwischen Penisgröße und Geisteshaltung gibt.
    Den Forschen zufolge verfügt der männliche Homo Sapiens über ein Geschlechtsorgan, das als soganannter Wettbewerbspenis bezeichnet wird.

    Da die Frühmenschen in Gruppen umhergezogen seien, deren weibliche Mitglieder das ganze Jahr fruchtbar waren und es den Alphatieren unmöglich war, die Weibchen rund um die Uhr zu bewachen, entwickelte der Homo Sapiens immer größere Penisse, um die Konkurrenz im wahrsten Sinne des Wortes auszustechen. Denn der Penis hat die Eigenschaften einer Schöpfkelle, mit ihm können die Samen der Konkurrenz herausgelöffelt werden.

    Den Probanden wurde eine Liste mit mehreren hundert Begriffen gegeben, die sie als Werte, die für ihr Leben wichtig sind, kennzeichneten.
    Außerdem wurde ihre Penisgröße gemessen.
    Je kleiner nun der Penis der Testpersonen, desto wichtiger waren ihnen Werte wie Gruppenzusammenhalt, Abgrenzung, Nation, Rasse, Hierarchie. Selbst Krieg wurde oft als Wert genannt.
    Die Forscher erklären sich diesen Zusammenhang mit der oben dargestelten Evolution des Penis.
    Mitglieder, die eine geringe Rolle in der Hierarchie der Gruppe hatten und kaum eine Möglichkeit, sich aufgrund ihres kleinen Penis fortzupflanzen, entwickelten andere Sozialstrategien.
    Vergleichstudien stehen noch aus.

  8. 08

    @Malte (#07):

    Das kann frau auch mit weniger Worten sagen und braucht noch nicht mal wissenschaftliche Studien dazu, weil’s offensichtlich ist:

    Die Geschichte des Patriarchats ist eine Geschichte der Schwanzvergleiche. ;o)

  9. 09
    Tyler

    Warum diese stark abweisende Reaktion? Er hat doch recht! Konservative wollen Law & Order und dass alles bleibt wie es ist. Liberale sehnen sich stets nach dem „Change“ und träumen von der Revolution.

    Frederic, du sprichst von sehr kritischen Anmerkungen, allein, ich seh keine Argumentation von dir oder worauf du hinaus willst?

    Ich denke Haidts TED Vortrag kann man nur einordnen, wenn man regelmäßig DailyKos und AmericanThinker liest. Amerika ist politisch zutiefst geteilt, die selektive Wahrnehmung auf beiden Seiten kolossal, was zum Beispiel dadurch deutlich wird, dass die Republikaner in den letzten Wochen nur Negativpresse hatten, aber McCain/Palin in den Umfragen trotzdem gleichauf liegen. Und die Linke nach Infos aus Palins gehacktem Mailpostfach giert. Die Rechte sieht sich als einzig wahres Amerika und die Linke steht unter enormst hohen Selbstdruck. Sie müssen die Wahl gewinnen, unbedingt, „or else“¦“

    Haidt erinnert jetzt daran, dass man Verständnis für die andere Seite haben sollte, nicht im eigenen Groupthink sich gemütlich einrichtet, sondern auch mal über den Tellerrand blickt, was eben die Grundlage für jede Zusammenarbeit mit anderen Menschen ist.

    Bayern wurde nicht durch die CSU-Herrschaft zugrunde gerichtet. Ebenso wird der Freistaat auch nicht untergehen wenn eine SPD Koalition (wers glaubt) am Sonntag siegt. Liberalität und Konservation ist wie Yin und Yang. Die Sichtweise gefällt mir gut und gilt auch fürs private. Ständig nur Freiheit und Ego-Trip ausleben ist genauso Scheiße wie spießbürgerlich werden und die eigenen Träume zu vergessen.

    Als letzte Verteidigung von Jonathan Haidth:

    „Sports is to war as pornography is to sex.“

    What a fantastic quote! Echt geiler Spruch.

  10. 10
    Tim

    Ihr könntet mal versuchen, dessen Veröffentlichungen zu lesen oder wenigstens den initialen Artikel auf Edge, der auch das ausführlicher erläutert als der Vortrag. Auf yourmorals.com kann man u.a. auch den psychologischen Test machen, der die Verteilung von bestimmten Werten anhand der selbstbeschriebenen politischen Ausrichtung bestimmt. (Überhaupt sind viele der Tests dort recht interessant — aber ich hab schon zu Uni-Zeiten gerne als Versuchskaninchen gedient.)

    Im Ernst: Macht das wirklich bitte mal. Ich stimme auch nicht mit ihm überein, aber das liegt an der für mich noch nicht transparenten Auswahl von genau diesen fünf Werten, nicht an der Methodik der Verteilungsermittlung. Und die Methodik scheint hier ja bei euch besonders auf dem Schiessstand zu stehen?

  11. 11

    ich habe Zweifel daran ob alle eine bessere Welt wollen. Konserative sind in der Regel Profiteure der bestehenden Ordnung an deren Veränderung sie kein Interesse haben. Liberale – womit natürlich nicht diejenigen gemeint sind die in Deutschland den politischen Liberalismus in Geiselhaft genommen haben – wissen das es nichts gibt das nicht verbesserungwürdig wäre, das alles anders werden muss, das Zweifel und Kritik notwendig sind. Diesen Konflikt kann man nicht leichtfertig überspielen

  12. 12
    Frédéric Valin

    @#690518: Ich habe mir einige seiner Artikel durchgelesen und ich habe auch vier fünf der Studien durchgeklickt. Btw: Interessant (weil ganz und gar uneuropäisch) fand ich die Einstiegsfrage: Ich bin links, ich bin rechts, das hat der Leser selbst entschieden. Das ist so ganz und gar uneuropäisch.

    (Haidt scheint, aber da spekuliere ich, davon auszugehen, dass, wer links ist, auch links wählt, und sich links sein aus einem Selbstverständnis erschließt. Aber ich lasse mich da gerne belehren.)

    @#690510:

    Ich denke Haidts TED Vortrag kann man nur einordnen, wenn man regelmäßig DailyKos und AmericanThinker liest. Amerika ist politisch zutiefst geteilt, die selektive Wahrnehmung auf beiden Seiten kolossal.

    Das glaube ich auch: hätte er den Vortrag in Europa gehalten, wär er mit seinem Dualismus nicht so leicht durchgekommen.

    Die wichtigste Anmerkung in Kürze: Indem der die sozialen und ökonomischen Faktoren eliminiert, die machen, dass die Linke sich eine egalitaristische und faire Welt wünscht, nimmt er ihr die Berechtigung. Wozu er er einlädt, ist eine Scheißegal-Haltung, was übrigens imho eine konservative Haltung ist.

  13. 13
    heinz

    Wie platt das ist, merkt man, wenn man interessantere Konzepte zu politischen Modellen als moralische Systeme liest. Z.B. George Lakoffs „Moral Politics“ (gelesen in Lettre International Sommer 2008 bei Sergio Benvenuto). Lakoff teilt ein in unterschiedliche verinnerlichte Familienbilder: den Strengen Vater (strict father) = konservativ, und das Sorgende Elternteil (Nurturing Parent) = liberal.
    Die Grundzüge der konservativen Moral sind nach Lakoff: K1. Förderung der Moral des Strengen Vaters im allgemeinen/ K2. Förderung von Selbstkontrolle, Verantwortung und Zuverlässigkeit des einzelnen/ K3. Anwendung des Prinzips von Belohnung und Strafe/ a. Schutz der Individuen, die über Selbstkontrolle und Zuverlässigkeit verfügen, sowie Verhinderung der negativen Folgen von Eigeninteresse/ b. Stärkung der Autorität durch Strafe/ c. Sanktionierung durch Strafe für Individuen, die es an Selbstkontrolle mangeln lassen/ K4. Schutz der moralisch handelnden Individuen vor äußeren Schäden/ k5. Stärkung der moralischen Ordnung

    Die der Liberalen: L1. Solidarisches Verhalten und Förderung der Gleichheit/ L2. Hilfe für die, die sich nicht selbst helfen können/ L3. Schutz für die, die sich nicht selbst schützen können/ L4. Förderung der Selbstverwirklichung/ L5. Sorge für die eigene Person, um sie für die Durchsetzung der vier Grundforderungen zu stärken

    Ist auch dichotomisch und amerikanisch, aber wahrscheinlich näher an der Realität und gibt zumindest mehr zum Denken als zum Ärgern.