Angesichts der Verleihung des deutschen Fernsehpreises (die Bügelwäsche, ach!), fand ich es sehr tröstlich zu sehen, dass ich im vergangenen TV-Jahr offenbar schon wieder nichts verpasst habe. Denn wenn das, was dort in Ausschnitten gezeigt wurde, die Creme war, knabbere ich doch gerne weiterhin fernab der Glotze mein Knäckebrot.
Und während mein Bügeleisen Dampf ablässt, kommt Reich-Ranicki und tut es ihm gleich:
Als er die Einladung zur Ehrung seines Lebenswerkes annahm, so sagt er, habe er nicht wissen können, in welcher Gesellschaft er sich befinden würde und dass er nun, nach Sichtung ebendieser, leider nicht gewillt sei sich dort einzureihen!
Es handelt sich um einen hochkalibrigen Affront gegen die deutsche Fernsehwelt (zu der er die Sender Arte und 3Sat ausdrücklich nicht zählen möchte), den er nicht mit dem kleinsten Schweißtröpfchen zu dekorieren gewillt ist, und ich möchte diesen Mann spontan knuddeln wie einen Bernhardiner, der soeben Leben unter erstickendem Geröll hervor gezogen hat!
Aber ich bin nicht dort!
Ich stehe fernab des leuchtenden Moments am Bügelbrett und muss zusehen wie Gottschalk, der Goldbär der Nation, diesen melodiös formulierten Eklat zwar fadenscheinig, aber doch leichtfüssig durchswingt — und rettet!
Es lässt sich unmöglich zurückhalten: ich kotze Bewunderung dafür und befinde mich damit zum zweiten Mal an diesem Abend auf einer Linie mit Reich-Ranicki.
Und will es jetzt genau nicht!
Denn schätzt man in diesen Zeiten der so-lálá-Nettigkeiten einen Mann wie Reich-Ranicki nicht für seine sture Gnadenlosigkeit? Für seine verschwenderische Henkers-Haushaltung, die immerhin Position bezieht?
Ich schon!
Und muss nun bezeugen, wie dieser Mann von einem satten, samtbefellt einschmeichelnden Show-Konsalik mit billigsten Pädagogen-Tricks auf Hauptsendezeit-Kompatibilität eingedampft wird.
Aber noch ist es Reich-Ranicki, der
1. die Show in der Tasche hat und
2. entscheidet, wann Hände gereicht werden.
Er kontert mit großer Geste (immer muss er so übertreiben!) und schliesst Freundschaft mit (nenn mich Marcel) und Gottschalk selbst in die Arme!
Die ARD nickt geläutert, das ZDF lächelt einsichtig, nur RTL klinkt sich Reality-erfahren selbstabschätzend aus.
Auch ich hänge nun sauber Gebügeltes zurück in den Schrank und muss daran denken, dass sie neulich bei Edeka „Smells like teen spirit“ gespielt haben. Im Original.
Und nicht eine einzige Dose hat im Regal gezittert.
Ebenfalls am Kotzen: Elke Heidenreich in der FAZ
Update:
Das ging ja flott: Wie versprochen diskutieren Gottschalk und Reich-Ranicki „Aus gegebenem Anlass“ am kommenden Freitag, 17.10 um 22:30 im ZDF nicht über Bücher.
Aber hat der Gottschalk damit nun die Saalwette gewonnen oder verloren?
habs nicht mal gesehen und trotzdem davon erfahren. das reicht, um zu wissen, was man nicht verpasst hat.
Bravo, Herr Reich-Ranicki!!!
„[…] sauber Gebügeltes zurück in den Schrank und muss daran denken, dass sie neulich bei Edeka „žSmells like teen spirit“ gespielt haben. Im Original.“
Die alte Regel mit dem ‚Wirds erst einmal Fahrstuhl- oder Supermarktmusik‘ stimmt immer. Immer.
Ach Mist, totaaaaal vergessen einzuschalten. ;)
Aber Smells like teen spirit im Supermarkt? oO
man vergisst leicht, was für ein profi der gottschalk ist.
man kann von dem nicht nicht umarmt werden. wer sich der umarmung verweigert, der kommt rüber wie jemand, der kindern legosteine nicht nur klaut, sondern sie mit ihren eigenen steinen bewirft.
Warum gibt es nicht den ausschnitt wie auf nerdcore?
René
Tja, bei Menschen mit unserem Vornamen ist halt alles möglich.
heidenreichs artikel lässt an peinlichkeiten allerdings auch kaum etwas zu wünschen übrig. was man dem derzeitigen fernsehen, also auch atze, tommy, ingo, heidi usw. tatsächlich ankreiden könnte, ist die tatsache, dass leute wie ranicki und heidenreich als geschmacks- und stilsichere geistesgrößen durchgehen.
Grausam ist doch der Anspruch, den die Veranstaltung und die Teilnehmer ausgetrahlt haben – ich muss mich immer noch schütteln, wenn ich an die Schwenks in die Gäste denke, all die Fernseh-Fratzen. Das war eine Betriebsversammlung des „Unternehmens deutsches Fernsehen“. Bauchnabelschau und sich selber feiern. Die sind „drin“, wir sind „draussen“ vor den Geräten. Was wir draussen denken, wird per Quote ermittelt. Ranicki wurde zum Hofnarren gemacht. Das hat er nicht verdient.
@7
Heidenreich als Geistesgrösse gehört zu dem Schund. Ohne TV wäre die jetzt Kulturredakteurin in einer Lokalzeitung. Dass früher das Programm besser war, ist die Verkärung der Geschichte. Qualitätsanspruch und Selbstkritik gab es in deutschen TV-Anstalten noch nie. Sonst hätte es nicht soweit kommen können.
Ranicki ist eine Institution, dessen Texte schon vor 25 Jahren Eingang in die Schulbücher gefunden haben.
Der letzte Link macht den Beitrag richtig „žrund“, weil sich ausgerechnet Elke Heidenreich über das „žhirnlose“ Fernsehen mokiert – genau das, in dem sie ihre „žLiteratur“-Sendung zeigen darf („žDieses Buch hat ein schönes Cover“ – „žHouellebecq ist iihhh“) und dafür ja vermutlich bezahlt wird. Heidenreich und Ranicki haben Recht, sind aber beide Artisten in diesem Zirkus. Das erinnert mich an Willi Thomczyk („žDie Camper“!) der sich in der Sendung „žZimmer Frei“ über das Formarfernsehen aufkamellt, aber selber Schauspieler für eben dieses Fernsehen war. Medienwirksame Kritik im Fernsehen am Fernsehen. Wo hat es Reich-Ranicki hingebracht? Zurück ins Fernsehen. Am kommenden Freitag bekommt er seine Sendung, in dem Umfeld, welches er zuvor noch abscheulich gefunden haben soll. Perfekt inszeniertes Theater.
(Spam und Bezüge darauf gelöscht)
Die POLITICAL CORRECTNESS zerstört das Niveau. Es darf nichts Umstrittenes mehr ins Fernsehen.
Bin ich froh, dassde mal wieder schreibst. Und dann so gut! Trotz Bügelterror.
Einige der überheblichen Kommentare hier unterscheiden sich leider nicht so sehr von der Attitüde der (zu recht) kritisierten Intendanten.
@Tim: Kulturredaktion bei einer Lokalzeitung? Niemals! Da unterschätzt du die Heidenreich … oder ich überschätze sie … wie auch immer. Sie weiß natürlich, dass MRR absolut ausschlaggebend für die Tatsache war, dass sie jetzt das machen kann was sie machen möchte. Sie ist ja nicht blöd. Der Kommentar in der FAZ war also vorprogrammiert.
Mit allen anderen Statements gehe ich mit und will sehen.
ich mache mal eine kurze rechnung auf:
fernsehen=90%nonsens+10%guterinhalt
spreeblick=90%nonsens+10%guterinhalt
ergo fernsehen=spreeblick
Ein Kommentatorenpreis, das wär’s.
MRR ist ein eitler Geck, der sich in der Regel für Gutes (Qualität vor seiner Gnaden) einsetzt und dabei dann auch kein Blatt vor den Mund nimmt.
So sind ältere Leute in der Regel. Meine Oma hat einmal im Bus einem Punk fünf Mark in die Hand gedrückt und ihm gesagt, er solle mal zum Friseur gehen. Das war nicht lustig und gebracht hat es auch nichts. Und so machte mindestens zur Hälfte für MRR das Unbehagen aus, dass er so lange warten musste und erst gegen Schluss dran kam, dass er „solange auf einem harten Stuhl sitzen musste“ (siehe Interview in der FAZ) und dass der Intendant immer wieder zu ihm kam, um ihn zu vertrösten. Sein spontaner Wutausbruch entspringt nicht seiner Rage über die mangelnde Qualität im deutschen Fernsehen, die war ihm vorher bekannt und hätte ihm gereichen können, oder müssen, den Preis von vorneherein abzulehnen. Es war die eitle Seite der Person MRR, die den Ausbruch provozierte.
Daneben hat er natürlich vollkommen Recht mit seiner Kritik an der Darbietungsform, die Qualität eher versteckte als sie zu demonstrieren, wo sie doch sowieso schon so selten ist im Fernsehen. Wer allerdings das Privileg hat, über den Tellerrand zu sehen und Fernsehen in mehreren Ländern zu konsumieren, wird feststellen, dass es noch weit schlimmer geht. Sollte MRRs Eklat den einen oder anderen Macher also aufrütteln und dafür sorgen, dass der Absturz verlangsamt wird, so soll es mir Recht sein und ich würde dem alten Herrn auch seine Eitelkeiten nachsehen.
„Ich stehe fernab des leuchtenden Moments am Bügelbrett und muss zusehen wie Gottschalk, der Goldbär der Nation, diesen melodiös formulierten Eklat zwar fadenscheinig, aber doch leichtfüssig durchswingt — und rettet!“
Gut das ich kein Bügeleisen zur Hand hatte, als Gottschalk leichtfüssig swingend den Machern von RTLs „Die Aussreisser“ wünschte, es mögen noch mehr Kinder auf der Strasse landen, damit sie weiter so „tolle Filme“ machen können.
Vielleicht bekomme ich nächstes Jahr ja auch so einen Fernsehpreis und natürlich würde ich ihn auch von mir werfen. Ich weiss auch schon genau in welche Richtung.
http://www.titanic-magazin.de/40.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=2465&tx_ttnews%5BbackPid%5D=3&cHash=b0c5220a22
@#693080: Lässt sich einrichten!
Interessant finde ich, dass die Kritik von Reich-Ranicki dann gleich wieder in die Ecke abgeschoben wird, man könne ja mal reden über mehr Kultur und Bildung im Fernsehen, bla bla.
Damit kriegen die Verantwortlichen es leicht hin, die Kritik in die Ecke der Oberlehrer, Überheblichen, und generellen Kultursnobisten abzuschieben, als ginge es darum, Samstags um 20:15 auf RTL philosophische Betrachtung der Hermeneutik zu senden.
Ich weiß nicht, ob es auch das ist, was Reich-Ranicki meinte, aber mein Problem mit vielem Fernsehen ist, dass es einfach grottenschlecht ist. Nichts gegen Unterhaltung, es muss nicht immer tiefschichtig sein, aber das, was die Herren Fernsehschaffenden da produzieren, ist schlicht und ergreifend mangelhaft. Schlechte Arbeit. Und sich dafür dann freudenstrahlend gegenseitig Preise auszustellen, ist schon ganz schön dick.
Gerne gelesen! Toll geschrieben! Kompliment!!! Bittö mehr davon, sprach das kleine Schnutinger.
Fällt mir gerade auf, hier könnten ohnehin mal mehr Frauen schreiben, die Männer haben auch oftmals nur so Männerthemen drauf …
@#693280:
Dankeschön!
Is aber, von der Bügelbrett-Deko mal abgesehen, auch nicht wirklich ein Frauenthema.
Autorinnen fehlen hier trotzdem, da hast du sehr Recht!
@#693280:
Komme nicht umhin http://www.schnutinger.de zu benennen.
Ja, ich weiß , dass man mit ‚Fremdseiten‘ Vorsichtig umgehen muss.
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Aber in diesem Fall ist es fast Bedenkenlos absolut sicher.
Meine Nase juckt,
bin dauernd am reiben.
Ist somit auch Uninteressant.
@ Tanja: Gerne! Müssen ja auch gar nicht Frauenthemen sein, ganz im Gegenteil, aber ich lese Frauen eben gerne und weiß gar nicht mal warum, vermutlich brauche ich eine Identifikationsfigur ;-)