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Hilke Gerdes: Türken in Berlin

Man erschrickt unwillkürlich, wenn man auf alten, aus dem ersten Weltkrieg stammenden Plakaten neben dem kuk-Feldjäger und dem bulgarischen Pionier einen Fez-tragenden, schnauzbärtigen Türken erblickt, der unter der vom deutschen Offizier emporgereckten Flagge marschiert, auf der steht: „Für Ehre, Freiheit, Recht und Wahrheit“. Das ist heute nicht mehr denkbar: ein türkischstämmiger Soldat auf einem Plakat, das für einen Kriegseinsatz in Afghanistan wirbt. „Für Ehre, Freiheit, Recht und Wahrheit“. Damals schon, damals hatte Deutschland nicht sehr viele Freunde auf der Welt. Einer der Freunde war das Osmanische Reich.

Die Freundschaft zwischen Preussen und Türken ist eine alte: 1701 kam der erste türkische Gesandte nach Berlin, Azmid Said Efendi. Fünfzehn Leute hatte er im Gefolge, und seither haben die Kontakte nicht mehr abgerissen. Kaum hundert Jahre später gab König Friedrich Wilhelm III. den Osmanen ein Stückchen Erde, um ihren Botschafter zu begraben. Heute steht dort die schönste Moschee Berlins, am Columbiadamm, direkt am Tempelhofer Feld.

Hilke Gerdes zeichnet die gemeinsame Geschichte nach, die bis in unsere Tage führt: vom Türkenhass während der osmanischen Expansionsphase, die dann 1683 vor Wien enden sollte, über die Türkenmode des 17. Jahrhundert, als es besonders als besonders schick galt, einen Turban zu tragen, hin zu den deutschen Militärberatern, die den Türken unter anderem halfen, den Völkermord an den Armeniern zu organisieren.

Es ist eine wechselvolle Geschichte, die nicht immer von Toleranz und Verständnis geprägt ist. Nicht alle sahen und sehen die Dinge wie Friedrich II., dem man häufig Humanismus nachsagt, und der sich in weltanschaulichen Dingen zurückhielt mit pauschalen Verurteilungen: „Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, so sie bekennen, ehrliche Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land peuplieren, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.“

Inzwischen leben tatsächlich 115.000 türkische Staatsbürger in Berlin, ganzen Stadtteilen haben sie ihr Bild gegeben – gerade Kreuzberg, das ansonsten wohl im Schatten der Mauer verrottet wäre. Hilke Gerdes hat mit dutzenden türkischen und türkischstämmigen Kulturschaffenden gesprochen und eine Kartographie der in Berlin stammenden Künstler verzeichnet. Sie hat eine Geschichte der Türken in Berlin aufgezeichnet und die Problematik der Einwanderungspolitik seit den 60ern aufgeschrieben.

Es ist ein lehrreiches Buch geworden, vor allem, weil Hilke Gerdes eine Haltung an den Tag legt, die nicht mehr dem Zeitgeist entspricht: mit viel Verständnis und Neugier geht sie auf ihr Thema zu, und sie erzählt mit Empathie von den Menschen, denen sie begegnet ist. Sie zeigt, wie vielfältig das ist, was hierzulande allzuleicht unter „Türken“ subsummiert wird: so sind ein Drittel Kurden, die in der Regel tunlichst nichts mit der Türkei zu tun haben wollen.

Das Buch bietet echte Entdeckungen einer Kultur, die schon längst die unsere ist: Sei es in der Literatur von Hatice Akyün bis Feridun Zaimoglu, im Film oder auf den Kleinkunstbühnenfiguren.

Es ist ein Buch für Leute geworden, die etwas erfahren wollen, statt zu urteilen. Ein ruhiges, unaufgeregtes, freundliches Buch, das gerade deswegen lesenswert ist: weil es zu aktuellen Debatten so wenig passt.

Hilke Gerdes: Türken in Berlin. (Amazon-Partnerlink)

18 Kommentare

  1. 01
    Banjo Hansen

    Den Bogen zu spannen beginnend bei Militärallianzen, ist argumentativ völlig ungeeignet. Genau wie der ganze Artikel am Punkt vorbei geht. Die Kritik, die hier unterschwellig kritisiert wird, richtet sich keines Falls gegen die integrierten (ehemaligen) Zuwanderer sondern die, die sich nicht integrieren.

  2. 02
  3. 03
    Andi

    Ich fordere die sofortige (Wieder-?)Aufnahme des Wortes „peuplieren“ in den Duden und den allgemeinen Aktivwortschatz! Wer macht mit? :)

  4. 04
    ste

    Schreckliches Cover.

  5. 05
    Rainer

    Servus Die Herrschaften,

    Habe endlich einen Anti-Sarrazin ( ich meine wie Anti-Machiavelli vom Friedrich) gefunden: Muslime zwischen Tradition und Moderne vom Herder Verlag.

    Zeigt meiner Meinung nach, dass die Türken hier in Deutschland schon einiges auf die Beine gebracht haben.

  6. 06

    @#772963: Furchtbar. War auch meine erste Reaktion.

  7. 07
    Batumi

    Warum hört man eigentlich nicht mehr so viel von den Polen im Ruhrgebiet ?

  8. 08

    Nur mal so…

    Wie erlebt ein ‚Ausländer‘ seine Lebenssituation in einer süddeutschen Kommune.

    In meinem Wohnbezirk ist der Anteil derer, die anfänglich mal fremd waren derart geschrumpft, so dass sich die kleinen Racker mittlerweile auf Mundart (Dialekt) verständigen.

    Mist,
    habe mittlerweile vergessen worum es eigentlich geht.

    Sorry

  9. 09

    Batumi// aber wirklich..

  10. 10
  11. 11

    Zitat:
    „…Inzwischen leben tatsächlich 115.000 türkische Staatsbürger in Berlin“

    das ist ein Scherz oder?
    Ich denke, dass diese Zahl weit unter der Realität ist…

  12. 12

    @#773025:
    Hmm

    Würde gerne wissen woher die Information kommt.

    http://www.Berlin.de
    http://www.DeStatis.de

    Die genannte Anzahl überrascht eigentlich nicht.
    Diejenigen, die Stolz zeigen, werden wohl kaum
    ihre Herkunft verleugnen, nur um als mit einem
    deutschen Pass keine Probleme bei Grenzüber-
    tritten zu haben.

  13. 13
    Salome

    @#772976:
    Während an eine polnische Präsenz im Ruhrpott nur noch Namen wie Koslowski, Kowalski u.ä. erinnern, wird, nach meiner Auffassung, auch in vielen Jahrzehnten und weiter noch von „Türken in Berlin“ die Rede sein.
    Vll können die Deutschen es den Polen im Ruhrpott dann ja nachmachen.

  14. 14
    Frédéric Valin

    @#773025: Auf welcher Grundlage denkst Du das denn?

  15. 15
    christoph

    Leider, leider ist der jährliche Tag der offenen Moschee ziemlich dämlich gelegen: Nämlich am 3ten Oktober.

  16. 16

    Bitte lass andere und mich es auch wissen.
    Warum ist die Terminierung unklug erfolgt?

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    ‚03.11.2010‘