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Dieser Artikel ist ein Leserbeitrag im Rahmen der Open-Spreeblick-Aktion.

Lasst den Prenzlberg in Ruhe!

Es ist irgendwie schick geworden, auf dem Prenzlauer Berg rumzuhacken. Latte Macchiato, Eigentumswohnungen, Bugaboo-Kinderwagen – bäh, is ja ekelhaft. Neulich sah ich eine Reportage, in der behauptet wurde, hier wären alle zwischen 20 und 40 und man sähe keine Grauhaarigen mehr im Prenzlauer Berg. Bullshit. Allein in meinem Haus wohnen drei ältere Pärchen. Aber so läuft es. Einfach mal drauf rumhauen, das lässt einen selber so heldenhaft aussehen: Seht her, ich bin total happy in meiner Ein-Zimmer-Wohnung im Wedding mit der eingetretenen Tür. Dabei würdet Ihr doch alle selber gern hier wohnen – natürlich zu Weddingpreisen, haha. Liebe Neuberliner, habt Ihr eigentlich gecheckt, wofür Berlin steht? Der Markenkern? Na? Jeder soll nach seiner Fasson selig werden, hat schon der Alte Fritz gesagt.
Also, lasst endlich die Prenzlberger in Ruhe!

Am schrägsten finde ich, dass ich mich neuerdings auf Partys dafür rechtfertigen muss, im Prenzlauer Berg zu wohnen. Ich stehe damit automatisch unter Yuppieverdacht. For the record: I was born here! OK, ich wurde in Mitte geboren, in der Charité. Aber abgesehen von einigen Abstechern ins Ausland (dazu zähle ich auch München und Hamburg) habe ich immer in Berlin gelebt und die meiste Zeit im Prenzlauer Berg. Ich bin hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Die letzten Diskussionen darüber, dass „wir“ von den fiesen Eigentumswohnungsyuppies verdrängt werden, führte ich mit einer Leipzigerin (Tempelhof), einem Dresdner (Friedrichshain) und einem Sauerländer (Neukölln). Also: Wenn hier jemand verdrängt wird, dann sind es wir Ur-Prenzlberger. Wobei man sagen muss, dass man als halbwegs gebildeter und friedlicher Prenzlberger ganz froh sein kann, dass ein großer Teil der Ureinwohner weggezogen ist. Denn vor dem Mauerfall – kleiner fact check für die  Zugezogenen – war der jetzige Hip-Bezirk bekannt für seine Assi-Familien: Familien mit fünf, sechs und mehr vernachlässigten Kindern, die in heruntergekommenen Bruchbuden wohnten. Heute würde man sagen: Prekariat. Ich bin zwischen diesem Prekariat aufgewachsen und gelegentlich von ihm verprügelt worden. Und, liebe Leute, ich weine ihm keine Träne nach. Übrigens: Als die Neubauten in Marzahn und Hellersdorf fertig waren, zogen viele dieser Familien dorthin. In großzügige, helle 4- bis 6-Zimmer-Neubauwohnungen mit Zentralheizung und fließend Warmwasser – damals der Inbegriff des Fortschritts bzw. der sozialistischen Errungenschaften. Dies mag einige Probleme erklären, die diese Bezirke heute haben.
Reste der Prenzlberger Ureinwohnerschaft lassen sich noch heute vor den Spätis in der Greifswalder Straße besichtigen, wo sie sich regelmäßig das Resthirn wegsaufen. (Womit ich natürlich auf gar keinen Fall sagen will, dass alle Ur-Prenzlberger Assis blablabla.)

Gaaanz übel ist ja laut der Niedersachsen (ich finde nicht, dass es hier so viele Schwaben gibt wie oft behauptet – die sind doch alle in Kreuzberg *wegduck*), dass hier alles ganz pöse gentrifiziert wird. Oh, wie schön, dass es in der Rykestraße noch ein abgefucktes Haus gibt. So authentisch. Und so romantisch. So real!!! Sorry, aber so kann nur jemand reden, der nie in einem solchen Haus gewohnt hat. Der nie erlebt hat, wie es ist, wenn es durchs Dach regnet und die halbe Wohnung voller Eimer und Wannen steht, um den Regen aufzufangen (unsere erste Wohnung, Driesener Straße). Wenn die Wände schimmeln (Wohnung meiner Schulfreundin, Knaack-/Ecke Kollwitzstraße). Wenn das Klo eine Treppe tiefer ist und man sich in einer Plastikschüssel in der Küche waschen muss (andere Schulfreundin, Kopenhagener). Ja, Ofenheizung macht eine total wohlige Wärme, ist aber unpraktisch, wenn man niemanden hat, der zu Hause ist und Kohle nachlegt. So kommt man nach der Arbeit in eine eiskalte Wohnung, zündet die Kohle an, und wacht mitten in der Nacht schweißüberströmt auf, weil der Ofen dann zu Höchstleistungen aufgelaufen ist. Müßig zu erwähnen, dass man beim Aufstehen von einer Eiseskälte begrüßt wird (meine erste WG, Bötzowstraße). Also, Ihr könnt Euch vielleicht vorstellen, dass ich ganz dankbar dafür bin, dass mein Kiez liebevoll und fachgerecht saniert wurde.
Ich bin stolz, dass der Kollwitzplatz jetzt in jedem Berlin-Reiseführer erwähnt wird. In fact, ich war vor ein paar Tagen mit französischen und spanischen Freunden hier im Kiez unterwegs und sie waren hellauf begeistert. So schön, so ruhig, was für eine angenehme Atmosphäre. Toll! Und hier wohnst Du?! (Nebenbei gaben sie auch noch mehrere hundert Euro aus, liebe Touristenhasser.)

Nicht falsch verstehen: Auch mich beunruhigen steigende Mieten und amerikanische Pärchen, die den Preis von 800.000 Euro für eine Eigentumswohnung lächelnd abnicken. Aber ich kann die Schwarzseher einfach nicht verstehen. Ich sehe den Fortschritt, ich sehe, wie es seit Jahren immer besser und schöner wird. Plötzlich liebt alle Welt Berlin. Ich bin stolz, Prenzlbergerin zu sein. So. Jetzt ist es raus. Und wenn ich die Kohle hätte, würde ich mir sofort eine Eigentumswohnung hier kaufen.