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Mein neues Tattoo und wie mich Twitter mal davor bewahrte, in der Liste der „Ten Worst Typographical Errors in Tattoos“ aufzutauchen

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Drei Tattoos hatte ich bisher, das älteste ist fast 30 Jahre alt, das jüngste hat immerhin auch schon 17 Jahre auf dem Buckel (obwohl es gar nicht auf dem Rücken ist). Seit vielen Monaten nun juckte meine Haut und rief nach mehr Farbe. Ich wollte das Stechen der Nadeln wieder spüren, den Geruch der Desinfektionsmittel erleben, das Geräusch der Machine hören. Menschen mit Tätowierungen kennen diesen Moment. Ich wollte zunächst ein weiteres Tattoo und dann nach und nach den rechten Arm voller neuer Motive tragen.

Ich begann, mich nach Inspiration und guten Künstlern umzusehen, ein endloses Unterfangen. Kaum eine Branche dürfte in den letzten Jahren einen ähnlichen Aufstieg gemacht haben wie das Handwerk des Tätowierens, und gerade in Berlin gibt es tolle Leute ohne Ende. Größte Bewunderung habe ich zum Beispiel für Jessica Mach und Peter Aurisch alias Nevada Johnny, die vor nicht allzu langer Zeit auch noch ein veganes Café eröffnet haben und die ich für meine FluxFM-Show auch schon interviewen durfte. Beiden hätte ich meine Haut sofort anvertraut, aber ich wusste, dass ich eigentlich eher einfache Old-School-Motive wollte. Ich mag das: Pinups, Anker, Schiffe, Herzen, Rosen, die ganze klassische Symbolik der Seefahrertätowierungen.

Also fing ich an, auf Pinterest tolle Tattoos zu sammeln und landete im üblichen Dilemma: Es gibt zu viel gutes Zeug, was soll ich nur machen?

Nur zwei Dinge standen nach einer Weile fest:

1. Ich will einen Anker. Der Anker begleitet mich nicht nur durch Spreeblick schon sehr lange, wenn es also ein Symbol gibt, das zu mir passt, dann der Anker. Ich weiß, dass Hinz und Kunz mittlerweile Anker auf der Haut tragen, aber das zeugt ja nur von der schönen Symbolik des Ankers. Ich weiß außerdem auch, dass jedes Tattoo individuell ist und mir Hinz und Kunz schnuppe sind. Wein und Bier trinkt ja auch fast jeder, deshalb hör‘ ich aber nicht damit auf.

2. Ich wollte auf dem rechten Unterarm beginnen. Nachdem ich fast 30 Jahre mit Tattoos auf den Oberarmen durchs Leben gegangen bin, wollte ich eines, das sichtbarer wäre. Diese Entscheidung war nicht leicht, nicht etwa, weil ich mich um Reaktionen meiner Mitmenschen sorgte (wie gesagt: Hinz und Kunz), sondern weil ich kaum einschätzen konnte, ob mir selbst der tägliche Anblick des immer gleichen Motivs nicht auf den Zeiger gehen könnte. Das war mir dann aber irgendwann egal, mein Unterarm schrie förmlich nach einem Bild.

Also schränkte ich meine Suche auf Anker ein, stellte fest, dass es ziemlich genau 78.862 Arten gibt, einen Anker zu zeichnen, und stand vor dem nächsten Dilemma.

Am vergangenen Samstag (am 4. Oktober 2014, am Tag des Libertines-Konzerts) beschloss ich dann, mein nächstes Tattoo selbst zu entwerfen. Was recht gewagt war, denn ich kann gar nicht zeichnen. Der Anker gelang mir aber nach einer Weile doch ganz gut und genau so, wie ich ihn haben wollte, er war mir aber zu nackt. Irgend etwas, weniges, wollte ich drumherum haben. Koordinaten oder Zahlen sehen schick aus in Verbindung mit einem Anker, fand ich, und suchte nach einer bedeutungsvollen Lösung.

Und so kritzelte ich vier Jahreszahlen um den Anker herum, über den Anker und letztendlich unter ihn, setzte die Anfangsbuchstaben der Vornamen unserer Familie neben ihn und setzte ganz unten noch einen Stern hin, um ein grafisches Gegengewicht zum Rot der Buchstaben zu haben. Die Zahlen und Buchstaben setzte ich am Computer nach, damit diese eine gewisse Konsistenz haben, Ausdruck in der korrekten Größe: Fertig. Das Ergebnis seht ihr oben.

Bevor gerätselt wird, ob meine Frau 20 Jahre alt ist: Nach der ersten Zahl, meinem Geburtsjahr, stellen die Zahlen das Jahr dar, in dem die ganze Bande in mein Leben getreten ist. Also: Geburtsjahr, Kennenlernjahr, Geburtsjahr, Geburtsjahr.

Ich war sehr zufrieden mit meiner Kreation, mochte vor allem die Unregelmäßigkeit des handgemalten Ankers. Genau so wollte ich das auf dem Arm haben. Trotzdem entschloss ich mich dazu, die Skizze zuerst auf Twitter und Facebook zu posten, bevor es ans Stechen ging. Falls mir nämlich doch ein dummer Fehler unterlaufen sein sollte, falls die Schriftart zum Beispiel auch auf dem Cover eines Albums von Xavier Naidoo benutzt wurde und man sich somit lieber für einen anderen Font entscheiden sollte: Die geballte Sozialmedienkompetenz meiner Filterblase würde mich darauf hinweisen, dessen war ich mir sicher.

Und tatsächlich. Ich hatte einen Fehler gemacht. Timo Hetzel hatte ihn entdeckt und suchte den Beirat von Gerrit van Aaken zur Bestätigung:

Ich hatte einfach die Apostrophe des entsprechenden Fonts genommen und war überrascht. Denn tatsächlich antwortet Gerrit wenig später:

Und schon hatte sich meine Vorsicht gelohnt. Ich drehte die falschen Apostrophe um 180 Grad, fragte auf Twitter noch mal nach, ob jetzt alles stimmte, bekam das OK, bedankte mich und war zufrieden. Tanja fand’s auch prima, und so stand es fest. Das sollte mein neues Tattoo werden!

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Blieb noch die Suche nach jemandem, der mir das ganze kurzfristig in den Arm stechen konnte. Meine früheren Recherchen hatten gezeigt, dass man in Berlin durchaus mal ein halbes Jahr auf Termine warten kann, darauf hatte ich überhaupt keine Lust. Ich wollte das Tattoo jetzt. Wie in: Sofort.

Da am Abend das besagte Libertines-Konzert in der Arena angesagt war, hatten wir uns vorher im White Trash zum Essen verabredet. Da direkt ans White Trash das Tattoo-Studio No Pain, No Brain angeschlossen ist, rief ich dort an, um nach einem Termin zu fragen. Keine Chance. Der ganze Samstag war ausgebucht. Mist.

Trotzdem drängelte ich, möglichst früh zum Essen zu erscheinen. Ich hoffte auf Glück. Und als wir dann gegen 18 Uhr vor Ort waren, schob ich meinen ausgedruckten Entwurf über den Tattoo-Tresen neben dem Restaurant und fragte, ob nicht doch … geht ja schnell?

„Same size? The exact design? No problem“, meinte Toni-Lou, „I can do it right now. Give me ten minutes to transfer the design and then I’ll do it.“

Äh … jetzt gleich? Wie in: Sofort? Moment mal. Ich dachte … naja, so in einer Stunde vielleicht? Oder zwei? Plötzlich bekam ich doch etwas Muffensausen. Und antwortete ihr natürlich trotzdem mit einem Strahlen:
„Great! Thank you!“

Kurz zurück an den Tisch, Burger bestellt, und dann saß ich auch schon bei Toni auf dem Stuhl, legte meinen Arm wie zur Blutabnahme auf die Lehne und war plötzlich sehr aufgeregt.

„Ah, you’re playing the new Jamie T album!“, stellte ich fest, als im Hintergrund „Zombie“ lief. „Yeah, you already know it? You like Jamie T, that’s cool, I love him!“ – Wir hatten eine gemeinsame Musikbasis gefunden, ein guter Start für eine erfolgreiche Zusammenarbeit, die etwa 15 Minuten dauern sollte und auf meiner Seite allein aus Stillhalten und Schmerzaushalten bestand.

Wir einigten uns auf die genaue Position des Tattoos, Toni übertrug die Umrisse des Designs, ich prüfte alles ein letztes Mal im Spiegel und dann konnte es losgehen.

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„So how does that feel? Think you’ll manage?“

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Naja. Hätte ich an dieser Stelle gesagt, dass ich doch eher abbrechen möchte, wäre ich mein Leben lang mit einem schwarzen Strich auf dem rechten Unterarm herumgelaufen. Keine Option. Der Schmerz, den ich seit über anderthalb Jahrzehnten nicht mehr gespürt hatte und den ich vor allem noch nicht auf der Innenseite des Unterarms kannte, überraschte und erinnerte mich gleichermaßen. Ja, das tut weh. Nein, nicht so doll. Man hält es locker aus, besonders, wenn ein Ende absehbar ist und es sich beim Motiv nicht gerade um die Seeschlacht bei Abukir handelt, die man sich auf die Innenseite beider Schenkel stechen lässt.

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Und so saßen wir da, ich beobachtete die konzentrierte Toni-Lou bei ihrer Arbeit und tat so, als würde mir das alles gar nichts ausmachen und bemerkte schließlich noch, dass es doch ganz lustig sei, dass wir über Jamie T geredet hatten und seiner Musik lauschten, während Toni mir ein „JT“ in den Arm malt. Zufälle gibt’s, die sind vielleicht gar keine.

Nach rund 15 Minuten war Toni fertig, sie hatte einen super Job gemacht und sowohl jede kleine Unregelmäßigkeit des Ankers als auch die Regelmäßigkeit der Zahlen perfekt auf meine Haut übertragen. Und ich stand mit einem breiten Grinsen vor dem Spiegel, ließ mir die Pflege des frischen Tattoos erklären, bedankte mich, zahlte und ging zurück zum Tisch, wo sowohl meine gespannten Freunde als auch der gerade gelieferte Burger auf mich warteten. Und dann ab zu den Libertines.

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Jedes Tattoo braucht eine Geschichte. Und dies hier ist die meines vierten.

30 Kommentare

  1. 01
    markus

    Bin nicht sooo der Tattoo-Fan, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen. Das hier ist eine davon. Haste gut gemacht.

  2. 02

    Alter Racker, äh, Rocker!

  3. 03

    Sieht cool aus!
    Ich bin ja echt eher von der Mimimi-Fraktion bzgl. Tattoo. Habe nur nen altes gepikertes Pentagram, noch aus der Schulzeit in den frühen 80ern am Oberarm. Wollte das auch mal übertünchen lassen.

  4. 04

    Sehr cool! Mir hat es schon als Skizze gefallen.

    So eine Eigenkreation hat eine ganz andere Wirkung als ein „fremdes“ Motiv.

    Vielleicht postest Du nochmal ein Foto, wenn die Schwellung abgeklungen ist. Und gerne mit ein wenig mehr Johnny im Bild ;-)

  5. 05

    @#1111018: Danke. Ich weiß: Man mag es oder eben nicht, ich verstehe beide Seiten, stehe aber eher auf der ersten. :)

    @#1111020: @#1111025: Dankeschön. :) Mac, mach mal. Macht Spaß.

    @#1111032: Kann ich gerne machen, derzeit heilt es noch, aber in wenigen Tagen sollte das erledigt sein.

  6. 06

    Sehr gelungen, sowohl konzeptionell wie auch optisch. Und dann noch mit Story und Making-of. Das perfekte Tattoo-Paket. :-)

  7. 07

    Schöne Story. Schicket Tattoo. Und wie cool ist denn die Schlagzeugerin von Jamie T bitte?

  8. 08
    Sascha

    Das einzige Tatoo das mir einfällt und welches mir vielleicht Spass machen würde ist die Schlange mit dem Apfel – Sinnbild der Erkenntnis.
    Aber das mit den Jahreszahlen ist natürlich auch süss.

  9. 09

    Sieht cool aus.

    (Und ein Tattoo dauert echt genau so lang wie ein Burger? Ich staune.)

  10. 10

    Das Apostroph haben sie Dir berichtigt damit es typographisch korrekt ist. Schoen.

    Aber dass Dein Ankerdesign (wie allerdings praktisch alle Zeichnungen und Symbole von Ankern) ganz genau genommen falsch ist hat Dir keiner gesagt?

  11. 11
    Mr.Fahrenheit

    Ich komm auch langsam in das Alter, in dem ich mir die Geburtsdaten meiner Familienmitglieder auf den Unterarm stechen lassen sollte. ;)

  12. 12

    Cooles Tattoo und witzig, weil ich konzeptionell seit einem Jahr in meinem Kopf an genau dem gleichen arbeite, Allerdings wird es wenn es denn tatsächlich mal fertig ist optisch ganz anders.

  13. 13

    @#1111904: Ich weiß nicht, ob das als Faustformel für jedes Burger-Restaraunt und jedes Tattoo durchgeht, aber in diesem Fall hat es genau gepasst, ja. :) (Kleines Tattoo, erfahrene Tätowiererin, volles Restaurant mit daher relativ langer Wartezeit.)

    @#1111972: Echte Anker sehen ja leider gar nicht so spannend aus, wie die symbolisierten. Ceci n’est pas un ancre.

    @#1112059: Auf den linken Arm kommen dann in zehn Jahren die genauen Tagesdaten. Dann kann nix mehr schiefgehen! :)

    @#1113299: Oh, das würde ich gerne sehen!

  14. 14

    @#1113371: och, das wuerde ich so nicht sagen. Wer weiss was dieser Anker z.B. so alles an Geschichten erzaehlen koennte? http://www.islay.org.uk/2013/03/30/old-anchor-at-laphroaig-distillery-isle-of-islay/

  15. 15

    @#1113448: Aber der ist ja auch nicht soooo weit weg von meinem. Bisschen verrosteter, okay. Und mehr Geschichten hat er ganz sicher. Aber meiner ist ja auch noch jung.

  16. 16

    @#1113456: Mit dem entscheidenden Unterschied dass der Stock im 90 Grad Winkel zu den Flunken steht ;-)

    Habe das ja auch nur erwaehnt weil Du auf die korrekten typographischen Apostrophe Wert gelegt hast.

  17. 17

    @#1113371: Kann noch dauern denke ich ;) Aber als Hauptinspirationsquelle dient oldesoul: http://instagram.com/oldesoul

  18. 18

    @#1113467: Schon klar. Aber jetzt lass mal ne riesige Stahlplatte auf „deinen“ Anker fallen und Voila: Schon sieht er aus wie meiner. ;)

    @#1113469: Au ja, das kann ich mir sehr, sehr gut vorstellen. Das wird super. Mach! :)

  19. 19

    @#1113477: Die ganzen Landratten merken das ja sowieso nicht, die denken bestimmt alle das muss so sein ;-)

  20. 20
  21. 21

    Sehr schöne Story…!!!

    War vor kurzem hier in DK in einer Ausstellung(siehe Link), die Dir vom Style dann wohl auch gefallen hätte…

  22. 22
    Uwe

    Und was machste, wenn da noch ein 5ter Buchstabe dazu muss? :)

  23. 23

    Und noch ein Zufall: der Pete trug auch nen Anker :-)
    https://www.flickr.com/photos/common-tales/15290185008/

  24. 24
    Marc

    Das Studio heisst übrigens „No Pain No Brain Tattoo“ und nicht „Gain“….nur von wegen „falsch geschrieben“- Diskussion, und so…. :)

  25. 25

    @#1116785: Aua, danke für den Hinweis! Ist korrigiert.

    @#1114081: Yeah! :)

    @#1113799: Danke für den Link, das sieht ja super aus!

    @#1114011: Darauf gibt es zwei Antworten: 1) Wird nicht passieren. Und 2) Naja, dann wäre das halt so. Dann käme der weitere Buchstabe da irgendwo reingequetscht dazu. :) Das Verrückte und Tolle an Tattoos ist ja: Sie sind für die Ewigkeit, entstehen aber im Moment. Das verbindet sie mit der Liebe, glaube ich.

  26. 26
    Uwe

    Und da schließt sich der Kreis: Die Liebe würde auch den 5ten Buchstaben bringen, glaube ich. ;)

  27. 27

    @#1117895: Ich hab ja keinen LIKE-Button unter den Kommentaren, aber hätte ich einen, hätte ich den jetzt geklickt. :)

  28. 28

    Danke für das Teilen dieses Stückchen Lebens.
    Sehr privat, eigentlich. Aber auch sehr rund und sehr schön.

  29. 29
    Lasse

    Das ist ein schöner Anker. Sollte ich mich mal tätowieren lassen, wird es so einer in der Art werden. Ich will es schaffen, dann wirklich nur bei einem Tattoo zu bleiben. Ein Anker auf dem Oberarm. Wohne inzwischen im Süden von Hessen. Aber ich komme von der Küste. Das Tattoo wird meine Erinnerung daran sein.