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Dieser Artikel ist ein Leserbeitrag im Rahmen der Open-Spreeblick-Aktion.

Als ich mal für eine Woche in einem Sexshop arbeitete

Wenn einem das Bafög gestrichen wird und man keine Eltern hat, deren Budget ausreicht, um 2 Kindern statt geplanten 3 eher 5-10 Jahre Ausbildung zu ermöglichen, dann bleibt einem nichts anderes übrig, als sich nach einem Nebenjob umzusehen.

Nachdem ich mein Glück als Lagerarbeiter, Ticketverkäufer, Call-Center Agent, Kopierer/Sortierer und Ebayer versucht hatte, besuchte ich mal wieder das Online-Angebot des Arbeitsamtes (hieß damals noch so und war eine der wenigen funktionierenden Online-Job-Portale, ob man‘s nun glaubt oder nicht). Zu meinem Erstaunen erschien dort eine Anzeige, die mir sofort ins Gesicht fiel:

„Teilzeitkraft in einem Sexshop.“

Ich stellte mir vor, wie ich dort mit anderen studentischen Aushilfen Pärchen dabei zusehe, wie sie sich beschämt kichernd einen Dildo oder so kaufen würden. Die Vorstellung fand ich recht amüsant und deswegen bewarb ich mich. Und bekam wenige Tage später eine Einladung zum Bewerbungsgespräch.

Anstatt wie gedacht in die Dortmunder Innenstadt Richtung aufgeräumten beateuhseeskem Erotikladen, verschlug es mich in den Dortmunder Norden. Wer schonmal im Dortmunder Norden war, der weiss, dass die dort in etwas höherer Frequenz umherfahrenden Polizeiwagen nicht aufgrund von ansteigenden Verkehrsdelikten unterwegs sind.

Als ich mich vor meinem Ziel befand, musste ich ein paar mal die Adresse gegenchecken, um sicher zu sein, auch vor dem richtigen Sexshop zu stehen. Leider stimmte sie. Ich ging also geradewegs zur Kasse, um nach meinem Bewerbungsgesprächstermin zu fragen. Kurze Zeit später saß ich in einer Art Abstellkammer mit Schreibtisch, 2 Stühlen und einem Fernseher. Und während ich auf meinen Gesprächspartner wartete, lief auf dem Fernseher ein Porno. Und der lief dann auch während des Bewerbungsgesprächs. Mein Vorgesetzter in spe machte mir durch sein Aussehen Marke Thailand-Urlauber die Konzentration eh schon schwer, aber der Porno im Hintergrund tat sein Übriges.

„Hast du ein Problem mit Pornos?“
„Sonst hätte ich mich wohl kaum beworben!“

Das schien ihn überzeugt zu haben und so sollte ich dann am Montag, den 15. März 2004 zu meinem ersten Arbeitstag erscheinen. Moment, 15. März? Genau, an meinem 25. Geburtstag…

Am Morgen des 15. März fuhr ich also zu meinem neuen Arbeitsplatz zur Einarbeitung in einem Sexshop im Dortmunder Norden.

Als man mir direkt zu Beginn meine Hauptaufgabe nannte, wollte ich eigentlich direkt wieder gehen. Denn was mir bei meinem Vorstellungsgespräch nicht aufgefallen war: Die 17 Kabinen. Ja genau, solche Kabinen. Man gab mir einen Greifarm und einen Wischmop in die Hände, die zu meinen beiden besten Freunde während meiner ersten und einzigen Arbeitswoche wurden.

Da ich 1×1 Meter große Kabinen als Aufenthaltsort für sexuelle Handlungen für den wohl unerotischsten Ort der Welt halte, war mir die Vorgehensweise nicht bewusst. Also hier mal kurz zur Erklärung: Je nachdem, wieviel Geld man in die Kabine schmeisst, desto mehr Zeit ist einem vergönnt. Man hat (zumindest in diesem Sexshop) 2 Monitore vor sich, auf denen 120 Pornos laufen, zwischen denen man hin- und herzappen kann. Vor den Kabinen steht ein Videothekenregal mit den 120 DVD-Hüllen der 120 Pornos. Unter ihnen eine laufende Nummer. Entweder guckt man also wild alles oder wählt sich vorher sein Stimulationsmedium aus.

Man kann sich nun ungefähr vorstellen, was für Menschen im Internet-Zeitalter so übrig bleiben, die solche Etablissements aufsuchen – nicht die Sympathischsten jedenfalls. Und genau wenn ein solcher Herr „fertig“ war, musste ich mit meinem Greifarm die benutzen Servietten herausangeln und einmal mit dem Mop über die Kabine drüberwischen. Das Ganze habe ich größtenteils ohne hinzugucken gemacht und meine Moparbeit sah auch eher so aus, dass ich den Eimer Wasser einfach in die Kabine geschmissen habe. Anschliessend legte ich 2 neue Servietten auf die Lehnen des sehr komfortablen Sitzgelegenheiten. Es roch nach Turnhalle. Leider konnte ich die auch nicht wirklich tolle Vorstellung, dass ich gerade die Umkleidekabine einer Sportmannschaft sauber machen würde, nicht lange aufrecht erhalten.

Und wo 120 Pornos laufen, da muss es natürlich auch irgendeine Art Abspielstation geben. Dachte ich. Tatsächlich gab es einen ganzen Raum, in dem auf einem Industrieregal 120 DVD-Player standen. In der Mitte ein Kontrollmonitor. Und damit wären wir auch schon bei Aufgabe Nr. 2: Ich musste dafür sorgen, dass die 120 Pornos immer durchliefen. Da die billigen Mustek-DVD-Player ständig heiß liefen hatte diese Betätigung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. So ging ich nach dem Saubermachen also in den DVD-Raum und zappte mich durch 120 Pornos. Und danach wieder wischen. Immer schön abwechselnd, 8 Stunden lang.

Da ich mit Fug und Recht behaupten kann, dass ich so als einer der ersten Normalsterblichen „2 Girls 1 Cup“ gesehen habe, war ich beim Zappen immer sehr erleichtert, wenn 2 Menschen ganz normalen, gut bürgerlichen Hardcore-Sex hatten. Womit wir bei meinen Mitarbeitern wären…

Denn anstelle von gleichgesinnten Studenten hatte ich zwei Anfang 50-jährige, einer Opi Marke Schrebergarten-Nachbar und der andere Türke Marke Klischée, abbekommen, die scheinbar schon seit cirka 30 Jahren dort arbeiteten. Während Herr Schrebergarten-Nachbar so gut wie nie mit mir redete, kam Monsieur Klischée, während ich fassungslos bei besagtem Porno vor lauter Entsetzen nicht wegschalten konnte, in den DVD-Raum und sagte: „Ey, wenne mal 5 Minuten alleine sein willst, dann sag Bescheid!“

„Neeeeeeein. Ich will nach Hause“, dachte ich, gesagt habe ich: „Ooooookaaaaaay….“

Aufgrund der sehr hohen Prostitutionsrate im Dortmunder Norden gab es bezüglich der Kabinen eine Regel: Wenn jemand länger als 20 Minuten drin ist, muss man anklopfen. Macht derjenige nicht auf, muss man mit dem Generalschlüssel selbst aufmachen. Denn solche Kabinen sind das günstigste Dach überm Kopf, den Prostituierte so haben können. Ja genau, sehr traurig.

Als meine Arbeitskollegen mir dann von der in der Folgewoche für mich anstehenden Nachtschicht erzählten, war mir schnell klar, dass ich über die Woche hinaus nicht als Teilzeitkraft zur Verfügung stehen würde. Denn bei Menschen, die zusätzlich zu 1×1 Meter Räumlichkeit noch Fäkalien benötigen, um in Stimmung zu kommen, hätte mir auch mein Greifarm nicht geholfen. Und so kündigte ich am Freitag direkt wieder.

Aber so habe ich eine Pornodarstellerin kennengelernt, die ich bedienen musste, weil ich der einzige war, der englisch konnte, ich habe erfahren, dass Special-Interest Pornos, wie Männer in Babyklamotten (in denen nichts passiert, ausser dass Männer Babyklamotten anhaben und von einer angezogenen Frau bemuttert werden) bis zu 60 Euro kosten können (wollte ich nämlich eigentlich kaufen, weil es mir sonst eh keiner geglaubt hätte) und mich ältere Männer, die von im günstigsten Fall 18-jährigen Jungs begleitet werden, scheinbar scharf finden, wenn ich putze.

Am Abend meines ersten Arbeitstages jedenfalls trabte ich noch zum Familientreffen, ich hatte schliesslich Geburtstag, wo ich in großer Runde von meinem ersten Arbeitstag berichten musste.

Meine Oma packte ihre gesamte Toleranz und Liebe zu ihrem Enkel zusammen, um folgendes Fazit zu ziehen: „Naja, diese Arbeit muss ja auch irgendwer machen.“