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Dieser Artikel ist ein Leserbeitrag im Rahmen der Open-Spreeblick-Aktion.

Emanzipierte Heilung akuten Fernwehs

Auf dem großzügigen Doppelbett liegt eine blonde Schönheit, die grenzdebil lächelt. Sie schaut nur mich an, ihre Zähne strahlen in einem grotesken Weiß. Neben ihr und dem Bett steht ein muskulöser Kerl, lächelnd und nackt, mit einem kaminroten Handtuch um die Lenden gewickelt. Auch er ist obszön attraktiv, auch er schaut nur mich an.
Werden es die beiden jetzt vor meinen Augen treiben oder haben sie es schon getrieben? War er tatsächlich alleine duschen und wieso steht er da nackt im Zimmer?
Und wo ist eigentlich euer Gepäck?

Ein anderes Foto zeigt das Badezimmer und den an der Wand angebrachten Fön, der auch in der Beschreibung erwähnt wird: «Dusche, Bad, WC und Fön». Außerdem verspricht der Katalog «Minibar und Fernseher».
Wie kann ich da noch länger widerstehen?

Ich löse meinen Blick von den Bildern und schaue nach draußen. Dort fallen aus grauen Wolken feiste Regentropfen, die auf dem Asphalt zerplatzen. Im großen Schaufenster hängt ein Modellflugzeug aus Plastik. Ein großer Airbus.
Uns gegenüber hockt ein junger Mann und starrt fassungslos auf den Drucker und den Flachbildschirm. Wir sitzen hier schon eine ganze Weile und ich bin froh, dass mich die visuelle Stimulans des Katalogs ablenkt.

Plötzlich überkommt es den jungen Mann und er schlägt in einem Wutanfall auf die Tastatur. Ausgerechnet die Esc-Taste fliegt eiernd durch die Luft und landet auf dem feuchten Teppich. Diese Leidenschaft hätte ich dem Reisebürokaufmann gar nicht zugetraut.
«Das Scheißding sollte jetzt eigentlich drucken», motzt er mit rotem Kopf, er spricht teils mit uns und teils mit sich selbst, verhandelt aber eigentlich mit der grauen Maschine, die still auf dem Schreibtisch steht und gar nichts macht. «Komm schon!», fleht er.
Die kleine rote LED am Drucker blinkt hektisch.
«Papierstau?», versuche ich.
«Das hat er manchmal», erklärt der Typ, der eine Designerbrille auf der Nase trägt, die er alle paar Momente mit dem rechten Zeigefinger zurück an die Nasenwurzel schiebt. An den Wänden hängen eine Weltkarte und einige Poster, die verlassene Strände zeigen. Strände, sie sich endlos hinziehen, gesäumt von gesunden Palmen. Weißer Sand und kristallklares Wasser, die für eine Reinheit und Perfektion stehen, die in dieser Form ganz sicher nicht der Realität entsprechen. Eine große Illusion, die akutes Fernweh verursacht.

«Ach, ein Auto wollten wir doch auch noch mieten», fällt meiner Begleitung plötzlich ein.
«O ja, ein Cabrio», bestätige ich und krame ein Taschentuch aus der Hosentasche hervor, um mir die Nase zu putzen.
«Dann muss ich aber alles noch mal neu machen und ausdrucken», mosert die Designerbrille, aber das rote Blinken verschwindet nicht und am Ende schickt er uns resigniert nach Hause.

Ich habe dann alles online gebucht.