Wenn man einem Bekannten die Gretchenfrage stellt, so antwortet er mit ziemlicher Sicherheit, dass er kein Kirchgänger sei, aber schon an irgendetwas glaube. Nun ist die Frage, ob Gott existiert – und wenn ja, ob er uns mag – nicht gänzlich unwichtig. Und trotzdem ist die Anwort so seltsam verschwommen, als frage man nach der Präferenz im angolanischen Präsidentschaftswahlkampf. Erkundigt man sich nun nach der Liebe zum Vaterland, taucht ein ähnliches Schema auf. Besonders in Feuilleton- und TV-Debatten wird betont, zwar sei man kein Nationalist, aber die Heimat, das sei schon etwas ganz Besonderes. Seit einiger Zeit wird gern hinzugefügt, dass die Franzosen und Amerikaner da viel unbefangener mit umgehen.
Ich hatte vor einigen Jahren mal das Vergnügen, am 4. Juli ein Rodeo in Jacksonhole zu erleben.
Lieder wurden gesungen, mit Zeilen wie “I´m proud to be an American”, Fahnen in allen Größen wurden geschwenkt, es wurde ekstatisch gekreischt und ich fühlte mich wie ein Kommunist auf dem Reichsparteitag.
Ich war sehr zufrieden, dass es so etwas bei uns nicht gab.
Das liegt zum Einen daran, dass ich Menschenmengen, die mehr als 20 Exemplare umfassen, anheimelnd finde wie einen Aufenhalt in einem gut geheizten Ameisenhaufen. Wenn diese Menschenmenge gröhlt, würde ich gerne verstehen, warum sie das macht. Und wenn ich es nicht verstehen kann, weil mir das Vaterlandsliebegen fehlt, habe ich ein Problem.
Aber als ich die Fotos von den Fans aus aller Welt gemacht habe:
Schwarz-Rot-Gold: Alles in Butter.
Die Stimmung war nicht national aufgeladen wie in Jacksonhole. Es war auch nicht das aggressive Aufeinanderprallen zweier Fangruppen. Nein, die Stimmung war Ausdruck des für die Nullerjahre typischsten Kulturguts: Der Eventkultur.
Vom Big-Brother-Finale der ersten Staffel über die Proteste gegen den Irakkrieg, vom Papstbesuch bis zur Weltmeisterschaft.
All diese Ereignisse finden natürlich Süppchenkocher, die ihres daran aufwärmen wollen, aber genausowenig, wie man nach Ende der Big-Brother-Staffel noch etwas von Zlatko hören wollte, setzten die Irakproteste eine elaborierte Auseinandersetzung mit der großen Politik voraus, die Mädchen, die morgens eine Papstmesse gesehen haben, ließen sich abends von ihren bolivianischen Pfadfinderkollegen zwar erkennen, aber gerade nicht schwängern.
Und die Schwarz-Rot-Gold geschmückten Jungen und Mädchen heute in den Städten? Mögen vielleicht nächsten Monat schon Curling. Und wollen bestimmt nicht morgens in der Schule die Hymne singen. Die rechte Hand aufs Herz beim Lied der Deutschen? Alle vier Jahre ist das ein toller Spaß. Aber ansonsten braucht man die Hand fürs simsen.
Um sich fürs nächste Event zu verabreden.
Lasst sie doch.
sehr toll, mir aus der seele gesprochen und hervorragend auf den punkt gebracht… ich frag mich ja im moment was all die vielen fähnchenschwenker machen werden wenn “unsere jungs” demnächst rausfliegen werden oder die WM zu ende ist. hmm ?
Die tauschen ihre Schwarz-Rot-Güldene Kluft gegen das
zu engeT-Com-Trikot und der Fussball gehört endlich wieder uns.Aber wunderbar geschrieben Malte!