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Leseprobe: Dietmar Dath — Deutschland macht dicht

Seine neueste Erzählung Deutschland macht dicht pflanzte Dietmar Dath nach Frankfurt am Main, wo sich im Schatten der glitzernden Bürotürme ein junger Abiturient in einer Anti-Coming-of-Age-Geschichte erst nicht so Recht verlieben und dann mit Recht aus dieser überhaupt nicht jugendlichen Not heraus, gemeinsam mit Rosalie Vollfenster, was für ein Name, nicht mehr und nicht weniger als das gesamte Land retten will.
Deutschland macht dicht ist geschrieben von Dath und reichlich illustriert von Piwi. Ab Montag, den 22. März, steht das Werk im Buchhandel. Das erste Kapitel schon heute vorab und exklusiv bei uns.

1. Schöner Junge

In der hübschen, aber viel zu teuren deutschen Stadt Frankfurt am Main lebte ein junger Mann. Wer ihn anschaute, fand ihn schön: schwarzhaarig, mit Augen voll Seele, nicht zu scharfen, keineswegs aber weichen Gesichtszügen, ein bißchen muskulös, ein bißchen traurig, ein bißchen schlampig. Er trug sich mit heftigen Absichten und war auf genau die richtige Art und Weise frech. Viel redete er nicht. Aber was er sagte, das saß.
Die aus eigener Schuld Dummen und Elenden hatten Angst vor ihm. Von denen gab es viele.
Manchmal stieß er in der U- oder S-Bahn gegen ferngesteuerte Bankidioten, die sich auf albernen Metallrollern zwischen den Menschenströmen in langen Trippel- und kurzen Gleitphasen fortbewegten. Dann maß er sie von oben bis unten und sagte, nicht laut, aber deutlich, den Satz: „žDu gehörst beseitigt.“
Im Rieseneinkaufszentrum „žMy Zeil“ wollte er einmal eine von aufgetakelten Lebedamen blockierte Furt zwischen zwei Parfümtheken passieren. Sie gaben ihm den Weg nicht frei. Da hob er beide Arme und sprach: „žLaß mich durch, ich muß Geschenke für tolle Frauen kaufen, ihr wißt ja, wie das ist, seid ja auch tolle Frauen!“
Die Lebedamen lachten und verliebten sich. Er durfte durch.

Der schöne Junge besuchte das vernünftigste Gymnasium der Stadt. An Dienstagvormittagen fragte ihn dort manchmal seine Mathematiklehrerin, warum er montags nicht zum Unterricht erschienen war. Er guckte jedesmal traurig, wenn er ihr, mit leichten Variationen im Wortlaut, dann erklärte: „žWissen Sie, das ist so: Leider war ich tot. Kommt vom Feiern.“ Sie sah es ein; er galt stets als entschuldigt. Diese Art Überzeugungskraft war es, die dem schönen Jungen bei allen, die ihn kannten, Respekt verschaffte.
Unter der Woche stand er abends mit seinen älteren Rocker-Brüdern und deren türkischen HipHop-Kumpels gewöhnlich an der Galluswarte herum. Wenn er dort die zermürbten Redakteure der Erhabenen Zeitung sah, die eben ihren Arbeitsplatz verlassen hatten, um zu Frau und Kind zu fahren, rief er ihnen hinterher, während sie in die Pendelzüge stiegen: „žHey Süßer! Den ganzen Tag mitschreiben macht fett und verrückt!“

Oft sah ihm Jesus Christus aus der Deckung dabei zu.
Jesus Christus hatte ein Hobby: Er interessierte sich aus Liebe zum Nochniedagewesenen stets für die bestmöglichen Menschen. So stand der Heiland mitunter am Wasserhäuschen oder oben am Gleis, auch mal unauffällig neben der Litfaßsäule, und spähte nach dem schönen Jungen.
Man erkannte den Erlöser selten; Jesus Christus trug zu dieser Zeit einen langen Mantel, schwarze Jeans, mal ein T-Shirt, mal ein Hemd, immer feste Stiefel und einen schwarzen Cowboyhut. Als er den schönen Jungen nach Wochen und Monaten der eingehenden Beobachtung schließlich gut genug kannte, um sich über dessen Witze nicht mehr zu wundern, beschloß er, für einige Zeit aus dieser Geschichte zu verschwinden, denn es gab vor seiner Rückkehr einiges zu erledigen.

Der schöne Junge hieß Hendrik.
Seine Familie hatte nicht viel Geld, da sich sein Vater, ein bedeutender Professor, zu viele Kinder gewünscht und Hendriks Mutter die ungeschickterweise sogar gekriegt hatte.
Weil aber Hendrik der klügste und jüngste von vier Brüdern war und sein Vater als bedeutender Professor wenigstens einen Nachkommen haben wollte, der ihm keine Schande machte, durfte Hendrik das vernünftigste Gymnasium der Stadt besuchen.
Dort war er mit zwei Mädchen gut bekannt. Sie hießen Rosalie und Clea.

Rosalie Vollfenster schaute zwischen langen glatten dunklen Haaren kritisch in die Welt und war furchtbar gescheit. Ihr Vater litt an keiner Armut, sondern war einer der Herausgeber der Erhabenen Zeitung. Clea Pinguin (den Nachnamen sprach man französisch aus: „žPängwäh“) brachte bei Unruhe die blonden Strähnen zum Wippen und war arg eingebildet. Ihre Mutter hatte sogar noch mehr Geld als Vater Vollfenster, weil sie als junge Frau vor lauter Schönheit von einem Glück ins andere gestolpert war.
Rosalie Vollfenster und Clea Pinguin hatten eines gemeinsam: Sie hätten beide gern was mit Hendrik angefangen. Hendrik, der sonst alles wußte, was er wissen wollte, hatte aus gut versteckter Tapsigkeit leider keine Ahnung, was er mit den beiden Mädchen anfangen sollte. So kam es, daß er keine Entscheidung zwischen ihnen traf. Die wäre ihm, wenn er einen guten Grund dafür gewußt hätte, eigentlich leichtgefallen: Clea fand er putzig, aber fade; Rosalie hatte er heimlich sehr lieb.
Die Heimlichkeit dieses Liebhabens war allerdings derart heimlich, daß er selbst fast gar nichts davon mitbekam. Der Groschen rollte und rollte, immer im Kreis herum, und wollte einfach nicht fallen.

Schließlich brachte ihn Rosalie, eher nebenbei als gezielt, zumindest auf eine Idee, was man mit Clea anfangen konnte. Aus dem, was dann geschah, ergab sich etwas, das er schließlich nicht mit Clea, sondern doch noch mit Rosalie anfing: die mehr oder weniger notwendige Rettung Deutschlands.
Davon soll hier erzählt werden.

12 Kommentare

  1. 01

    Habe das Buch am Mittwoch schon bekommen und gelesen. Großartige Idee und absolut lesenswert umgesetzt von Dietmar Dath.
    Ich will Deutschland jetzt auch retten gehen!

  2. 02
  3. 03

    gefällt mir auch! ist ne gute idee!

  4. 04
    max

    tolle Sache

  5. 05

    Endlich mal ein Montag auf den man sich freuen kann.
    B.

  6. 06
  7. 07

    Das kauf ich mir, wenn ich wieder in Deutschland bin! Klingt toll und sicher auch super zum verschenken.

  8. 08
    Lebedjew

    Liest sich ein bisschen wie die Zusammenfassung der Nicht-Dirac-Passagen aus „Dirac“.

  9. 09
    LaHaine

    Deutschland muss sterben und sollte nicht gerettet werden, sondern noch einen Tritt bekommen auf dem Weg nach unten.

  10. 10
  11. 11

    Puh, grauenvoller Stil. Oder ist das eine Reminiszenz an Schulaufsätze und Märchenbücher aus den 50ern, die ich nicht verstehe?

  12. 12

    Großartig geschrieben bisher. Ihr habt mich dazu verführt, das Buch zu kaufen! ;)