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Enjoy yourself

Alles war neu Ende der 70er, Anfang der 80er. Punkbands streckten den Mittelfinger in alle Himmelsrichtungen und machten Rock’n Roll nach Supertramp, Queen und ELP wieder zu einem echten Abenteuer für Bands und Publikum.

Ich war viel zu jung für den ganzen Kram, aber Papa hatte früher auch eine Lederjacke gehabt und ließ mich gehen, zwei-, drei-, viermal die Woche erschlich ich mir teilweise über waghalsige Dach-Klettereien, teilweise über geschicktes Drängeln, teilweise unter zähneknirschender Zuhilfenahme begleitender, den Türsteher überredenden weiblicher Reize Zutritt zu jedem verdammten Konzert, denn alle kamen sie nach Berlin. Alle.

Und immer spielte mein Magen verrückt, kurz bevor es losging, ein Flimmern lag in der Luft und übertrug sich auf die ganze Halle, die sich mit dem Erlöschen des Saallichtes im besten Fall in eine Diskothek, im schlechtesten Fall in ein Schlachtfeld verwandelte. Toll war letzteres nicht, man kann bei einem Konzert gut auf den Geruch von Tränengas verzichten und oft genug hab‘ ich mir vor Schiss fast in die viel zu engen Hosen gepisst. Nichts womit sich irgendjemand rühmen sollte, zumal ich kleiner Furz immer schön hinten stand, dicht am Eingang, wenn man ahnen konnte, dass es bei dem anstehenden Gig nicht ganz harmlos zugehen könnte.

Noch bevor sich in Berlin die erste Punkrockwelle zu voller Größe entwickelt hatte rollte bereits der neue Scheiß von der Insel heran. The Clash, Stiff Little Fingers und The Ruts hatten die Türen weit aufgemacht für eine Musik, deren ehrwürdige Tradition mir erst in den kommenden Jahren bewusst werden sollte, eine Musik, die ich bis dahin nur durch einen Mann namens Bob Marley kannte und die ich eher mit langhaarigen Hippies als mit kurzhaarigen jungen Hunden asoziierte.

Reggae. Ska. Rocksteady.

Wir waren ein bisschen erleichtert, glaube ich. Der dauernde Hass, den wir in unserer gutbürgerlichen Runde nur ein kleines bisschen nachvollziehen konnten, die ständig gegenwärtige Aggression und vor allem die Tatsache, dass unsere Musik nur bedingt dazu geeignet war mit Mädchen zu tanzen wurde wenigstens streckenweise von Fröhlichkeit, Spaß und Groove abgelöst. Madness, The Specials, Selecter, Bad Manners, The Beat… plötzlich durften Punker tanzen.

Die ersten Skinheads und Mods tauchten in den einschlägigen Läden (wir sagten nicht „Klubs“, wir sagten „Läden“) auf, sahen smart aus, waren nicht so dreckig wie die Punks, bewegten sich cooler. Ein paar kurze Jahre lang hatten die Skins, die sich unter die Punkrocker mischten, nichts mit Nazis zu tun, es ging um die Musik. Fuck art, let’s dance.

Als die ersten Konzerte der neuen Ska-Bands in Berlin stattfanden, war das Aggressionspotential dennoch hoch. Englische Soldaten auf Ausgang schwenkten Union Jacks um ihre Helden aus der Heimat zu begrüßen und nahmen jede Gelegenheit wahr, die für sie eher seltenen freien Abende durch den ein oder anderen Faustkampf zu krönen.

Erste Gerüchte machten die Runde, dass es sich bei einigen der Ska-Bands um Nazis handeln soll, was sowohl ebensolche als auch ihre Gegner auf den Plan bzw. das Konzert rief. Speziell in Anbetracht der Tatsache, dass in den Bands weiße und schwarze Musiker gemeinsam spielten waren das natürlich völlig absurde Vorwürfe, doch es war die Zeit der National Front in England, die auf einen fahrenden Zug voller zielloser Jugendlicher aufgesprungen war und einige von ihnen zum Sprung ins rechte Nichts überreden konnte.

Und so waren die Berliner Konzerte von Madness, Selecter und den Specials geprägt von Unterbrechungen, Pausen, schlichtenden Worten der Bands an das Publikum. Und trotzdem jeder Menge Spaß und Aufregung.

In diesem fantastischen Live-Clip der Specials, ihrem Aussehen nach zu urteilen muss das Ding ca. 1979 entstanden sein, sieht man genau solche eine Situation. Die Band steht in einem vollgepackten Laden (wo die Bühne anfängt und aufhört ist schon lange nicht mehr ersichtlich) und beruhigt die Stimmung mit einer Acapella-Version von „Enjoy yourself“ (of course), die sich selbstredend mit Einsatz der Drums zur „echten“ Variante erhebt und für allgemeines Wippen und Tanzen sorgt. Was da musikalisch kommt, mag harmlos klingen, das ist schließlich kein Rock. Was da jedoch zwischen Band und Publikum abgeht, ist alles, worum es bei guter Live-Musik geht. Sieht man die unglaublich jungen Gesichter der Musiker und der Besucher erkennt man: dort wurde Musikgeschichte geschrieben und jeder, der da war, war sich dessen sehr bewusst.

Anmerkung: Wenn Madness (in Würde und mit viel Humor gealtert, wie ich in den letzten Jahren mehrfach feststellen durfte) am 14.7.2006 in der Spandauer Zitadelle spielen, dürfte das eher ein kleines, nettes Familienfest werden. It must be love.

29 Kommentare

  1. 01

    Das waren noch Zeiten …

    Auch wenn ich noch jünger bin, habe ich doch ähnliche Erfahrungen sammeln dürfen, beispielsweise auf dem Ska-Fest in Potsdam.
    Sehr schade, dass sich die Skinhead-Szene so gespalten hat und ein Skinhead heute von einem Ottonormalbürger als Nazi bezeichnet wird.
    Aber schön waren die Konzerte mit Punx und Skins im Publikum, immer wieder ein Spaß … das fehlt mir schon manchmal.

  2. 02
    Stalinallee Nordseite

    Ich hab schon ne Karte…

  3. 03

    Zu schade, dass mir Madness in der Zitadelle entgehen werden, aber bei Ticketpreisen um die 40 Euro dreht sich mir der Magen um. Sicher, kleine beschauliche OpenAir Atmosphaere im Innenhof, eine Band die man gesehen haben muss und lauter, gealterter Veteranen „von damals“ neben sich laesst man sich heutzutage sicherlich schon was kosten. Aber trotzdem, 40 Euro sind einfach verdammt viel fuer optimalerweise 2 1/2 Stunden Spass, auch wenn’s eine Band ist, die man gesehen haben muss.

    Mir kommt es eh so vor, als ob sich in Sachen Ska in der Hauptstadt nicht mehr allzu viel bewegt, seitdem Mother’s Pride sich in den Ruhestand begeben haben. Oder irre ich mich da?

  4. 04

    40 Euro sind ein Hammer, keine Frage. Aber ich fürchte, das ist der Preis, den wir alle zahlen, seit die Bands keine CDs mehr verkaufen, ist ja kein ungewöhnlicher Preis. Und sein wir ehrlich: eine Band wie Madness geht nur noch zum Geldverdienen auf Tour. Billig sind die sicher nicht.

    Was die „neuere“ Ska-Szene angeht, da habe ich keinen Schimmer von. Ich kannte noch die Busters und Blechreiz und das war’s.

  5. 05
    martha dear

    ich möchte ja die älteren herren nicht stören ;o) aber eine kleine korrektur wäre doch anzumerken: ELP sind doch sicherlich eigentlich ELO, oder versumpft da gerade mein musikalisches gedächtnis?

  6. 06
    Lockengelöt

    Ich hab erst letzten Freitag ein unfassbar offenbarendes Erlebnis mit Rock Steady Live-Musik erlebt.
    Die Clubkillers aus Schweden (zu Teilen bestehend aus der Backingband von Moneybrother) haben im Magnet gespielt. Locker 2 1/2 wenn nicht sogar 3 Stunden.
    Das war das geilste Konzert, was ich seit langem gesehen habe, und ich gehe viel auf Konzerte.
    Alleine die Stimmung im Publikum hat mich schon in Endorphinen schwimmen lassen, aber die fast 15 (fünfzehn) Musiker auf der kleinen Bühne haben derart gerockt und man hat ihnen den Spaß am spielen so angemerkt, dass ich vor lauter Glücksgefühlen ertsmal ne halbe Stunde nach Ende des Konzertes überhaupt nichts mehr sagen konnte.
    Die haben mich einfach umgehauen. Das kannte ich in dieser Intensität noch nicht. erst recht nicht von Reggae, Ska, Rock Steady.
    Schade, dass ich die Ursprungszeit dieses Genres auf grund meines Alters nicht live erleben konnte. Aber ich weiß jetzt, wie sehr ich es geliebt hätte. Die Clubkillers machen das, wofür ich lebe. Großartige Musik. Vorallem Live.

  7. 07
    Stefan

    @martha dear: ELP = Emerson, Lake & Palmer = grausam. Damals. Heute sehe ich das entspannter. ;)

  8. 08
    Chat Atkins

    Es ist doch schön zu sehen, dass die Punk- und Ska-Zeit inzwischen genauso nostalgisch verklärt wird, wie die Art- und Glam-Rock-Phase zuvor, und dass – „forever young!“ – auf dem Sunset-Boulevard einer Generation, die allmählich in die Jahre kommt, auch immer dieses gnädige Rotlicht flackert, das die Falten noch eine Zeitlang übertüncht. Bis demnächst im Vorruhestand der Thomas-Gottschalk-Show …

    : Plus ca change plus la meme chose.

    MfG

  9. 09

    Chat, so what? Je älter man wird, desto weniger grübelt man über solche Dinge. :) Und solange ich ein Arctic-Monkeys- oder Maximo-Park-Konzert noch ebenso genießen kann, schwelge ich gerne in Erinnerungen an andere Bands. Es geht letztendlich darum, das Netz zu füttern. Mit allem, was in unseren Köpfen und Herzen herumspukt.

  10. 10
    Chat Atkins

    Zwar habe ich es heute eher mit den Two Gallants, Animal Collective oder Devendra Banhart – statt des gewohnt kurzatmigen Brit-Hypes. War’s kürzlich nicht noch Franz Ferdinand statt Arktischer Äffereien? Ansonsten stimmt’s schon. Ein wenig sticheln aber wird man wohl dürfen …

    MfG

  11. 11
  12. 12

    Bei mir knüpfen sich dieselben Emotionen an New Model Army. Als sie letztens auf der Reeperbahn auftraten, musste zwar Justin Sullivan ständig ans Asthmaspray, aber auch die Alten im Publikum fingen an zu hüpfen.

  13. 13

    der schweizer dok-film skinhead attitude ( http://www.swissfilms.ch/detail_f.asp?PNr=1339390256 ) erklärt ziemlich gut den unterschied zwischen „skin“ und „nazi“, und zeigt sowohl linke als auch rechte skins, wie das ganze entstand (soweit ich mich erinnere wird „scredriver“ als erste rechte band aus diesem milieu erwähnt), konzertaufnahmen, etc.

  14. 14

    Es wäre cool, wenn du bei YouTube-Clips immer auch noch den Direktlink zur YouTube-Seite angeben könntest.
    Opera kommt mit dem eingebundenen Player einfach nicht klar.

    thx.

  15. 15

    Es wäre schön, wenn alle Opera- Nutzer einfach mal wieder den Fuchs verwenden würden, bei dem alles, aber auch wirklich alles gut zu laufen scheint.
    Tunnelblick und alle wollen Extrawürste.

    Hab Lust ein paar Löcher in meine Wände zu treten.

  16. 16
    DAU Jones

    YESSS!!! The Specials rocken!1!eins!!1 Schade, dass die nicht spielen. Madness werd ich mir aber wohl auch geben. :-)

  17. 17

    ich wollt‘ nur kurz sagen,
    nach gestrig feurigem ska getanze zum clip haben sowohl der mitbewohner und ich schmerzlichsten muskelkater im hals/nackenbereich.
    nur das 4jährige kindelein wollte mit uns heute morgen nochmal
    zu ‚der lustigen musik‘ rumhüpfen…
    (it’s good to be wise when you’re young….)

  18. 18

    Hach, erzähl‘ mir nix, das Saufen geht einem ja auch nicht mehr so leicht von der Hand…

  19. 19

    @15:
    Der Fuchs gefällt mir nicht.
    Hab ich schon getestet und kurze Zeit später wieder dankbar zu Opera gewechselt – wo alles was RICHTIG gecoded wurde ebenfalls problemlos funktioniert… oO

  20. 20

    Ach, wunderschön! Erstmal nen Lob für diesen Blog, den ich jetzt erst entdeckt habe.
    Und dann für das Video. 1979(?) war ich zwar noch zu jung, doch selbst 3 oder 4 Jahre später war diese Musik, neben Paul Weller’s „The Jam“, immer noch Garant für gelungene Wochenenden. Schade war dann halt nur, wie hier auch schon geschrieben wurde, dass einige White Power-Ärsche den dann mir-nichts-dir-nichts mit ihrer kruden Ideologie in Beschlag nahmen. Da war es dann Essig mit Ska. Und dann hörten wir irgendwann „the Cure“. Was dem irgendwie nicht so richtig nahe kam.

  21. 21

    Stimmt, The Cure waren irgendwie… nicht so spaßig. :) Aber auch klasse. Dann.

  22. 22

    „Es geht letztendlich darum, das Netz zu füttern. Mit allem, was in unseren Köpfen und Herzen herumspukt.“

    Danke, Johnny, dieser Satz hängt jetzt eingerahmt über dem Kamin meiner kleinen Bloghütte. Da fällt es auch nicht mehr ins Gewicht, das bei dir die frühen Police ebenso unerwähnt bleiben, wie auch Elvis Costello.

  23. 23

    Madness live? Hmm, da war doch was, letzten September bei – nun – Stefan Raab:

    Hast du gestern zufällig Raab gesehen?

    Dort standen Madness auf der Bühne und coverten „You Keep Me Hanging On“ von den Supremes so unmotiviert und unterirdisch, dass man sich nur peinlich berüht abwenden und den Tod einer einst großen Band beklagen konnte.

    Die Kritik der neuen CD bei Amazon lässt vermuten, dass es sich gestern nicht um einen Einzelfall gehandelt hat (Die Kritik bei Laut.de geht in die gleiche Richtung, wurde aber von einem Hardcore-Euphemisten formuliert).

    Traurig, wenn man einstigen Helden beim Sterben zuschauen muss ,(

    Ich hoffe mal, ihr werdet nicht enttäuscht.

  24. 24

    Der Ska ist immer jung und aktuell.
    Aber die Bands [so wie Madness] und wir werden älter. Und gegen „ein kleines, nettes Familienfest“, wie Johnny bemerkte, ist ja auch nichts einzuwenden. Geldverdienen mit dem was einem Spass macht, ist nichts Verwerfliches. Denn das müssen wir, die jetzt mehr Verpflichtungen haben als damals, auch machen.
    Ich kann leider im Juli nicht in die Zitadelle gehen.

    weiterlesend..
    macmayr

  25. 25

    Es gibt ja auch eine ziemlich große linke Skinhead Bewegung – hat Arte oder 3 Sat vor kurzem einen Bericht drüber gebracht, wer sonst…

  26. 26

    MacMayr: Mit dem Geldverdienen habe ich kein Problem. Vielleicht mit dem Geld verdienen müssen. Wenn man mal schaut, wie würdelos manche Band der 70/80er durch Festzelte tingelt, hat das wenig mit Spaß haben zu tun. Ich hoffe, dass euch das bei Madness erspart bleibt.

  27. 27

    Costello ist ein weiterer Gott, den hätte man mit Watching The Detectives natürlich mit dazu nehmen können, stimmt. Police auch. Aber muss ja noch platz für Anmerkungen bleiben. :)

    Das neue Madness-Album ist grausam, finde ich auch. Offenbar versucht man da den UB40-Weg zu probieren. Die Gigs scheinen aber von vielen alten eigenen Hits zu leben, insofern beibt Hoffnung.

  28. 28

    Das Dangermen-Album ist überhaupt nicht „grausam“.
    Es ist vielmehr ein gelungener (Ska-)Anschluss an alte musikalische Zeiten. Den Begriff „Madness“ für dieses Album ist denn mehr aus marketingtechnischen Gründen gewählt worden.

    Dangermen rules….
    macmayr