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Der folgende Text und 14 weitere Kracher der Unterhaltungsliteratur befinden sich in dem eBook „I live by the river!“, das man hier für lächerliche € 0,99 kaufen kann und auch soll! Infos dazu gibt es auch hier.
– Ende der Werbung in eigener Sache –
Etwas abrupt endete der erste Teil dieser erlebten Geschichte, dabei taucht doch erst im zweiten, diesem hier nämlich, der Titel auf.
Als „mostly harmless“ konnte man also meinen kleinen Clubausflug bezeichnen, wobei meine Mama, wäre sie dabei gewesen, was sie zum Glück nicht war, das sicher anders sehen würde.
Das konnte es noch nicht gewesen sein. Was war mit dem vielzitierten „Spiel mit der Macht“ (SPIEGEL), dem „Pingpong der Gefühle“ (MAX), dem „Mensch-ärgere-dich-nicht der Unterdrückung“ (BILD)? Wo waren Zuckerbrot und Peitsche? Das was ich erlebt hatte waren zwar keine stillen Tage im Klischee, auch nicht die 120 von Usedom gewesen, aber es hatte mit S/M definitiv eher weniger zu tun gehabt.
Einige Wochen später. Immer noch die gleiche WG.
„Die Leute, die auch den Club machen, veranstalten eine S/M-Vernissage, kommst du mit?“ – „Eine Vernissage mit Bildern und so?“ – „Nee, mit Menschen.“
Etwa 100 Leute haben sich im engen Vorraum eines dieser Kellergewölbe eingefunden, die man speziell in den Jahren nach dem Mauerfall in Berlin für einmalige Veranstaltungen leicht finden konnte. Es ist halbdunkel, es riecht wie Keller eben riechen. Aufgeregt laufen Organisatoren hin und her, begrüßen ihre Bekannten mit Küsschen auf die Wange, nur um schnell wieder weiter zu organisieren.
Endlich tut sich was. Ein Mann erklärt die Spielregeln. Wir werden in kleine, zufällige Gruppen von etwa 15 Leuten aufgeteilt und bekommen einen komplett in schwarz (Lederanzug, Lederstiefel, das ganze Pipapo eben) gekleideten Anführer, der uns aneinander kettet.
Genau. Er kettet uns aneinander. Rasselrasselrassel. Mit einer langen Kette, nicht ganz so fett wie eine Fahrradkette, aber doch beachtlich, werden jedem Besucher beide Handgelenke zusammengebunden, danach wird die Kette zur nächsten Person in der Gruppe weitergespannt, dieser werden ebenso die Hände zusammengekettet und so weiter. Bis 15 verdutzte Neugierige tatsächlich in einer Kette hintereinander stehen.
Rasselrasselrassel.
Die Kette tut sogar ein kleines bisschen weh. Unsicheres Gekicher macht sich breit. Ist doch alles nur Spaß!
Oder???
„Ruhe. Geredet wird nicht!“
Eine Stahltür öffnet sich und unser Gruppenleiter führt uns an der Kette (rasselrasselrassel) in ein dunkles Gewölbe, viel größer als der Kellervorraum. In den diversen Nischen des Kellers tut sich irgendetwas, man hört dumpfe Stimmen, undefinierbare Geräusche. War das gerade ein Stöhnen?
Die ganze Situation ist völlig absurd, ich bin mit einem guten Dutzend anderer Leute aneinander gekettet und komme mir vor wie in einem Monty-Python-Sketch, und dennoch: Es kribbelt. Die Unsicherheit dessen was da kommen mag verschafft eine erhöhte Herzfrequenz, die Dunkelheit, die entfernten, fremden Geräusche tun ihr Übriges.
Rasselrasselrassel.
Cheffe führt uns tiefer in den Raum. Langsam erkennt man die anderen Gruppen, die schon ein bisschen weiter sind, und man erkennt die Absicht dieser Ausstellung im wahrsten Sinne des Wortes.
In mehreren einzelnen Nischen des Kellergewölbes finden Inszenierungen statt, manchmal sind es einzelne Personen, manchmal zwei oder drei, die verschiedene Spielarten der Szene präsentieren. Die vor diese Nischen geführten Besucher (rasselrass… na, ihr wisst schon) werden zu passiven Voyeuren, das „Redeverbot“ verhindert Albernheiten aus Unsicherheit. Man muss nicht hinschauen, aber das Wegsehen fällt schwer. Ist ja auch ’ne Vernissage, man soll ja hinsehen! Für Prosecco und Häppchen hat jedoch niemand von uns die Hände frei.
Die ersten paar Nischen sind harmlos, ein Mann in Gummi, ein bisschen Popo-Klatschen. Dann wird es ernster. Eine Frau steht mit gestrecktem nackten Körper auf dem Steinboden, ihre Augen sind verbunden, ihre nach oben gereckten Arme werden von einem Seil gehalten, das um ihre Handgelenke geschlungen ist. Das Seil verläuft zur Decke durch einen Haken und wieder zurück nach unten, wo es von einem Mann mit Ledermaske über dem Gesicht gehalten wird. Ab und an spannt der Mann das Seil etwas nach, doch die Frau steht, wenn man das unter diesen Umständen so sagen kann, bequem, also mit beiden Fußsohlen am kalten Boden.
Mit endloser Ruhe platziert der Maskierte Kerzenhalter mit kleinen brennenden Kerzen am ganzen Körper der Frau. Nicht mit Tesafilm natürlich, sondern mittels der feinen Nadeln, die sich an den Kerzenhaltern befinden.
„Tut das nicht weh?“, flüstert die Frau vor mir mit besorgten Falten auf der Stirn. „Ähm… ich glaube das ist der Sinn der Sache…“, antworte ich ihr mit ebenfalls bedeckter Stimme.
Der Kerzenhaltermann schreitet auf mich zu, er greift an den Reißverschluss seiner Ledermaske.
Auweia. Jetzt gibt’s Haue, denke ich.
„Johnny!“
Er nun wieder. Der Türsteher macht noch einen Nebenjob.
Erfreut greift er nach meinen zusammengeketteten Händen und schüttelt sie. Rasselrasselrassel. Ob es mir gefalle. Wie ich es fände. Meine 14 Mitgefangenen sehen mich mit einer Mischung aus Bewunderung und Abscheu an und sind auch gespannt auf meine Antworten, die ich knapp halte. Es smalltalkt sich irgendwie komisch, wenn man dabei so an Dritte gebunden ist.
Bevor seine nackte und inzwischen vielleicht von der für sie nicht erkennbaren Situation etwas verwirrte Partnerin zu einem „Könn‘ wa jetz‘ ma‘ weitermachen?“ anheben kann, ist der Kerzenmann auch schon wieder an seinem Platz und waltet ledermaskiert seines Amtes.
(Der Mann ist übrigens ein sehr netter Kerl, den ich danach noch mehrmals bei „zivilen“ Anlässen wiedergetroffen habe, wo ich ihm meinen amüsierten Eindruck dieser für mich doch etwas absurden Situationen schildern konnte)
Unsere Gruppenstimmung bei der weiteren Führung ist weiter still, fühlt sich aber etwas gelöster an. Ein Gespräch hatte stattgefunden, die Akteure sind also doch keine Aliens. Die weiteren Szenerien lösen hier und da sogar ein Lächeln aus (die Dame auf der Schaukel mit ohne was drunter), manchmal auch Zeichen des Unverständnisses (der nackte Herr in der leeren Badewanne, die es noch zu füllen galt).
Nach der letzten Kellernische werden unsere Ketten gesprengt gelöst und man unterhält sich zwanglos mit den anderen Besuchern an einer kleinen Bar. Der Abend hat mich nicht zum S/M-Anhänger gemacht, aber er hat mich beeindruckt, mehr als die Nacht im Club. Die Idee der Veranstalter neugierigen Besuchern mit Hilfe einer Selbstinszenierung der Szene echte Einblicke zu verschaffen, war definitiv gelungen umgesetzt.
In den folgenden Wochen gab es lange Nächte mit netten und spannenden Gesprächen zwischen meiner WG-Mitbewohnerin, ihrem Freund und mir, entspannte Versuche, das uralte Phänomen der Lust am Beherrschen und Unterliegen in Worte zu fassen. Auf eines konnten wir uns jedes Mal einigen: Wie es euch gefällt – solange alle einverstanden und im Vollbesitz ihrer Entscheidungsfähigkeit sind.
Meiner allgemein gedrückten Stimmung in diesem Jahr, die ich zu Beginn des ersten Teils beschrieb, halfen diese kurzen Exkursionen jedoch nicht. Aus dem Tief, in dem ich steckte, holten mich einige Wochen später gänzlich andere neue Abenteuer, bei denen die Führung diesmal von einer Frau übernommen wurde, die mich ohne Kerzenpiekser, Ledermasken, Ketten und Seile fesselte.
Und das tut sie auch heute noch.
gefangen in Ketten-
in goldenen Ketten-
in Ketten der luibe-
von wem war das noch mal?
Och mensch….wie rührseelig das Ende!
Heißt das jetzt für mich um aus dieser besagten Stimmung zu entfliehen sollte ich mal so ne Erfahrungen machen?
Naja, wer weiß das schon…
Bin jedenfalls immer von solchen Sentimentalitäten, und das auch noch inner Öffentlichkeit, beeindruckt…
Das ist (in Zusammenhang mit dem ersten Teil) das beste Main Feature, das ich bislang bei Spreeblick gelesen habe. Danke …
endlich teil 2. obwohl ich sagen muss dass mir der erste teil besser gefallen hat. keine ahnung, der erste teil war irgendwie „fluessiger“ geschrieben. vielleicht lag es aber auch daran dass man schon davor wusste in welche richtung die geschichte jetzt gehen wuerde. vielleciht sehen dass ganz viele leute auch anders.
soll aber nicht heissen dass der artikel schlecht war (ganz im gegenteil bitte mehr davon!).
auf jeden fall hatte der 2. teil doch ein sehr schoenes schlusswort.
ich war mal auf einer after-loveparade-party im berliner schwimmbad keine-ahnung-wie-das-hieß und da platzten ein kumpel und ich auf acid erstmal in eine daumenschrauben-szene in der umkleide-kabine… da hatten wir erstmal schwer dran zu kauen, denn solche szenen aus einem lsd-hirn zu verbannen ist nicht leicht.
wir haben den folgenden tag dennoch fröhlich feiernd im love-park verbracht… jedem das seiner und ihr das meiste…
@Renè
drugs are bad! :)
Grossartig. Und ich hätte das da oben im Main Feature fast übersehen, wenn das cont´d nicht noch gerade so ins Auge gesprungen wär…
@mp_464: das weiß ich mittlerweile auch ;-)
oh die liebeserklärung am ende ist schön :)
…etwas was ein blog mehr ausmacht als ein video auf youtube oder? – zumindest dann und wann als würze :D
filmreif!
Spreeblick The Movie! :)
roland emmerich presents „i live by the river“
ein film ueber die liebe und den schmerz
90 minuten packende spannung und gefühle
demnaechst auch in ihrem kino
Featuring Brad Pitt, Angelina Jolie and Homer Simpson.
… as Johnny Haeusler.
alle 3 as johnny? das wird aber bestimmt verwirrend….
Es müssen ja alle meine Seiten gezeigt werden!
Du bist gerade in höchste Anspannung versetzt worden und dann – hey johnny – wieder einmal der Türsteher – ich habe herzlich gelacht.
Das sind Geschichten – die ich mag.
s.
Jetzt wird es Zeit dass ich mich als sonst stiller Mitleser auch mal melde. Wunderschöner Schluss Johnny, bewegt mich gerade sehr. Wunderschöne Liebeserklärung an deine Frau.
Macht den Start in den Tag gleich um einiges angenehmer. Danke
solche geschichten sind es, die gute blogs ausmachen. hach.
Jo, sehr angenehm zu lesen. Klasse!
„(der nackte Herr in der leeren Badewanne, die es noch zu füllen galt)“ – ich muss immer noch lachen… toll :)
!!!
(danke)
Es geht doch nichts über ein wenig Erotik in gutbesuchten Blogs :-)
stille tage im klischee – verkaufst du mir den satz?
Malte, tausch ich gegen einen deiner. :)
@erotiker: Dachten wir uns auch. Daher gibt es jetzt hier auf Seite drei auch nackte Mädchen!
Okay, hier: Heute findet das Länderspiel gegen Luxemburg statt.
Das ist doch schon ziemlich witzig.
Na komm, da haste doch viel bessere zu bieten! Weiß ich doch!
read on, my dear…nervt!
Sonny, der Satz? Ok, ich mache „Klicken sie hier, um den ganzen Artikel zu lesen“ daraus. :)
Ne, musste nicht, ich find nur, das die ganze Spreeblick-Nummer unübersichtlich geworden ist. Gefällt mir nicht, bin aber nur ich. Have fun^^
apropos unuebersichtlich:
wann kommt denn das neue und verbesserte spreeblick-website-relaunch?
Drittletzter Absatz: „jedem das Seine“ war die Torischrift des KZ Buchenwald und ist eine zynische Sprachkreation des Nationalsozialismus. Aber das nur nebenbei … ich finde die Geschichte absolut knorke und bin wäre vorletzte, der hinter jedem Busch was Böses wittert … Kompliment zu der Story !
*rasselrasselrassel*
Sehr schön und das Rasseln hat was. Erinnert mich an Hui Buh das Schloßgespenst. Schön, schön das. Nur auf Seite 3 hab‘ ich keine nackten Mädchen gefunden. Oder kommt das erst mit dem Spreeblick Relaunch? Spreeblick im Ausklappdesign?
*raschelraschelraschel*
Am Redesign sitzen wir dran… ist aber nicht leicht, denn ja, es soll übersichtlicher sein, das Archiv muss besser werden usw. – abwarten. :)
Die Nazi-Historie von „Jedem das Seine“ war mir nicht bewusst. Man lernt nie aus. Ich hab’s ersetzt. Streichen und damit drinlassen ging in diesem Fall nicht, denn damit hätte der Ausdruck noch mehr Gewicht bekommen. Danke für den Hinweis!
@32 (Markus):
mitnichten eine zynische Sprachkreation der Nazis:
suum cuique = „jedem das Seine“(Cicero, de officiis I, 5, 15).
Keine Kreation der Nazis (was haben die schon diesbezüglich selbst kreiert, das war doch alles zusammengeklaut), aber im Zusammenhang des Textes halte ich einen Spruch, der eben auch an einem KZ gestanden hat, für u.U. missverständlich.
wenn ich jetzt immer auf normale vernissagen gehe, bekomme ich dann mal ein normales, anschmiegsames bild für meine wand ? das wär praktisch.
@Gutermann: danke für die Information, das Zitat war mir im altphilologischen Zusammenhang bislang nicht geläufig, kannte es nur in Zusammenhang mit Buchenwald (s.a. http://www.deathcamps.org/websites/jphotode.htm)
Außerordentlich befremdlich finde ich jedoch, dass – zumindest lt. Wikipedia – Ciceros „Suum cuique“ bis heute die Devise der Bundeswehr-Feldjägertruppe zu sein scheint … Ich teile Johnnys Meinung, dass ein erstmal unter einem menschenverachtenden Regime pervertierter Spruch im Sprachgebrauch vermieden werden sollte. Hätte nicht gedacht, dass mich der elegante Text „Tut das nicht weh“ in solche Abgründe führt …
Ich bin mit dem Sprachgebrauch nicht einverstanden. Zuviele Wörter, die doppeldeutig und falshdeutig sind. Political Correctness hin oder her, das geht zu weit
Johnny, der Gerhard Schröder der Blogosphäre. :-) Nur, dass man dir deine Liebeserklärung auch gerne abnimmt ;-)
Johnny, was meinst du mit „…auch nicht die 120 von Usedom gewesen,…“?
Such doch mal nach „Die 120 Tage von“ und überspringe die Ergebnisse für Bottrop, dann versteht man das. Hat mit Usedom nix zu tun, war nur das einzig möglich passende Wort.
Das Ende ist groß, riesengroß!
Auch die Erzählreihenfolge: Rasselrassel -> Finsternis -> Frau (=happy end).
ich habe ein kleines Tränchen verdrückt…
Rasselrasselrassel… Kellergewölbe… dachte erst, es geht um diesen neuen Kinderspielfilm „Huibuh, das kleine Schloßgespenst“.
nicht wehtun, gruss aus münchen
nicht wehtun, gruss aus münchen
Hallo Johnny,
die Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Vor allem die unverhofften Begegnungen mit Deinem Bekannten. Für die nächste autobiografische Episode: Wie kam es dazu, dass es Dir damals so übel ging?
Zu „Jedem das seine“: Richtige Entscheidung. Man muss zwar nicht jedes Wort, jeden Spruch den die Nazis missbraucht haben, in die Tonne treten. Aber DEN ebenso wie „Arbeit macht frei“ auf jeden Fall. Da klebt für immer Blut dran. Wenn man den verschiedenen Quellen im Netz glauben schenken kann, sehen das die Feldjäger anders. Die tragen den Spruch demnach als Inschrift im Gardestern. Allerdings auf latainisch: „Suum Cuique“.
Viele Grüße, Deef