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Moskau, Moskau! – Teil 2

moskau
Foto © Borya

I live by the river!

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(Der erste Teil befindet sich hier)

Eine Gruppe von zehn, zwölf Leuten müssen wir gewesen sein. Alle sofort als Westler zu erkennen, unterwegs in der klirrenden Kälte, auf der Suche nach einer „Kneipe oder so“. Wie blöd muss man eigentlich sein?

Verglichen mit der Gegend, durch die wir spazierten, war Shanghai ein einziges Naherholungsgebiet. Kein Mensch auf der Straße, Plattenbau-Wohnsilos. Wie spät war es? Halb elf, halb zwölf? Auffallend: Die Menge an geparkten Wagen der Marke Mercedes.

Einen davon hielt plötzlich ein mitgereister Freund der Band in den Händen. Einen Teil davon. Den Stern.

„Bist du eigentlich völlig bekloppt? Du hast nicht etwa mitten in der Moskauer Pampa einen Mercedes-Stern abgebrochen?“

„Wieso denn nicht, mach ich in Berlin doch auch!“

Kindergarten. Klassenreise. Jugendausflug. Wir waren alle komplett überdreht, aufgeregt, nervös, gespannt.

Während wir weiter durstend durch die Betonwüste zurück in Richtung Hotel schlichen, teilte sich unsere Gruppe in drei, vier kleinere Gesprächsrunden auf. Mit etwas Abstand vorne weg: Unsere beiden Vorzeige-Muskelpakete (zu denen ich, wie man sich denken kann, nicht gehörte), die im Falle der höchst unwahrscheinlichen Entdeckung einer Trinkhalle als erste den Zapfhahn erreichen wollten.

Mit einem Abstand von etwa 20 Metern konnten wir sehen, dass die beiden Gesprächspartner gefunden hatten. Drei Jungs waren aus einem Hauseingang hervorgetreten und redeten mit unseren Kumpels. Plötzlich ein kurzes, harmlos aussehendes Handgemenge, dann stoben die Russen in eine Seitenstraße davon.

Der Rest von uns war inzwischen ohne größere Aufregung bei den beiden anderen angekommen.

„Was war’n los?“

„Der eine von den Knirpsen hat ein Messer gezogen.“

„Und was habt ihr gemacht?“

„Wir haben’s ihm weggenommen.“

„Und wo sind die drei jetzt?“

„Keine Ahnung. Vielleicht holen sie Verstärkung?“

„Dann sollten wir hier vielleicht nicht weiter rumstehen, oder?“

Mit diesen Worten rannten wir alle zusammen los. Aufgestachelt durch das gerade Erlebte und die eisige Luft, voller wahnsinniger Energie und Angst lachten und brüllten wir dabei wie die Irren.

Wir haben uns benommen wie Vollidioten. Und die Geschichte mit den ehemaligen Kindersoldaten in den Kanälen erwies sich als erschütternde Wahrheit, wie uns in den kommenden Tagen immer mehr Russen bestätigen sollten.

Eben diese trafen wir während des üblichen Touristenprogramms. Stadtrundfahrt mit dem Bus (viele rote Sterne), Roter Platz. Dann auch mal alleine losziehen. Meine Erinnerungen an diese Tage sind schwach, da ich hauptsächlich mit der Frage beschäftigt war, wo und wann wir denn nun spielen würden. Denn Zeit und Ort standen noch immer nicht fest, die Organisation der Veranstaltung schien schwieriger als gedacht. Fünf Tage würden wir in der Stadt sein, der Gig sollte ursprünglich am dritten stattfinden, was jedoch am zweiten abgesagt wurde.

An was ich mich erinnere:

Endlose Schlangen vor dem größten McDonald’s der Welt (Update: Hier muss mich meine Erinnerung trügen). Das Schweigen in der U-Bahn. Unzählige scharrende Füße, das Summen und Surren der Züge, ein merkwürdiger Geruch, aber so gut wie keine Gespräche. Außerdem: Das GUM. Auch dort eine unheimliche Heimlichkeit. Tausende von gleichen Schuhen an allen Verkaufsständen, gar nicht mal hässlich, nur der Versuch welche zu kaufen scheiterte. Es gab keine halbwegs regulären Größen.

Am dritten Tag hieß es, das Konzert würde am kommenden stattfinden. Es sei alles klar. Die Hochzeitsfeier würde stattfinden.

Da wir davon ausgingen, dass kaum jemand in Moskau unsere Songs kennen würde, hatten wir Rock-Klassiker geprobt, die Stones waren dabei, The Clash, „Boys Back In Town“ von Thin Lizzy, Sex Pistols… etwa ein Dutzend Stücke plus ein paar unserer eigenen wollten wir spielen.

Es war der vierte Tag unseres Trips und ich konnte noch nicht ahnen, dass wir für unseren Auftritt in Moskau nur drei der eingeübten Stücke benötigen würden. Und dass die folgende Nacht in Moskau dennoch die längste Nacht meines Lebens werden würde…

(Hier entlang zum dritten Teil)

26 Kommentare

  1. 01
    iggy

    Whoa, das klingt spannend. Bitte schnell die Fortsetzung schreiben.

  2. 02
    Bole

    ohja, bitte, ich kann es kaum erwarten, bitte nicht wieder 6 Tage wartezeit bis die Fortsetzung kommt… länger als 5 tage kann ich glaube ich nicht warten ohne wahnsinnig zu werden ;)

  3. 03

    da habe ich ja genau richtig geklickt. tagelang nicht den ersten teil gelesen, gut so, so konnte ich den zweiten direkt anschließen. da bin ich aber nun mal sehr gespannt auf den dritten teil :-)

  4. 04

    Foreshadowing… tsk tsk… dabei ist es doch auch ohne so ein künstliches Ende spannend und interessant.

    Chris

  5. 05

    Da dürstet man ja nach dem dritten Teil und hofft alles wird gut.
    Danke Omo

  6. 06

    Glück gehabt – hätte auch Stern gegen Kugel sein können – aber so ist das eben mit dem Abendteuer!

  7. 07

    Und wären wir warten, schaut doch mal in die Provinz, nach Coburg – ganz oben in Bayern. Da gibt es jetzt den Coburg-Blog vesteblick.de – inspired by spreeblick! Und alle singen: „Moskau, Moskau….“

  8. 08

    the godfather of cliffhanger…:)

  9. 09

    …und ploetzlich musste ich laut auflachen:

    Einen davon hielt plötzlich ein mitgereister Freund der Band in den Händen. Einen Teil davon. Den Stern.

    „žBist du eigentlich völlig bekloppt? Du hast nicht etwa mitten in der Moskauer Pampa einen Mercedes-Stern abgebrochen?“

    „žWieso denn nicht, mach ich in Berlin doch auch!“

  10. 10

    Absolut spannende Geschichte, die mich gerade vom dringend nötigen Lernen ablenkt (allerdings ist gelegentlich Ablenkung auch dringend nötig).

    Allerdings hatte ich nach dem Lesen beider Teile plötzlich das Gefühl, dass irgend etwas nicht stimmen konnte.
    Erinnerungen an „Schlangen vor dem größten McDonald“™s der Welt“?
    Laut Teil 1 befinden wir uns im Jahr 1987, also noch mindestens zwei Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. Mütterchen Russland soll also einem Flaggschiff des westlichen Kapitalismus über zwei Jahre vor dem Rest der Welt die Pforten geöffnet habe? Schwer vorstellbar …
    Und den Beweis, dass Johnnys Erinnerung ihm hier einen Streich spielen muss, hat er selbst verlinkt: laut „Die Zeit“ eröffnete McDonalds nämlich erst am 31. Januar 1990.
    Vermutlich haben sich in die Geschichte also auch Erinnerungen aus späteren Moskau-Aufenthalten gemischt oder Johnny hat sich beim Zurückrechnen um zwei bis drei Jahre geirrt, auf Grund der bisher geschilderten Ereignisse vielleicht sogar noch wahrscheinlicher.
    Die Sowjetunion existierte allerdings formal noch bis zum 26. Dezember 1991.

  11. 11

    Ich bin sicher nicht frei von Erinnerungsfehlern, was diese Sachen angeht, aber ich meine mich genau an McDonalds zu erinnern.

    Hier schrieb ein Blogger 2004: „McDonald’s appeared in Russia some ten years ago, in beginning as a fine, expensive restaurant.“ Das wäre 1994, also auch weit danach. Alle anderen Quellen sagen aber auch 1990.

    Hm. War’s ein Burger King? Nee, die haben wohl auch erst 1990 eröffnet.

    Kann jemand helfen? Ich war nur dieses eine Mal in Moskau und ich meine, dass das angebliche McDonald’s in der direkten Nähe vom roten Platz war.

    Sehr komisch.

    Sonst noch gefunden: „1988 McDonald’s announced it will be opening 20 Moscow restaurants. They will serve Bolshoi Mak instead of Big Macs.“ Nur die Ankündigung.

  12. 12

    Ich frage mich gerade, ob ich das irgendwo gesehen habe, später, im Fernsehen. Und es daher vermische.

    In meiner Erinnerung saßen wir in einem Café gegenüber. Naja.

    Nur, damit keine komischen Gedanken aufkommen: Der Rest stimmt. :)

  13. 13
    Jan(TM)

    … Und die Geschichte mit den ehemaligen Kindersoldaten in den Kanälen erwies sich als erschütternde Wahrheit, wie uns in den kommenden Tagen immer mehr Russen bestätigen sollten.

    Eben diese trafen wir während des üblichen Touristenprogramms. …

    Wie jetzt? Ihr habt ehemaligen Kindersoldaten während des üblichen Touristenprogrammes getroffen oder ein paar dicke russische Bären die euch aufgebunden wurden?

    Die Geschichte mit dem Stern kommt mir bekannt vor, unser ABV hat uns mal verhört weil so eine bougeoise Wessischlampe uns gesehen hat wie wir unzivilisierten Zonenbälger um ihre blöden Karren gelaufen sind. Witzigerweise hatte mein Kumpel gerade an dem Tag ausnahmsweise mal keinen keinen Stern geklaut …

  14. 14
    Jérôme

    Meinen untertänigsten Dank, lieber Johnny!
    Mehr, mehr, mehr!
    Bitte!

  15. 15

    Ich warte sehnsüchtig auf ein Buch von dir Johnny, mit einer ganzen Sammlung dieser tollen Geschichten und Anekdoten, wie wir sie leider zu selten zu lesen bekommen.

  16. 16

    weiter. bitte. am besten gleich. och man, da wird oben „the godfather of cliffhanger“ gehuldigt, so sei zu protokoll genommen das diese unart hiermit verdammt wird. nicht böse gemeint …

  17. 17
    AnnetteW.

    McDoof in Moskau. Ich war 1988 in Moskau (und überhaupt in der UdSSR) und das war ein Riesenthema in dem Sommer, dass McDonalds dort eine Filiale eröffnen wollte – und wir verwöhnten Wessis haben’s gar nicht verstanden (genausowenig, dass uns wildfremde Leute ansprachen und unsere ollen, vergammelten Adidas-Schuhe von den Füßen wegkaufen wollten).
    P.S.: Unseren Mercedes-Stern (vom selbstumgebauten Wohnmobil) haben wir erst in damals Lwow (heute Lwiw und noch früher Lemberg) geklaut bekommen – bestimmt von Polen, wie uns die Einheimischen weis machen wollten. Vielleicht waren’s doch irgendwelche deutschen Touris ;-)

  18. 18
    Gene October

    Och das ist immer nett wenn Onkel Johnny vom Krieg erzählt. Das mach mal ruhig weiter……

  19. 19
    Gene October

    In Sachen Datum gibt folgender Link Antworten die jedoch eher verwirren. McDonalds Canada eröffnet 1990 die erste McDonalds Filiale in der Sovejtunion – Johnny wo warst du 1987?

    http://www.mcdonalds.ca/en/aboutus/mcdCanada_milestones.aspx

  20. 20

    Auf dem Holodeck! ;) Keine Ahnung, echt. Vermutlich hat sich das mit TV-Berichten vermischt. Sorry dafür! Ich lasse es trotzdem drin mit dem Hinweis, sieht ja sonst noch blöder aus.

  21. 21
    Jan(TM)

    Johnny du bist der Welt einfach immer 3 Jahre vorraus, aber das muss man als Künstler und Visionär auch sein – wie sonst hätte es denn möglich sein können das der David Hasselhof in einer gemeinsamen Aktion mit den Scorpions, Pet Shop Boys und einer Zigarettenmarke(„West“) einfach mal so den Eisernen Vorhang von der Erdenscheibe geschleudert hat?

  22. 22
    Christian

    Laut russischem Wikipedia wars der 30. Januar 1990. Wobei ich gehört habe, dass McDonalds schon früher in der Sowjetunion war und Kartoffelsorten gezüchtet und angebaut, sowie die Eröffnung des ersten Restaurants vorbereitet hat.

  23. 23

    der glaube kann eben berge versetzen…..oder mcdonald’s filialen :)

  24. 24
    sunny3d

    ich will nach moskau.

  25. 25
    Christian

    Dann fahr hin :P Ich bin ab nächste Woche Freitag wieder da *freu*

  26. 26
    Dagger

    Jetzt machst Du es aber spannend …