Mein Patenonkel ist ein sehr bedächtiger, ruhiger Mensch: bodenständig, mit Sonne im Gemüt, unkompliziert. Es gibt so gut wie nichts, was ihn aus der Ruhe bringen könnte, außer Fussball. Im letzten Jahr allerdings hat er an die sieben Kilo abgenommen, nervöse Zuckungen im rechten Bein und manchmal, so meine besorgte Tante, schreckt er nachts im Schlaf auf und schreit ganz laut: Kuka!
Mein Onkel ist nämlich Lauterer. Früher hat er versucht, mich in die große Lauterer Familie zu integrieren, hat mich auf den Betze mitgenommen und mir sogar ein Djorkaeff-Trikot geschenkt. Wahrscheinlich hat er an Vollmondnächten zu Fritz Walter gebetet, er möge seinem Neffen die Augen öffnen für den wahren Glauben.
Später, als er einsah, dass all seine Akquirierungsversuche gescheitert waren, wurde ich so was wie sein Fussball-Psychologe. Immer wenn’s nicht rund lief beim FCK klingelte bei mir das Telefon, und schluchzend, bebend und heulend berichtete mein Onkel von seinen Höllenqualen. So durchlebte und durchlitt ich mit ihm den unglücklichen Abstieg („Es gibt keinen Fussballgott.“ – „Doch, aber der mag keine Satanisten.“), den Wiederaufstieg, die Meisterschaft, den Untergang der Otto Rehhagel, bei der das gesamte Management mit absoff, Steinbeißer Gerets und Tortenliebhaber Jara, der anrührend hilflose Michael Henke beim Versuch, einem Cheftrainer zu ähneln, die triumphale Rückkehr des verlorenen Sohns Wolfgang Wolff, der die besseren Zeiten mit dem neuerlichen Abstieg einläutete.
Die letzten Tage wartete ich vergeblich auf seinen Anruf. Erst gestern klingelte das Telefon, eine Spur schriller als sonst, verzweifelter. Ich erspare euch den Ausbruch tiefster Verzweiflung, innerster Verlorenheit, der in der anschließenden Stunde über mich hereinbrach. Schön war das nicht.
Für mich als Fussball-Rationalisten ist der Niedergang des FCK in dieser Saison mit zwei Zahlen erklärbar: 21 Abgänge, 25 Zugänge. Das kann einfach nicht gut gehen. Aber man sagt ja, dass Satanisten häufig verkappte Masochisten seien. Ich bin geneigt, dieser Auffassung Glauben zu schenken. Selbst bei Teufeln stirbt die Hoffnung zuletzt.