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Energie – fast eine Liebeserklärung

Normalerweise sitze ich vor dem Fernseher, wenn Cottbus spielt, und habe ganz viel Zeit, nachzudenken, ob beispielsweise die Spieler, Trainer, die Masseure, die Berater, die Ärzte und die Platzordner mit zu den Zuschauern gezählt werden. Oder ich fange an zu wetten, wie viele Bälle Piplica zwischen zwei Eckbällen berühren wird. Gegen mich selbst natürlich, Cottbus will ja sonst keiner sehen.

Ich kann das verstehen, ich liebe diesen Verein nicht, und wenn ich ein Tor bejuble, dann hört sich das so gestellt an wie in diesen Seifenopersexfilme der 80er, die früher immer auf vox liefen. Softporn-Jubeln. Mit Liebe hat das nichts zu tun.

Ich hab auch nichts von den großen Momenten der Cottbusser Fußballgeschichte mitbekommen: Weder den Einzug ins Pokalfinale 1997, noch den Aufstieg 99/00. Irgendwann tauchte bei ran so ein lustiger Runtzelgnom auf, eine Mischung aus HB-Männchen und Waldschrat – Eduard Geyer. Großartig, der Mann, eine wahrer Kryptiker: Ich habe kein Wort von dem, was er zu sagen hatte, verstanden, aber  als Pantomime war er unschlagbar.

Es blieb beim One-Night-Stand. Cottbus spielte einfach zu schlecht, zu sehr Otto-Rehhagel-mäßig. Rennen grätschen bluten. Höchstens eine Ballberührung, und aufgestellt wird, wer den Ball übers ganze Feld dreschen kann. Kurzpassspiel auf 50 Meter. Vorne kriegt dann irgendwer den Ball unglücklich zwischen die Füße, fällt um, der Schiedsrichter pfeift, und Miriuta haut den Freistoß ins Tor. Italienischer Fußball Lausitzer Machart.

Trotzdem gefiel mir der Verein. Ich hab ein Faible für Mauerblümchen, immer gehabt. Beim Pferderennen setze ich immer auf den abgemagerten Klepper, und zum Abiball hab ich mir ein Mädel eingeladen, von dem ich nach dreizehn Jahren gemeinsamer Schulzeit noch nicht mal den Namen wusste. Ina Lina Sina Nina Gina oder sowas. Vielleicht auch Tina oder Gertrud. Dass ich mich erst vier Stunden vor Beginn des Balls traute, galant wie ein Pinguin auf Landgang die Begleitung anzutragen, sollte möglichst selten erwähnt werden und steht überhaupt auf einem ganz anderen Blatt.

Kurze Zeit habe ich dann heftiger mit Cottbus geflirtet: das muss so 2003/2004 gewesen sein. Reghecampf spielte auf der rechten Seite seinen Gegenspieler gordische Knoten in die Beine, die Berhalter dann wieder auseinandergrätschte, Piplica irrte durch den Strafraum wie die Junkies an der U-Bahn-Station gleichen Namens auf der Suche nach Drogen, Tanque Silva sah im gegnerischen Strafraum zwar immer wie sein eigenes Standbild aus, traf aber gegen jede Wahrscheinlichkeit trotzdem ins Tor – ja, das waren zwar keine Helden, aber so what.

Cottbus ist ein Verein, dessen teuerster Neueinkauf, Shao, vor der Saison 250.000 Euro gekostet hat. Der jedes Jahr seine Leistungsträger verliert, diesmal Gregg Berhalter. Der sich völlig unbekannte Leute holt, jedes Jahr. Und jedes Jahr die Mannschaft neu einstellt. Der die letzten vier Jahre 770.000 auf dem Transfermarkt investiert hat.

Trotzdem isses nichts geworden mit der Liebe. Ich bin über ein respektvolles Kopfnicken nie hinausgekommen. Irgendwann hab ich mich damit abgefunden, ein letztes Mal kurz genickt: Lass uns Freunde bleiben. Das war vor der Saison.

Und jetzt beginnt Sander, mit zwei Spitzen zu spielen (einer hängenden, Radu, und einer stehenden, Kioyo), Cottbus spielt nächstes Jahr international wird nicht absteigen. Und das jetzt: wo es doch schon zu spät ist.

Keine Kommentare

  1. 01
    matthias

    funny, einfach nur funny. Danke!

  2. 02

    Da fängt man ja fast an zu heulen!
    Bleibt zu hoffen, dass Du IRGENDEINE Liebe gefunden hast. Und sei es auch der FK Pirmasens …

  3. 03

    … ach, bei Cottbus werd ich immer ganz wehmütig – die ham ja UNSEREN steffen baumgart. wenn man sein herz an einen mäßig spielenden Regionalligisten aus Köpenick gehängt hat, weil liebe ja kein bißchen rational ist, ist Cottbus vergleichweise großes Kino, dis sag ich Dir.

  4. 04

    Meine Liebe gehört inzwischen nur noch der équipe tricolore, auch wenn’s ne Fernbeziehung ist, und ich ziemlich häufig fremdgehe. Is aber auch ne Zicke.

    Und Steffen Baumgart kommt bestimmt wieder. Der wird der Über-Über-Über-Übernächste Trainer in Köpenick, der neue Heilsbringer. Ganz sicher.

  5. 05
    tmmey

    Als Cottbuser (übrigens mit einem ’s‘) sehe ich den Bericht mit einem lachenden und weinenden Auge.Nunja, es ist doch immerhin erstaunlich was der ‚ärmste‘ Verein,der jemals in einer 1.Bundesliga gespielt hat, auf die Beine stellen kann.

    Beim FCE spielen nunmal Osteuropäer, von denen vorher niemand etwas gehört hat.Aber sie schiessen Tore, das ist das was zählt.

    Eine Stadt mit nur knapp über 100.000 Einwohnern schafft soetwas.Da sollte man sich dochmal ernsthaft Fragen, was Metropolen wie Köln oder Duisburg falsch machen.