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Phrasenschweine

Zwei Sachen sind es, die mich die nächsten Tage bei der Lektüre der verschiedenen Sportteile die Haare raufen lassen werden. Um die Stuttgarter Meisterschaft zu (v)erklären, werden wohl neben dem üblichen Gesülze (Konstanz, Cleverness, das gewisse Quentchen Glück etc pp) ganz besonders zwei Faktoren hervorgehoben werden. Exemplarisch am Tagesspiegel:

1. Die „Einäugiger unter den Blinden“ These:
Marcel Reif schreibt sehr schöne Kolumnen für den Tagesspiegel, die wohlbestückt sind mit profunden Weisheiten 250-300 Worten. Das Kürzungspotential kann man an solchen Sätzen ablesen: Ob der VfB ein „würdiger Meister“ sei, fragt er verschmitzt und weiß auch gleich die Antwort:

Sagen wir, er ist Meister. Denn in dieser Saison hat es doch eigentlich niemand verdient.

Genau, Herr Reif. Weil die Bayern nicht von Spieltag eins bis Spielttag vierunddreißig allein an der Spitze vornewegmarschiert sind, hätte man diese Saison die Meisterschale ruhig in der Mottenkiste belassen können.
Jetzt mal im Ernst, Herr Reif: Wie glauben Sie lässt sich die Stärke einer Liga feststellen? Eben, da war doch noch was in der Phrasenschachtel: Wenn jeder jeden schlagen kann. Und dass jeder jeden schlagen kann, Herr Reif – Vorsicht, jetzt kommt der Clou – sieht man daran, wenn es hin und wieder auch mal passiert.
Fußball ist ein Spiel der Realität der Relativität, wie jeder Statistiksport: Die Stärke des einen ist immer die Schwäche des anderen und umgekehrt und überhaupt. Aber insgesamt gilt: Je spannender die Saison, je abwechslungreicher die Tabellenkonstellation von Spieltag zu Spieltag, desto mehr hat sich der jeweilige Meister den Titel verdient. Auch und vor allem, weil’s sehr unterhaltsam und spannend war. Und das, Herr Reif, interessiert mich weit mehr als die totale Domionanz der Bayern, die Sie vorausgesagt haben.

2. Die Kollektiv-These
Diese Geschlossenheit ist unsere eigentliche Stärke. Hitzlsperger

Solche Interviewausrisse, die nix anderes sind als Variationen von „Der Star ist die Mannschaft“, hört man zwar jedes Jahr in den Laudatio-Kolummnen auf den Meister. Dieses Jahr aber isses besonders krass. Man könnte ja fast meinen, nicht der VfB Stuttgart hätte die Meisterschaft gewonnen, sondern Stahl Lokomotive Spartak Stuttgart. Kollektivkraft statt Individualfußball à la Diego oder Lincoln. Gemeinsam sind sie stark. Zusammenhalt. Zusammenhalt!

Solche Worte braucht man, damit die Kolummne zusammenhält, und die Herren Pardo, Osorio oder Cacau nicht dazu taugen, zum Star hochgeschrieben zu werden. Mit Mario Gomez hat man’s probiert, nur hat sich der zu einem journalistisch äußerst ungünstigem Zeitpunkt zum Arzt verabschiedet. Deswegen muss er jetzt als Inkarnation des Teamspielers herhalten, weil er vor jedem Spiel seine Kameraden mit aufmunternden Sprüchen in der Kabine in den Wahnsinn getrieben hat aufgebaut hat. Timo Hildebrand fiel auch aus, wegen Vertragsgezocke. Hätte besser nach Schalke gepasst. Jetzt muss Hitzlsperger herhalten, der ist aber nur mäßig glamourös.

Und da man den Stuttgarter Erfolg nicht personlisieren kann, macht man halt die Mannschaft zum Star. Und weil auch Stuttgart für die meisten Nicht-VfBler wenn überhaupt Sympathien, meistens aber nur Schulterzucken hervorruft, hofft man nächstes Jahr auf einen polarisierenden „würdigen“ Meister. Kann man nämlich viel besser Kolumnen drüber schreiben.

Keine Kommentare

  1. 01

    Sehr guter Text, Du „schreibst mir aus der Seele“.

    Was den ersten Punkt angeht, so habe ich die Variante „Es war noch nie so leicht ..“ auch schonmal aufgegriffen und kämpfe seitdem gegen Windmühlen.

  2. 02
  3. 03

    Dabei ist doch so offensichtlich, woran es lag:

    Niemand wird Deutscher Meister ohne Fans, ohne die Getreuen, die in Wind, Wetter und Kälte zu dir stehen.

    Die Fans von VfB Stuttgart haben für mich die Meisterschaft gewonnen, weil sie nie in Panik gerieten, wenn jemand an die Querlatte schoss oder ins Außennetz. Der VfB ist ein gutes Beispiel für die Macht der Fans.

    Der Mann ist aber auch Doktor für alles…

  4. 04

    Achja, die super Fans. Wahrscheinlich eher das Wegbleiben der Fans im Falle des VfB Stuttgart. Zur Saisoneröffnung gerade einmal 39.000 und das nach der tollen WM. Im Schnitt 45000, das ist weniger als Tasmania Mönchengladbach und die sind immerhin abgestiegen. Naja und wenn keiner kommt, kann ja auch keiner in Panik geraten. Es ist schon verdammt schwer mit einem VfB als Meister. Eine Meister, der die letzten 8 Spiele infolge gewonnen hat, ist wahrlich ein „würdiger“ Meister. Ach bevor ich es vergesse. Die heutige Schlagzeile in der WAZ, immerhin auflagenstärkste Zeitung im Ruhrgebiet, lautete „Schalke weint“. Kann ich nicht bezeugen, es ist ja nicht so, dass dort nur Irre mit Realitätsverlust rumlaufen. Mag sein, dass der eine oder andere „Neuling“ am Samstag wirklich noch auf die Meisterschaft gehofft hat, warum auch nicht. Eigentlich war man eher froh, dass diese Saison noch einen versöhnlichen Abschluss gefunden hat und man mit dem Sieg gegen Bielefeld wenigstens „würdiger“ Vizemeister wurde.

  5. 05

    Wieso glaubt eigentlich jede Fangruppe, dass SIE die Superfans sind? Weil ihre Lieblinge/Spieler ihnen das (auf Druck der Presseabteilung des Vereins) ständig sagen?

    Zum Beitrag: Schön. Aber: Woran lag’s?

    (Ich sag ja mal: am besten fußballerischen Konzept)

  6. 06

    Na, wenn die Bild glaubt, das die Stuttgarter Fans die besten der Welt sind, dann ist ds ein gewichtiger Grund, es nicht zu glauben. Ich hab vor kurzem einen großartigen Satz gelesen, ich weiß nur nicht mehr wo: Die Stuttgarter Fangemeinschaft ist die momentan am schnellsten wachsende soziale Gruppe in Deutschland.

    @ Stefan: Was hat denn für Deine Begriffe das fußballerische Konzept des VfB ausgemacht?

  7. 07

    @Torsten: Ach ja, die Windmühlen… So ist das, wenn man eine Meinung hat…

    Davon abgesehen: Oft denke ich auch: Wie kommt der jetzt da drauf, ist doch völlig unlogisch?!
    ;-)

  8. 08

    Schuldigung, aber wie kommt wer worauf?

  9. 09
    Oliver (Breitnigge)

    Der Torsten, auf seine Meinung… ;-)

  10. 10

    Daher fühle ich mich auch immer so unverstanden!

  11. 11

    @Torsten: Wie wir alle uns… ;-)