Ich sitze auf meinem Sofa und sehe fern. Werbepause, irgendein Auto, ich will ins Bett. Dann ein weißer Bildschirm, der Startsound und das Logo des Nintendo DS: Ein Werbefilm für Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging.
In den 30 Sekunden, in denen der Spot an mir vorüberseichtet, überschlage ich ein paar Zahlen und kratze mir beinahe den Kopf blutig.
Drei Jahre Nintendo DS, 70 Millionen verkaufte Einheiten, mehr als 500 verfügbare Titel — eine Spielkonsole als Massenphänomen, und Nintendo wirbt mit einem 24 Monate alten digitalen Intelligenztest…
Meh!
Ich hab‘ keine Ahnung, wie’s euch dabei geht, aber mein erster Impuls: Irgendetwas läuft da falsch.
Nun lese ich auch noch, dass Nintendos Marketing-Chef für Europa meint, es gäbe keinen Unterschied zwischen »Core«- und »Casual« Gamer, sondern alles sei eins — 10 Stunden Brain Training das selbe wie 10 Stunden Half-Life das selbe wie 10 Stunden Zelda das selbe wie 10 Stunden Command & Conquer, Banjo Kazooie, Final Fantasy, Metal Gear Solid, Resident Evil, Ikaruga, Virtua Fighter, The World Ends With You.
Also…
Nintendo hat sicherlich viel getan für die Szene, Gemeinde, nennen wir’s wie wir wollen, meinetwegen auch Community oder »den Markt an sich«, gar keine Frage. Das DS ist tatsächlich überall, in allen Schichten und Altersklassen, und man wird nicht direkt schief angeguckt, wenn man im Bus die kleine Maschine aufklappt und sich ein paar Stationen weiterklickt.
Mit etwas Glück lächelt einem sogar eine ältere Dame zu, weil sie zu Hause auch so ein Ding hat, geschenkt bekommen von ihren Enkeln, und weil ihr Hirn angeblich 30 Jahre jünger ist als ihr Pass uns allen weismachen will. Oder es nickt ein Mann mit gegeeltem Haar und Aktenkoffer wissend zu einem herüber, bevor sein Blick aus dem Fenster schweift und er sich an seine letzten Bildchen erinnert, die er auf den unteren Schirm gekritzelt hat.
Aber diese Leute spielen DS wie Kreuzworträtsel. Für sie ist das mehr Palm-Variante denn Videospielkonsole, und die »normalen« Games sind für sie eher exotische Alternative denn eigentliche Norm. Diese Leute freuen sich vielleicht über Stempel in ihrem Brain Training-Kalender, und sie finden es »toll, was es so alles gibt heutzutage«, aber sie schütteln immer noch den Kopf, wenn ich ihnen von taktischen Shootern, Autorennen, Hack’n’Slash-Orgien und Highscore- oder Bonus-Jagden erzähle.
Und sie können immer noch kein FIFA spielen, weil sie »gar nicht sehen, wo der Ball ist« oder nicht wissen, was sie »drücken« müssen.
Wir, die wir stundenlang vor N+ hocken und 1.000 Tode sterben oder uns in Deathmatches die Nächte und Fäuste um die Ohren schlagen, wir spielen auch mal Nintendogs und Big Brain Acadamy, und wir freuen uns über die Freude unserer Freunde, wenn sie in irgendeiner Mario-Minigame-Sammlung den Stylus über den Touchscreen gleiten lassen, als hätten sie ihr Leben lang nix anderes getan.
Doch die umgekehrte Annährung findet nicht statt; die Berührungsängste sind weitestgehend geblieben, und während wir uns auf die Jagd nach der letzten Münze und den versteckten Leveln begeben, spielen die zum 2.000sten Mal eine Runde Poker mit Luigi.
»Erfolg gibt Recht«, so heißt es. Der DS ist ein Erfolg, also hat Nintendo Recht. Womit? Keine Ahnung, vielleicht damit, dass sich alles digitalisieren lässt, und dadurch ganz gut verkauft. Wie LCD-Uhren und Blutdruckmesser.
Aber Brain Training-User sind doch keine Gamer, schon gar nicht Hardcore. Man ist schließlich auch keine Leseratte, wenn man sich regelmäßig durch etliche Videotext-Seiten wühlt, und drei Tanten vor den Nachmittags-Talkshows sind nicht das selbe wie die fünf Filmfreunde.
WIR sind Gamer.
Die andern verplempern ihre Zeit; hardcore, Baby!
Drei Jahre Nintendo DS — eine Spielkonsole als Massenphänomen, aber geändert hat sich gar nichts. Es gibt noch immer keinen Topf, in den wir alle reinpassen. Oder auch nur reinwollen.