Muss man den Iren dankbar sein, dass sie den Lissabon-Vertrag in die Tonne gekippt haben? Das wird sich erst noch herausstellen. Tatsächlich wissen ja nur ganz wenige der Befürworter und der Gegner, was in dem Vertragswerk verhandelt wird. Das ist eine denkbar schlechte Voraussetzung, um ein demokratisches Europa zu begründen. Der Spiegelfechter analysiert die Demokratiedefizite der EU, und was soll ich sagen: Er hat Recht.
Grundsätzlich haben die Europäer nichts gegen eine gemeinsame Verfassung, nur trauen sie ihren politischen Eliten nicht zu, eine Verfassung zu entwickeln, die in ihrem Interesse ist. (…) Wenn man sieht, wie die ablehnenden Volksentscheide zum EU-Verfassungsprozess in Frankreich und den Niederlanden von den politischen Eliten dieser Länder ignoriert wurden, indem ein nahezu identischer Vertragstext am Volk vorbei in den Parlamenten beschlossen wurde, so ist dies ein untrügliches Zeichen für ein wachsendes Demokratiedefizit bei den politischen Eliten.
die frage ist ja auch: wer zum geier, der nicht verfassungsrichter oder dr.jur. ist soll diese 450 seiten vertragswerk durchschauen? der bürger sicher nicht. was es braucht ist ein gemeinsames, in wenige paragrafen klausuliertes europabewusstein. und das nähere „regelt ein bundesgesetz“ (siehe gg). das kann doch nicht so schwer sein, großbritannien kommt sogar ohne schriftliche verfassung aus.
Manchmal, nachts, denke ich fast: Es soll wohl so schwer sein. Ansonsten macht das doch überhaupt keinen Sinn.
Ich weiß nicht… Allenthalben beklagt man die mangelnde Legitimität und „Volkswillenberücksichtigung“ der EU- / EG-Entscheidungen, da ein Großteil davon in der Kommission bzw. dem Rat fällt und das Parlament eher „kontrollesk“ arbeitet (Haushaltskontrolle etc.).
Und das wird (nicht beim Spiegelfechter und auch nicht hier) dann als Grund dafür vorgebracht, dass die EU einen Denkzettel braucht. Dabei wird genau das durch die Lissabonner Version der römischen Verträge geändert, deutlich in Richtung Parlament…
Und manch einer beklagt, dass jede Vertragsversion neue Souveränitätsabgaben in Richtung EG/EU zur Folge hat. Denen sollte man erklären, dass es das erklärte Ziel jeder Zollunion ist, nach den wirtschaftlichen Einigungsprozessen über spill-over-Effekte auch Auswirkungen auf Rechtssprechung, Politisches System etc. zu haben.
(Beispiel: Freizügigkeit der Arbeitnehmer -> Angleichungsbedarf bei Entlohnungssystem, Rentensystem, Schulssystem (wenn die Kiddies mitkommen), etc. pp.)
@#679994: Kotzt mich auch an. Ich denke, die Verfassung wäre ein Schritt in Richtung Demokratisierung der EU gewesen, aber die Volksentscheide dazu werden von EU-Gegnern in Richtung „Bäh, denen von der EU zeigen wir’s jetzt mal“ missbraucht.
Ziel des Lissabon-Vertrages war es ja gerade, unverständlich zu sein. Die „EU-Verfassung“ sollte bürgernah sein. Sie ist gescheitert. Damit die Franzosen und Niederländer, sie hatten die Verfassung ja demokratisch abgelehnt, nicht mitbekommen das sie jetzt dennoch die Verfassung erhalten wurden der Lissabon-Vertrag fabriziert. Wenn ihn keiner versteht, kann auch keiner sagen „ist doch das gleiche wie die Verfassung!“
@#680001: Ein Europa- und Völkerrechtler von der Bundeswehr-Uni in München war mal bei uns zu Gast und hat dargelegt, warum die Lissabonner Version der Verträge eig. das Gleich verändert (hätte), wie die Verfassungsfassung. Nur ein paar Bezeichnungen sind anders (Außenminister = hoher Beauftragter der GASP o.ä. etc.)
@#680000: Das Geile ist: Es gibt kaum ein Land, das so von der EU profitiert hat, wie Irland, wirtschaftlich zumindest… Kleine Länder profitieren immer mehr von den Zollunionen als große…
Interessant wäre gewesen, wenn noch weitere Länder Volksratifizierungen hätten machen müssen…
Aber warum gilt eigentlich eine Parlamentsratif. nicht als „volksnah“? Ist doch das gewählte Repräsentantenhaus :)
es wäre eine entwicklung in die richtige richtung gewesen, aber wenn es gerade so gut läuft, dann will man sich lieber nicht entwickeln. besser bewahren.
und die aussage: man vertraut den eliten nicht, also ist es gerechtfertigt, blind der demokratie in den arsch zu treten, die verstehe ich nicht.
wo soll man denn jetzt neue eliten hervorzaubern? ich beispielsweise habe keine in der tasche. der ulfkotte schon.
Ich glaube nicht, dass das ein Schritt Richtung Demokratisierung gewesen wäre. Ich denke, das Grundgesetz ist besser als der Verfassungsentwurf und besser als der Vertrag von Lissabon. Daran sollte man das messen.
Leuten wie Ulfkotte treibt man die Menschen zu, indem man sie ausgrenzt. Sowohl der Verfassungsentwurf als auch der Vertrag sind für Normalsterbliche schwerer zu verstehen als aus dem japanischen übersetzte Betriebsanleitungen. This can’t be the way.
Hat jemand das Grundgesetz ganz gelesen? Übersichtliche 58 Seiten. Würde man dazu Ja oder Nein sagen? (Keine Fangfrage, geht auch und speziell an mich selbst)
@#680007: Willst Du jetzt alles hier auflisten was mich ankotzt, z.B. das tolle durch EU-Subventionen finanzierte irische Wirtschaftswunder, das Irland dann dazu veranlasst, sich über den „kranken Mann Deutschland“, also das Hauptgeberland und damit Finanzierer des dortigen Wirtschaftswunders, tozulachen? :->
@#680012: Ja … in der Schule. Zusammen mit der bayerischen Verfassung ;)
@#680011: Es liegt nun mal in der Natur der Dinge dass Vertragswerke umso komplizierter werden, je mehr Leute bei ihrer Erstellung was zu sagen haben und je mehr Parteien ihre Interessen berücksichtigt wissen wollen. Zu lamentieren, dass ein EU-Vertrag für über 20 etablierte Staaten komplizierter ist als eine Verfassung, die sich ein paar Hansel für einen Staat, in dem tabula rasa herrschte, ausgedacht haben … das kann doch nicht Dein Ernst sein.
Und natürlich wäre es ein Schritt in Richtung Demokratisierung gewesen, weil es dem einzigen Germium in der EU, das direkt vom Volk gewählt wird, mehr Einfluss verschafft hätte.
@#680012: Ich habs auch gelesen. Ich hab hinterher versucht, den europäischen Verfassungsvertrag zu lesen. Kein Witz. Das GG war Astrid Lindgren. Bei der EU-Verfassung hab ich mich gefühlt, als hätte man mir als Siebenjährigen Goethe in die Hand gedrückt.
@#680016: Mal abgesehen von den ‚Detailfragen: Worin liegt für mich der Sinn, etwas, das ich als gut empfinde und das sich bewährt hat, gegen etwas einzutauschen, das ich nicht verstehe?
Ein ganz fader Beigeschmack bleibt natürlich bei dem Gedanken, dass die Verfassung quasi an den Volksentscheiden vorbeigeschleust wird. Nicht, weil das irgendwie demokratisch wäre, sondern einfach, weils geht. Das tut zwar inhaltlich nicht viel zur Sache, ist aber ein verheerendes Zeichen. Und das, immerhin, verstehe ich.
@#680021: Du willst mir jetzt aber nicht im Ernst weismachen, dass irgendjemand wirklich weiss und versteht, wie die aktuellen gesetzgebenden Verfahren und Gremien der EU funktionieren? Das ist doch jetzt schon dermaßen undurchsichtig, was genau findest Du denn daran gut? Ich finde es z.B. Scheisse dass das einzige vom Volk direkt gewählte Gremium in der EU überhaupt nichts zu sagen hat. Das hätte ich gerne geändert.
Ich halte von Volksentscheiden in dieser Form übrigens rein gar nichts, weil sie nicht auf sachlicher Ebene stattfinden sondern regelmäßig von irgendwelchen Demagogen instrumentalisiert werden, um Regierungen oder Institutionen wegen was ganz anderem einen Denkzettel zu geben. Das ist auf EU-Ebene nichts anderes als wenn Roland Koch gegen ein Einwanderungsgesetz polemisiert indem er diffuse Überfremdungsängste schürt, und das Volk entscheidet dann prompt dagegen.
Edit: Das sieht man übrigens schon ganz klasse an dem ersten Bild im Welt-Artikel, den Du verlinkt hast: „Defend workers‘ wages and conditions. Say no to Lisbon. Reject the Race to the Bottom“ … Hä? Aber genau DAS sind die „Argumente“, mit denen das Volk dann zur Ablehnung getrieben wird. Schüren von diffusen Ängsten, nichts weiter … wer besser auf dieser Klaviatur spielen kann, gewinnt den Volksentscheid.
@#680024: Ja, Europa ist viel zu undurchsichtig. Was dagegen tun? Zu etwas zustimmen, das diese Undurchsichtigkeit zementiert? Am besten noch schweigend? „Die da oben“ machen das schon?
Der Vergleich zum Einwanderungsgesetz hinkt, finde ich. Ich hab die Stimmung damals in Frankreich am Rand mitbekommen, und ja: auch da gabs das Angstgeschüre gegen den plombier polonais. Aber insgesamt galt Europa als etwas begrüßenswertes, nur eben: nicht so.
@#680025: Sorry, Frédéric, ich kann in dem Punkt nur Malte zustimmen. Die Undurchsichtigkeit zementiert: Das hat Du jetzt. Und die eher undemokratischen Verfasstheit der EU auch. Zementiert für eine lange, lange Zeit, wenn nicht für immer. Tolle Wurst :(
Und wie ich schon sagte, bei Volksentscheiden zu komplexen Themen gewinnt idR der, der besser auf der Klaviatur der diffusen Ängste und Ressentiments spielen kann. Siehe auch mein PS zum vorigen Kommentar.
Sehr schade, aber was soll man machen. Fand die Interviews im Fernsehen interessant, viele sagen Nein weil sie nicht wissen, was sie erwartet bzw. was dann eigentlich passiert. Da gabs wohl kaum Informationen.
Grüße
Sebastian
@#680025: Deine Frage was dagegen tun trift die Sache auf den Kopf, das ist das Problem. Es geht ja um ein Europa, da machen Voksabstimmungen in einzelnen Ländern wenig Sinn. Eine Volksabstimmung macht nur dann Sinn wenn eine europaweite Diskussion dem vorausgegangen ist, und die ganz einfach an den sprachlichen Barrieren schon scheitert. Es ist viel zu einfach für sonst Politische Aussenseiter oder Hau Drauf Medien ihre Themen zu platzieren die rein gar nix mit dem Thema zu tun haben. Was glaubst du was ich nicht hier in Lettland alles schon für abstrakte Argumente gehört habe. Zum zweiten müsste so eine Abstimmung auch recht Zeitgleich passieren um eben zu vermeiden das die die am Schluss wählen nicht die größte Macht habe, es ist eben doch zu verlockend sich nicht vielleicht doch noch einen Vorteil für sein Land gegenüber den anderen Mitgliedsstaaten zu verschaffen wenn man die Chance hat und als letzter wählt. So bleiben eigentlich nur 2 Möglichkeiten, entweder wir verlassen uns auf die von uns gewählte politische Elite oder wir gründen Neu und jedes Land kann sich dann überlegen und Volksentscheiden ob es drin ist oder draussen.
Interessant ist aber schon, daß in jedem Land, in dem die Bürger abstimmen durften, gegen die Verfassung gestimmt wurde.
Ich glaube, es ist zu einfach, das auf die besseren demagogischen Fähigkeiten der Gegner einer EU-Verfassung zu schieben. Das hat viel mit Arroganz und der Friß-oder-Stirb-Mentalität Brüsseler Bürokraten zu tun, die, von Lobbyisten umgeben, die Bürger nur als notwendiges Übel sehen und gar nicht wirklich ernst nehmen.
Wie sagte Brecht so schön: „Da sich herausgestellt hat, dass unser Volk eine dumme Hammelherde ist, empfehlen wir der Regierung, sich ein anderes Volk zu wählen.“
Vielleicht ja im von Brüssel gekauften Guinea-Bissau
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28118/1.html
@#680068: Ich glaube, es ist zu einfach, das auf die besseren demagogischen Fähigkeiten der Gegner einer EU-Verfassung zu schieben. Das hat viel mit Arroganz und der Friß-oder-Stirb-Mentalität Brüsseler Bürokraten zu tun, die, von Lobbyisten umgeben, die Bürger nur als notwendiges Übel sehen und gar nicht wirklich ernst nehmen.
Das spielt sicherlich auch eine große Rolle, nicht zuletzt wegen der Frage, welche Kommunikation so einer Abstimmung dann eigentlich vorausgeht. Es sollte ja wohl nicht so das Riesenproblem sein, die Gründe, warum man mit „Ja“ stimmen soll, ein bisschen besser und verständlicher unter’s Volk zu bringen. Wie Seabstian schon schrieb, ist das ja offensichtlich nicht passiert.
Trotzdem halte ich diese Art von Volksabstimmung für verfehlt, da man schon durch die Art, wie man die Frage stellt, das Ergebnis in eine bestimmte Richtung manipulieren kann, und das Thema mMn zu komplex ist, um es wiederum mit einem „Friss oder Stirb“, i.e. ja oder nein, vor’s Volk zu schmeissen. Es hat schon einen Grund warum die meisten Länder keine direkte sondern eine repräsentative Demokratie haben.
Was spräche denn dagegen, eine Verfassung durch eine 2/3 oder von mir aus auch 4/5-Mehrheit des EU-Parlaments ratifizieren zu lassen? Immerhin sind das, wie schon häufiger erwähnt, die direkt gewählten Repräsentanten des europäischen Volkes.
@#680073: Doch es ist aber das Problem. Die Gründe warum das Volk mit „Ja“ stimmen soll, besser und verständlicher unters Volk zu bringen. Wer soll dass denn tun? Die demokratisch gewählten Volksvertreter die ihre ganze Legislaturperiode durch, jedes unliebsame Gesetzt und ihre eigene verkorkste Politik immer schön auf die EU schieben? damit wären sie innenpolitisch tot. Deshalb müssen sie es so kompliziert wie möglich erklären damit das Volk glaubt die EU ist gut und trotzdem Schuld an allem was schief geht.
@#680073: Ich glaube das Haupt-Problem besteht darin, daß nicht über eine Verfassung abgestimmt wurde, sondern über ein undurchschaubares Vertragswerk, das zig verschiedene Dinge vermischt (Grundrechte (aber nicht für alle), Gewaltenteilung, Energiesolidarität, etc.). Irgendwie ist klar, daß da jeder etwas findet, was ihm nicht gefällt.
Eine schlanke Verfassung hätte meiner Meinung nach echte Chancen in einer Volksabstimmung angenommen zu werden. Ich bin aber auch ein unverbesserlicher Optimist und Fan des schweizer Demokratie-Modells.
Die EU dient in meinen Augen immer mehr dazu, nationalen Politikern die Möglichkeit zu geben, die Verantwortung für unbeliebte Entscheidungen abzuwälzen (Frau zypris und die Vorratsdatenspeicherung ist sicher eines der krassesten Beispiele).
Ob dieser Vertrag daran etwas ändert, kann ich nicht beurteilen. Ich musste mich ja auch nicht damit beschäftigen, weil ich nie gefragt wurde.
@#680087: Du hast sicher in vielem Recht. Ob das Schweizer Demokratiemodell auf EU-Ebene funktionieren würde, da bin ich mir aber nicht so sicher. Die Schweiz hat grade mal 7 Millionen Einwohner, die EU mittlerweile 500 Millionen. Ich denke schon dass das einen Riesenunterschied macht.
Allzuviel Ahnung von der EU haben die die abstimmen sollen auch nicht:
http://video.google.de/videoplay?docid=5237879946330399901
Ist das jetzt erschreckend oder schon normal?
@#680073:
An sich nicht verkehrt – aber hey, welches Parlament würde eine Verfassung ablehnen, die die eigene Macht stärkt – und zwar massiv stärkt?
Ich finde zwei Positionen ja sehr interessant und beide richtig: Legitimitätsmangel (lösbar durch Volksentscheide oder Parlamentsentscheide) vs. „Durchregieren“ (siehe Schumanplan etc.)