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Ihr Kinderlein kommet – Kindertransfers im europäischen Profifussball

93 Millionen Euro hat Real Madrid für Cristiano Ronaldo bezahlt: damit ist er zum teuersten Spieler aller Zeiten geworden. Eine irrsinnig hohe Summe, über die sich wahnwitzig viele Leute aufgeregt haben: so viel sei kein Mensch, schon gar kein Fussballerspieler wert. Das finden übrigens auch die Vereinsbosse, weswegen sie nach neuen Möglichkeiten suchen, wettbewerbsfähig zu bleiben, ohne sich für einen Stürmer gleich zu ruinieren. Eine dieser Möglichkeiten heißt: Kindertransfers. Vor allem aus dem Ausland.

Kindertransfers aus dem Ausland sind eigentlich verboten. In den FIFA-Statuten heißt es dazu:

Ein Spieler darf nur international transferiert werden, wenn er mindestens 18 Jahre alt ist.

Soweit die Theorie. Jetzt die Praxis: Zur Saison 07/08 verpflichtete Manchester United den damals neunjährigen Australier Rhain Davis. Einige Wochen später wollte sich der FC Bayern München den dreizehnjährigen Peruaner Pier Larrauri Corroy kaufen. Zwei Beispiele von dutzenden.

Inzwischen gehören Kindertransfers zum Standardrepertoire der internationalen Clubs. Obwohl sie früher auch dann und wann vorkamen (einer der ersten Kindertransfers fand 1962 statt, als Georg Volkert für 3000 Mark zum 1. FC Nürnberg wechselte), hat sich ein systematisches Netz erst ab Mitte der 90er entwickeln können.

Der Hauptgrund ist die Deregulierung des Fussballmarktes in der Folge des Bosman-Urteils. Da sich die Ablösesummen, Handgelder und Gehälter für begabte Fusballer in schwindelerregende Höhen hochschraubten, galt es, neue Wege zu finden, den Rohstoff „Fussballer“ günstig zu erwerben.

Es gibt vereinfacht gesagt zwei Wege, möglichst risikofrei und ohne größere Verpflichtungen junge Talente zu fähigen Spielern zu machen. „Rohdiamanten zu veredeln“, um im Fussballsprech zu bleiben. Der eine führt über die vereinsinternen Nachwuchszentren. Bewährt sich der Spieler, entwickelt er sich zu einem Messi oder einem Eto’o. Ansonsten wird er aussortiert. Wie sagte Werner Kern, Jugendabteilungsleiter des FCB, anlässlich des Larrauri-Transfers so schön? „Er kommt für ein Jahr. Mal schauen, wie sich das entwickelt.“

Der andere ist ein wenig komplizierter: Vereine wie Arsenal gründen Fussballschulen in Afrika. Begabte Spieler bekommen dort eine Ausbildung, und schaffen sie es, sich akademieintern gegen ihre Mitbewerber zu bewähren, werden sie an Partnervereine in schwächeren Ligen als es beispielsweise die Premier League ist ausgeliehen. Besonders beliebt ist die belgische Jupiler-League, nicht nur auf Grund ihrer mittelmäßigen Spielstärke, sondern vor allem auch, weil es im innereuropäischen Vergleich einfacher ist, die belgische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Mit dem Ergebnis, dass beispielsweise der SK Beveren zeitweise mit zehn Spielern von der Elfenbeinküste in der Startelf auflief. Setzen sich die Spieler auch da durch, kommen sie so gut wie ausgebildet in die Vereine, die sich zumindest beim ersten Vertrag einen Haufen Geld sparen. Inzwischen gibt es einige Scouting-Agenturen von Geschäftsleuten, die sich früher mit Diamanten- und Holzschmuggel beschäftigt haben.

Warum die FIFA Kindertransfers verbietet, lässt sich schwer dokumentieren, denn Misserfolgsgeschichten erzählen sich im Sport nicht besonders gut. Oder nur mit der nötigen Fallhöhe. Deswegen ist der bestdokumentierte Fall auch der eines Spielers, der schon in sehr jungen Jahren ein Star war: Nii Odartey Lamptey. Lamptey war der begabteste Spieler der ghanaischen U17, die bei der WM in Italien 1991 den ersten internationalen Titel einer afrikanischen Mannschaft errang. Pelé nannte ihn den „besten Fussballer der Welt“ und meinte, seinen Nachfolger gesehen zu haben. Im alter von 15 Jahren wurde er in einer Frachtkiste nach Belgien transportiert, um beim RSC Anderlecht den ganz großen Durchbruch zu schaffen. Stattdessen hielt er dem Leistungsdruck nicht stand und tingelte nach einigen persönlichen Tragödien durch die Weltgeschichte, spielte in China, in Saudi-Arabien, bei Greuther Fürth und beendete seine Karriere bei Jomo Cosmos in Südafrika.

Nun war Lamptey 15 Jahre alt, als er wechselte. Inzwischen sind dem Alter nach unten keine Grenzen mehr gesetzt. Die Scouts interessieren sich für Kinder wie Mohammed Madin (6 Jahre) oder Charlie Edwards (3 Jahre). Die Konsequenzen für die jungen Spieler sind unüberschaubar. Sicher ist, dass eine Ausbildung eines Spielers inzwischen deutlich weniger kostet, als einen Topstar einzukaufen. Das haben selbst die Sponsoren erkannt: Nike macht Verträge mit 13jährigen. Was sich wie Wahnsinn anhört, ist im Fussballgeschäft längst (verschwiegene) Realität.

Pier Larrauri Corroy hat es übrigens nicht weiter als zu zwei Probetrainings beim FCB geschafft. Das Heimweh war dann doch zu groß. Einige Zeit später forderte Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender des FCB, in einem Anfall von moralischer Integrität hemmungsloser Heuchelei ein Ende aller Kindertransfers, weil es sich um eine „skrupellose Praxis“ handle.

Es ist den Kindertransfers schon oft der Kampf angesagt worden, bisher immer ohne Ergebnis. So lange es Ablösesummen von der Kategorie Ronaldo geben wird, wird eine wirksame Bekämpfung der Kindertransfers unwahrscheinlich bleiben. Die Doppelzüngigkeit der Verbände und der Vereine lassen nicht vermuten, dass eine wirksame Bekämpfung überhaupt in ihrem Sinne ist.

18 Kommentare

  1. 01
    Shanti

    Ich liebe Kinder, ich schaff bloß nie ein ganzes.

  2. 02
    Uli

    „Rummenigge“

  3. 03
    Frédéric Valin

    @#721599: Je-des-mal mach ich das falsch. Dankesehr.

  4. 04
    Jan(TM)

    Warum sollte Nike keine Verträge mit 13jährigen machen dürfen? Sportliche Leistung kommt nicht zum 18. Geburtstag per Gutschein.

  5. 05
    seluj

    „Der Hauptgrund ist die Deregulierung des Fussballmarktes in der Folge des Bosman-Urteils. Da sich die Ablösesummen, Handgelder und Gehälter für begabte Fusballer in schwindelerregende Höhen hochschraubten, galt es, neue Wege zu finden, den Rohstoff „žFussballer“ günstig zu erwerben.“

    Kannst Du den Zusammenhang zwischen dem Bosman-Urteil und schwindelerregenden Ablösesummen, aus denen dann die Notwendigkeit resultiert, Spieler auf neuen Wegen billig zu rekrutieren, nochmal erläutern?

  6. 06
    René

    Es wurde auch nicht beleuchtet, warum es denn internationale Kindertransfers gibt, wenn sie doch eigentlich verboten sind. Gibt es da ein Schlupfloch? Oder drückt die FIFA einfach beide Augen zu bei solchen Geschichten? Oder fließen Schmiergelder? Gibt es da irgend welche Informationen?

    Da es um INTERNATIONALE Transfers geht hat Georg Volkert hier ja nichts zu suchen. „Kindertransfers“ im Sinne von „ein Spieler, der nicht in der Herrenmannschaft spielt wechselt den Verein (auch für Geld)“ sind ja wohl Gang und Gäbe, es geht doch nur um den Transfer über Ländergrenzen hinweg, oder sehe ich das falsch?

  7. 07
    Frédéric Valin

    @#721602: In Folge des Bosman-Urteils versuchten die Vereine, über irrwitzige Vertragslaufzeiten einigermaßen ihre Pfründe zu sichern. Das hat in der Breite keine Auswirkungen gehabt, glaube ich: ich meine mich, an eine Studie erinnern zu können, die nachgewiesen hat, dass die Transferleistungen insgesamt gesunken sind. Gegenbeweise nehme ich gern entgegen, ich finde nämlich die Studie auch nicht mehr.

    In der Spitze allerdings hat das zu einer Explosion der Transferzahlungen geführt. Ein Spieler ist im Alter zwischen 27 und 30 (ganz grob) am leistungsstärksten. In der Zeit musst Du Dir als Topclub seine Dienste sichern. Da konkurrieren seit Aufhebung der Ausländerregelung (auch Bosman) vielleicht zehn Vereine um einen potentiellen Fusballer des Jahres. Und die liefern sich in einer Privatauktion ein Wettbieten, wodurch dann solche Summen zustande kommen.

    Ich kann mal in einer ruhigen Minute die Studie raussuchen, die das illustriert, ich finde die gerade auch nicht auf Anhieb.

  8. 08
    Frédéric Valin

    @#721603: Es gibt ein Schlupfloch. Wenn die Eltern aus anderen Gründen als dem Transfer des Kindes den Wohnort wechseln, dann ist ein Wechsel zulässig. Konkret kann das so funktionieren: Die Vereine bieten den Eltern einen guten Job irgendwo in der näheren Umgebung, dann wird sich umgemeldet und der ganze Kram à la Aufenthaltsgenehmigung geregelt, und dann wird der Vertrag unterzeichnet.

  9. 09
    Pippo

    Für Kindertransfers spricht zwar eigentlich nichts, aber besser über Umwege mit den Eltern als alleine bzw. bei „Pflegeeltern“ (wie Anfang der 1990er wohl Praxis).
    Lamptey war zwar der Erste (der wechselte), aber nach dem Triumph bei der U17-WM wurde die gesamte ghanaische Mannschaft über Europa verteilt. Dass viele den Kulturschock bzw. die Selbständigkeit in jungen Jahren nicht verkraftet haben und daher nur Sammy Kuffour den Sprung zu einem erfolgreichen Profi geschafft hat – wen wundert’s.

  10. 10
    alex.

    Das Bosman-Urteil allein für die Kindertransfers verantwortlich zu machen, halte ich nicht für ausreichend.
    Ein weiterer Grund ist doch die von der UEFA geplante 4plus4-Reform, die in der Zulassung zur Champions-League schon festgeschrieben ist.

    Sie bedeutet, dass im Kader eines Vereins, der 25 Spieler umfassen darf, vier Spieler stehen müssen, die im Verein ausgebildet worden sind und vier, die im Verbandsgebiet gelernt haben. Als Ausbildungszeit gelten 5 Jahre.
    Da die Vereine absichern wollen, dass sie ihre Talente mit 18 Jahren auch einsetzen können, müssen unter 13-jährige in die Akademien verfrachtet werden, sodass sie auch in der CL spielberechtigt sind.

    Der Trend zu Kindertranfers wird also auch durch Verbandspolitik verursacht.

  11. 11
    lilly.

    wieviel millionen wäre ein mensch wert?

  12. 12
    Martin2

    Sehr gutes Thema. Der kleine Charlie hat jetzt schon eine bessere Technik als Jürgen Kohler. Ich bezweifel allerdings, dass dies ihn zu einem guten Fußballer ambitioniert. Hoffentlich wird mein Sohn (falls ich mal einen habe) nicht talentiert sein.

  13. 13

    Für mich ist der Profifußball einfach nur Gagga! Warum sind die Vereine heutzutage unfähig eigenen guten Nachwuchs auszubilden? Warum muss es sein das man Menschen aus aller Herren Länder gegen viele Millionen zu sich holt anstatt diese Unsummen in den eigenen Nachwuchs zu investieren?

    Diesem Treiben sollte man nach meiner Meinung einen Riegel vorschieben!

  14. 14
    Carsten

    Ich mag die Bayern nicht sonderlich, aber die halten sich ja im internationalen Vergleich bei sowas ja geradezu zurück. Richtig System hat das momentan eigentlich nur in England und Spanien.

    Trotzdem, gut, dass über sowas geschrieben wird.

  15. 15
    Frédéric Valin

    @#721639: Das stimmt. Im internationalen Vergleich sind die Bayern da sehr brav. Man kann von Hoeneß halten, was man will: aber moralisch völlig verrottet isser dann doch nicht.

  16. 16

    @#721622:

    Weil Fussball inzwischen Big Global Business ist? Real Madrid hat damals David Beckham nicht nur wegen seiner fussballerischen Faehigkeiten gekauft, sondern auch weil er eine „celebrity“ ist. Mit seinem Namen lassen sich Shirts verkaufen, im asiatischen Markt wachsen und noch viel mehr. Ebenso heutzutage Ronaldo, soweit ich hoere werden da Millionen Maedchen schwach wenn er laechelt (und kaufen dann irgendwelchen Krams mit seinem Abbild oder Namen).

    Willkommen im Kapitalismus.

  17. 17

    Wie gut, dass ich mich zu ziemlich Null für Fußball interessiere.
    Nicht mal wirklich zur WM/EM.