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Der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag

Einige Tage nach der Bundestagswahl fragte Fred in die Spreeblickrunde, ob denn Schwarz-Gelb wirklich schlimmer sei als Schwarz-Rot. Es ist nicht alles schlimm, was in den 124 Seiten Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP drinsteht, eigentlich ist vieles sogar recht
belanglos. Aber eben nicht alles. Ein paar entscheidende Punkte tun ziemlich weh.

Der wichtigste Satz des Vertrags steht auf Seite 12:

Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.

Er fasst schön zusammen, was der künftige Finanzminister gestern bei Anne Will sagen wollte, als er alle Steuererleichterungspläne seiner Koalition in Frage stellte.
Ungefähr genauso wichtig ist die für den Vertrag gewählte Sprache. Das allermeiste in diesem Dokument bleibt vage. Bildungs- und Integrationspolitik liest sich in vielen Punkten ganz nett, nur sind das Dinge, die allergrößtenteils in die Kompetenz der Länder und Kommunen fallen, weshalb eine Bundesregierung da gar nicht so viel ausrichten kann. Das Thema Föderalismus gehen die Koalitionäre aber nicht an.

Auch sonst wenig Visionäres. Irgendwie soll ein bedarfsorientiertes Bürgergeld geprüft werden, dass die Vielzahl der unterschiedlichen Sozialleistungen ablösen könnte. Irgendwann mal. Aber auf keinen Fall denken wir über ein bedingungsloses Grundeinkommen nach.

Auf dem wirtschaftspolitischen Feld strebt die künftige Regierung nach Wachstum und Aufschwung.
Deshalb bleiben aber auch so Traumtänzereien wie fairer Welthandel und Klimaschutz nebulös, auch wenn sich die Koalition zu letzterem ausdrücklich bekennt.
Konkrete Zahlen für Deutschlands Beitrag in dieser Sache finden sich aber kaum und dann immer nur, wenn energieintensive Industrien ausgenommen bleiben oder die Entwicklung klimafreundlicher LKWs die Nutzfahrzeughersteller nicht „überfordern“ (S. 28).
Naturschutz ist wichtig, aber für den Wettbewerb müssen auch Fahrrinnen für große Containerschiffe in deutschen Gewässern vertieft werden und größere Flughäfen braucht es auch.
Verkehrsförderung gibt es für Straße , Schiene und Wasserwege und diese Reihung wird wohl auch eine Prioritätenliste sein, auch wenn das nicht explizit geschrieben steht.

Wie lange genau alte Atomkraftwerke doch noch am Netz bleiben sollen, lässt schwarz-gelb erstmal offen und will das gemeinsam mit der Energiewirtschaft klären. Immerhin soll es keine neuen AKWs mehr geben.
Ökologische Landwirtschaft wird in erster Linie gefördert durch die Förderung der Forschung zu diesem Gebiet.

Im Bereich Bürgerrechte, Datenschutz und Urheberrecht wird wohl wenig schlimmer als bisher, aber auch kaum etwas besser. Die als Leistungsschutz verbrämte Printmediensubventionierung steht da zum Beispiel der expliziten Ablehnung von Netzsperren bei Urheberrechtsverletzungen gegenüber (vgl. S. 95f.).

Die Erhöhung des Kindergeldes ist mit 20 Euro im Monat mehr als symbolisch, die Familien-, Frauen- und Männerförderungsideen sind differenzierter, als zumindest ich es von vor allem den Schwarzen gedacht hätte. Dennoch bleibt schriftlich fixiert, dass neben der Familie die Ehe Leitbild der Gesellschaft ist, große Liberalisierungen werden also schon nicht geschehen.

Eine Arbeits- und Aufenthaltserleichterung für qualifizierte Nichtdeutsche soll kommen, aber weiterhin bleibt ein rigides Asylrecht in Bezug auf Residenzpflicht, Arbeitsmöglichkeit und Abschiebung, keine doppelte Staatsbürgerschaft.

Der Vertrag ist ein Paket aus kleinen und großen Eventualitäten und liest sich wie ein „Im Prinzip machen wir weiter so“, doch konkret finden sich jede Menge Änderungsvorhaben, die einer eher wenig regulierten Marktwirtschaft dienen.
Besonders im Bereich Finanzmarkt, der ja an der Krise schuld ist und gezähmt werden muss, fällt dieser Spagat besonders auf. Zähmen heißt hier:

Um eine angemessene Aufsicht und Regulierung aller systemisch wichtigen Finanzinstitute, -märkte und -instrumente sicherzustellen, sollten alle alternativen Investmentfonds, zum Beispiel Hedge Fonds, und deren Manager einem international abgestimmten Regelwerk unterworfen werden. Dabei ist den Besonderheiten der deutschen Fondstypen Rechnung zu tragen.

(S. 45)

Wow. Das sind konkret harte Pläne nach nur einem Jahr Krisenmanagement.

Ansonsten ist viel Klientelpolitik.

Drei der wenigen konkreten Zahlen im Vertrag ergeben die Summe von 750 Millionen Euro Hilfszahlungen an die deutschen Bauern. Wer vor einigen Wochen gesehen hat, wohin diese Fördergelder meistens fließen, sollte sich bei „deutsche Bauern“ allerdings große Industriebetriebe und keine Romantik wie beim Kartoffelbauern aus der McDonald’s-Werbung vorstellen.

Die Erhöhung des Schonvermögens zur Altersvorsorge und größerer Freiheiten bei der Immobiliennutzung für Hartz-4-Empfänger helfen nur denen, die nach jahrelanger und gut bezahlter Arbeit dauerhaft keine neue Stelle mehr finden. Das kann für die demnächst wohl massenhaft ehemaligen Arbeitnehmer der Automobilindustrie eine wirkliche Hilfe sein, für alle, die von Kind an am unteren sozialen und ökonomischen Ende der Gesellschaft leben, ist das völlig irrelevant.

Apropos gut bezahlt. Das Gesetz gegen sittenwidrige Löhne, dass Stundenlöhne von zwei Euro zulassen wird, und die kritische Überprüfung der bisher eingeführten Mindestlöhne lassen nicht hoffen, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse abnehmen. Die faktische Aushebelung des Kündigungsschutzes durch die Ermöglichung, Arbeitsverträge dauerhaft grundlos zu befristen, schlagen voll in die andere Richtung aus.
Dazu kommt endlich die Widerlegung des alten Norbert Blüm. Die Rente ist nicht mehr sicher:

Rente ist kein Almosen. Wer sein Leben lang hart gearbeitet hat, der hat auch einen Anspruch auf eine gute Rente. Damit dies auch in Zukunft gewährleistet ist, wollen wir wegen des demographischen Wandels die Voraussetzungen für eine längere Teilhabe Älterer am Erwerbsleben verbessern.

(S. 16)

Diese Vorhaben kombiniert mit der Aufkündigung des Solidarprinzips bei der Krankenversicherung (künftige Beitragssteigerungen zahlt ausschließlich der Arbeitnehmer, der Krankenkassenbeitrag wird unabhänig vom Einkommen pauschal festgesetzt) und dem eingangs erwähnten Finanzierungsvorbehalt machen den eigentlichen Kern des Projekts schwarz-gelb aus:

Steuererleichterungen nur vielleicht, weniger Arbeitnehmerrechte, längere Lebensarbeitszeit, für Arbeitnehmer stetig steigende Beiträge für stetig schrumpfende Leistungen in der Kranken- und Pflegeversicherung. Dazu tendenziell etwas weniger Umweltschutz, etwas mehr Atomkraft.

Willkommen in der neuen sozialen Marktwirtschaft.

29 Kommentare

  1. 01
    DeLohf

    Es hätte schlimmer kommen können.

  2. 02

    Du schreibst 20€ Kindergelderhöhung sind eher symbolisch – das finde ich absolut falsch! Das sind 240€ im Jahr und wenn man das Kindergeld 18 Jahre lang bekommt immerhin 4320€ und das auf alle Eltern in Deutschland! Ich finde diesen Punkt sehr gut, es ist ja schließlich nicht die Aufgabe des Staates den Eltern die Kinder zu zahlen?!

    Ich sehe Schwarz-Gelb extrem kritisch und bin defintiv gegen sie (was ich vor der Wahl auch immer wieder geschrieben habe) deswegen lieber „DeLohf“ wäre ich mir nur wegen eines annehmbaren Koalitionsvertrags noch lange nicht sicher wie die nächsten 4 (bei aktuellen SPD mind. 8) Jahre werden.

  3. 03
    Lukas

    @#735244: Das wiederum kann doch aber auch nicht zur Grundeinstellung mutieren.

  4. 04
    DeLohf

    @#735251: Ich wollte damit nur wiedergeben, das ich erwartet hatte das es schlimmer wird^^

    Selbstverständlich ist eine solche Grundeinstellung schädlich.

  5. 05

    @#735250: Ich lese da: „Die Erhöhung des Kindergeldes ist mit 20 Euro im Monat mehr als symbolisch.“

  6. 06
    Rolf Eden

    Jetzt ganz schnell vor der Schuldenbremse noch die Kassen plündern und dann in 8 Jahren die SPD alles sanieren lassen. Vielen Dank!

  7. 07

    Ganz großartiger Artikel, Björn Grau! Sorgfältig, umfassend, gut ausgewogen.

    Großes Lob!

    (ich hätte teils ein paar andere Schwerpunkte gewählt, vor allem finde ich das interessant, was im Koal-Vertrag nicht drin steht. Zum Beispiel, wie „sozial“ und „familienfreundlich“ ist eine Regierung, welche nichts dazu schreibt, dass 60 Prozent Leistungssatz für Hartz4-Kinder faktisch zu wenig sind. Sie warten in ihrer „Familienfreundlichkeit“ lieber ab, bis sie vor dem Bundesverfassungsgericht baden gehen.)

  8. 08

    Danke für die Zusammenfassung!
    Gruß Susanne

  9. 09
    Björn Grau

    @#735250: Was Johnny liest, steht da und ist auch so gemeint. 20 Euro sind fast zwei Wochen Windeln. Da kann ich schon was mit anfangen. Das ist nicht schlecht an diesem Vertrag.
    Aber auch das hilft vor allem der bürgerlichen Mitte, solange das Kindergeld mit Hartz 4 verrechnet wird. Aber da wird sich ja wohl bald das Verfassungsgericht zu äußern, wie @#735260 schon anmerkt.

  10. 10
    peter h aus b

    Gute Zusammenfassung, Danke!

  11. 11

    @#735255: eigentor – da nehm ich doch mal alles zurück

  12. 12
    ala

    man kommt auf null wenn die nebenkosten für wohnungen und pflege-krankenversicherungsbeiträge steige werden.

  13. 13
    Martin

    Die Bildungspolitik liest sich m.E. nicht besonders nett. Das Sponsoring von 150 Euro Bildungsguthaben soll doch letzlich nur das Selbstverständnis eines Bildungsguthabens fördern damit klar ist: Für Bildung muss bezahlt werden. Ein Wegbereiter für den liberalen Bildungsmarkt. Und das wird sich irgendwann nicht mehr auf das Studium begrenzen, sondern auch Schulbesuche nach der 10jährigen Schulpflicht betreffen. Das ist Irrsinn angesichts der Tatsache, dass
    1. finanzschwache Menschen nur selten weiterführende Schulen besuchen
    2. Bildung usere wichtigste Ressource ist.

  14. 14
    Kristin

    Ich frag mich seit zwei Tagen warum niemand auf die Straße geht. Allein das Einführen eines Pauschalbetrages für Krankenversicherte…besonders in Anbetracht der Tatsache, dass die Einführung einer solchen Pauschale nur wenige Tage vor der Wahl von Frau Merkel abgestritten wurde. Was sich Bundesbürger mittlerweile alles bieten läßt!

  15. 15
    süper

    vllt. ist das ja ein 2.0 vertrag, die wollen doch nur unsere meinung hören, damit sie gegebenfalls nachbessern können. deshalb die vagen aussagen. aber vllt irre ich auch.

  16. 16
    Stratege

    Ich denke es wäre gut, wenn die Pläne verwirklicht werden und das ganze Ausmaß des Schreckens voll zur Entfaltung kommt. Angenommen es stimmt, daß ein Frosch im Wasser, dessen Temperatur stetig steigt, verbrüht, im Vergleich dazu, daß ein Frosch herausspringt, wenn er in zu heißes Wasser fällt, dann ist doch letztere Variante gesünder.

    Eine Steilvorlage für die Opposition.

    Vier Jahre – davon geht erst mal die Welt nicht unter, danach werden die Scherben hoffentlich von Leuten mit Verstand wieder gekittet.

    Andererseits ist das Weltbild von Gelb doch Grundstein der neoliberalen Krise deren Konsequenzen wir gerade ausbaden. Daß jene trotzdem noch Stimmen gewonnen haben, läßt mich mehr am Wähler als an der Politik zweifeln…

    Volljährigkeit allein befähigt nicht zum Autofahren, sondern der Führerschein.

    Ein System, in welchem man nen Wählerschein (Kritische Denkprüfung) zur Wahl braucht, wäre vielleicht zu überlegen.

    Der Prüfling zeigt im Beantworten fundamentaler Fragen, daß er sich über die wesentlichen Kriterien einer funktionierenden und gerechten Gesellschaft im Klaren ist, bevor er zur Wahlurne zugelassen wird.

  17. 17

    vieles von den versprochenen entlastungen wird nicht stattfinden. jeder der nicht vollkommen blind durchs leben geht, wusste das aber auch vor der wahl – und hätte auch anders wählen können. ob das dann besser gewesen wäre? aber zumindest auch nicht schlimmer. egal. und ja @josty und @björn grau (9) die entlastung für familien ist sicherlich auch so gedacht. das *soll* nur der besserverdienenden mittelschicht zugute kommen. die 20 euro – so schön das ist und so gut (auch ich) das brauchen kann – sind augen auswischerei. wie @john dean (7) schon gesagt hat. das ist ärmlich und sicher alles andere nur kein bekenntnis zu moderner familienpolitik.

    der finanzminister, der damals den spendenskandal (mit) ausgelöst hat, die reaktivierung der atomenergie, pauschalbeiträge zu KV etc. kommen da ja nur noch oben drauf.

  18. 18
    Stephan

    Parteien sollten Ihre Koalitionsverträge vor den Wahlen ausarbeiten. So, dass man im Prinzip nur noch Koalitionsverträge wählt. Und die FDP ist jetzt nicht in der Regierung weil sie gewählt wurde, sondern weil andere Parteien nicht gewählt wurden. Ich hätte gern auch ein 100 Punkte Wahlverfahren, wobei ich 100 Punkte auf alle Parteien verteilen kann. Und Guido Westerwelle ist für mich ein unreifer Schmunzelhase, von dem in der Weltpolitik nix weiter als ein Satz roter Ohren übrig bleiben wird.

  19. 19
    Jörg

    Schöner Text von wegen Ausgewogenheit und so – ohne die notwendige Kritik zu kurz kommen zu lassen.
    Bei der Gesundheitspolitik ist mir noch zu vieles unklar, mal schaun, wie sich der Herr Rösler da macht.
    Der Finanzierungsvorbehalt steht seit Jahren in allen Koalitionsverträgen, außerdem weiß ja gerade jetzt wirklich keiner, was noch kommt.

    @17: Herrn Schäuble, wahrlich nicht mein Lieblingspolitiker, zu unterstellen, er habe die Spendenaffäre (mit)ausgelöst, ist unfair. Er hat sich einmal mit dem Lobbyisten Schreiber getroffen und 100.000 Mark für die CDU entgegen genommen. In der ganzen Angelegenheit sei er eher Opfer als Täter – sagt Bettina Gaus von der taz.

  20. 20

    Die Änderung bei der Befristung ist ungenau beschrieben. Nach einer Wartezeit von einem Jahr soll ein erneuter befristeter Arbeitsvertrag geschlossen werden können. Zur Zeit besteht zB bei Universitäten häufig nicht die Möglichkeit, als WiMi zu arbeiten, wenn man vorher als Tutor gearbeitet hat, da man sich sonst in ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis einklagen könnte.
    Nun man natürlich über Befristungen an sich diskutieren, aber zumindest verbessert dies die gegenwärtige Lage auch.

  21. 21
    Björn Grau

    @#735294: Guter Punkt. Soweit hatte ich diesen Gutschein nicht durchdacht.

    @#735305: Und wer legt die Prüfungsfragen für den Wahlführerschein fest? Eher die Regierungskoalition oder eher die Opposition? So sehr auch mir manche Wählerentscheidung dumm vorkommt, einen solchen Führerschein würden garantiert die Falschen ausarbeiten.
    Überhaupt gibt es ja Menschen, die von einer Entsolidartisierung zunächst profiitieren. Die FDP nennt sowas Leistungsgerechtigkeit.
    Ansonsten hat Schwarz-Gelb schon drauf geachtet, potentielle Wählerschichten zu schonen mit dem Papier.

  22. 22
    quasi

    also alles wie immer – nach der wahl.

  23. 23

    Nebenwirkung

    Der mit Ambitionen behaftete Ministerpräsident von (zu lang) B.W.
    Soll sich dahin scheren, wo er der Partei weit weg mehr schadet oder nutzt oder andersherum. Das war – so unterstelle ich – eine Konsequenz aus der Absprache zwischen Dr. Merkel und H. Oettinger:

    „Wenn Du Bundespolitisch nichts wirst, dann geh doch dahin wo man mehrfach
    abkassieren kann. Keine Sau kennt dich. Genügend Zeit auszuruhen ist dir gegeben. Lieben Gruß an die neue“


    So wirkt der Solidarbeitrag endlich mal von Ost nach West.

    Mein ja nur

  24. 24
    Jens

    da gibt es eine VErsion des Koalitionsvertrages, das sich zeilenweise verlinken lässt. Evtl. als Quellenangabe praktischer als (S.6).

  25. 25
    olli

    @#735250: was soll kindergeld bringen, das kriegen ja die eltern und höchstens indirekt die kids. warum wird nicht endlich essen+bücher in der schule bezahlt. alles über transferleistungen zu regeln ist humbug.