Farnaz Seifi ist eine Veteranin der iranischen Frauenrechtsbewegung. Sie war eine der ersten weiblichen Bloggerinnen des Landes und gründete ein Onlinemagazin für Frauen. Vor drei Jahren wurde sie verhaftet und verbrachte zwei Tage im berüchtigten Evin Gefängnis, später emigrierte sie in die Niederlande. Im Gespräch am Rande der re:publica zeichnet sie das Bild einer Islamischen Republik Iran, deren Machthaber sich im Krieg mit der Bevölkerung befinden – und sieht Analogien zwischen der iranischen Zensur und den Plänen für Netzsperren in Europa.
Spreeblick: Farnaz, danke, dass du dich zu diesem Interview bereiterklärt hast.
Seifi: Gerne.
Spreeblick: Der Iran hat eine sehr lebhafte Frauenrechtsbewegung, in der du dich engagiert hast…
Seifi: Ja! Der Iran ist eines der Länder im Nahen Osten mit einer sehr starken Frauenbewegung, es ist wirklich eine wichtige Sache. Wie viele andere soziale Bewegungen steht sie unter großem Druck. Aktuell haben sie zwei große Kampagnen am laufen. Eine davon ist die „One Million Signatures Campaign“ für die Änderung diskriminierender Gesetze gegen Frauen im Iran. Ihr Ziel ist es, eine Million Unterschriften von Bürgern zu sammeln, um sie dem Parlament zu präsentieren. Sie stehen unter großem Druck, in den letzten drei Jahren sind mehr als 55 Personen, die in dieser Kampagne aktiv waren, von der Regierung festgenommen worden. Einige dürfen ihre Ausbildung nicht fortsetzen, andere dürfen ihre Arbeit nicht mehr ausführen. Ihre Webseite, die auch letztes Jahr den „Netizen Prize“ der Reporter ohne Grenzen gewonnen hat, wurde 24 mal von der Regierung gesperrt.
Die andere Kampagne ist die Kampagne gegen Steinigungen, die immer noch im iranischen Recht existieren. Sie sind auch sehr aktiv und stehen unter großem Druck, ihre Webseite wird zensiert und einige von ihnen hatten keine andere Wahl, als das Land zu verlassen.
Spreeblick: Du hast erwähnt, dass die Webseite der One Million Signatures Campaign 24 mal gesperrt wurde. Wie kommt es, dass sie nicht durchgängig blockiert wird?
Seifi: Sie können sie nicht durchgängig sperren, weil die Server und die Domain aus dem Ausland sind. Würde man Server und Domain im Iran kaufen, dann würden sie das wahrscheinlich tun. Als ich noch in meinem Land war, habe ich mit einigen anderen Kollegen zusammen das erste iranische Online-Frauenmagazin gegründet. Es wurde so populär, dass die Justiz genau das getan hat. Sie haben uns nicht nur die ganze Zeit gesperrt, sondern schließlich unserem Hosting-Provider gedroht für den Fall, dass er uns nicht kündigt. Und niemand anderes im Iran darf unserem Magazin Server und Domains vermieten.
Spreeblick: Eine Lösung ist also, Server außerhalb des Iran zu mieten. Wie einfach ist das für den Durchschnittsbürger?
Seifi: Es ist ziemlich schwierig, weil wir üblicherweise Kreditkarten brauchen, um im Ausland einzukaufen. Eine Kreditkarte zu bekommen ist nicht einfach für Iraner wegen der Sanktionen, die von der internationalen Gemeinschaft gegen iranische Banken verhängt wurden. Also muss man normalerweise jemanden in einem westlichen Land haben, der einem Server und Domains kauft, das kann man nicht selber machen. Daher ist es für die meisten nicht einfach, da ranzukommen.
Spreeblick: Die US-Regierung hat begonnen, einige der Sanktionen gegen einige Länder aufzuheben. Glaubst du, dass ist ein guter Schritt, um Menschenrechtsaktivisten zum Beispiel im Iran zu unterstützen?
Seifi: Das ist ein sehr guter Schritt! Die Sanktionen werden auch von iranischen Menschenrechtsaktivisten kritisiert. Es fühlt sich an, als würden wir zweifach bestraft. Einmal von unserem Regime, dass uns zensiert und unterdrückt und dann noch einmal von der internationalen Gemeinschaft, vor allem westlichen Ländern, die sagen, dass sie unseren Kampf für Freiheit unterstützen, aber diese Sanktionen gegen den Iran verhängen. Man kann zum Beispiel immer noch viele Google-Produkte im Iran nicht benutzen. Wenn du auf Google Docs oder Google Maps gehst, dann steht dort: „Dieses Produkt ist aufgrund der Sanktionen in Ihren Land nicht verfügbar.“
Wenn sie wirklich den freien Zugang zu Informationen unterstützen, dann sollten sie auch für Iraner zugänglich sein. Deshalb bin ich sehr froh, dass Amerika sich endlich entschieden hat, einige der Sanktionen aufzuheben. Ich denke, dass ist der beste Weg, den Iranern in ihrem Kampf für Freiheit und Demokratie zu helfen. Sie brauchen keine Einmischung, sie brauchen keine andere Hilfe als diese. Gebt ihnen einfach freien Zugang zu Informationen. Sie wissen, was sie wollen und sie werden tun, was sie tun wollen.
Spreeblick: Du sagst dass die iranischen Aktivisten keine Einmischung von außen brauchen. Könnte eine solche Einmischung in Wirklichkeit sogar schlecht sein?
Seifi: Ja! Lass mich ‚Einmischung‘ genauer definieren: Irgendwelche anderen Länder oder Personen in fremden Ländern, die sich in unsere internen Angelegenheiten einmischen. Ich persönlich bin auch nicht einverstanden mit vielen Projekten, die im Iran mit fremden Geldern finanziert werden. Ich glaube nicht, dass das hilfreich ist. Am Ende sind es unsere internen Angelegenheiten und unser innerer Kampf. Den müssen wir selbst kämpfen.
Spreeblick: Ich denke, viele Menschen haben den Wunsch, Menschenrechtsaktivisten im Iran zu unterstützen. Aber du sagst, nur, indem man ihr Anliegen an die Öffentlichkeit trägt?
Seifi: Nicht nur das, gebt ihnen auch die nötige Ausrüstung für freien Zugang zu Informationen. Selbst nach der Aufhebung einiger Sanktionen dürfen die Leute im Iran bestimmte Software oder technische Geräte nicht benutzen. Diese Werkzeuge, und einfach Aufmerksamkeit für das, was sie tun. Ich denke, das ist genug. Was wir machen, sollten wir selbst tun.
Spreeblick: Kommen wir zurück zum Thema Internetsperren. Die sind, wie du gesagt hast, im Iran sehr verbreitet. Beeinträchtigt das tatsächlich das Leben der Iraner, oder nutzen sie einfach Umgehungssoftware, um daran vorbei zu kommen?
Seifi: Zuallererst muss man wissen, dass die iranische Regierung eine der wenigen ist, die auch die Geschwindigkeit des Internetzugangs kontrollieren. Das heißt, dass wir keine wirklich schnellen Internetverbindungen im Iran haben, weil die Regierung keinem Bürger oder Unternehmen Zugang zu High-Speed-Internet zugesteht. Also ist schon der Zugang zum Netz eine schwierige Sache.
Und was die Sperren angeht: Fast alles wird zensiert. Selbst Google.com wird derzeit im Iran gesperrt und alle Sozialen Netzwerke, auch Blogger.com, wirklich fast alles. Software zu benutzen, um die Filter zu umgehen, ist vollkommen üblich. Beinahe alle Internetnutzer verwenden so ein Werkzeug, um der Zensur auszuweichen. Ohne geht’s einfach nicht.
Aber es betrifft die Leute dennoch, weil es so ein frustrierender Prozess ist. Die Geschwindigkeit ist lahm, jede Seite ist gesperrt, du brauchst eine Software… Der Verkauf solcher Software ist übrigens ein sehr gutes Geschäft im Iran. Also muss man für diese Software zahlen, sie dann installieren – es ist ein mühsamer, frustrierender Prozess. Aber auf eine gewisse Weise zeigen die iranischen Internetnutzer, dass sie bereit sind, diesen Aufwand zu erbringen, um Zugang zu Informationen zu haben und die Wahrheit über den Iran in die Welt zu tragen.
Spreeblick: Du lebst heute in den Niederlanden und hast sicher auch die Entwicklung in der EU verfolgt, wo es Pläne gibt, Internetsperren gegen Kinderpornographie einzuführen. Was denkst du darüber?
Seifi: Ich bin absolut dagegen. Weißt du, die Regierung meines Landes hat auch angefangen mit dem Sperren von Porno-Seiten. Als sie 2002 mit dem Filtern begonnen haben, betraf die erste Phase nur Porno-Seiten, etwa sechs Millionen Seiten wurden gesperrt. Und ich muss sagen: Wir, die iranischen Bevölkerung, hatten zu dem Zeitpunkt nichts dagegen. Es gab keine wirkliche Kritik. Und ich denke, dass war ein großer Fehler, den wir gemacht haben. Denn wenn es einmal begonnen hat, dann kann immer noch ein bisschen mehr und noch ein bisschen mehr dazukommen.
Nein, ich bin dagegen und ich denke, es ist eine gefährliche Sache. Internetsperren sind in ihrem grundsätzlichen Wesen menschrechtsfeindlich und etwas, dass man kritisieren muss. Wenn es einmal normal geworden ist, etwas zu sperren, dann kann immer und immer mehr dazugefügt werden.
Spreeblick: Die Zensur betrifft nicht nur Liberale und Reformer, sondern auch Konservative. Kann man sagen, dass es eine große konservative iranische Blogosphäre gibt?
Seifi: Ja, es gibt große Gruppen, besonders in den letzten drei Jahren sind sie sehr gewachsen. Gut, es gibt da einige – ich denke, ich kann sagen, dass es etwa eine halbe/halbe-Sache unter ihnen ist. Einige unterstützen die Sperrung von religions- und regimekritischen Webseiten, aber ich kenne und lese andere Leute, die auch gegen die Sperren sind.
Besonders, weil die Zensur im Iran einen Punkt erreicht hat, wo sie dein Privatleben stört. Ich sagte ja schon, Google.com ist gesperrt. Was, wenn du etwas für eine Uni-Arbeit suchen willst? Oder es gibt bestimmte Stichworte, die gesperrt sind, „Frauen“ zum Beispiel. Wenn du über die Frauenrechtsbewegung im Iran recherchieren willst, kannst du das nicht tun. Wenn du etwas über die Errungenschaften von Frauen im Iran lesen willst, kannst du es nicht tun. Das hat nichts mehr mit Religionskritik oder Regierungskritik oder irgendwas Sexuellem zu tun. Es hat diesen frustrierenden Punkt erreicht, an dem es jeden betrifft, das Leben jedes einzelnen.
Aber ja, ich weiß, dass es immer noch religiöse Anhänger der Islamischen Republik gibt. Es ist wirklich schwer, ihre Zahl zu nennen, aber es gibt Leute, die die Sperren unterstützen und denken, dass besonders regierungs- und religionskritische Webseiten von der Regierung gesperrt werden sollten.
Spreeblick: Der Kampf des Regimes gegen die Meinungsfreiheit hört bei der Zensur noch lange nicht auf. Du hast bereits erwähnt, dass es starke Repressionen gegen Menschen gibt, die sich im Internet kritisch äußern. Ist da jetzt Angst mit ihm Spiel, wenn man ein Blog startet?
Seifi: Nein, eigentlich sehen wir, dass die Anzahl der Blogger im Iran immer nur wächst und wächst und wächst. Das interpretiere ich als ein Zeichen, dass die Leute keine Angst haben. Aber ich sehe auch, dass viele Blogger sich eine Form von Selbstzensur auferlegen, besonders die, die unter ihrem Realnamen schreiben. Schließlich kann es dich in ernsthafte Probleme bringen, man kann ins Gefängnis gesteckt und verhört werden oder seine Arbeitserlaubnis verlieren.
Aber glücklicherweise ist die Blogosphäre im Iran weiterhin sehr kritisch, sehr stark für Menschenrechte und sehr aktiv, wenn es darum geht, ihre eigenen Rechte einzufordern. Das ist ein gutes Zeichen. Daher denke ich, dass die Regierung nicht sehr erfolgreich darin ist, die Blogosphäre zu kontrollieren und die Leute einzuschüchtern.
Spreeblick: Der deutsch-iranische Dichter SAID sagte in einem kürzlichen Interview, dass heutzutage die meisten verhafteten Blogger keine Liberalen, sondern religiöse Menschen seien, die für ihr Verständnis des Islams in Gefängnis gesteckt würden. Glaubst du, das stimmt?
Seifi: Ja, das ist wahr. Gerade erst hatten wir fünf, sechs Fälle, in denen religiöse Blogger verhaftet wurden. Ich erinnere mich, dass einer sogar ein Theologie-Student war, der danach Imam werden wollte. Die Krise hat mittlerweile einen Punkt erreicht, an dem auch viele religiöse Menschen die Regierung sehr stark kritisieren, weil sie gegen die Gewalt sind, die die Regierung gegen andere anwendet.
Es geschieht, dass sie religiöse Blogger verhaften und in manchen Fällen stehen sie sogar unter stärkerem Druck. Es scheint, als träfe es die Islamische Republik härter, wenn eine religiöse Person sich gegen sie stellt, als wenn es Liberale oder Progressive sind, die grundsätzlich als Feinde gelten.
Spreeblick: Was du beschreibst erscheint mir wie eine Situation, in der das Regime nicht mehr weiß, in welche Richtung es schlagen soll…
Seifi: Auf eine gewisse Weise, ja. Die Krise letztes Jahr hat gezeigt, dass sie einen Punkt erreicht haben, an dem sie gegen jeden kämpfen. Im Moment ist niemand sicher. Sie haben haben viele einfache Leute verhaftet, die keine Aktivisten sind, die einfach nur auf die Straße gegangen sind um zu fragen, was mit ihren Stimmen bei der Wahl passiert ist.
Ja, es scheint als wären sie wütend. Die Regierung des Iran, die Machthaber des Iran sind im Moment wirklich, wirklich wütend, das kann man sehen. Und in einer solchen Situation, wenn man wirklich wütend ist, dann verliert man irgendwie seine Logik.
Sie befinden sich in einem Kampf gegen uns. Und sie führen diesen Kampf auch im Netz. Sie haben die „Iranian Cyber Army“, die sich sehr organisiert daran macht, unsere Blogs und Webseiten zu hacken, sie versuchen loyale Anhänger der Islamischen Republik zu organisieren, um in den Blogs den Kampf gegen uns aufzunehmen. Ja, in einem gewissen Sinn ist es ein Krieg.
Spreeblick: Farnaz, vielen Dank für das Interview.
Seifi: Gern geschehen!
Farnaz Seifi im Küchenradio (ebenfalls am rande der re:publica aufgenommen) http://www.kuechenradio.org/wp/?p=666
Schönes Interview Danke!
Viele meiner Freunde im Iran sehen das ähnlcih.
Ich hoffe die USA können sich zurückhalten und versuchen nicht das Land ala Afgahnistan und Irak zu „demokratisieren“.
ElWiegaldo
Super Interview!
Ich finde echt toll, das ihr nicht nachgebt! Kann euch nur zustimmen!
Vielen Dank hierfür!
Sehr gutes Interview und eine mutige Frau!
Ein paar Links würden dem Artikel guttun, zum Beispiel zu Seifis Blog und dem Online-Magazin, das sie gegründet hat. Wie heißt dieses Magazin überhaupt?
Ich vermute mal, die Gründe dürften die selben sein wie beim Küchenradio. Dort heißt es in den Kommentaren zur Erklärung: „Ihr Blog wird nicht verlinkt, weil wir ihn nicht kennen. Farnaz möchte nicht, dass die iranischen Behörden wissen, unter welchem Namen sie schreibt, deswegen erzählt sie das auch nicht dem Küchenradio und deswegen gibt es auch keinen Link“ (Quelle: http://www.kuechenradio.org/wp/?p=666#comment-95827)
Das Magazin findet sich hier: http://zanestan.blogspot.com/
Echt ein super Interview. Zum ersten mal entdecke ich ein Blog, deren Schreiber sich aktiv einsetzen und Mühe geben.
Im Interview sind viele nützliche Informationen, von denen ich bisher nichts wußte. USA muss sich auch überall einmischen. Es reicht wohl nicht, dass Sie Afgahnistan, Irak, … „vernischtet“ haben. Die Menschen dort haben auch ihre Rechte. Dann reden sie von Menschenrechten…was für ein Doppelpolitik.
moderne Kriegsführung halt…