Die Ministerpräsidenten der Länder haben gestern ihre Unterschrift unter den neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) gesetzt, mit dem eine Altersbeschränkung für Webseiten eingeführt werden soll. Bürgerrechtler bezweifeln die Freiwilligkeit der Kontrolle und warnen vor dem Einstieg in die (Selbst-) Zensur.
Der JMStV schreibt Website-Betreibern vor zu prüfen, ob ihre Inhalte erziehungsbeeinträchtigend sind und damit erst für 16- oder 18-Jährige. Wenn das zutrifft, muss eine von drei Maßnahmen ergriffen werden: Die Inhalte nur nachts zeigen, das Alter der Nutzer überprüfen oder die Inhalte mit einer Alterfreigabe kennzeichnen. Alvar Freude vom AK Zensur kritisiert diese Verpflichtung:
Anders als von Kurt Beck behauptet, sind die neuen Maßnahmen im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag nicht freiwillig. Im Gegenteil: Wer Inhalte publiziert, die für Kinder „erziehungsbeeinträchtigend“ sind, muss Maßnahmen ergreifen. Wer sich nicht daran hält, handelt ordnungswidrig und riskiert ein Bußgeld. „Freiwillig“ ist dabei nur die Wahl der Maßnahmen.
Wie schwierig es ist, diese Entscheidung zu treffen, zeigt ein Projekt des AK Zensur. In den letzten Tagen konnten Besucher der Website des Vereins testen, ob ihre Einschätzung zur Altersfreigabe verschiedener Web-Angebote mit der eines Jugendschutz-Experten übereinstimmt. Das Ergebnis zeigt die Risiken der JMStV-Regelung, meint Freude:
Die Auswertung von über 10.000 Einzelbewertungen ergab, dass fast 80% der Einstufungen falsch waren. Das verwundert nicht, sind doch nur wenige Internet-Nutzer Jugendschutz-Experten.
Der Bürgerrechtler befürchtet, dass viele Betreiber ihre Webseiten aus Unsicherheit höher einstufen werden als nötig, um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Für junge Nutzer sei das ein Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Rezipientenfreiheit: „Auch diese haben das Recht, alle öffentlich zugänglichen Inhalte wahrzunehmen.“
Allerdings werden sich die meisten wohl für eine Alterskennzeichnung entscheiden, die am wenigsten invasive Option. Damit sind die Inhalte nicht sofort für alle jüngeren Nutzer unzugänglich, vielmehr müssen Eltern oder andere Aufsichtspersonen (etwa in Schulen) zuerst weitere Schritte ergreifen, damit das Internet zum „Kindernetz“ wird, heißt es in der Presseerklärung des rheinland-pfälzischen Staatskanzlei:
Nur wenn sich Eltern dafür entscheiden, ein Jugendschutzprogramm zu aktivieren, werden anhand der freiwillig vorgenommenen Alterskennzeichnung Inhalte ausgefiltert, die oberhalb der von den Eltern eingestellten Altersstufe liegen.
Das gebe den Eltern „die Sicherheit, dass ihre minderjährigen Kinder nicht von jugendgefährdenden Angeboten tangiert werden“, schreibt die Staatskanzlei. Der Medienpädagoge Jürgen Ertelt kritisiert diese Haltung vehement: „Die Verantwortung von Eltern und Pädagogen wird zu sehr vernachlässigt. Genau hier macht der JMStV den kardinalen Fehler, originäre Erziehungsaufgaben auf technische Filter abschieben zu wollen.“
Der JMStV zeigt deutlich, dass das vielgescholtene Unverständnis gegenüber dem Netz in den oberen Etagen der Politik weiterhin parteiübergreifend vorhanden ist. Ein Statement des rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, dessen Land bei der Ausarbeitung des 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrags (worunter auch der JMStV fällt) federführend war, zeigt ein im Grunde legitimes Anliegen:
Jugendschutz ist dabei in erster Linie eine Aufgabe der Erziehungsberechtigten. Dabei soll es mit dem Staatsvertrag auch bleiben. Die Länder sehen sich aber als Gesetzgeber in der Pflicht, Eltern einen Weg aufzuzeigen und ein Instrumentarium anzubieten, wie sie Verantwortung für ihre Kinder auch im Netz wahrnehmen können.
Die Methoden, auf die der JMStV zurückgreift, sind dazu allerdings kaum geeignet. Wer sich an die Regeln hält und eine Altersbeschränkung für seine Website einführt, läuft immer noch Gefahr, aus Unwissen danebenzuliegen und entweder Leser unberechtigterweise auszusperren oder sich in die Gefahr einer Abmahnung zu begeben.
Viele Betreiber werden ihre Seiten aber gar nicht erst kennzeichnen – manche mit Absicht, viele schlicht aus Unkenntnis. Oder aber, weil sie – oh Wunder! – gar nicht aus Deutschland sind. Die Dummen sind am Ende die Kinder, deren Eltern dem Versprechen der Regierenden Glauben schenken: Sie bekommen ein Netz zu sehen, dass nicht einmal ein fahler Abklatsch des World Wide Web ist, und erhalten dann vielleicht noch nicht einmal die dringend nötige Erziehung im Umgang mit Medien. Aber wenigstens dürfte es ihnen helfen, Fähigkeiten in der Umgehung von Filtermechanismen zu erlernen.
Der JMStV kann nach der erfolgten Unterzeichnung durch die Ministerpräsidenten noch von den Landesparlamenten gestoppt werden. Allerdings gilt es als unwahrscheinlich, dass sich die Abgeordneten gegen ihre Landeschefs stellen.
Ist denn irgendwo schon im Ansatz klar wie diese Kennzeichnung technisch aussehen soll?
Über Metadaten? Oder wollen die nur irgendeinen komischen Button (ähnlich wie auf DVD-Verpackungen) auf den Websites haben?
Sehr durchdacht klingt das auf jeden Fall nicht.
Was hat denn eine Bundesministerin in einem Bild zu suchen, das eine Ländersache kritisiert? Wenn schon, gehört da Kurt Beck hin, aus dessen Staatskanzlei kommt der Mist schliesslich.
Das bedeutet, auf Nacktbilder von Frau Familienministerin warte ich vergeblich?
@ Andi: Ich glaube die die ist nur dewegen da drauf weil ihr Bild irgendwie farblich und auch sonst optisch so ähnlich ist wie das Kind auf der Packung.
???
@#762682: Frag doch mal die Herren Bernd, Bernd & Bernd aus der Agentur Graut Chan, da habe ich in den letzten Tagen so einiges in die Richtung gesehen … ;)
Wollen sie tatsächlich Logos wie etwa auf DVD Hüllen haben?
Werde ich nicht machen, wie auch viele Andere nicht. Dann wird schnell Zwang aus dem Freiwillig und dann kündige ich den .de Domain.
Beck. Das sagt eigentlich schon fast alles. Wo war der eigentlich die ganze Zeit? Wenn ich den Namen höre, muß ich immer an die „Titanic“ denken … Die hatten schon recht damals.
Wie sollen die Kinder und Jugendlichen Medienkompetenz erlangen, wenn sie nicht die Chance haben sich mit Medien voll und ganz auseinander zu setzen?
Ausserdem Stimmt auch irgendwo das Argument, dass primär Eltern darauf zu achten haben, was ihre Kinder im Netz machen.
Es ist in Deutschland ja schon seit Jahren unumgänglich, dass man seine Seiten im Ausland hostet und (wann immer möglich) so tut, als wäre man selbst Ausländer, der nur zufälligerweise deutsch schreiben kann. Schon seit es Impressumspflicht gibt ist das generell so zu handhaben. Ist halt doof für Firmen die hier agieren müssen, oder Leute die nicht „anonym“ auftreten wollen und gar bekannt sind. Diese müssen dann halt in den sauren Apfel beißen.
Eventuell gibt es ja in ein paar Jahren Firmen im Ausland, die sich von deutschen Kunden das zu veröffentlichende Material schicken lassen und es dann von dort ins Netz stellen. Sozusagen als erweiterter Proxy.
Oder gleich eine Art Wikileaks, aber nicht für brisante Dinge wie es beim Original der Fall ist, sondern einfach für stinknormale Äußerungen, weil in Deutschland selbst Juristen solche nicht mehr machen können ohne automatisch angreifbar zu werden.
aber die eltern, die doch arbeiten sollen, auch abends und überstunden, und am wochenende auch, und die omas und opas, die doch bis fast 70 ranmüssen,
die sollen dann noch zeit und nerven haben, permanent den nachwuchs zu kontrollieren?
es ist schlicht niemand da für die kids, wenn man flexibel, allseits und round the clock dem job zur verfügung zu stehen hat.
das hat mir letztens auch eine schuhverkäuferin erzählt, die jeden abend bis 20 uhr am verkaufstresen zu stehen hat:
sie sieht ihren jungen kaum!
was redet da der staat von erziehung?!
soll er diese aufgabe doch zu dem teil übernehmen der ihm zukommt, nämlich:
infrastrukturelle möglichkeiten schaffen, die es den eltern erleichtern, ihren erziehungspflichten nachzukommen.
aber nein: erstmal werden ja jetzt ausgaben gekürzt im sozialen bereich, kommunen haben keine gelder mehr übrig für die jugendarbeit.
elende bigotterie! immer den schwarzen peter den eltern zuschieben, aber selber nicht mal in der lage sein, vernünftige angebote zu leisten.
sollen sie doch computer in schülerzentren aufstellen, sozialarbeiter einstellen und die dann dort den jugendlichen beistehen in der nutzung!
DANN (und nicht vorher) hätten sie die berechtigung, im internet auch mal was zu sagen.
Ich fände es besser, wenn die Eltern ihren Kindern genug Medienkompetenz vermitteln würden.
Das Problem ist nur, dass sie häufig selber keine haben,
und Lust und Zeit dazu schonmal gar nicht.
Mein Stiefbruder z.b. bekommt deshalb gar keinen Zugang zum Netz (mit 14 wohlgemerkt). Für ihn wäre selbst eine technisch unzulängliche Lösung, wie sie uns vermutlich gerade bevorsteht, ein Schritt nach vorn.
Ich denke auch, dass es generell möglich ist, die Idee so umzusetzen, dass weder das ganze Netz aus aus Vorsicht zur Erwachsenen-Zone deklariert, noch eine Neue Spielwiese für Anwälte geschaffen wird. Was letztendlich dabei rauskommt ist eine Frage der Feinjustierung, nicht des Prinzips ansich.
Ist ja eigentlich kein Problem. Internet sollte grundsätzlich erst ab 18 sein.