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Mandelbrot

fractal

Als ein 14.4k Modem pure Zukunftsmusik war und man PC-Spiele noch auf dem Pausenhof tauschte, besaß ich einen robusten Rechnerklumpen von IBM.

Der Gute konnte alles, was man im Allgemeinen als kleiner Heimanwender so brauchte. Sim City lief prächtig, Prince of Persia auch, Tetris funktionierte einwandfrei und Sokoban hatte keine Speicherprobleme. Das Beste war, dass hinten am Tower ein Druckknopf saß, um den Prozessor herunterzutakten und zwar ungefähr von acht Mhz auf die Hälfte. Es hätte ja sein können, dass der PC zu schnell rechnete! Tatsächlich hatte z.B. Space Invaders keinen programmierten Taktgeber; die Freude, Aliens im FastForward-Modus zu bekämpfen, hielt sich mit Turbo in Grenzen.

Neben all den Spielen war es ein Programm, das es mir damals besonders angetan hatte. Es heißt Fractint und ist ein Fraktalegenerator.

Die Wikipedia gibt als Definition für das Fraktal an:

Fraktal ist ein von Benoît Mandelbrot (1975) geprägter Begriff (lat. fractus: gebrochen, von frangere: brechen, in Stücke zerbrechen), der natürliche oder künstliche Gebilde oder geometrische Muster bezeichnet, die einen hohen Grad von Skaleninvarianz bzw. Selbstähnlichkeit aufweisen.

Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Objekt aus mehreren verkleinerten Kopien seiner selbst besteht. Geometrische Objekte dieser Art unterscheiden sich in wesentlichen Aspekten von gewöhnlichen glatten Figuren.

Der Wikipedia-Eintrag ist es wert, ganz gelesen zu werden, und ich glaube, dass es überhaupt nicht schlimm ist, wenn man nur die Hälfte versteht. Auch für alle Nicht-Mathematiker haben Fraktale nämlich eine Eigenschaft zu bieten: sie sind wunderschön.

Nachdem ich meinen metallenen Freund per 5,25“-Diskette mit Fractint gefüttert hatte, war ich wild darauf, mein erstes eigenes Fraktal zu sehen. Das hat gedauert! Stundenlang brauchte mein Rechner dafür, das Fraktal zu berechnen, Stunden, während derer ich nichts anderes mit dem Computer anstellen konnte. Allerdings wurde meine Begeisterung mit jedem fertigen Fraktal größer. Ich fand das faszinierend, was sich da auf dem Bildschirm monochrom zeigte. Wilde Ordnung ungeordneter Symmetrie, perfekte Berechnung des scheinbaren Chaos, Abbildung der Mathematik der Natur, chaotische Formen, die sich stets selbst beherrschten und mit jedem Bild immer neu und einzigartig waren. Fantastisch! Irre! Kunst!

Tagelang rechnete und rechnete mein Rechner manchmal so vor sich hin. Während ich tagsüber in der Schule war, war nur der Bildschirm aus, damit sich halbfertige Fraktalmuster nicht in die Bildröhre fraßen. Auf dem Weg nach Hause war ich schon im Bus aufgeregt, wie das neue Fraktal wohl diesmal aussehen würde. Einmal hatte jemand nach tagelangem Rechnen ungefragt einfach den Powerknopf gedrückt. Der Rechner war aus. Ich habe gekocht. Das Schlimmste war nicht, dass ich wieder warten musste. Das Schlimmste war, dass ich dieses Fraktal nie würde sehen können.

Wie eine Schneeflocke, die vor dem Auftreffen am Boden schon in der Luft geschmolzen ist, endete eines der Fraktale ungesehen und ungeboren in den Tiefen der unergründlichen Welt von Einsen und Nullen, im Nichts der Leiterbahnen, Mikroprozessoren und Transistoren.

Ich denke, dass Fractint meinen ganz persönlichen Begriff von Kunst – fernab von Museen und Avantgarde – entscheidend geprägt hat. Ich glaube, dass Fraktale Kindern auch heute genauso fantastisch erscheinen können, wie mir früher. Vielleicht lässt sich die unendliche Welt der Mathematik und der Kunst auf so einfache Weise z.B. in der Schule den Kindern näher bringen, wie durch das gemeinsame Benutzen eines Fraktalegenerators: die unberechenbare Kunst der Berechnung als Projekt. Wie auch immer, ich habe mich an meine Fraktalzeit erinnert und unter Linux das tolle Fraqtive und Xaos entdeckt. Jedem, der die Möglichkeit hat, empfehle ich, mal ein eigenes Fraktal zu berechnen, ob Kind oder nicht. Fraktale haben bis heute von ihrer Faszination nichts verloren. Nur warten muss man nicht mehr so lange.

26 Kommentare

  1. 01

    Auf meinem Atari ST hatte ich damals auch mal Fraktale gebaut. Erst stundenlang das Programm-Listing aus der Computerzeitschrift abgetippt, dann nochmals weitere Stunden, manchmal über Nacht, gewartet bis das Bild berechnet war. Good Times…

  2. 02

    Und Jahre später hatte ich dann auf meinem MP3-Player mit Rockbox-Software ein kleines Fraktalberechungsprogramm, das Mandelbrotmengen innerhalb weniger Sekunden ausgerechnet hat. Und schon war das zwar ein nettes Gimmick, aber lange nicht so interessant und spannend, wie es für dich damals war.

    Das Warten hat einem die Schönheit dieser kleinen Gestalten erst richtig bewusst gemacht.

  3. 03
    bimbel

    Ich liebe Fraktale und kann nur Blatte’s Hintergründe empfehlen!

    http://exoteric.roach.org/bg/index.html

  4. 04

    Schöne Kindheitserinnerung. :)

    Das mit den Fraktalen lässt sich heutzutage, wo jeder von uns einen Superrechner im Wohnzimmer stehen hat, noch ein paar Stufen weiter treiben. Das verlinkte Video wurde mit dem Open-Source Projekt Mandelbulber gerendert. Die restlichen Videos im Channel sind ebenfalls alle sehenswert.

    Und, wer TED mag, dort hat vor kurzen Benoît Mandelbrot höchstpersönlich ein wenig über seine Fraktale (und das war er „Roughness“ nennt) geredet.

    Thank you very much, please excuse me for sitting I am very OLD.

    Sehr liebenswert, der alte Mann.

  5. 05
    JanM

    Blast from the past! ;) Was Fraktale angeht, ähnelt meine Geschichte sehr Deiner. Mein damaliger Mathelehrer (der sehr engagiert darin war, uns auch für nicht schulrelevante Aspekte der Mathematik zu begeistern) hatte mich damals mit Fractint bekannt gemacht, mit dem ich erst meinen ollen 286er (mit EGA-Grafik), später meinen 386DX25 tage- und nächtelang durchrechnen ließ. Ich erinnere mich noch genau an die durchscrollenden Namen im Anfangsbildschirm, den Spruch „don’t want money. have money. want admiration“ und die ewige Frage, wieviele Iterationen man rechnet, um die perfekte Balance zwischen Rechenzeit und Eyecandy-Faktor zu finden. Auch an den Versuch, als mathematisch mäßig begabter Unterstufler wenigstens ansatzweise anhand der simpleren Fraktale (Farnblätter, Sierpinski-Flocken…) dahinter zu kommen, wie das Zahlenwerk dahinter funktionierte.

    Und natürlich die mit Worten kaum zu beschreibende Extase, als ich zum ersten Mal das Color Cycling entdeckte (das seine visuelle Durchschlagskraft erst verlor, als ich mich später mit Grafikprogrammierung auseinandersetzte und rausfand, wie billig der Effekt zu machen ist – das dann dafür aber ziemlich schnell… ;)

    Danke für die Erinnerung!

  6. 06
    Fuzzy

    Auf dem C64 gabs mal in Fraktalprogramm, welches den Prozessor des Diskettenlaufwerkes (1541, etwa nochmal halb so gross wie der Brotkasten) als zweiten Kern nutzte. Auf dem Moni konnte man dann gemütlich zugucken, wie eine Zeile langsam wuchs, während die nächste dann plötzlich da war.

    Alleine auf die Idee zu kommen, den sonst brachliegenden Prozessor für sowas zu nutzen hat mich damals schon begeistert.

    Nebenbei war es schon eine gewaltige Erleichterung nichtmehr 30min sondern nurnoch 15min zu warten.

  7. 07
    timo

    Apophysis ist auch noch ein schöner Fraktalgenerator ;-)

    http://www.apophysis.org/

  8. 08

    Ich habe Fraktale erst von 2-3 Jahren entdeckt, bin sicher auch den einen oder anderen Monat jünger als du. Dennoch faszinieren sie mich und ich plane schon länger Fraktalposter selbst drucken zu lassen.

    Ein weiteres Fraktalprogramm nennt sich Fractalizer und findet sich hier:
    http://www.fractalizer.de/

    Deutlich schwieriger ist es, eigene Fraktale in 3D zu bauen. Ein erstes Hilfsmittel war für mich bisher „Quat“:
    http://www.physcip.uni-stuttgart.de/phy11733/index.html

    Danke fürs Bringen dieses Themas. Ich habe das Gefühl, dass es noch nicht genug Menschen bekannt ist. :)

  9. 09
    gisse

    Genau so war’s. :-D

  10. 10

    wann war das genau? weil deine namedroppings mich direkt an meinen favoriten erinnert haben. die lemmings. LOVE

    die kann man übrigens wieder auf jeder kiste zocken. gibts gratis im netz, mit hunderten von leveln. was habe ich das schlafen verschoben, um noch ein level zu packen. :D

    sorry, ist OT. fraktale waren nie so meins. ;)

  11. 11
    Felix Moniac

    Danke an alle für die interessanten Links!

    @#767116: Mandelbulber ist auf der Prioritätenliste für die Freizeit auf Platz 1! :-)

    @#767124: das war ganz am Ende der Achtziger, Anfang Neunziger. Die Lemminge habe ich auch geliebt, danke für den Hinweis darauf, ich werd’s direkt heute Nacht noch googeln. ;-)
    Es gab ja – ich glaube, dass es tatsächlich aufgrund dieses Spiels war – das Gerücht, dass reale Lemminge wirklich so „dumm“ seien. Das stimmt wohl aber nicht (?).

  12. 12
    AlexB

    @#767134:

    es gibt diesen irrglauben weil es mal in den 50ern eine disney (!) doku gab in der zu sehen war wie sich massenhaft lemminge von einer klippe stürzen. in der nachbetrachtung wurde klar, dass die armen viecher an der klippe in die enge getrieben wurden und es für sie keinen anderen ausweg mehr gab als nach unten.

    hier ist diese unsägliche „doku“ bei youtube:
    http://www.youtube.com/watch?v=xMZlr5Gf9yY

  13. 13
    Tim

    Ein Buch, das ich dazu empfehle:

    „Bausteine des Chaos. Fraktale“ von Heinz-Otto Peitgen, Hartmut Jürgens und Dietmar Saupe

    Peitgen war damals sowas wie der deutsche Fraktalpapst.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Heinz-Otto_Peitgen

  14. 14
    fgau

    erst habe ich den c64er gequaelt spaeter dann einen 286 SX16. es war genau so wie du geschrieben hast. danke fuer die erinnerung!

  15. 15
    Sprayblyck

    Wer was auf sich hielt hatte einen Amiga oder Atari, keinen IBM-PC!

    In meinem Freudneskreis sind alle mit Amiga oder Atari irgendwie Kreative geworden. Und die IBM-PC-Heinis sind alle Sparkassenangestellte oder Informatiker udn andere Langweiler geworden.

  16. 16

    ich hab auf einem atari lynx mandelbrote angeschaut… der brauchte auch stunden bis man was gesehen hat… die gute alte zeit ;-)

  17. 17

    Wir hatten damals nur eine monochrome Hercules-Karte. Aber trotzdem sahen die „Mandelbrotmengen“ traumhaft aus. Für Spiele wie „Larry Laffer“ und vorallem für „Space Quest“ wurde ein CGA-/EGA-Emulator eingeschaltet. Der teilte das Bildschirmbild in kleine Zeilen, dadurch wurden Farbabstufungen simuliert. Die fiesen Zeilen brannten sich nach 3 Stunden zocken in die Augen ein!

    Schöne Zeit. Danke.

  18. 18

    oohhh! jaaahhh! Fractint!!
    Was habe ich dieses Programm geliebt!
    Ich hatte das damals auf einem etwas schnelleren („IBM-kompatiblen“) Rechner laufen, 66 Mhz oder so, auch mit Turbotaste bis zum Anschlag reingedrückt ;) Und da lief es schon richtig flott.

    Stundelanges Reinzoomen in Mandelbrote und Julia-Mengen.
    Und das Beste war ja der Anaglyph-Modus, mit dem man auch noch tief in die Dinger reinschauen konnte. Das ist zwar mit den heutigen „echten“ 3D-Fraktalen nicht zu vergleichen, hat mich damals aber absolut geflasht!

  19. 19
    Matthias (the one and only)

    Ich darf zum Thema das Originale Buch von Benoit B. Mandelbrot empfehlen: „Die fraktale Geometrie der Natur“. Auch wenn man als Laie wahrscheinlich gut 3/4 nicht versteht, ist es schon alleine wegen der ästhetischen Illustrationen lohnenswert. Als Fachmann wird man nach der Lektüre mit anderen Augen durch die Welt gehen. Mandelbrots Genie infiziert einfach.

  20. 20
    bernd

    mehr mandelbrot und digitale kunst gibts hier: http://iin3d.wordpress.com/
    leider nicht mehr aktuell aber trotzdem schön

  21. 21
    Lars Thielen

    Übrigens hat sich der bekannte Komponist György Ligeti auch von der Fraktalgeometrie Mandelbrots inspirieren lassen.
    Mehr dazu: http://www.rolfwallin.org/Fractalarticle.html

  22. 22

    HÄ?

    Tschuldigung,
    aber der Begriff ‚Fraktalegenerator‘ assoziere ich mit Wacken.
    http://www.wacken.com

    Kann mich auch irren und ebenso verwirren lassen. Denk mal.

  23. 23
    Lars Thielen

    Ich habe noch ein Fraktalprogramm für Mac gefunden: http://endlos.sourceforge.net/

  24. 24
  25. 25

    Fraktale kann man selber mit Apophysis erstellen. Das ist recht einfach und macht eigentlich auch Spass. Auch in der Natur gibt es Fraktale, Blumenkohl wäre nur ein Beispiel.

    http://www.fraktale.7-gates.de/