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Bitte diesen Text nicht lesen, es wäre pure Zeitverschwendung

cube

Anfangs wirft man noch einen Blick auf die meist fremdsprachlichen Tageszeitungen, kann Boulevard und Qualität schon am Layout erkennen und meint, die Top-Meldungen anhand der Fotos und Überschriften zu verstehen. Falls Internet vorhanden ist, wirft man zunächst täglich, dann nur noch alle zwei Tage einen Blick auf die üblichen Nachrichtenquellen in der Heimatsprache. Und nach spätestens einer Woche lässt man es sein im Urlaub, in den Ferien, wenn die Zeit still steht und die Meldungen der Zeitungen grotesk fern von der gerade selbst erlebten Realität sind.

Natürlich ist diese Ausnahmerealität Selbstbetrug. Zuhause krankt das Wahlrecht und ich überlege, was ich heute Abend essen werde. Ihr denkt, es geht um einen Diktator, und ich denke, ich gehe heute früh schlafen. Während die einen die Schulnoten ihrer Kinder manipulieren, genieße ich es ein paar Wochen lang, meine Söhne nicht von ihren Zensuren manipuliert sehen zu müssen.

Arrogant und ignorant. Woanders sterben Menschen, und ich liege in der Sonne. Ich habe keine Ahnung, was gerade alles passiert, könnte an keinem Stammtisch mitreden, für das Netz der Links und Hinweise bin ich als Mitglied der Rüberschickeria wertlos.

Und trotzdem kommt in den Zeiten der selbstgewählten Nachrichtensperre bei mir auch immer der Moment, in dem ich mich frage, wie sinnvoll dieses News-Hopping überhaupt ist, auch außerhalb der seltenen Auszeiten. Als Dauerverbundene setzen wir uns im Netz per RSS, auf Twitter und Facebook im digitalen Alltag einem täglichen Bombardement von Links, Meldungen und Meinungen aus, fühlen uns informiert und modern, reagieren, analysieren und diskutieren, regen uns (oftmals auch auf) und übersehen dabei oft, wie wenig wir selbst zu melden haben.

Eigentlich sind Nachrichten nur eine Teilrealität, eigentlich inhaftieren sie uns manchmal mehr, als dass sie uns informieren. Eigentlich müsste man mehr Nachrichten machen, als sie zu konsumieren. Eigentlich ist es gar nicht so wichtig, schlau zu sein.

Dieser Text zerstört sich zwei Tage nach meiner Rückkehr selbst.

37 Kommentare

  1. 01
    emathion

    Ach schade,
    dass sich der Text zwei Tage nach Urlaubsende selber zerstört!

  2. 02
    Arne

    Manchmal analysieren wir zu wenig und diskutieren zu viel. Schöner Text zum Start in den Urlaub – Danke!

  3. 03

    Ich habe das mit den Nachrichten fast komplett abgeschafft mittlerweile. Mehr und mehr drängte sich mir die Überzeugung auf, dass Nachrichten fast keine wichtige Information mehr enthalten, sondern nur noch dazu gut sind, dass Menschen Smalltalk führen können oder sich über irgendwelche Dinge echauffieren. Daher lese und höre ich eigentlich nur noch, was mir aus meinem Netzwerk zugetragen wird. Teilweise ist das Twitter, manches per E-Mail, einiges „in echt“, und meistens sind es Dinge, die für mich persönlich direkt interessant sind oder die konkrete Aktionen ermöglichen oder erfordern (Petitionen, Demonstrationen, Canvassing und Co.).

    Je ne regrette rien.

  4. 04
    Y.

    Dänemark! Oder?

  5. 05

    Disfrutais los vacaciones con un poco de distancia a las cosas que pasan en Alemania!!! Con un poco distancia son las cosas algunas vezes mas claro. El ultimo dia de los vacaciones es muy cerca!!!!
    Los amigos de Canarias

  6. 06

    Lieber Johnny,
    lass den Text bitte stehen, es ist einer der besten in letzter Zeit finde ich. Auf jeden Fall einer der wahrsten. Ich würde nur zu gern tauschen, aber Ausbildung und Studium haben es mir seit 8 Jahren nicht mehr erlaubt, in Urlaub zu fahren. Statt dessen Computer hier und da und überall. Gut, ich habe mir das Informatik-Studium selbst ausgesucht, aber… ich würde gerade so ziemlich alles für Meer, Ruhe und 2 Wochen ohne irgendetwas im Hinterkopf geben. Und bitte keine Technik die moderner als ca. 1995 ist irgendwo in 2km Umkreis. Hach ja, das wär’s….

    Ich orakle einfach mal, dass das „abschalten“ in unserer jetzigen Gesellschaft und vor allem in der jetzt heranwachsenden sehr vernachlässigt werden wird. Finde ich schade, denn dadurch fehlt ein Perspektivwechsel, der oft dringend nötig ist ohne dass man es selbst merkt.

    Naja, ich bastel mal weiter an Animationen und Java-Komponenten. Man gönnt sich ja sonst nichts – sind schließlich Semesterferien.

    Meh.

  7. 07

    „News-Hoping“ ist wohl ein Freudscher Verschreiber, oder steh ich so komplett hinterm Berg, dass ich mal wieder nicht mitbekommen habe, dass „News-Hoping“ gerade der kommende Trend ist? ;-)

  8. 08

    Mit solchen Überschriften zieht man Leser an! ;)

  9. 09
    Nico

    Superguter Text. Schade, dass ich Nachrichten lesen muss. Wäre das nicht der Fall, ich würde nur noch Bücher, Filme und Serien schauen, aber dafür selbst Musik und Fotos machen. Yeah!

  10. 10

    @#807247: Yup.

    @#807263: Obwohl „News-Hoping“ auch schön ist, habe ich es korrigiert, danke. :)

  11. 11
  12. 12
    Exquisitor

    Zu viele Nachrichten, die von Außen auf einen einströmen, machen einen auch nur krank und depressiv. Fängt man an, über Wahlrecht und Co. zu diskutieren, ufern diese Themen sehr schnell so weit aus, dass man sich wie eine Ameise auf dem Mount Everest fühlt: Schwindelerregt aufgrund der massiven Diskussionsmasse, die sich unter einem aufgetürmt hat und wegzubrechen droht, falls jemand das wacklige Diskussionsgebilde mit gezielter Schärfe angreift.
    Damit das nicht passiert, muss man halt mal vom Berg herunter kommen und sei es nur, dass man ins flache Dänemark fährt.
    Was den, scheinbaren, Egoismus der Essenswahl statt der Lebensqual am Abend betrifft, so ist das durchaus nichts, wessen man sich schämen müsste, denn das eigene Wohl sollte über dem von anderen stehen, denn wer kann anderen helfen, wenn es ihm selbst nicht gut geht?
    Wenn die eigene kleine Welt in Ordnung ist, dann kann man einen Schritt weiter gehen und schauen, was man noch so alles verändern kann. Kleinvieh macht auch Mist. Komisch, dass wir das immer wieder vergessen und über die großen Dinge diskutieren müssen. Der Fluch der Allgemeinbildung? Verletzte Eitelkeit, wenn man irgendwo nicht mitdiskutieren kann? Muss man wirklich immer versuchen, die Lufthoheit über dem Stammtisch zu erringen?
    Ich befürchte ja, dass dieser Wahn in Zukunft nur noch größer werden wird. Die Anfänge dieser Entwicklung sehen wir ja schon, beschrieben als „Schwarmintelligenz“. Ein Schwarm, der kollektiv gesammeltes Wissen einsetzt, um immer größere Steine ins Rollen zu bringen. Dummerweise muss man aber auch, um sowas tun zu können, immer mehr Wissen (und damit Nachrichten) absorbieren, ach was, assimilieren. An sich nicht schlecht, wenn dies langsam geschieht aber der Zug fährt jetzt schon zu schnell und ich befürchte, wenn das Tempo weiter zunimmt, werden wir es bald mit einer Fülle neuer Krankheiten zu tun bekommen. Und leider auch mit immer mehr Menschen, die ihr quantitatives Wissen mit qualitativem verwechseln werden und immer weniger diskussionsbereit sind, weil sie denken, sie wüssten schon alles.

    Die Mediengleichschaltung hat ja schon heute ein erschreckendes Ausmaß angenommen…da werden Nachrichten ungeprüft übernommen und verbreitet. „Recherchieren? Wozu? Wir stützen uns auf die Meinung des Schwarms, denn einer von denen hat mit Sicherheit im Netz recherchiert. Und sei es nur, dass jemand Wikipedia angeklickt hat. Was da drinnen steht, muss ja richtig sein, denn sonst wäre es bereits korrigiert worden. Die Quellen brauche ich mir auch nicht anzusehen, denn die sind ja im Text zusammengefasst.“ So weit sind wir schon. In Zukunft wird es schlimmer werden.
    Dann doch besser eigene Nachrichten machen. Eigene Dinge erleben. Ein eigenes Leben leben. Dann weiß man wenigstens, dass alles stimmt. Und sollte man tatsächlich mal Berühmtheit erlangen, so wäre es besser, den Wikipedia-Eintrag über die eigene Person selbst zu verfassen, denn dann stimmt es wenigstens wirklich.
    Nun ist mein Text auch ausgeufert, aber darüber mache ich mir keine Sorgen, denn ich werde gleich ins Bett gehen, abschalten und mich morgen wieder ganz meiner kleinen Welt widmen…und zur Not Urlaub von der Nachrichtenwelt nehmen.

  13. 13

    @#807293: Danke! Spannendes PDF – und es freut mich natürlich, dass einer der ersten Sätze (News sind nicht die Realität) dort wie hier auftaucht.

  14. 14

    Ich lese zusehends wieder Zeitung, zum einen weil ich es aus früheren Nichtdigitalen Zeiten her noch kenne und zum anderen, weil die Nachrichten natürgemäß redundant sind, zumeist auf schnellen Lesekonsum ausgerichtet sind und die Validität mancher Aussagen nicht immer gegeben ist.
    Außerdem sind Nachrichten auch immer prima geeignet, die eigene Ohnmacht den Weltgeschehnisses gegenüber trefflich zu steigern.

    Wir ziehen im übrigen demnächst von der Stadt aufs Land, der Ruhe wegen. Zwar mit DSL, aber eben auch mit Wiese, Feldern, Stille und selber mal Klappe halten.

    P.S. Viel Spass und Erholung im Dänemark Urlaub

  15. 15

    Bitte nicht RSS in einem Satz mit Twitter und Facebook nennen. RSS ist toll und hat zwar eine chronologische Struktur, aber nicht zwangsläufig News-Charakter, wenn man es entsprechend füllt bzw. abonniert.

  16. 16

    Genau das denke ich auch manchmal. Einfach weniger informieren, weniger grübeln, sich runterziehen lassen, sondern einfach mehr machen. In seinem eigenen Wirkungskreis.
    Die Meta-Überschrift ist übrigens spitze.

  17. 17
    Sabine

    Das Foto ist toll, was + wo ist denn das?

  18. 18

    Danke an alle für die netten Worte und Zusatzgedanken, egal, in welche Richtung.

    @#807334: Das ist hier, im tollsten Naturwissenschaftspark, den ich kenne.

  19. 19
    Andreas Weck

    Joahr ist schon irgendwie was Wahres dran. Aber es ist auch einfach die Sommerloch-Nostalgie würde ich mal behaupten. In ein paar Monaten, wenn es regnet und schneit, sitzen wir wieder da und lesen und grübeln, entdecken und kommentieren, schlaumeiern rum und freuen uns über das Echtzeit-Web mit allem pi pa po… Der Text sollte sich dann vielleicht wirklich in ein paar Tagen selbst zerstören. Ansonsten wird er vielleicht gegen dich/mich/euch verwendet… ;)

    Ich genieße mein Elb(Tunnel)blick weiter… habt Ihr schon von Facebooks Aktienkurs gehört? Nichts zum angeben, aber die Totalkatastrophe blieb aus. Na immerhin.

  20. 20
    Elblette

    @#807344: Der gute alte Blue Cube! Ich brech ab! Am Danfoss Universe habe ich drei Jahre lang mitgearbeitet. *Freu*

  21. 21

    @#807378: Echt? Wie cool, was haste denn da gemacht? Wir waren zum dritten Mal da, ist schon wirklich gut gemacht.

  22. 22
    Elblette

    @#807391: Ich war schon lange nicht mehr da, die haben inzwischen ziemlich viel dazu gebaut, aber ich hab die ursprünglichen Ausstellungstexte geschrieben, beim Konzept mitgearbeitet (besonders das Explorama ist mein Baby), Exponate entwickelt, einen Mammutzahn besorgt… was inhaltlich so anfällt. Der Mammutzahn hat sich leider damals im Gletscher aufgelöst, danach wurde ein künstlicher hergestellt.

  23. 23

    @#807392: Toll. :) Hat sich auf alle Fälle gelohnt, die Arbeit, auch wenn sich natürlich viel verändert (war das letzte Mal vor vier Jahren da und jetzt wieder), spürt man immer, dass da eine Menge Leidenschaft drin steckt. Macht echt Spaß.

  24. 24

    Habe nichts besseres zu sagen als siehe Link:

    http://www.youtube.com/watch?v=oIwLS3VogMI

    noch infantiler

    http://www.youtube.com/watch?v=9ayD3hqpHII

    Schöne Ferien Euch allen.

  25. 25
    Stephan (Der Echte)

    Realität ist nur die Seifenblase unserer Einbildung in der wir leben. Heißt im Umkehrschluss, wir bestimmen unsere Wirklichkeit: Die Wirklichkeit unserer Nachrichten hab ich mir längst abgewöhnt und Fefe les ich, wie einen absurden Fortsetzungsroman. Was ist eigentlich dieses SpOn?! Andererseits: Who cares?

  26. 26
    flubutjan

    Alles ist gut.

  27. 27

    Schöner Artikel, in der Zwischenzeit eigene Nachrichten gemacht? (Und: wie groß müssen diese sein?)

  28. 28

    Spätestens wenn wir aus dem Urlaub zurück in der Bananenrepublik sind, holt uns doch die Realität wieder ein.

  29. 29

    ich erinnere mich böse daran das ich mal in einer Bettenburg Urlaub machte und es im Keller 4 riesige TV-Säle gab, für die Deutschen, Engländer, Spanier und Franzosen. eigentlich absurd.

  30. 30

    @#807580: Habe letztens gesehen, dass man in einem amerikanischen Hotel in einem Sarg übernachten kann. Gruselig. Soweit kommts noch. (Tja, irgendwann ja dann schon.)

  31. 31
    Andre

    Da zeigt man mal wieder, was überschriften bewirken können *g*

  32. 32

    @#807581: na ja, die weitaus meisten Menschen sterben im Bett. Und trotzdem findet es kaum einer gruselig in einem Bett zu schlafen…

  33. 33

    @#807583: Wenn du auf dem Boden schläftst, glaubst du dann, dass du später stirbst?

  34. 34

    Ja, der Informationsnebel, der sich über die vielen Seiten und Seitenblätter-Stunden legt.
    Selbstbeschränkung, Reduktion ist gut für einen klaren Kopf!

  35. 35
    Gustav mit der Hupe

    „Rüberschickeria“ …danke für dieses Wort

  36. 36

    Fantastische Überschrift.. sowas zieht immer!