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Don Letts: „If every generation really learned from the one before, we‘d be gods by now“ – Ein Gespräch über Trojan Records und vieles mehr

Don Letts ist einer meiner großen kulturellen Helden. Der 1956 in London geborene Sohn jamaikanischer Einwanderer wurde Mitte der Siebziger wichtiger Teil der Punkszene Englands, brachte den Reggae zu den Punks und den Punk zu Bob Marley (die Freundschaft der beiden resultierte in „Punky Reggae Party“), und er entwickelte aus der Energie der damaligen Mode- und Musikszene sein eigenes Schaffen.

Letts arbeitet als DJ, Musiker, Radio- und Podcast-Moderator, in erster Linie aber als Filmemacher. Unzählige Musikvideos gehen auf seine Kappe (darunter der legendäre Clip zu „London Calling“ von The Clash) und seine Filmografie beinhaltet insbesondere Dokumentationen britischer Subkultur. Für seine Clash-Doku „Westway to the World“ wurde er mit einem Grammy ausgezeichnet.

Zudem ist Don Letts auf dem Cover der Clash-EP „Blackmarket Clash“ zu sehen: Er, ein einsamer Demonstrant, sieht sich darauf einer Phalanx englischer Polizisten gegenüber, das Bild ist auf zwei Farben reduziert, die Typografie orientiert sich an den Plakaten von Western-Filmen.

„Man sieht auf diesem Bild natürlich nur die Hälfte der Geschichte“, erzählt Letts. „Es sieht aus, als würde ich mich da ganz alleine heldenhaft gegen die Polizei stellen. Was man nicht sieht: Hinter mir standen jede Menge Demonstranten, die nur darauf warteten, die Cops anzugreifen! Ich hingegen suchte einen Ausweg und flüchtete direkt nach dem Foto.“

Nach dem Rausschmiss von Mick Jones bei The Clash wurde Don Letts 1984 Mitglied von Jones‘ neuer Band Big Audio Dynamite — „If Mick called me today to reform Big Audio Dynamite, I’d do it tomorrow! But he doesn’t have to do it, he’s too rich“, sagt Letts im Interview. Und: „There wasn’t a lot of bread, but there was a lot of cred.“

1991 konnte ich Don Letts‘ mit seiner neuen Band Screaming Target (benannt nach einem Album von Big Youth) treffen, die Band war zu Gast in meiner Radiosendung. Nach der Show wollten wir ein paar Berliner Clubs besuchen, doch an einem Dienstag war alles geschlossen. Als wir am Potsdamer Platz, kurz nach Mauerfall noch größtenteils brachliegendes Niemandsland, ein Taxi anhalten wollten, fuhren alle freien Wagen an uns vorbei.

„Alter, du stehst hier mit zwei Schwarzen mit Dreadlocks bis zum Boden, du wirst niemals ein Taxi bekommen“, lachte Letts mich damals aus. „Blödsinn“, versicherte ich ihm, „Berlin ist keine rassistische Stadt, wir bekommen gleich einen Wagen.“ Doch weiterhin hielt niemand an. Bis die Jungs vom Straßenrand weg in den Schatten hinter mir traten. Das erste Taxi, das ich allein heranwinkte, hielt sofort an.

Ich schämte mich in Grund und Boden für meine Stadt, die sich so gerne weltoffen und tolerant zeigt. Als ich Don Letts die Geschichte 27 Jahre später zu Beginn unseres Interviews erzähle („1991? Haha! Ich bin 64, ich kann mich nicht einmal an letzte Woche erinnern!“), beruhigt er mich. Kein Grund, sich zu schämen, meint er. So war das damals überall. Für mich macht es das nicht besser.

Don Letts ist auf Interview-Reise, er bewirbt das neue Boxset zum 50. Geburtstag des Kult-Labels Trojan Records. Der Guardian schreibt über „This is Trojan 50!“:

This box set (…) tells the wide-ranging, sometimes bonkers, always exciting story of a record label that played a huge part in announcing a black presence in Britain, and in doing so changed the nation forever.

Im Gespräch sieht Don Letts das genauso, und er muss es wissen, denn er war mittendrin dabei: „It was Trojan’s music that united black and white youths. On the playgrounds, on the streets and on the dance floor.“

Wir reden über Trojans Einfluss auf die britische Jugend, auf Don Letts. Darüber, wie ihn der durch Trojan gestartete Erfolg von Reggae in England plötzlich zu etwas Besonderem machte. Er war nicht mehr der Außenseiter, sondern man wollte mit ihm zu tun haben, von ihm mehr über diese Musik erfahren. Und auch, wie man sich dazu kleidete. Es gab nun etwas, auf das Letts als schwarzer Engländer mit jamaikanischen Eltern stolz sein konnte. „It’s understanding our differences that brings us closer together. Not us trying to be the same.“

Natürlich sprechen wir beim Thema Trojan auch über das Zusammentreffen von Punk und Reggae Ende der 70er in England. Während es viele Punkbands gab, die Reggae-Einflüsse hören ließen, gab es nicht so viele Reggae-Bands, die sich musikalisch vom Punk inspirieren ließen, merke ich an. Letts stimmt zu: „It wasn’t so much a meeting of music, it was a meeting of minds. There were certain things that punks liked about reggae. They liked that it was anti-establishment, obviously. They liked the bass lines. They liked the musical revoltage quality of the lyrics. And obviously they liked the weed. The reggae people liked the exposure they got from the punks. Once they got that, they could take it from there.“

Die damalige Allianz schwarzer und weißer Jugendlicher und Musikerinnen brachte auch eine Politisierung mit sich, die sich nicht nur in „Rock against Racism“-Festivals zeigte. Und heute? Alles noch schlimmer als damals. Trump. Brexit. Rechtsruck überall. Der Windrush-Skandal. Wieso sind wir gescheitert, was haben wir als Gesellschaft falsch gemacht?

Don Letts verlässt wie so oft im Verlauf des Gesprächs seinen Sitzplatz mir gegenüber und läuft gestikulierend durch den Raum, das Aufnahmegerät hat Mühe, noch mitzukommen.

Es ist ein sehr langwieriger Prozess, sagt er. Und er werde es wohl nicht mehr erleben, dass sich die Dinge zum wirklich Besseren wenden. Und dennoch kann er nicht anders, als daran zu arbeiten, vielleicht hier und da ein paar Menschen positiv zu beeinflussen. Mehr könne man nicht tun. „I’m just happy to be part of the process.“

Und dann kommt einer dieser Sätze, die eigentlich in einen Song gehören: „If every generation really did learn from the one before, we‘d be gods by now.“

Dann wird es wieder pragmatisch. „The whole multicultural thing in England is a bit of a lie. It does exist, and where it does exist, it’s beautiful. In places like London, Bristol, Manchester Liverpool. But in the rest of England, to be quite honest with you, it might as well be the 1950s. If the rest of England was like London, Brexit would not have happened. But it’s not.“

Wir reden übers Vatersein (Letts hat fünf Kinder), über die Gorillaz, über Hiphop („Nowadays it’s more like Hippop“), über das Internet („The internet kind of killed the mystery of the planet„) und über Technologie im Allgemeinen: „Technology has evolved faster than people have. Social Media is not a problem. People are a fucking problem. Technology is great, people are shit. Technology … We don’t deserve this shit.“

Am Ende des Gesprächs konfrontiert mich Don Letts mit seinem neuen Lieblingsthema Afrofuturismus, über das er seinen nächsten Film drehen will. Ich muss mich als (damals noch) unbelesen outen, er rät mir, zu googeln. Und das solltet ihr auch tun. Nachdem ihr euch das ganze Gespräch angehört habt:

3 Kommentare

  1. 01

    Weiss nicht ob das eventuell geoblocked ist, aber wenn nicht muesstet ihr seine show auf BBC Radio 6 Music hoeren koennen, jeden Sonntag um 22:00 (bzw 23:00 fuer Euch da drueben):
    https://www.bbc.co.uk/programmes/b0072pzt

  2. 02

    @#2110503: Ah, cool, danke für die Ergänzung! Läuft auch hier, aber ansonsten geht’s mit VPN.

  3. 03
    Christian

    Danke füt den schönen Artikel. Toll ist auch der Podcast bei iTunes „Don Letts & Turtle Bay“! https://itunes.apple.com/gb/podcast/don-letts-and-turtle-bay-present-reggae-45/id1260517889