Bild: ibjorn
Im Gegensatz zu mir ist meine Lieblingslektorin eine echte Heidin. Während ich – angeblich, um meinen kommunistischen (!) Großvater zufriedenzustellen, in Wirklichkeit aber, weil in meiner Mutter sich immer mal wieder ein dunkler Hang zum Aberglauben durchsetzte – getauft wurde, blieb sie vom segnenden Wasser verschont. Auch bei der Konfirmation war sie nicht.
Trotzdem muss sie jetzt aus der Kirche austreten. Aber der Reihe nach.
In der vergangenen Woche ging ein Brief der Evangelischen Kirchengemeinde Heilig Kreuz – Passion ein. „Kirchenspam“, dachte ich, öffnete aber trotzdem den Umschlag.
Sehr geehrte Damen und Herren,
auch in diesem Jahr möchten wir Ihnen schreiben.
Wir freuen uns, dass Sie Mitglied der Kirchengemeinde sind und wir in dieser Solidargemeinschaft viel füreinander bewegen können und unter uns das Reden über Gott wachgehalten wird.
„Weib, schau jetzt bitte nicht auf die untergehende Stadt hinter dir sondern sage mir: Seit wann bist du Mitglied der Evangelischen Kirchengemeinde Heilig Kreuz – Passion?“
„Bin ich nicht“, sagte die zur Salzsäule (als Kind verstand ich immer Salzsäure) erstarrte Lieblingslektorin.
„Dann schreib´, Weib, der Kirchengemeinde Heilig Kreuz – Passion eine E-Mail, sonst dräut bürokratisches Ungemach und Steuernachzahlungen bis ins Jenseits.“
So schrieb sie denn einige Zeilen an die Evangelische Kirchengemeinde Heilig Kreuz – Passion, um das Missverständnis aus der diesseitigen Welt zu schaffen.
Die Kirchengemeinde Heilig Kreuz – Passion antwortete nicht.
Daraufhin versuchte das Lieblingsweib, in den Ämtern Antworten zu finden, nachdem sie zunächst einige Dornbüsche gefragt hatte, die aber nur verständnislos zurückstarrten und weiter vor sich hin dornten.
Da es hier nicht um Warteschleifen geht, tue ich so, als hätte das Lieblingsweib recht bald einen kompetenten Gesprächspartner in der Leitung gehabt.
Kompetenter Gesprächspartner: „Vielleicht ist ja Ihre Mutter evangelisch.“
Lieblingsweib: „Ist sie nicht.“
Kompetenter Gesprächspartner: „Oder sie war es mal?“
Lieblingsweib: „Aber ich bin doch gar keine Jüdin. Um Christin zu sein, müsste ich doch getauft worden sein.“
Kompetenter Gesprächspartner: „Ich verbinde Sie weiter.“
Noch kompetenterer Gesprächspartner: „Ja bitte?“
Das Lieblingsweib erläutert den Sachverhalt, woraufhin der kompetentere Gesprächspartner sie weiterverbindet. Vom noch kompetenteren Gesprächspartner erfährt sie dann, sie könne ruhig in der nächsten Woche noch einmal anrufen.
Um das Ganze jetzt nicht bis zum Jüngsten Gericht auszudehnen: Standpunkt der Ämter ist, dass das Lieblingsweib in einem Anfall geistiger Umnachtung im Einwohnermeldeamt von Kreuzberg zum evangelischen Glauben bekehrt wurde, zumindest aber gesagt hat, sie sei evangelisch. Wenn man dadurch evangelisch werden kann, dass man im Einwohnermeldeamt von Kreuzberg behauptet, evangelisch zu sein (was sie natürlich nie getan hat, ich war dabei), heißt das aber selbstverständlich nicht, dass man aufhört, evangelisch zu sein, wenn man gegenüber dem Einwohnermeldeamt von Kreuzberg widerruft. Wo kämen wir denn da hin?
Nein, das Lieblingsweib muss jetzt ganz offiziell aus der Evangelischen Kirche austreten. Dazu muss es zum Amtsgericht Tempelhof reisen und sich schätzen lassen. Vielleicht kommt es ja während der Reise in einem Stall nieder. Angesichts des streng atheistischen Weltbildes des Lieblingsweibes ist dieser ganze Vorgang so, als bekomme der Papst einen Brief des Kreuzberger Swingerclubs Zwanglos III, der darauf beharrt, der Papst habe im Einwohnermeldeamt von Kreuzberg eingeräumt, leidenschaftlich Geschlechtspartner zu wechseln. Wenn der Papst zum Amtsgericht Tempelhof reisen müsste, um aus dem Swingerclub Zwanglos III auszutreten, dann würde man zurecht sagen: Aber das ist doch albern.
Verdammt, das ist es.
Aber wenigstens weiß ich jetzt, was Luther meinte, als er sagte: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Irgendjemand hatte ein Formular ausgefüllt und auf einmal war er evangelisch.
Übrigens steht nicht fest, ob das Lieblingsweib austreten kann. „Denn“, so bemerkte einer der zahlreichen kompetenten Gesprächspartner scharfsinnig, „Sie werden ja nirgendwo sonst als evangelisch geführt. Das könnte ein Problem werden.“
Ich wollte mich ursprünglich lobend über die Evangelische Kirche äußern, weil sie sich in der vergangenen Woche so deutlich gegen die Kriegsbeteiligung der Bundesrepublik ausgesprochen hat. Sie hat das nicht in Nazisprache getan und blieb daher unbeachtet. Aber ich habe es gemerkt und ich finde es gut.
lol, so etwas aehnliches ist mir auch passiert. obwohl ich katholisch getauft bin: auf der steuerkarte tauchte „ev.“ auf.
ist wohl so ne art voreinstellung, die man eigens customizen muss.
warum denn nicht wenigstens „jedi“?
Evangelisch ist jetzt default?
Gibt es da eigentlich eine Beweislastumkehr?
Ich meine, müssten die nicht nachweisen, dass man Mitglied ist?
Kommt stark darauf an, in welchem Landstrich von D. man wohnt. In Fulda beispielsweise ist kath. default und u.U. auch der einzige Button.
ich brech nieder beim mich wegschmeißen….*tränenlach*, es ist halt gar nicht so leicht den lieben gott einen guten mann sein zu laßen. berichte uns ob und wie sie weiter dran glauben muß.
in köpenick haben die mit so was erfahrung vielleicht können die euch ja helfen beim ordnungsgemäßen erwerb eines A 38.
Kommt mir vertraut vor. Beim Umzug von Stadt A (eingetragen als konfessionslos) nach Stadt B beharrte man dort stur drauf daß ich schon seit Jahren katholisch sei, weswegen man mich, und an dieser Stelle wurde das amtliche Schreiben besonders unterhaltsam, nun als evangelisch (!) führe. Lustig war’s….
Das ist doch sicher wieder diese jesuitische Weltverschwörung. Ganz bestimmt.
Was ich jetzt noch nicht so richtig verstanden habe: Ihr habt jetzt herausgefunden, dass die Lieblingslektorin im Einwohnermeldeamt als ev. gemeldet ist? Oder? Hat Sie es eigentlich schon mal beim Pfarramt Heilig Kreuz Passion selbst probiert? By the way: Das klingt für mich total katholisch. Ihr seid sicher, dass das kein Prank der Aktionsgemeinschaft „Atheisten – lacht doch mal!“ ist?
Amüsant.
Das wäre dann wohl mal wieder eim Artikel für die Schublade „Ämter – Menschen – Abenteuer“
@ Frau Doktor
das war ja der erste schritt: die e-mail
Meine bescheidene Meinung zu dem Vorfall ist:
Wenn die Lektorin zum 01.11.2007 beantragt aus der evangelischen Kirche auszutreten, gibt Sie implizit zu, bis dato Mitglied bei dieser gewesen zu sein und somit bis eben dato kirchensteuerpflichtig.
Statt darauf zu beharren, dass das Einwohnermeldeamt einen falschen rechtwidrigen Verwaltungsakt begangen hat, den dieses wieder (ungern) rückgängig machen muss, wird der Fehler rückwirkend „sich zu eigen (Lektorin)“ gemacht.
Die genauen Verjährungsfristen für Steuerschulden kenn ich nicht.
Ich würd mich auf drei Jahre Nachzahlung einstellen.
Gibt´s in Kreuzberg keinen Liebling?
Kann man nicht erklären, dass man keinen Vertrag abgeschl- ähh nicht evangelisch ist, aber hilfsweise Austritt? So hab ich mal meine Oma vor einem Zeitschriftenabo gerettet..
Missionare in den Ämtern?! Ich dachte in deutschland ist Staat und Religion getrennt.
ja, das ist logisch richtig. sonst eigentlich auch.
Was ist das eigentlich mit dem Finanzamt Kreuzberg?
Meine Bemühungen, dort davon zu überzeugen, mit Katholizismus nix am Hut zu haben sind auch erst kürzlich zum dritten Mal gescheitert. Die Zeugen Jehovas retouren auch regelmässig an meine Haustür – anscheined, weil ich immer so freundlich den Summer betätige (dabei warte ich doch nur auf Post).
Ist da eine neue Präsenzoffensive der Kirchen im Anrollen?
Mir ist ähnliches widerfahren. Nach 15 Jahren wurde aus heiterem Himmel mein Kirchenaustritt infrage gestellt. Ich müsse nachweisen, daß ich wirklich ausgetreten bin. Eigentlich kein Problem – nur leider waren die Unterlagen nicht mehr auffindbar. Bei mir wegen eines Wasserschadens und bei Kirche und Standesamt wegen… tja?
Der ganze nerv ging vom Finanzamt aus. Passt da bloß auf. Das ganze wurde ein wochenlanger häßlicher Kampf, bei dem man den Glauben an Rechtsstaat und Grundgesetz verlieren kann (Religionsfreiheit? Beweislast?).
Das Problem hat sich erledigt nachdem ich dem Standesamt sehr deutlich gemacht habe daß ich a.) nicht aus der Kirche austreten kann, da ich ja kein Mitglied bin, aber dafür b.) eine Klage wegen Amtspflichverletzung und Schadenersatz erwäge, wenn aufgrund dieser Schlamperei eine Steuernachzahlung auf mich zukäme.
Das hat gewirkt und man fand meine Kirchenaustrittsbescheinigung. Sie hatte 15 Jahre lang hinter dem Aktenschrank gelegen…
Scheint in Berlin so ein Problem zu sein
Eidesstaatliche Versicherung, der Kirche nie angehört zu haben?
Als ebenfalls nie Getaufter beunruhigt mich das ja schon ein bißchen, im Zweifelsfall keine Austrittsbescheinigung parat zu haben …
In Berlin gibt es ja sicher viele Atheisten. Möglicherweise haben auch einige evangelische oder katholische Zugegezogene bei der Ummeldung ihre Konfessionszugehörigkeit verbummelt oder absichtlich verschwiegen (vielleicht eine Art „Kirchenaustritt light“?)
Da auch die Kirchen lieber sexy als arm wie ihre Mäuse sein wollen, werden vielleicht im Einwohnermeldeamt die Listen gewühlt und im Zweifelsfall werden halt auch Ungetaufte und Ausgetretene zwangseingemeindet.
Katholisch wider Willen war Anfang letzten Jahres ein Thema in den Berliner Medien…
ergänzend noch ein älterer artikel vom hauptstadtblog zum thema „enttaufung“.
@11 Malte: Ne, ich meinte so direkt persönlich – telefonisch oder gar face to face. Denn: Auch wenn die evangelische Kirche sich gerne sehr modernistisch gibt, sind die einzelnen Pfarrein noch nicht so richtig im Zeitalter elektronischer Kommunikation angekommen, außer es gibt eine/n Pfarrer/in, die sich dafür begeistert. Meistens sitzt am Rechner eine patente, freundliche, nicht mehr ganz junge Halbtagskraft zwischen 50 und 60, die genug damit zu tun hat, den ganzen Verwaltungskram für die Kinder- und Jugengruppen, den Frauen-Kreis, den Gemeinderat, die ganzen Ehrenamtlichen abzuwickeln. Und dann muss sie die schusselige Pfarrerin auch noch dran erinnern, dass morgen Frau X 75 wird und besucht werden sollte, in der Grundschule ein Kindergottesdienst ansteht und für den Martinsritt noch Freiwillige gesucht werden. In die Mailbox schaut die als allerletztes, wenn sie überhaupt weiß, wie sie da dran kommt. Schaut man aber bei ihr in persona vorbei, dann ist sie super nett (zumindest hier in Stuttgart)und setzt alle Hebel in Bewegung, um das Problem zu lösen. So jedenfalls meine Erfahrung – wobei unser Anliegen etwas anders gelagert war. Und keine Angst: Durch das Übeschreiten einer kirchlichen / gemeindlichen Schwelle findet keine automatische Bekehrung statt.
Heute wär‘ aber schlecht, weil wir Evangelen gerade unseren konfessionellen Geburtstag feiern. Heute vor 490 Jahren hat Martin Luther seine 95 Thesen gepostet. Vermutlich hat er nicht damit gerechnet, dass der enstehende Diskussionsthread gleich die Weltgeschichte umkrempelt.
Puh, da bin ich aber froh, dass das bei mir so glimpflich abging damals, als ich mal wieder nach einigen Jahren Abwesenheit nach Berlin zurückkehrte. Ich bekam einen Fagebogen, der sich darum drehte, wann ich wo getauft und aus einer Kirche ausgetreten sei. Keine einzige Frage war für mich relevant, also schrieb ich einfach unten drunter: Ich bin nie ausgetreten weil nie getauft. Dann schickte ich den Zettel an das Finanzamt und hatte meine Ruhe.
Nicht evangelisch zu sein, bedeutet NICHT automatisch Heidin zu sein.
Das sollte hier noch einmal hervorgehoben werden.
Das Heidentum ist eine eigene Religion.
Keiner-Religion-Zugehörige sind Atheisten, eventuell auch mal Heiden, muß aber nicht sein…
(Vorab: Heute ist sinnigerweise Reformationstag.)
Oh Gott, das ist meine Thema, denn bei mir ist alles noch etwas unangenehmer: Kathodisch!
Immer, wenn man irgendwo Mitglied wird, muß man zuvor eine Unterschrift leisten, die AGBs zur Kenntnis nehmen, kreditwürdig sein, ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, mündig, volljährig, zurechnungsfähig, usw. sein.
Nur wenn es um so eine fundamentale Sache wie „Glauben“ oder eben nicht geht, ist man ohne das geringste Zutun Zwangsmitglied. Zu einem Zeitpunkt, als ich noch gar kein Bewußtsein hatte oder mich adäquat (ich habe nur geschrien) wehren konnte, kommt ein Mann in bunten Kleidern, gießt mir Wasser über den Kopf und sagt einen Zauberspruch – schwupps, schon hatte ich eine Überzeugung kleben.
„Tritt doch aus!“ Ja, damit würde ich aber anerkennen, da vorher Vereinsmitglied gewesen zu sein. Vielen macht das ja auch nichts und treten aus. Deshalb kostet’s Eintreten nix, aber’s Austreten inzwischen 30 Euro – so als kleine kleine Hemmschwelle oder Strafe für die Fahnenflucht aus der Karteileichengruft. Wann kommt endlich die Beweislastumkehr für Ungläubige.
Naja: „Weihwasser imprägniert, das kriegense nie wieder ab.“ (Matthias Deutschmann)
Füher oder später wird das deutsche Christen-Register an die GEZ übergeben – die wissen, wie man die Schäfchen zusammenhält und die Herde vergrößert.
A(r)men!
P.S.: Finde meinen Kriegsdienstverweigerungsbescheid nicht mehr, muß ich bald nach Afghanistan?
immer schön die kirche im dorf (zurück)lassen…
geht (nachweislich) nicht immer gut…
http://www.fr-online.de/_inc/_multifunktion/?em_client=fr&em_art=galery&em_cnt=1234930
(zombies erwischen einen ja auch immer, obwohl sie so langsam sind)
Ich verstehe das Problem nicht ganz: Entweder es steht auf der Lohnsteuerkarte die Religion und man zahlt deswegen Steuern, oder aber es steht keine drauf und man zahlt keine Steuern. Setzt natürlich vorraus dass man eine Lohnsteuerkarte hat.
Wenn auf der Lohnsteuerkarte eine Religion eingetragen ist, ist es sozusagen offiziell, ob man einen Brief von der Kirchengemeinde bekommt oder nicht – die können einem doch nix.
Als Beweismittel müsste also die Lohnsteuerkarte oder, falls getan, die Steuererklärung reichen.
Der Verwaltungsrechtsweg erscheint mir erfolgversprechender (und unterhaltsamer).
Zu diesem Thema habe ich eine ganze Studie ausgearbeitet: „Zur Taufe. Was Praxis und Paragraphen predigen. Von Taufsplitting, Kircheneintirtt und mehr Mut.“ Unter Nummer 1.20 im Internet: http://www.jahu.info/maerk