19

Maltag

Wieder Frühling. Sonne schön, Luft schön, Blumen schön, Bäume schön, und die Hunde sind auch ne Spur ralliger als sonst. So war das früher: Frühling gleich Natur. Wiedererwachen. Vögelgezwitscher. Und so. Das hat sich, seit der Mensch sich mit Häusern und Pflastersteinen statt mit Bäumen und Wiesen umgibt, grundlegend geändert, und seither erkennt man den Frühling an anderen Dingen: aufgeregte Familienväter rennen, hysterisch die Arme schwenkend, in den Baumarkt, um literweise Farbe auf ihre winterweißen Schultern zu laden und liedchenpfeifenderweise nach Hause zu schlendern; Span- und Rigipsplatten finden reißenden Absatz; und die ansonsten doch recht lärmempfindlichen Nachbarn haben sich die dickste Schleifmaschine zugelegt (Modell Scooter) und versuchen, qua Schallwellen den vier Kilometer entfernten Fernsehturm zum Einsturz zu bringen.

Die Straße hüllt sich in den Staub abgeschliffener Türen, Fußleisten und Badwannenpatina, tragende Wände werden eingerissen und Häuser versinken im Schutt: Es ist Frühling in der Stadt, und da es hier keine Natur gibt, die sich selbst erneuert, spielt der Mensch (ganz so, wie er es für sich vorgesehen hat) Gott und erneuert seine Umgebung. Er renoviert.

Ich nicht. Nie wieder. Mit dem Renovieren ist es wie mit dem Geboren werden: einmal reicht. Das erste und letzte Mal vor fünf Jahren. Der Umzug an sich hätte schon gereicht: vierter Stock Hinterhaus, dritter Stock Vorderhaus, ein Literaturstudent, ein DJ und eine Geologin, das heißt: Bücher, Platten und Steine, bis die Mietwagen-Achse bricht; Rückgrat geht anders.

Man lernt seine Mitbewohner ja erst viel zu spät richtig kennen, nämlich dann, wenn es heißt, die alte Wohnung zu renovieren. Zum Beispiel Angela, die ehemalige Mitbewohnerin, und ihren treuen Freund Markus (oder so). Es ist nicht einfach, mich in handwerklicher Unfähigkeit zu übertreffen, der ich in dieser Hinsicht über vier linke Füße verfüge. Oder Hufe. Angela allerdings, das wußte ich, hatte schon Schraubenzieher zerstört, als sie versuchte, Fotografien an die Wände zu hängen. Soweit ich mich erinnere, waren sie der Länge nach durchgebrochen. Gut, dachte ich, schickste sie Farbe holen. Vielleicht fallen ihr ja dann die Arme ab. Hoffentlich.

Die Wohnung war sehr farbenfroh gehalten, in dunkelgrün, dunkelblau, dunkelrot, orange und gelb. Tapeten waren abgerissen, einzelne Dielen umlackiert, Fensterrahmen mit Nagellack verschönert worden. Die Wände bestanden maßgeblich aus Schrauben, und manche Tür hatte vier lange Jahre in dieser Tropfsteinhöhle, die wir liebevoll Keller nannten, verbracht: kurzum, das ganze sah aus wie eine sowjetrussische Kaserne kurz vor der Perestroika, die vorübergehend von einer Horde LSD-affiner Aktionskünstler besetzt worden war. Unschön.

Angela kam vom Farbekaufen zurück und freudenstrahlte. Zwei Eimer! Zu je 20 Litern! Und so billig! Acht Euro der Eimer! Macht sechzehn Euro! Für zwei Eimer! Toll! Tolltolltoll! Wir freuten uns und berieten, an welcher Stelle man einen Farbtopf günstigstenfalls öffnet.

War das Streichen spannend. Genauso spannend wie damals, als man versuchte, einen missratenen dunkelbraunen Strich auf seiner Grundschul-Abschluss-Wasserfarbenarbeit mangels Deckweiß per Wasser rückgänig zu machen. Obwohl man weiß, das wird nix, man probierts. Immer das gleiche, ob in den großen Gefühlen, der Grundschul-Abschluss-Wasserfarbenarbeit oder der Renovierung: die Hoffnung gewinnt dann doch immer das Armdrücken gegen die Vernunft. Nach einer halben Stunde Streichen in der dunkelblauen Küche beschlossen wir, die Tapeten in formschöne Stücke zu schneiden, zu rahmen und an diverse Galerien und Museen als verschollene Monets zu verscherbeln. „London im Nebel (nach der Klimakatastrophe)“, „Blauer Dunst über blauem Meer in der blauen Morgensonne (1876)“ oder so. Super.

Währenddessen hatte Markus begonnen, die Heizungsrohre mit Wandfarbe zu streichen, weil die ja weiß war, die Farbe. Angela sah ihm derweil auf den Arsch und kicherte. Besser, die kleben die restlichen Fußleisten ab, dachte ich und sagte: „Besser, ihr klebt die restlichen Fußleisten ab. Ich geh Farbe kaufen.“ Bad idea.

Statt die Fußleisten abzukleben, klebten Angela und Markus den Fußboden unterhalb der Fußleisten ab. Statt die Dübel aus der Wand zu holen, versenkten Angela und Andreas ebenjene in ebendieser. Statt die Plastikplane festzukleben tackerten sie sie in den Fußboden. Statt Bier zu kaufen holten sie Sternburg. „Aber streichen könnt ihr?“ – „Aber na klar.“ – „Gut.“

„Aber na klar“ muss noch mehr Bedeutungsfacetten haben, als ich bisher ahnte. Markus stand wenig später festgewurzelt in der Mitte des Raumes und bekleckste alle Teile des Zimmers, die er mit seinem auf Anschlag ausgedrehten Malerstab erreichte, mit Farbe. Das heißt, in erster Linie den Fußboden. Flächen groß wie Amerika blieben unberührt, dazwischen schimmerte es weißlich, und Angela hechelte mit einem Pinsel vom Durchmesser einer Zahnbürste hinterher und versuchte, die an wenigen, ausgesuchten Stellen zentimeterdick aufgetragene Farbe fachgerecht auf ein paar mehr Zentimeter zu verteilen, wobei sie sich stilistisch an Jackson Pollock orientierte. Bis zu dreißig Zentimeter oberhalb des Fußbodens blieben die Wände allgemein unberührt, „das machen wir dann später“. Das Gesamtwerk erinnerte inzwischen mehr an Bosch als an Monet, nur weniger figürlich. Ein dutzend in Farbe getunkte Papageien, die mit verbundenen Augen frei durchs Zimmer flattern, erzielen ähnliche Resultate. Oder bessere.

Am nächsten Tag hatte Angela Freunde mitgebracht, Markus hatte sich vor lauter Arsch Richtung Angela strecken einen Hexenschuß zugezogen. Schade. Nachdem wir die inzwischen wie betrunken da hängenden Tapeten und einen nicht unerheblichen Teil des Putzes von den Wänden geholt hatten, tapezierten wir. Hatte ja keiner erwähnt, dass der Untergrund eben sein sollte. Und wer wünscht sich das nicht: Wände, die ein Alpenrelief im Verhältnis 1:2 abbilden. Sieht schick aus, echt jetzt. Also Tapete runter, Spachtel drüber, Tapete rauf, Tapete runter, Schrauben aus den Wänden holen, Spachtel drüber, Tapete rauf, Farbe rauf, nochmal teurere Farbe rauf, Türrahmen entfarben, Heizkörper entfarben, Fensterrahmen entfarben, Fußboden entfarben, Fußboden schleifen, lackieren und merken, dass man besser noch etwas die Wände entstaubt hätte vorher. Fluchen. Merken, dass die Tapeten nicht ordentlich geklebt sind. Nochmal fluchen. Am Ende den Vermieter anrufen und sagen, man verzichte auf die Kaution, schon okay.

Die hat er auch behalten, der Vermieter, und sich davon wahrscheinlich ein Ferienhaus auf Mallorca gekauft. Oder sonstwas. Die Wohnung jedenfalls hat er mit den beiden anderen Wohnungen auf dem Stock an eine türkische Großfamilie vermietet, die (das weiß ich sicher) ihm zugesichert hat, alles komplett zu renovieren, „ohne mietfrei“. Da hat er sich gefreut, der Vermieter, ganz bestimmt. Ich mich auch, im Endeffekt, sind ja Erfahrungswerte, so ne Renovierung. Muss man bloß seine Lehren draus ziehen. Zum Beispiel meine: Wenn Du umziehst, mein Lieber, präsentiere Familien zur Nachmieterschaft. Die freuen sich sogar drüber, alles nochmal umzubauen. Sollen sie doch.

19 Kommentare

  1. 01
    vellist

    „Statt Bier zu kaufen holten sie Sternburg.“ Sehr schön!

  2. 02
    Stefan

    Jetzt stelle ich mir gerade vor ihr solltet zusammen ein Haus bauen. Oder, nein lieber doch nicht!
    Mist! Zu spät.
    http://tigress.com/hurga/trying_desparately.jpg

  3. 03
    Lantasch

    Ich wüsste ne Wohnung zum renovieren. Ich zahl euch sogar was, wenn ich das filmen darf.

  4. 04
    Edgar

    Ich muss momentan viel Wasser trinken, sehr viel. So an die 5 Liter.
    Bevor ich diesen Artikel las, trank ich leider 0,7l auf einmal.

    Naja und dann, dann hätte ich mich eben vor Lachen fast erbrochen!

    Vielen Dank für die Erheiterung, weiter so!

  5. 05
    PiPi

    Allerliebster Frédéric,

    obwohl ich in einem Städtischen Viertel lebe,
    muss ich mir desnächtens die immens lauten
    (Roll-) Schreie der Benachbarten Katzen geben.
    Gerade weil ich diese ‚Egomanen‘ so sehr liebe.
    Muss das sein, gibt es nicht schon genug herrenlose Tiere
    die sich letztlich in den Tierheimen finden u. ‚Totgespritzt‘?…

    Fellknäuelliebhaber

    Jetzt soll ‚bloss‘ keiner sagen,
    dass bei der Einrichtung nicht auf die Belange der kleinen Mitbewohner (variabel) Eingegangen wird.;(

  6. 06

    Rofl lol.
    Hey, endlich würdige Nachfogeschreibe für den verschollenen Malte.

  7. 07
    PiPi

    @#671433:
    Das will der gar nicht leisten können

  8. 08

    Hut ab, sehr unterhaltsame Geschichte, schön geschrieben und formuliert. Schließe mich dem Lob des Sternburg-Satzes an. Schon mal irgendwo in ähnlicher Form gelesen, aber fein adaptiert.

  9. 09

    Nach 11 Stunden Dauerprogrammieren am Schulprojekt ne gelungene Story zu lesen und sich sagen, dass an dem ganzen Quatsch doch nicht alles schlecht ist.
    Hach, ich kann doch ohne Nervernzusammenbruch ins Bett. Danke, Frédéric!

  10. 10
    Rich

    Ich bin kein Handwerker (von Beruf), aber Wandfarbe auf Heizkörper ist so ne Sache, die – wie ich vermute – viele versuchen. Find ich immer wieder schön. Da man aber schon beim Versuch mitbekommt, dass das irgendwie nicht funktioniert, kann es sich bei deinen Helfern frei nach Olaf Schubert nur um „erkenntnisresistente Menschen“ (Blödis) handeln. Davon gibt es viele im Malerumfeld. Schöner Txt.

  11. 11
    Toni

    hört sich an wie aus einem Loriot Film…….zusätzlich zu meinen warmen Planzenmagerinebrötchen, hat mir das echt den Morgen versüßst! Danke…..
    PS:Streichen kann ich halbwegs (kannst ja mal schreiben wenn so was wieder vorkommt)

  12. 12
    Frédéric Valin

    @#671415: Das würde dann so ein Film werden, den die Kinder später auf dem Speicher finden und der die Autorität des Vaters für immer gänzlich zerstört.

    @#671475: Vorsicht! Ich könnte tatsächlich darauf zurückkommen…

  13. 13

    Komisch gerade heute habe ich im Wirtschaftsteil einer Tageszeitung gelesen, dass es den armen Baumärkten so schlecht gehe, weil die Deutschen nicht mehr selbst renovieren….

  14. 14

    Köstlich, köstlich! Vielen Dank und bitte mehr von den Geschichten aus dem wirklich wahren Leben.

    Bei diesen Renovierdramen muß ich immer an Herbert Knebel und seinen „Mörtel“ denken.
    Leider gibt’s kein frei zugängliches Filmchen, aber der hier, der ist auch
    schön. Achtung: Stromschlag.
    „Wenn man nicht alles selber macht“ ;)

  15. 15
    Ingrid

    ….das die mindestens 3 linken Hände meines Mannes noch zu toppen sind, hätt ich ja nie gedacht….*laaaaach……

  16. 16

    Wenn man es nicht selber macht … Was nicht heißen soll das ich handwerklich besonders geschickt wäre.

    .. Statt Bier zu kaufen holten sie Sternburg … Dit jute Sterni ;-)