Google hat also Bücher gescannt. Bis in den November 2008 waren das sieben Millionen. Von diesen sieben Millionen waren eine Million gemeinfrei; eine weitere Million war copyrightgeschützt und auf dem Markt erhältlich. Die restliche fünf Millionen waren zwar copyrightgeschützt, aber vergriffen. Der Prozess, den Rechteinhaber angestrengt haben, um an den Büchern mitverdienen zu können, endete vorläufig mit dem Vergleich, dass Google 37 Prozent, die Rechteinhaber 63 Prozent bekommen. Google wird also den Zugang zu einer enormen Datenbank verkaufen, die in erster Linie aus vergriffenen, copyrightgeschützten Forschungstiteln besteht.
Einerseits ist das natürlich eine feine Sache: Der Zugang zu dieser Datenbank macht jede Stadtbibliothek mit Internetzugang umfangreicher als die New York Public Library, und viele „verwaisten Werke“ (also Bücher, die nicht mehr zu haben sind und deren Rechteinhaber nicht mehr zu ermitteln sind) wären wieder zugänglich.
Andererseits allerdings kann Google den Preis diktieren, mit dem Zugang zur Datenbank gewährt wird. Problematisch ist, dass sich dieser Preis jenseits des Marktes bewegt und sich nicht über ihn wird regulieren lassen. Wir stehen vor dem gleichen Dilemma, dass bereits den Preis für Fachzeitschriften in schwindelerregende Höhen getrieben hat: Bibliotheken werden sich um jeden Preis einen Zugang erkaufen müssen, und je höher der Preis ist, den es zu zahlen gilt, desto weniger wird in Monographien investiert. Das wäre katastrophal für junge Wissenschaftler, die Bücher veröffentlichen und wahrgenommen werden müssen, um sich zu etablieren. Bisher macht die Geschäftspolitik von Google Hoffnung, dass es diese Machtfülle nicht missbraucht. Aber wer vertraut schon einer Datenkrake.
Nicht sehr viele. Nicht die zahllosen Unterzeichner des Heidelberger Appells:
Es muß auch künftig der Entscheidung von Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern, kurz: allen Kreativen freigestellt bleiben, ob und wo ihre Werke veröffentlicht werden sollen. Jeder Zwang, jede Nötigung zur Publikation in einer bestimmten Form ist ebenso inakzeptabel wie die politische Toleranz gegenüber Raubkopien, wie sie Google derzeit massenhaft herstellt.
Da widerspricht also das öffentliche Interesse an freier Information der Publikationsfreiheit des Kreativen. Es geht im Heidelberger Appell nicht nur darum, Google zu verurteilen, sondern auch die Open Access-Bewegung zu diskreditieren. Der Appell wendet sich auch dagegen, dass öffentlich finanzierte Wissenschaftler die Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen hätten. Dafür hat er viel Kritik einstecken müssen.
Aber das nur am Rande. Zurück zu Google: Deren Erfolg ist ein Versagen des Gemeinwesens. In den Staaten hätte der US-Kongress ein ähnliches Projekt durchziehen können, alle Texte hätten gemeinfrei oder gegen eine Nutzungsgebühr zur Verfügung gestanden, es wäre eine digitale Nationalbibliothek geworden, an der die Rechteinhaber beteiligt worden wären. Das wäre das neue Alexandria gewesen, aber so. Jetzt ist es eine private Bibliothek geworden. Hätte Google die Bücher nicht gescannt, würde viel Wissen nach wie vor in der Universitätsbibliothek zu Baltimore und anderswo verschimmeln.
Je mehr Wissen verfügbar ist, desto besser. Für die meisten Wissenschaftler ist eine kostenlose Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse nicht der existenzielle Ruin. Statt in Deutschland über die Open Access-Bewegung herzufallen, wäre es an der Zeit, sich Konzepte zu überlegen, wie man mit den hiesigen Bibliotheksbeständen umgeht. Ob man warten soll, bis Google sich durch Deutschland gescannt hat und sich während dieser Wartezeit um ein paar Öcken mehr mit Google vor amerikanischen Gerichten kloppt – oder doch selbst aktiv wird. Und zumindest über ein Konzept nachdenkt, wie man Google zuvorkommen könnte.
Sehr guter Artikel, der genau das Problem trifft: Alle regen sich darüber auf, dass Google einfach so Millionen von Büchern einscannt, aber niemand kommt auf die Idee, dies staatlich-institutionalisiert oder zumindest im Wettbewerb zu ermöglichen.
Dabei kann ich auch nicht wirklich nachvollziehen, wo das Problem beim Heidelberger Appell liegt. Mir kommt das Angebot von Google eher wie eine privat finanzierte Bibliothek als wie ein Verlag vor – und dagegen, dass das eigene Buch in einer Bibliothek steht kann man sich als Author ja auch nicht wehren.
Mensch, Frédéric! Deine Idee, sich vorher Gedanken über den Umgang mit analogen Büchern im digitalten Zeitalter – mit digitalen Datenkraken – zu machen, gefällt mir sehr gut.
Einer meiner Vorschläge ist, statt Bücher immer aufwendig zu restaurieren, diese zu digitalisieren, gegen eine Gebühr wie etwa einen Bibliotheksausweis bereitzustellen und die Originale zu konservieren.
Lessig hat den Part mit Google, den Büchern und der Kultur in seinem Vortrag neulich auch wunderschön dargestellt. Wer nicht da war, sollte sich das ansehen !
Lieber Frédéric,
danke für den Artikel. Doch an dieser Stelle sei mal auf ein paar Angebote hingewiesen:
Da bietet sich einerseits das Projekt Gutenberg an, das von SpOn betrieben wird. http://gutenberg.spiegel.de/
Es werden Titel erfasst, bei denen die Rechte verfallen sind (also der Verfasser mehr als 70 Jahre tot ist.
Andererseits nenne ich nur mal ein paar Online-Quellen aus meinem Fachbereich:
Bach-Archiv Leipzig http://www.bach-leipzig.de/
Bibliographie des Musikschrifttums Online http://www.musikbibliographie.de/
Virtuelle Fachbibliothek Musikwissenschaft http://www.vifamusik.de/
Neue Mozart-Ausgabe http://dme.mozarteum.at/
Sheet Music Consotrium http://digital.library.ucla.edu/sheetmusic/
Zudem digitalisieren so einige Universitäten ihre Bestände momentan. Hier in Greifswald kenne ich es unter Digibest Greifswald (http://digibib.ub.uni-greifswald.de/) und solche Projekte gibt es auch an anderen Universitäten.
Sicher, du zielst auf eine staatliche Digitalisierung von Büchern ab. Doch ich weiß nicht, ob das so möglich und nötig ist. Über die Universitätsbibliotheken halte ich es für eine gute Lösung.
Vielleicht geht es Google auch um was anderes… :
„Vor ein paar Jahren fragte der Wissenschaftshistoriker George Dyson bei einer Party in der Google-Zentrale im kalifornischen Mountain View einen Mitarbeiter nach dem GoogleBooks-Projekt. „Wir scannen“, sagte der Google-Mitarbeiter, „all diese Bücher nicht, damit sie von Menschen gelesen werden, wir scannen sie, damit sie in Zukunft von einer Künstlichen Intelligenz gelesen werden.“
aus: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/zeitreisen/968521/
@#717176: Ich würde das ganz gerne glauben, hab aber immer noch van Dannen im Ohr: „Ich will den Kapitalismus lieben…“
@Sven
Hihi, Recht hat er. An einem ähnlichen Projekt habe ich vor der Finanzkrise gearbeitet. Mein Problem war, zu wenig gescannte Bücher, die meine Software als Input hatte.
Danke Google, dass sich das ändert.
Und dank allen anderen Firmen, die dieses als Präzedenzfall nützen und nicht als weiteren Grund zu jammern.
Scannt, was das Zeug hält.
@#717183: Funny van Dannen ist super, aber das mit dem Kapitalismus wird nach dem Judgement Day wohl sekundär. Die Frage ist doch, baut Google John Henry oder Skynet?
@#717170: Vielen Dank für die Ergänzung! Gleichzeitig haben auch deutsche Bibliotheken mit Google zusammengearbeitet, beispielsweise München. Ich glaube, dass wir allein schon für Nutzungs- und Zugangsrechte eine nationale Lösung brauchen.
ich habs mir bisher nie näher angeschaut aber es gibt auch noch dieses eu-projekt: http://www.europeana.eu
Ich sehe das etwas anders. Mich stört immer noch die Tatsache, dass die Rechteinhaber kein Wörtchen mitzureden haben.
Es ist ja wohl ein Unterschied, ob ein Buch drei-viermal verfügbar ist oder ob es weltweit aufgerufen werden kann. Das ist zwar liberaler, aber bedeutet eben für eine Schicht von Menschen eventuell doch Ruin.
Das heißt also, ich kopiere demnächst sämtliche Spreeblick Artikel in meinen Blog – natürlich schreib ich hin wo ich es openaccess-ig kopiert habe – und dann mach ich nebenan google ads rein und guck mal was so geht …
Supi … das wird bestimmt toll!