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Der Fussballkrieg

In den frühen Morgenstunden des 14. Juli 1969 tauchte über Tegucigalpa ein Propeller-Flugzeug des Typs P-51 auf, warf über dem Zentrum der Stadt eine Bombe ab und verschwand am Horizont.

Die Explosion, die mehrere Wohnhäuser in Stücke riss, versetzte die Hauptstadt Honduras’ in Angst und Schrecken und markierte den Anfangspunkt zu einem kurzen, aber erbitterten Krieg zwischen zwei lateinamerikanischen Nachbarstaaten.

Auf den ersten Blick betrachtet hat ein bewaffneter Konflikt dieser Art nichts Ungewöhnliches. Der Krieg, so Clausewitz, ist auch nichts Anderes als die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln.

Aber für einmal lag der Stratege falsch. Im vorliegenden Fall war der Krieg nicht die Fortsetzung der Diplomatie. Sondern die Verlängerung eines Fussballspiels.

Das Hinspiel in Rahmen der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko fand im bereits oben erwähnten Tegucigalpa statt. Zwischen Honduras und El Salvador war es bereits seit längerem zu politischen Scharmützeln gekommen, da Wirtschafsflüchtlinge aus Salvador brachliegendes Land in Honduras besetzt hatten. Dementsprechend geladen war die Stimmung am Vorabend des Spiels, als die Mannschaft aus Salvador in einem Hotel der honduranischen Hauptstadt Quartier bezog.

Keiner der Spieler sollte ein Auge zumachen: Das Hotel wurde von einer schreienden und pfeifenden Menschenmasse belagert, Steine flogen in die Zimmerfenster, Böllerschüsse wurden abgefeuert und die Fahrzeuge angereister Fans in Brand gesteckt. Die Explosionen der Tanks waren bis in die frühen Morgenstunden zu hören.

Am darauffolgenden Sonntag besiegte Honduras die zitternden Nervenwracks aus Salvador mit einem effizienten 1:0. Das entscheidende Tor durch den Stürmer Cardona fiel in der letzten Minute und traf Salvador wie ein Schlag.

Ganz besonders wie ein Schlag traf es Amelia Bolanios. Sie weinte bitterlich, schaltete den Fernsehapparat ab und schoss sich mit der Pistole ihres Vaters ins Herz. Sie war zwölf Jahre alt.

Die Zeitungen machten das patriotische Mädchen zu einer Märtyrerin, und zu ihrer Beisetzung erschienen Hunderttausende. Und die Nationalgarde. Und der Präsident Salvadors. Und die Nationalmannschaft.

Eine Woche später fand in San Salvador das Rückspiel statt. Wie man sich vorstellen kann, standen die Zeichen nicht auf Entspannung.

Die Salvadorianer revanchierten sich herzlich für die Gastfreundschaft, die ihren Spielern eine Woche zuvor in Honduras zuteil geworden war. Das Hotel wurde vom hysterischen Mob mit Tierkadavern bombardiert und buchstäblich zerlegt. Als endlich der Morgen kam, wurden die übernächtigten Spieler mit bewaffneten Panzerwagen ins Stadion gebracht, das mehr an eine militärische Sperrzone als an den Austragungsort eines Fussballspiels erinnerte. Hunderte von Soldaten der Nationalgarde mit entsicherten Waffen hatten das Spielfeld umstellt, und statt der Flagge von Honduras flatterte ein fäkalienbeschmutzter Fetzen an der Fahnenstange.

Einen Sieg hätte die Nationalmannschaft Honduras’ wohl kaum überlebt. Aber soweit kam es glücklicherweise nicht. Gastgeber Salvador triumphierte mit einem eindeutigen 3:0 und erzwang ein Entscheidungsspiel ( – das tatsächlich wenig später noch ausgetragen wurde; allerdings auf neutralem Boden in Mexiko-City. Salvador gewann 3:2 und ging dann in der ersten Runde der WM sang- und klanglos unter).

Die Verlierermannschaft wurde umgehend zum Flughafen eskortiert und kam mit der Schande davon. Die honduranischen Fans hatten nicht soviel Glück. Sie wurden niedergeknüppelt, verfolgt, und viele von ihnen schafften es nicht mehr über die Grenze.

Aber die wurde ja wenige Stunden später sowieso geschlossen.

Der Krieg trägt in der 1945 beginnenden Zählung der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (Akuf) die Nummer 100, und kurioserweise dauerte er auch genau 100 Stunden. Das hohe Mass an Opfern zeugt von der Entschlossenheit, mit der er geführt wurde. 5000 Menschen liessen ihr Leben, doppelt so viele wurden verletzt. Nach fünf Tagen erzwang die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) einen Waffenstillstand.

Die beiden Kriegsparteien Honduras und Salvador trennten sich mit einem 0:0 unentschieden.

Die damalige Öffentlichkeit beachtete diesen Zwischenfall kaum. Denn die Aufmerksamkeit der Welt wurde von einem anderen Ball in Anspruch genommen. Einem sehr grossen Ball, der sich seit sehr langer Zeit mit einer Orbitalgeschwindigkeit von 1.03 km/s um die Erde dreht.

Der Schatten, den Stürmer Neil Armstrong zwei Tage nach Einstellung der Kampfhandlungen auf die kalte Mondoberfläche warf, schob sich auch vor das Geschehen in Lateinamerika. Und machte es zu einer Randnotiz des Weltgeschehens.

Zum Thema: Der polnische Journalist und Autor Ryszard Kapuscinski hat diesen Krieg hautnah miterlebt. Was der Mann als Auslandskorrespondent in Afrika, Asien und Lateinamerika erlebt hat, beschreibt er umwerfend und clever in seinem Buch ‘Der Fussballkrieg’

17 Kommentare

  1. 01

    Sehr schöner Artikel.
    Einem Blog aus dem Spreeblick-Verlag würdig.
    Danke dafür :)

  2. 02

    Eine recht lehreiche Geschichte zum Morgenkaffee.
    “Hotels mit Tierkadavern bewerfen” kling interessant.
    Ist ja bald WM.

  3. 03

    Und ich hatte gedacht: “Ist ja nur Fußball, worüber die hier bloggen”, als ich von Fooligan das erste mal hörte. Heute wurde ich eines Besseren belehrt.
    Sehr guter Artikel. Danke.

  4. 04

    Was für ein grossartiger Auftakt, Melville!
    Herzlich Willkommen, übrigens!

  5. 05
    martin

    Moin,

    schöne Zusammenfassung. Gibt es dazu weiterführende Quellen?

    Ein BTW: Die Propellerflugzuge auf der Illustration sind keine P-51, sondern F4U-Sonstwas…

  6. 06

    F4U-Sonstwas, ja, das waren noch flugzeuge, ich fahre ja auch einen alten Sonstwas, der sich praktisch selbst ernährt von totgefahrenen katzen
    http://www.bildblog.de/?p=791

  7. 07

    nicht schlecht. die tierkadaver sind wieder voll im kommen, wie’s aussieht. der fussballkrieg war übrigens der letzte offiziell verzeichnete krieg, in dem luftkämpfe mit propellerflugzeugen stattgefunden haben. die maschinen stammten allesamt aus dem zweiten weltkrieg, hauptsächlich von den amerikanern.

  8. 08
  9. 09
    Andreas

    bei wikipedia steht was von 3:2?

  10. 10
    Andreas

    Hm. Laut FIfa-Datenbank gab es 3 Spiele?!

    TEGUCIGALPA HONDURAS – 08.06.1969
    Honduras (HON) 1:0 (0:0) El Salvador (SLV)

    SAN SALVADOR EL SALVADOR – 15.06.1969 (euer Artikel)
    El Salvador (SLV) 3:0 (3:0) Honduras (HON)

    MEXICO CITY MEXIKO – 27.06.1969 (Wikipedia)
    Honduras (HON) 2:3 a.e.t. (2:2,1:2) El Salvador (SLV)

  11. 11

    Die Qualität eines Blogs misst sich an der Güte seiner Leser: Hast du ganz recht, Andreas, da fand tatsächlich noch ein Spiel statt. Offenbar erzwang Salvador mit dem 3:0 nur ein Entscheidungsspiel. Es fand später auf neutralem Gebiet in Mexiko City statt und muss hart umkämpft gewesen sein; das 3:2 fiel in der Verlängerung. Über irgendwelche Vorfälle im Umfeld des Spiels ist unglücklicherweise nichts in Erfahrung zu bringen. Möglicherweise hat die FIFA für Ruhe gesorgt.

    Werde den Text dementsprechend modifizieren. Danke. Guter Punkt.

  12. 12
  13. 13

    Das dritte Spiel wurde mW vom Fußballverband CONCACAF wegen der Zwischenfälle angesetzt, die Ergebnisse der Spiele davor wurden annulliert (die Formulierung “Salvador erzwang ein Entscheidungsspiel” ist also, wenn man pedantisch sein will, nicht ganz korrekt).

    So weit ich weiß, wurde die Grenze auch nicht “wenige Stunden später geschlossen”: Zwischen dem Spiel am 15. Juni und dem Kriegsausbruch am 14. Juli verging ja immerhin noch ein ganzer Monat, in dem viele Salvadorianer, die in Honduras lebten und dort wahren Hetzjagden ausgesetzt waren (wie vorher die honduranischen Fans in Salvador), zurückkehrten. Diese Ausschreitungen waren übrigens der konkrete Auslöser für den Angriff auf Tegucigalpa, und so weit ich weiß, wurde die Grenze erst dann dicht gemacht.

    Es gibt darum auch einige, die den Ausdruck “Fußballkrieg” (der übrigens von Kapuscinski stammt) kritisieren, und eher vom “Krieg der Hundert Tage” gesprochen (oder, in der salvadorianischen Propaganda, vom “Krieg der berechtigten Verteidigung”, legítima defensa). Wer spanisch kann und pathetische Propaganda erträgt: Das salvadorianische Heer hat einige Bilder, Berichte und Statistiken zum Krieg.

  14. 14

    Herzlichen Dank, Claus. ich denke, du sprichst vom “Krieg der hundert Stunden“.

    Was das dritte Spiel angeht, bin ich jetzt etwas klüger: Es handelte sich tatsächlich um ein Entscheidungsspiel und nicht, wie du vermutest, um eine Annulierung der zweiten Partie. Die CONCACAF organisierte die WM-Qualifikation offenbar turnierartig, Halbfinale und Finale wurden mit Hin- und Rückspiel entschieden. Der Gewinner des Finals qualifizierte sich für die WM. Der deutschen Wikipedia-Seite ist zu entnehmen, dass sogar das Final über ein (drittes) Entscheidungsspiel entschieden wurde.

    Was die Schliessung der Grenzen angeht, Kapuscinski selbst – der sich am 15. Juni noch in Mexiko aufhielt – schreibt, dass die Grenzen “ein paar Stunden später” gesperrt wurden (deutsche Ausgabe S. 254).

    Was den Kriegsanlass angeht, so sagt die Akuf darüber zweierlei: 1) gibt sie als offiziellen Auslöser tatsächlich die Auschreitungen während dieser beiden Fussballspiele an; das dritte bleibt unerwähnt, und 2) betont sie, dass die politischen Führungen beider Länder diese Vorfälle – wie könnte es auch anders sein – dazu missbrauchte, um a) von den inneren Spannungen abzulenken und b) die äusseren auszutragen.

    Soll ja vorkommen.

  15. 15
    Edwin Managua

    Ist ja erfreulich, dass es gestern beim WM-Quali-Spiel zu keinen Ausschreitungen gekommen ist. Die Zeit (40 Jahre) scheint Wunden zu heilen!