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Künstler unterwegs

99% aller Legenden über Rockbands, die Hotelzimmer verwüsten, dürften Blödsinn sein.

Bleibt aber immerhin noch 1% übrig.

Ich kann mich nicht mehr genau an das Kaff erinnern, aber ich bin mir sicher, dass die Buchstaben f, r, u, s und t im Ortsnamen vorkamen. Die uns zugewiesene Pension „Rentnerruhe“ konnte nichts dafür, dass sie uns aufnehmen musste. Und erst recht nicht dafür, dass wir als Band und Crew nach einigen Wochen täglicher Ortswechsel und mangels Abweichungen vom Alltagstrott „Busfahren – Aussteigen – Aufbauen – Soundcheck – (schlecht) Essen – Auftreten – Abbauen – Saufen – (schlecht) Schlafen“ auf dem geistigen Niveau junger Hunde angelangt waren.

Es muss während der gemeinsamen Tour 1990 (1991?) mit Terry Hoax gewesen sein (das war die Tour, die ob eines harmlosen, ziemlich bescheuerten, aber dadurch umso lustigeren Kleinbus-Unfalls, der mit der Verwechslung eines Ganges zu tun hatte, gleich zu Beginn derselben „Rückwärts-in-die-Charts-Tour“ getauft wurde), als an diesem Abend in dieser Pension alle etwa 20 Mitreisenden in einem Raum versammelt waren.

Es war nicht so, dass die Stimmung wegen des vorhergegangenen, nicht so richtig tollen Gigs schlecht gewesen wäre. Im Gegenteil. Wir waren gut drauf. Hellwach. Experimentierfreudig.

Wir waren zum Beispiel noch kräftig genug, um herauszufinden, ob der Teppich im schmalen, langen Flur unserer Etage tatsächlich ein langer Streifen oder ob er gestückelt war (Antwort: etwa acht Meter am Stück, man konnte ihn gut zusammenrollen) und ob auch fast leere Sprühdosen noch prima knallen, wenn man sie mit viel Schwung aus dem zweiten Stock auf den Parkplatz hinter der Pension schmeißt (Antwort: ja).

Auch unsere Kreativität war ungetrübt. Nach dem Entleeren der kleinen Wodka-Flaschen aller vorhandenen Minibars füllten wir diese zwecks Tourkostenminimierung (wir wollten ja die Eintrittspreise klein halten – alles für die Fans!) mit Wasser und stellten sie zurück in den kleinen Kühlschrank (Jahre später musste ich mich in einem ganz anderen Hotel über als Wodka getarntes Wasser in meiner Minibar beschweren, wir hatten also definitiv einen Trend kreiert).

Wir sangen Lieder. Wir lachten. Wir hatten Spaß. Wir entfalteten uns als Individuen.

Doch wie heute wurden auch schon damals positive jugendliche Eigenschaften wie Forschungsdrang, Kreativität und Engagement für die Umwelt durch staatliche Oppressionen und mittels Intoleranz anderer Pensionsgäste, die sich um 2h Nachts lieber einer in unseren Augen reaktionären und daher gefährlichen Passivität namens Schlaf hingeben wollten, im Keim erstickt.

Und so tauchte der Pensionsinhaber in unserer gemütlichen Runde mit der freundlichen Bitte auf, etwas leiser zu sein und die entstandene Unordnung zu beseitigen. Obwohl er kaum bewaffnet war, willigten wir nach gescheiterten diplomatischen Verhandlungsbemühungen („Verpiss dich!“) ein. Unter den strengen Augen des Diktators räumten wir kichernd auf, bis dieser uns nach einem zufriedenen Rundgang durch unsere Zimmer eine gute Nacht wünschte.

Dennoch triumphierten wir noch am kommenden Tag. Denn unseren größten künstlerischen Erfolg, die subversivste unserer Performances hatte der maître de la maison übersehen.

Die Bilder an den Wänden der Zimmer, alles irgendwelche langweiligen Kunstdrucke mit Berg-, Tal- und Tierdarstellungen, hatten wir ausnahmslos aus ihren Rahmen befreit und auf der Rückseite des Drucks mit unseren eigenen künstlerisch natürlich viel hochwertigeren Anstrichen versehen. Diese malerischen Ergüsse wurden sorgsam wieder gerahmt und an die vorgesehenen Stellen zurück platziert. Was zumindest während unserer Anwesenheit und in der besagten Nacht dem Herbergsvater nicht aufgefallen war.

Merke: wahre Kunst ist nicht zu stoppen. Sie setzt sich, auch in anderen erdenklichen Formen, immer durch.

(Das einzige weitere Hotel, das (soweit ich mich erinnern kann) jemals unter unserer Anwesenheit leiden musste, beherbergte uns 1987 in Moskau. Aber das ist eine eigene Geschichte.)

7 Kommentare

  1. 01

    scheint ja echt witzig gewesen zu sein und es sollte den leuten besser gefallen haben, als wenn ihr das mobilar ein wenig „verkleinert“ hättet.

  2. 02

    was mir gerade zu Terry Hoax einfällt (deren Freedom Circus-Album echt sehr gut war) und was ich mich schon bestimmt 10 Jahre lang frage…
    Ist es Zufall das in „Skip the Instructions“ das eine verwendete Sample wie „I dont like Terry Hoax“ klingt?

  3. 03

    Haha, nee, das verstehst du komplett falsch. Ich vermute, du meinst diese gesamplete (gesampelte?) Männerstimme? Das ist russisch und sollte ebenfalls „Überspring die Anleitung“ bedeuten.

  4. 04

    hm.. dann hörs dir mal an.. ab 2:41 – also auch wenns was anderes bedeutet.. ich hör da noch immer das „i dont like..“ ;)
    Und es war doch auch die Platte nach der Tour mit denen.. hätte doch gepasst ;)

  5. 05
    Failure

    Was sicher cool, werde daran denken, wenn ich mal wieder in einem Hotel bin.

  6. 06
    Katharina

    *gg* In Bremen kann das jedenfalls nicht gewesen sein – denn da war ich, und da wars richtig geil. Lang her. Zu Zeiten, als die Leute noch Fanzines schrieben und nicht Blogs… ;-)
    Und jetzt möchten wir bitte bitte auch die Moskau-Geschichte hören!

  7. 07

    empfehle dazu: „Diary“ von C. Palahniuk:

    Im Buch findet der (bereits zu Beginn Tote) Akteur gefallen daran bei Renovierungsarbeiten in Häusern Räume neu zu gestalten und anschließend eine Mauer zu ziehen und zuzutapezieren:

    Anruf „Meine Küche fehlt“