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Zwischengedanken

Ich hatte die folgenden Absätze als Thread bei Twitter gepostet und haltet sie hier nochmal fest fürs Archiv. Der Text klingt in dieser Form etwas „abgehackt“, aber naja.

Das hier ist eine Anzeige, die man auf der Website eines Axel-Springer-Mediums zu sehen bekommt (war vor der Buch-„Diskussion“). Sie führt zu einem eher unsachlichen Anti-Baerbock-Artikel auf einer anderen „konservativen“ Website:

Über die Homepage ist der per Werbung verlinkte Artikel für mich nicht auf der Site zu finden, aber „Artikel“ ist eh übertrieben. Und auch in anderen Texten arbeitet sich die Site an Baerbock ab, die Richtung ist klar. Fast nie geht es dabei um Inhalte.

So sieht dann also anscheinend der CDU-Wahlkampf aus: In Auftrag gegebene Diffamierung mit Unterstützung durch bestimmte Medien, die daran verdienen. Kann natürlich auch sein, dass solche Medien ganz eigene Interessen haben, klar.

Es sind die gleichen Medien, die den Öffentlich-Rechtlichen andauernd „linke“ Bias vorwerfen. Was nun dazu führt, dass die Ö-R quasi in Selbstverteidigung und manchmal ohne die nötige Recherche die Narrative solcher Kampagnen übernehmen, um vermeintlich „ausgewogen“ zu berichten. PR-Agenturen reiben sich die Hände.

Klar ist Wahlkampf hart, auch mal unfair. Aber hier geht es nur noch um Machterhalt ohne Rücksicht auf Inhalte. Und natürlich, wie immer, um sehr viel Geld.

Schaut man sich die Rechenschaftsberichte (nicht nur) von CDU und SPD an, stellt man fest: Das sind nur noch teilweise politische Parteien, das sind Unternehmenskonstrukte. Werbeagenturen, Immobilien, Verlage, Druckereien, Beratung usw. (Allerdings, so eine Anmerkung eines Lesers bei Twitter: Die SPD musste solche Firmen aufbauen, um eigene Infrastrukturen für Arbeiter*innen zu schaffen, die Nazis haben dann alles enteignet, nach dem 2. Weltkrieg wurde restituiert.)

Ich will hier nicht die Grünen verteidigen, das müssen die selbst machen. Ich habe selbst genug Kritik an ihnen. Ich glaube sogar, dass Habeck die strategisch klügere Kandidat*innenwahl gewesen wäre (aber nicht wegen irgendwelcher Lebensläufe/Bücher, auch Habeck hätte mit ähnlich konstruierten Kampagnen zu tun bekommen).

Doch ich habe zumindest den Eindruck, dass die Grünen das Kernproblem Klima glaubhaft und klug angehen, überhaupt richtig thematisieren und als Partei nicht auf solche Kampagnen setzen wie die „Konservativen“ derzeit, die nur noch ihre Macht und ihr Geld verteidigen.

Macht- und Gelderhalt, alles nicht neu. Neu ist, dass es tatsächlich nicht mehr undenkbar ist, dass CDU/CSU (SPD sowieso) ihre Macht verlieren könnten. Daher rührt ihre sicht- und spürbare Angst. Daher scheinen alle Mittel recht, diesen Verlust zu verhindern.

Lasst euch mal von den über 60-, 70-Jährigen, am besten im ländlichen Raum lebenden Menschen in eurer Familie alle politischen Sharepics zusenden, die sie täglich als Weiterleitungen auf WhatsApp erhalten. Nicht, um zu streiten, sondern aus Interesse. Man fragt sich schnell, wer sowas produziert. Oder produzieren lässt.

Und ich fürchte, das alles wird (erstmal noch) funktionieren. Für den Wahlsieg wird schamlos gelogen und Unmögliches versprochen. Die CDU wird wieder stärkste Kraft, und die unausweichliche Kernherausforderung der Gegenwart und Zukunft, das Klima, wird weiter ignoriert/halbherzig angegangen.

Ich hoffe daher, dass die Grünen sich nicht auf eine Koalition mit der CDU einlassen werden. Wenn sie das tun, gehen sie unter wie nach den letzten Jahren die SPD. Tun sie es nicht, werden sie in vier Jahren u.U. stärkste Partei sein.

Mich frustriert das alles enorm. Ich bin zwischenzeitlich fast (!) soweit, zum ersten Mal in meinem Leben nicht wählen zu gehen. Weil das ganze System so kaputt ist. Weil immer wieder das Kapital entscheidet. Und weil meine Kraft für Hoffnung langsam schwindet.

Ohne Richtungswechsel könnten es meine Söhne noch erleben, das große Teile der Erde unbewohnbar geworden sind. Sie beide dürfen in diesem Jahr wählen, aber was ändert das schon? Ihre Generation hat im Gegensatz zur älteren kaum Einfluss auf Wahlergebnisse.

Die Generation über 40, noch mehr diejenige über 60 entscheiden über die Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder. Hoffen wir, dass sie in ihrem Sinne wählen und sich kein „Weiter so!“ verkaufen lassen.

Aber ich fürchte auch, das alles längst zu spät ist, denn die Fakten werden ja seit Jahrzehnten ignoriert. Ich fürchte, die Frage ist nicht mehr: Wie verhindern wir kommende Katastrophen? Sondern: Wie bereiten wir uns am besten auf sie vor?

Aber natürlich bleibt es Teil meines Lebens, optimistisch zu bleiben. Daher behaupte ich: Es ist das letzte Aufbäumen des Patriarchats, der letzte Atemzug des Neoliberalismus, den wir erleben. Es wird besser werden. Hoffentlich noch rechtzeitig.

Aktuellster Rechenschaftsbericht CDU: https://dserver.bundestag.de/btd/19/257/1925700.pdf

SPD/Grüne/FDP/Linke/CSU: https://dserver.bundestag.de/btd/19/275/1927595.pdf

Klimafakten: https://www.ndr.de/ratgeber/klimawandel/Fakten-und-Daten-zum-Klimawandel,klimawandel322.html (19/20)

7 Kommentare

  1. 01

    Danke, Johnny. Ich mag deine realistisch pessimistische Hoffnung.

    (Der Rechtschreibnerd in meinem linken Ohr sagt: Ich glaube, in „Ich will hier die Grünen verteidigen, das müssen die selbst machen.“ fehlt ein „nicht“.)

  2. 02

    Eigentlich ist es schade, dass die Grünen immer hin und her eiern. Sie hätten mal die Kleiderordnung im Bundestag, Strickpulli und Jeans, beibehalten sollen. Vielleicht hätte das dazu beigetragen, dass die Politik dieser Partei mit ihrer grün-ökologisch denkend und handelten Basis verbunden geblieben wär.

    Schade auch deswegen, weil ich gern eine Kampagne gesehen hätte mit dem Slogan: Frauen können besser Kanzler.

    Die Chance, damit ganz groß durchzustarten ist jetzt leider verbaerbockt, wenn ich das mal so platt schreiben darf.
    Wie gesagt schade. Die weibliche Politik, auch wenn ich kein Anhänger der CDU bin, der letzten 16 Jahre war soooo wohltuend für dieses Land.
    Die ekelhafte Männerpolitik wurde konsequent abgeräumt. Es war z. B. Schluss mit der Wehrpflicht, Menschen können heiraten ohne sich heteronormativen Männervorstellungen zu unterwerfen. Und vieles mehr hat sich geändert, was die ekelhafte Männerpolitik nie aufgegeben hätte.

    Deshalb ist Frau Baerbock eigentlich die richtige Wahl, selbst wenn die Grüne Partei ihre Roots verlassen hat. Und: Schwarz/Grün ist Shice.

  3. 03

    @#2147321: Das „nicht“ ist jetzt ergänzt, danke!

  4. 04

    Fakt ist: man kann „das Kernproblem Klima noch so glaubhaft und klug angehen & überhaupt richtig thematisieren“ – wenn man sich aber andererseits aus alter westdeutsch-linksgrüner Tradition heraus kindisch weigert, zeitgemäße Arrangements für ein friedliches Miteinander mit dem Russen zu suchen und sich stattdessen plump und einseitig von erschreckend konservativen transatlantischen Thinktanks vereinnahmen lässt, ist das mit dem Klima leider alles für die Katz und wir müssen uns fragen, ob unsere Söhne es in absehbarer Zeit mit einem dank Klimawandel unbewohnbaren Planeten zu tun bekommen sollen oder wir noch mit ihnen gemeinsam dem ultimativen Knall ins Auge sehen werden, lustige Sonnenbrillen auf.

    Die Grünen sind wegen der unheilbaren Russophobie ihres kriegsgeilen Führungspersonals für friedliebende Menschen leider komplett unwählbar.

    https://www.heise.de/tp/features/Gruene-im-Kampfmodus-Wer-nicht-fuer-sie-ist-ist-fuer-den-Iwan-6062474.html

  5. 05

    Ach, Johnny, Du weißt doch, wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten – die Revolution durch Technik(KI/Automation wird kommen, entweder gestaltet oder nicht, die Generation der Fridays for Future macht das schon; notfalls halt erst, wenn wir Alten das Zeitliche gesegnet haben.
    Klimawandel können wir eh nur noch versuchen, sozial abzufedern, die ersten weltweit Betroffenen übernehmen das Lynchen der Verantwortlichen schon ;)

    Dummerweise leben wir in spannenden Zeiten, sind aber nicht allein.

  6. 06
    mühsam

    Wie die konservative Presse reagiert war absehbar, das ist bei jeder Wahl das gleiche. Mit besserer Vorbereitung, prof. Personal, Ehrlichkeit, durchdachten Konzepten kann man sich darauf vorbereiten und damit umgehen. Kein überzeugter Wähler der Grünen lässt von Springer Medien seine Wahl beeinflussen.

    Aber bleiben wir mal bei der Realität. Die Energiewende und die Öffnung der Grenzen war nur durch die Entschlossenheit von Angela Merkel möglich. Das einzige was SPD und Grüne bis jetzt hinbekommen haben ist das unser Jungs und Mädels wieder im Ausland stehen und Asozial Reformen. Lies mal was die Boell Stiftung in letzter Zeit so von sich gibt. Die sollen das Klima retten? Durch mehr Rüstungsausgaben? Durch autoritäre Identitätspolitik die sich mehr über Sterne und Doppelpunkte empört, als über misogyne Morde die nicht ins Weltbild passen?

  7. 07
    Vonfernseher

    Aber bleiben wir mal bei der Realität. Die Energiewende und die Öffnung der Grenzen war nur durch die Entschlossenheit von Angela Merkel möglich.

    Das ist ein Haufen BS und nicht die Realität. Angela Merkel und ihre Union haben – mit tatkräftiger Mithilfe von FDP und SPD – durch ihre Gesetzgebung die Etablierung von regenerativen Energieanlagen so dermaßen erschwert, dass die einst weltmarktanführende Solarindustrie aus Deutschland weitgehen vernichtet wurde, in Hessen und Bayern praktisch keine neuen Windkraftanlagen mehr gebaut und (auf dem Festland) in den anderen Bundesländern größtenteils nur noch bestehende durch größere Anlagen ersetzt werden, Stadtwerke nur noch durch strikte Sparmaßnahmen oder durch Zusammenlegungen überleben, usw. usf. Den Merkelschen Kernkraftausstieg konnte es auch nur durch den vorherigen Merkelchen Wiedereinstieg geben. Die deutschen Hersteller von Verkehrsmitteln wurden solange falsch subventioniert, bis sie entweder tot umfielen oder nachhaltig von allen umweltfreundlichen Innovationen befreit waren. Letztere müssen sich jetzt, wo es die anderen früher und besser vorgemacht haben, wieder innovativ geben, um nicht doch zu den ersteren zu gehören (während die deutschen Oligarchen und arabischen Ölscheichs im Hintergrund natürlich nicht vom Aussterben bedroht sind).

    Auf den OT-Blödsinn mit den offenen Grenzen gehe ich hier nicht ein.