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„Haben sich Erwachsene eigentlich früher auch über die Musik von Jugendlichen aufgeregt?“

bill haley

Unsere Söhne halten mich oft für älter, als ich in Wirklichkeit bin. Wenn ich Lust habe, erzähle ich dann von den harten Zeiten kurz vor dem Ersten Weltkrieg, meistens aber korrigiere ich sie natürlich. Um wenig später unter Beweis zu stellen, dass ich doch schon ziemlich alt bin …

„Haben sich Erwachsene eigentlich früher auch über die Musik von Jugendlichen aufgeregt?“

So oder ähnlich fragte der Ältere neulich, denn er hört quasi ununterbrochen und in erster Linie deutschsprachigen Hiphop, und zwar quer durch die Bank von Pop bis Hardcore und nicht immer nur über Kopfhörer. Und obwohl ich viel Tolles mitentdecken durfte in den letzten Jahren und das Genre sehr mag und immer wieder vor anderen Erwachsenen verteidige, hört sich der Sohn dann doch ab und zu einen Spruch von mir an, wenn mir der Kram zu sexistisch, brutal und dämlich wird. Und natürlich weiß ich, dass ich damit in die speziell für mich bereitgestellten Fallen tapse. Trotzdem. Ist mein Job, bitches.

„Haben sich Erwachsene eigentlich früher auch über die Musik von Jugendlichen aufgeregt?“

Meine Antwort lautete natürlich:
„Na klar. Immer. Dafür ist sie ja da, die Musik von Jugendlichen.“

Und dann muss der Sohn – wie so oft in ähnlichen Situationen – ein bisschen Geschichtsunterricht via YouTube ertragen und ein paar Minuten lang so tun, als würde ihn das interessieren.

Irgendwie bin ich dabei auf die Erzählungen meines Vaters vom Bill-Haley-Konzert im Berliner Sportpalast gekommen, als die Halle 1958 auseinandergenommen wurde, und das zu Musik, die man aus heutiger Sicht kaum als aufstachelnd empfinden kann.

Was ich selbst nicht wusste: Bill Haley und die Comets waren damals nicht nur in Berlin, sondern haben auf der gleichen Tour auch in Stuttgart für … naja, eine Art Aufruhr gesorgt. Und da waren wir dann wieder gespannt vereint vorm Rechner, der ältere Sohn und ich, denn dieser großartige Clip hier hat uns beide sehr gefesselt und wir haben herzlich gelacht über den Text des Berichts.

So for your enjoyment and entertainment:
Bill Haley & His Comets – Rip It Up Stuttgart Germany 1958

18 Kommentare

  1. 01

    Wunderbare Soiegel, die uns nicht nur zeigen, wie alt wir sind – sondern auch, wie sehr sich die Kultur entwickelt hat, die uns umgibt.
    Meine Eltern hatten neben viel Klassik als „modernste“ Musik James Last und Frank Sinatra im Plattenschrank…

  2. 02

    “Haben sich Erwachsene eigentlich früher auch über die Musik von Jugendlichen aufgeregt?” Na klar, und die Beatles waren schreckliche Schreihälse. Das ist für mich immer ein kleiner Triumph, weil es zeigt, wie wenig nachhaltig die Meinungen von Erwachsenen doch sind. Umgekehrt, finden sie – die Erwachsenen – heute die Beatles natürlich alle ganz toll. Daran zeigt sich, dass die Avantgarde der Jugendkulturen mit ihrem eigenen erwachsen werden verblasst. Es ist auch ein Hinweis darauf, wie belanglos letztlich der ganze Hype um Musikgenres ist.
    Heute wird jeden Tag eine neue Sau durch das mediale Dorf gehetzt, von VÖ zu VÖ gewissermaßen. Auf der Strecke bleibt die Musik. Schon deswegen lohnt es sich, sich als Mensch – egal ob erwachsen oder jugendlich – über die Musik aufzuregen. Musik ist ein Lebensgefühl, und das ist nun mal – wie die Jugend und das Leben ganz allgemein – vergänglich.

  3. 03

    Der enttaeuschte, mahnende Kommentar in dem Video ist grossartig, Johnny. Solch hilflose Herzensgutgemeintheit wuerde ich mir dann doch zurueckwuenschen. Gefaellt mir jedenfalls besser als die zynische Aetze, mit der Hauptmedien heute bekannte Stars ueberziehen zu glauben muessen.

  4. 04

    ueberziehen zu muessen glauben. Gab es hier nicht einmal eine Editierfunktion?

    Dann wenigstens noch ein Video von Bill Haley: https://www.youtube.com/watch?v=cG6n3Z7qwVs

  5. 05

    Es gibt hier in Tokyo uebrigens vereinzelt Clubs, in denen noch so getanzt wird. Ist sehr toll anzusehen.

  6. 06

    Was haben meine Eltern sozu hören gekriegt? „Die Beatles! Diese Frisuren! So läuft man doch nicht rum! Und dieser Mack Jigger, oder wie der heißt!“
    Was hatten wir damals Böses? KISS. AC/DC. Da haben manche Eltern Poster konfistiert und Platten beschlagnahmt.
    Solche kulturzersetzenden Randalesongs wie „I was made for Loving you“ mussten ja wirklich gestoppt werden.
    Heute rennt Angus Young immernoch atemlos ab dem ersten Riff auf der Bühne rum und lässt die Schuluniformhosen runter und AC/DC wurde zum Soundtrack der ersten Staffel von „Supernatural“. AC/DC spielt auch nur Blues, nur ein Bisschen härter und dreckiger als Muddy Waters.
    Vor Black Sabbath hat heute keiner mehr Angst. Die Jugend muss sich musikalisch mit irgendwas anderem emanzipieren. Der 16jährige Sohn meiner Freundin hört zum Glück das meiste per Kopfhörer. Solange er nicht laut mitrappt ist das ok.
    Nicht wegen der Texte, sondern weil er absolut kein Timing hat.

  7. 07
    robotron sömmerda

    Musik der Jugend? Natürlich rege ich mich darüber auf. Was soll diese schreckliche Uff ta ta Musik, oft mit rrrrollendem RRRR, also Heino, Helene Fischer und so……
    Schrecklich diese Jugend!

  8. 08

    „Da hilft auch der drahtlose Fernsprecher nichts!“ Herrlich. So würde ich mir mal eine Kommentierung des 1.Mais wünschen heutzutage wünschen. Was ein Spaß!

  9. 09
    andre

    Ich kann mich sogar über Musik aufregen die ich selbst vor 35 Jahren, als Jugendlicher, gehört habe. Allein der Gedanke an Udo L., Herbert G., Tote Hosen und diverse andere die damals bei mir angesagt waren, erzeugt blanken Abscheu. Und regen sich auch Jugendliche über die Musik von Jugendlichen auf?
    Egal, ich möchte hiermit auf “ jam in the van “ auf youtube hinweisen (z.Z. 25.308 Videos) hinweisen.

  10. 10
    andre

    Nachtrag
    Johnny, du hast neulich mal auf einen Blueser verwiesen, guck dir den mal an:
    http://www.youtube.com/watch?v=9mQe5E7qHuU

  11. 11
    andre

    Mist, die 25.308 sind die Abonnenten des Kanals.

  12. 12

    @#958760: Ich mag den Kommentar auch sehr, man kann das fast alles zitieren und es hat so eine wunderschöne Naivität. „Natürlich war die Polizei am Ende stärker“. Toll aber auch der „beinschlenkernde Held“, der „kniezitternd durch die Hintertür entwischt ist“. Das ist echt ganz großartig getextet, ist trotz der klaren Haltung gegen die „rebellierende“ Jugend keinerlei Zynismus, trägt ein Lächeln auf den Lippen, es wird gemahnt und ein bisschen veralbert … echt toll.

    Am Ende ist es auch sehr spannend zu sehen, wie vergleichsweise harmlos das alles war. Polizisten ohne Kampfausrüstung, bei den Auseinandersetzungen das beinahe als „fair“ zu bezeichnende Gerangel, die Stühle werden irgendwohin, aber anscheinend nicht auf Personen geschmissen, man sieht aber auch keine Knüppel gegen die Fans.

    Und dann natürlich: Die Bühne, die kaum vorhandene Soundanlage – sieht man ja auch auf alten Beatles- und Stones-Mitschnitten, wie archaisch das alles auch in dieser Hinsicht war. Irre.

  13. 13

    @#958903: Musste sehr lachen über den letzten Satz. :) Tatsächlich hat unser Älterer enorm gutes Timing, in dieser Hinsicht will ich mich nicht beschweren. Ich wünschte, er würde selbst schreiben. Aber vielleicht kommt das noch.

    @#959009: Krasser Typ! Nach solchen Videos dauert es immer Wochen, bevor ich mich wieder traue, selbst eine Gitarre anzufassen …

    @#958763: Jetzt hatte ich auf ein tolles Blog aus Tokyo gehofft, aber da steht nur eine Überschrift bei dir? Oder ist das mein Browser?

  14. 14

    Ne, da ist dein Browser nicht dran schuld – das ist aber auch eigentlich kein Blog und ausserdem gerade im Umbau. :)

    Habe aber tatsaechlich kuerzlich einen Blog aufgesetzt, allerdings lege ich da gerade erst los. Ich kann dir dann gerne den Link geben, wenn es nicht mehr so peinlich leer ist.

  15. 15
  16. 16

    Zeigt doch alles nur das Erwachsene lernfaehig sind. Oder sowas.

  17. 17
    Elblette

    Hehe, wenn ich meine Mutter früher ärgern wollte, hab ich brüllend laut Violent Femmes gehört. Pixies wären bestimmt auch gegangen, aber die mochte ich selbst nicht so…

  18. 18
    Robert Sander

    Und dazu muß man sich noch überlegen, daß die Konzertgänger damals in Stuttgart alle noch den zweiten Weltkrieg mitgemacht haben, bewusst oder unbewusst.