„In der SPEX schreiben doch nur Leute, die selbst gerne Popstars wären aber dafür zu scheiße aussehen und zu untalentiert sind“, hat jemand auf einer Party vor gut 15 Jahren mal zu mir gesagt. Warum das nur für SPEX-MusikschreiberInnen gelten sollte, ist mir bis heute nicht klar. Vielleicht, weil sie anders als ihre KollegInnen meist wenigstens noch im Popstar-fähigen Alter waren und immer wieder sind.
Mama SPEX. Seit 25 Jahren sucht das bekannteste deutsche Fanzine nach der Wahrheit im Pop, (er)findet sie ebenso oft wie sie sich (ver)irrt und bleibt dabei immer der eigenen Autoren-Vorliebe für GermanistikstudentInnen und (viel schlimmer) jene, die so klingen wollen, treu. Wer als FreundIn „alternativer“ Kultur noch nie eine oder mehrere SPEX-Phasen hatte, hat keine Leidenschaft für großen Pop und große Worte, das muss man bei allen weit offen stehenden SPEX-Bashing-Türen mal festhalten. Mit der SPEX verhält es sich wie mit der taz: Dauernd wird drüber gemeckert, aber wenn es sie nicht mehr gäbe, wäre das Geheule groß.
Mindestens seitdem Clara Drechsler nicht mehr in der SPEX schreibt und spätestens seitdem es die „Monsters Of Spex“-Reihe gibt, bin ich persönlich grundsätzlich versöhnt und lese über langweilige Befindlichkeitsausbrüche einzelner AutorInnen einfach hinweg (wer sich als BloggerIn über solche Texte beschwert, sollte sowieso mal zum Wahrnehmungs-TÜV). Alle bisherigen Line-Ups waren große Klasse, haben sich nicht als DE:BUG-Veranstaltung zu verkleiden versucht und dürfen sich rühmen, den ein oder anderen später auch von Mainstream-Medien hochgejubelten Act frühzeitig auf eine inländische Bühne gebeten zu haben. Die diesjährige Ausgabe im Kölner „Jugendpark“ (von wegen…) war die erste, bei der ich vor Ort dabei sein konnte.
Erster Tag, Freitag.
(Der ganze Artikel ist recht lang, die einzelnen Band-Reviews funktionieren aber für sich. Selektives Lesen ist also machbar.)
Verpasst: The Go! Team.
Nicht verpasst:
Hot Hot Heat
Ich hatte mir die nach der Platte irgendwie cooler, abgewetzter vorgestellt. Schlagt mich, aber ein Keyboarder als Frontmann, noch dazu mit Brian-May-Memorial-Frisur und Military-Jäckchen im Darkness-Style, hat’s bei mir schwer. Dabei waren Hot Hot Heat nicht schlecht. Aber.
Arcade Fire
Man kann sich die Kelly-Family auf Acid vorstellen, um einen ungefähren Eindruck von der Präsenz und Musik von Arcade Fire zu haben. Ich bin sicher, dass es sich bei der kanadischen Band nicht um eine Musikgruppe handelt, sondern um eine neue Therapieform die gerade getestet wird: „Hier, davon kurz vor dem Auftritt jeder drei Stück, dann alle schön im Chor singen, die anderen auch mal an das eigene Instrument lassen und hinterher gibt’s wieder euer Ritalin.“
Sechs Männer und zwei Frauen, die alle auf eine andere, subtile Weise gefährlich normal wirken, bevölkern die Bühne mit ihren Körpern, Gitarren, Geigen und Motorradhelmen auf Mikrofonständern und brüllen sich gemeinsam die Kehlen und Seelen raus, egal, ob ein Mikro vor ihnen steht oder nicht. Das hat mich schon immer sehr bewegt, wenn Musiker von ihren eigenen Songs so überzeugt sind, dass auch die Nichtsänger jedes einzelne Wort mitformulieren. Bei Menschen mit einer Geige unterm Kinn wirkt das nochmal stärker. Und ist bestimmt auch schwieriger.
Die Songs von Arcade Fire sehen dann auch genug Ho-Hee-Hos für alle vor und sind glücklicherweise trotzdem kaum stadion-tauglich. Es ist dennoch für die Zukunft durchaus vorstellbar, dass Arcade Fire einen echten Hit landen, mit Charts und allem Pipapo. Nach einem desaströsen „Wetten Dass“-Autritt wird sie dann aber niemand mehr ins Fernsehen einladen, was gar nichts macht, da die Musiker zu sehr mit ihren jeweils acht neuen Bands beschäftigt sind.
Soweit ich es verstanden habe, singen sie übrigens auch schöne Sätze und so waren Arcade Fire eines meiner Highlights des Festivals. Wäre das hier der TIP und wären the Arcade Fire ein Film, stünden sie im „Herausragend“-Kästchen.
Dinosaur Jr.
In Originalbesetzung und Adidas-Trainingsjacke bzw. im Fall des Drummers mit freiem und fülligem Oberkörper. Die wahren „Monsters of SPEX“, gar keine Frage. Der klassische Dreier, wie gehabt keine Pose zu viel und alle Marshalls wirklich an und auf 11. Wenn man vorne vor der Bühne stand übertönte J. Mascis‘ Gitarre sogar das Schlagzeug und nicht nur dadurch spürte man auch körperlich, dass man vor einer Legende stand.
Bei einigen meiner größtenteils jugendlichen Bekannten auf dem Gelände (Emilybeat, Caro, Marco, Sascha und Waldar mitsamt Freundin, deren Name ich peinlicherweise vergessen habe, sowie am nächsten Tag noch Dave-Kay) konnte ich ein gewisses Desinteresse feststellen, dabei spielten Dinosaur Jr. einen „Greatest Hits“-Set. Aber die muss man natürlich kennen, diese Hits, um sie genießen zu können, und als es bei „Just like heaven“ plötzlich hieß, der Cure-Song würde hier „verhunzt“ werden, stellte ich mich vorsichtshalber an einen anderen Platz, um eben zu genießen statt mit der ansonsten so herzlichen und unterhaltsamen Truppe von Popkids (das ist ein Kompliment) zu streiten. Wussten sie doch schließlich lange vor mir von der Großartigkeit von Arcade Fire zu berichten, da muss man fehlende Bezüge zu den Klassikern schonmal verzeihen können.
Und ganz ehrlich: Umgehauen haben Dinosaur Jr. auch mich nicht wirklich. Das stimmte alles und war toller Krach und ich war respektvoll gerührt, die nochmal sehen zu können. Aber hätte ich mich für drei Bands des Festivals entscheiden müssen, wären sie nicht dabei gewesen. Ich hätte die „Sturm und Drang“-Attitüde der anwesenden Youngsters vorgezogen.
Da mich Arcade Fire davon überzeugt hatten, dass aus Kanada doch gute Musik kommen kann, ließ ich mich von der Expertenrunde „Kommando Pop“ zum Ortswechsel überreden. Denn es gab noch mehr aus Montreal zu begutachten.
Stars
Muss man wohl auch kennen. Kannte ich aber nicht. Für solche Situationen gibt es dankenswerter Weise tragbare Musikabspielgeräte und so konnte mir Emilybeat beim Zwischenstopp mit Pizza wenigstens eine kurze Einführung in die Klänge der Stars in meine Ohren packen. In diesen klangen die Stars sowohl auf dem iPod wie auch beim Konzert im vollgepackten „Gebäude 9“ wie eine saubere Mischung aus Beautiful South und Belle and Sebastian. Viel weniger irre als Arcade Fire, aber ebenso heterogen und unprätentiös freundlichte sich die Band in die Herzen und Beine der Anwesenden, zu denen ich nach etwa 30 Minuten wegen Überfüllung des Saals und Übermüdung meiner Selbst nicht mehr gehörte. „Muss ich mir nochmal in Ruhe anhören“, sage ich in solchen Fällen immer und das hier ein solcher Fall.
Zweiter Tag, Samstag
Verpasst, aber jeweils mindestens vier Fremdmeinungen eingeholt: Hund am Strand (Verdict: „Ganz nett“), Benjamin Diamond (Verdict: „Ganz cool“) und Annie (Verdict: „Ganz peinlich“). Nicht verpasst:
Hard-Fi
Was mir auf der Platte fehlt, kommt auf der Bühne (wie so oft) dazu: Leben. Ganz definitiv eine Kapelle, deren im Oktober anstehende Tour man sich als Freund der etwas aggressiveren Popmusik ohne Reue antun kann. Hard-Fi (gute Idee vom deutschen Label, nach wochenlanger Sticker-Platzierung in Großstädten und eigener Ansage des Sängers, dass es eine deutsche Website gäbe, selbige unbenutzbar zu machen, oder sieht hier jemand was?) kennen die Clash- und Jam-Alben ihrer älteren Brüder auswendig, haben die Reggae- und Dance-Kultur ihrer britischen Heimat aufgesogen und machen daraus prima neuzeitliche Songs zwischen Pop und Punk-beeinflusstem Rock.
Wenn man den Jungs überhaupt etwas vorwerfen wollte, dann wäre das, dass sie etwas zu clever sind. Ein kleines bisschen zu durchdacht („konstruiert“ wäre fies) wirken manche Refrains, in denen man sich ein paar Störfaktoren mehr wünscht. Man spürt, dass die Band es wirklich wissen will, doch Wollen ist in der Kunst ja oft Fehl am Platz. Aber Hard-Fi sind noch recht jung, der Sänger sieht gut aus, performt großartig und hat eine klasse Stimme und ich habe lange Zeit keine so eng zusammen spielenden Basser und Drummer wie bei Hard-Fi gesehen. Wenn die sich mal ein bisschen entspannen und die Plattenfirma sie nicht gleich wieder fallen lässt, kann da noch einiges kommen. Hoffentlich teilen sie nicht das Schicksal ihrer ähnlich klingenden, längst aufgelösten und vergessenen Vorgänger wie z.B. Manbreak.
Tomte
Der schwierigste Teil dieses Artikels. Wirklich.
Man mag, will, kann, darf und sollte kein böses Wort über eine Band wie Tomte verlieren, zu intelligent und nett und ehrlich und herzlich und gelassen kommen sie daher und singen und sprechen viele wahre Sätze. Aber verdammt, speziell zwischen englischen Großmäulern eingebettet fällt die sträfliche Abwesenheit jeglicher Pop-Attitüde, positiver Aggression und leider auch mitreißender Professionalität brutal auf. Thees Uhlmann ist ganz sicher einer der besten Gesprächspartner, die man sich wünschen kann und ich liebe seinen Humor in den vielen Kommentaren zwischen den Songs. Aber was hilft’s, wenn am Ende zwar nettes, aber doch irgendwie uninspiriertes Geschrammel und beinahe weinerliches Gesinge aus der PA kommt, das im unverständlichen Widerspruch zu diesen glänzenden und selbstironischen Ansagen zwischen den Songs steht?
Man bekommt den Eindruck, dass Tomte keine Lust haben eine wirklich große Band zu sein, da sie offenbar so viel Respekt vor anderen von ihnen geschätzten Musikern haben, dass sie allein den Versuch des Strebens nach wirklicher Einzigartigkeit für aussichtslos halten. Wenn Thees auf der Bühne erzählt, wie stolz er darauf ist, bei einem SPEX-Festival spielen zu dürfen, dann bestätigt er meine Vermutung. Und so ehrlich von Herzen das auch kommen mag: Pop braucht einen Schuss Arroganz und Großkotzigkeit und Wahnsinn und Leidenschaft, um wirklich mitreißen zu können, ich möchte als Fan weder Entschuldigungen für ihre Existenz von Musikern noch demütige Dankesreden an Veranstalter und Publikum. Jenes sei ja nicht wegen Tomte da, sondern Tomte wegen des Publikums, betonte Thees nur halb ironisch und irrt sich gewaltig. Oder macht einen für einen Popmusiker eklatanten Fehler.
Das alles wäre nicht so schlimm, wenn’s dann wenigstens auf den Punkt knallen würde. Wenn der Bassist seine Pirouetten drehen würde und dabei trotzdem präzise mit seinem Schlagzeuger zusammen spielen würde. Wenn die Songs auch in ihrer musikalischen Struktur durch ein paar Details, Stopps, Breaks, Ausbrüche von genau der Leidenschaft und Liebe zeugen würden, von der Thees Uhlmann singt. Aber das tun sie nicht, so leid es mir tut.
Ich schreibe nicht so viel über Tomte, weil ich die Band scheiße finde, im Gegenteil. Ich wünsche mir nur so viel mehr von ihnen. Vielleicht zu viel. Als Tomte vor dem Gig auf der Bühne standen, um ihren kurzen Soundcheck vor Publikum selbst zu machen, war Herr Shhhh begeistert ob ihrer Uneitelkeit. Ich musste widersprechen.
Maximo Park
„Du musst die live sehen, um sie zu verstehen“, wurde mir in den letzten Wochen oft gesagt, wenn über das Album von Maximo Park geredet wurde und ich trotz meiner Sympathie für die Kombo immer wieder betonte, dass ich den Hype nicht verstehen könne. Another 80s Revival Band. Dachte ich.
Und hatte irgendwie Recht, aber das begleitende Kopfschütteln kann ich mir von nun an sparen, wenn ich über Maximo Park rede. Denn es stimmt: Man muss sie live sehen. Danach kann man sie uneingeschränkt klasse finden.
Der Roadie, der den Soundcheck durchführte (siehste, Marco!?), legte den Grundstein für die folgende knappe Stunde, indem er „Mongoloid“ von Devo anstimmte. Sehr sympathisch. Die Band betritt die Bühne, wie sie eine Band betreten sollte: Gemeinsam und zügig. Profis, die es ebenfalls wissen wollen, dabei aber zu weniger Kompromissen als bspw. Hard-Fi bereit zu sein scheinen. Nach den ersten Klängen gesellt sich mit ebenfalls forschem Schritt Paul Smith hinzu. Enge, schwarze Hose (von Paul Smith?), Hemd mit Krawatte, roter, enger Sweater darüber. Fies gegeelte Haare. „The Mathelehrer from Hell“ indeed (Danke, Caro!). Sein Lächeln und die kurze Verbeugung zum Publikum, die keinerlei Unsicherheit oder Nervosität zeigen, verwandeln sich mit dem einsetzenden Beat in eine absurde Mimik und Gestik, die mich an theatralischere 70s-/80s-Bands wie Punilux oder eben Devo, aber auf eine ganz andere Art an den jungen Kevin Rowland oder auch die Buzzcocks erinnert. Das alles frei von jeglichem Plagiats-Vorwurf. Es ist ja keine Schande, wenn eine Band die Geschichte ihrer Vorgänger offensichtlich kennt und darauf aufbaut, um etwas Neues zu kreieren.
Ich hatte die fantastische Energie, die Maximo Park von der Bühne ins Auditorium donnern, nicht erwartet und so war ich extrem angetan von diesem Set. Überraschend bei fast allen Bands übrigens die unglaubliche Freundlichkeit gegenüber dem Publikum, keine Spur von Arroganz. Im Fall von Maximo Park stand sie in einem krassen Gegensatz zur Aggressivität der Song-Performance und führte bei der Zugabe zu einer bizarren Mimikry, als Herr Smith nach einer langen, liebevollen Erklärung der Bandaktivitäten (viel früh aufstehen und reisen) und Deutschland-Freundlichkeiten mit einem „The Night I Lost My Head“-Schrei seine Kapelle in den nächsten Song führte.
Sehr, sehr beeindruckende Bande, das. Und der Schlagzeuger sieht aus wie Hagen!
Saint Etienne
Ich fand St. Etienne immer nett, und das ist kein gutes Zeichen. Lief so durch, mal hier, mal da. Muss man nicht kaufen, braucht man aber nicht abschalten, wenn’s im Radio läuft. So eben.
Nach den Auftritten, die ich oben beschrieben habe, hatte ich jedoch keinen Platz mehr auf der Nett-Partition meiner persönlichen Festplatte. Nach vier Songs, deren Darbietung leider meiner Meinung nach dicht an der einer Abba-Coverband lag, bin ich lieber gegangen, damit ich hier nicht noch Schlimmeres schreiben muss.
Nicht so mein Ding, wie man merkt, aber egal. Die zwei Tage „Monsters of SPEX“ waren prima: Danke SPEX, für diese wunderbare Auswahl! Aber…
Warum schreibt Ihr denn nun immer so komisch?
Mehr Fotos gibt es bei den Spreeblicken und für die ganz Harten gibt es hier, hier und hier noch M.P.-Handyvideos von grausamer Qualität.
bei mir tuts die Seite von Hard-fi.
Komisch. Jetzt bei mir auch. Vorhin noch nicht.
gezz mal im ernst: the go! team sind größer als der rest der welt. ich sag das jetzt mal aus überzeugung, weil ich mich seit einem knappen 3/4jahr in das album verschossen hab! ich mach dir mal ein mixtape, babe… (bei gelegenheit)
Ich war von MaximoPark auch hin und weg, und werde mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen sie mir nochmal ausführlich bei einer ClubTour oder Ähnlichem anzusehen.
Johnnys Rückblick ist nichts hinzu zufügen. Eine kurzweilige Angelegenheit war das, auch weil die Umbaupausen fast unbemerkt über die Bühne gingen.
Ärgerlich fand ich die spärliche Auswahl an Essen und Bier aus Glitzerbechern.
Beim Lesen des Abschnitts zu Dinosaur JR. fühlte ich mich daran erinnert, dass ich „Alien Sex Fiend“ noch mal mit 31 gesehen habe, nach 10 Jahren. Respektvoll ganz nett finden und wissen, es ist vorbei Junimond.