Da standen sie nun, Franz, Hans und Rüdiger (die anderen vier Söhne nicht mehr, denn sie waren mit ihren Gedanken und Körpern schon längst wieder woanders), ratlos, verwirrt und auf der Suche nach dem Dimmer, um wieder normales Licht zu haben. Die Musik ließen sie an, sie passte irgendwie zur Stimmung.
Obwohl sie alle eher anti-autoritär aufwuchsen, hinten auf dem Hof einen eigenen Abenteuerspielplatz hatten und sich auch nicht jeden Abend die Zähne putzen mussten, hatten sie großen Respekt vor ihrem Vater. Hey! Er war König! Das rockte, auch und besonders in der Schule. Es gab also keinen Zweifel daran, dass sie seinem Wunsch Folge leisten würden.
Und so zogen sie Los.
Nämlich wer das schnellste Pferd bekommen sollte. Hans hatte gewonnen, Franz und Rüdiger nicht. Ging ja auch nicht, es gab ja nur ein schnellstes Pferd, wenn es zwei oder gar drei gegeben hätte, wäre eine Auslosung völlig überflüssig gewesen. Die anderen beiden waren auch nicht wirklich langsam, aber bei Brüdern ist das eben so, ich will das schnellste Pferd, nein ich, ich hab’s zuerst gesehen und so weiter und da ist Auslosen schon eine gute Lösung.
Während Franz und Rüdiger noch schreiend auf dem Boden lagen, weil sie das Ergebnis der Auslosung nicht akzeptieren wollten und jeder von ihnen selbst das schnellste Pferd haben wollte (das, nebenbei bemerkt, auf den Namen Samantha hörte, weil es so schnell war, zumindest war das die Erklärung von dem der vier anderen Söhne, der dem Pferd diesen Namen gegeben hatte, und bis zum aktuellen Tage wusste niemand, was der Name mit Geschwindigkeit zu tun haben sollte, aber er war der Jüngste und man wollte Tränen vermeiden), schritt Hans bereits zum Stall, um Samantha zu satteln. Franz und Rüdiger protestierten, dass es wenig Sinn mache ein Pferd am Abend vor dem Ausritt zu satteln, aber dann gaben sie nach und sattelten ebenfalls ihre Gäule, die auch beide Samantha hießen, damit keiner weint.
Am nächsten Morgen ritten die drei Auserwählten in die Ferne. Noch vor dem Frühstück, denn das mochte sowieso keiner von ihnen.
Fast drei Monate waren ins Land gegangen und der König wurde unruhig. Er machte sich Sorgen. Er fragte sich, ob er das Richtige getan hatte, als er das Kricket-Feld hatte vergrößern lassen, denn er wusste nicht, wie man das Spiel spielt und da er niemanden kannte, der das wusste, spielte auch niemand mit ihm. Und er fragte sich, wo Franz, Hans und Rüdiger blieben, die er auf die Suche nach dem Sinn des Lebens geschickt hatte, falls das jemand bereits vergessen hat, die Jugend von heute hat ja so kurze Aufnahmespannen, das kommt von den ganzen Videospielen, da geht’s zackzack bummbumm und für die Geschichte interessiert sich niemand mehr, außer es kommen nackte Frauen darin vor oder viel Blut oder am Besten beides. Aber kein Menstruationsblut, weil sonst Index.
Genau am Ende des dritten Monats jedoch kam Hans mit der schnellsten Samantha auf den Hof galoppiert, nicht auf den mit dem Abenteuerspielplatz, sondern auf den vorne. Hans strahlte vor Freude und fiel seinem Vater um den Hals und sofort auch wieder auf die Nerven. Doch er hatte Großartiges zu berichten:
„Vater! Ich habe den Sinn des Lebens gefunden! Er nennt sich ‚Ständige Vermehrung des bereits bestehenden Vermögens durch Ausbeutung und Unterdrückung Dritter“, aber ich denke, am Namen muss man noch feilen, um die kritische Masse erreichen zu können, irgendein cooler Marketing-Begriff wird uns schon einfallen.“
Der König war beeindruckt. „Er fahre fort!“, sagte er zu seinem Sohn, da er es für angemessen hielt an einem solchen Tag in jene gestelzte Sprache zu verfallen, die er sonst nie benutzte.
Hans versuchte, es seinem Vater gleich zu tun: „Mich deuchte…“. Er ließ es sein.
„Ich ritt von Dorf zu Dorf, von Feld zu Feld und von Gemeinde zu Gemeinde. Manchmal ritt ich auch von Dorf zu Gemeinde und dann zu einem Feld oder von Feld zu Dorf zu…“ – „Mache er hin!“, unterbrach ihn sein Vater. Hans nickte eifrig: „Jedenfalls wurde mir das Reiten irgendwann zu langweilig und so begann ich, auf die Reaktionen der Menschen, die mich als Königssohn erkannten und mit denen ich bis dahin belanglose und nichtige Gespräche geführt hatte, unfreundlich zu reagieren. Und siehe da, die Menschen fielen vor mir auf die Knie, aus Angst, ich könne ihnen schlechte Nachrichten ihres Königs überbringen. Diese Idee gefiel mir und so erfand ich neue Gesetze. Ich begann, Steuern einzutreiben. Da die wenigsten unserer Untertanen über Bargeld verfügen und ich, da ich unterwegs war, keine Kreditkarten akzeptieren konnte, ließ ich mir die Steuern vor Ort und Stelle in Pferden auszahlen. Drei Monate lang war ich im Land unterwegs, und siehe Vater, was ich dir mitgebracht habe!“
Mit diesen Worten öffnete sich wie unter der Regie von Anatôl Korgeijev das Hoftor und gab den Blick nach draußen frei. Der König erstarrte beim Anblick der größten Pferdeherde, die er je gesehen hatte. Selbst die weltweiten Königs-Portraits im Fachmagazin „Schöner regieren“ hatten eine solche Herde noch nicht gezeigt. Tausende von Pferden so weit das Auge reichte endlose Weiten bis zum Horizont bedeckten na ihr wisst schon, eines schöner als das andere. Der König war beeindruckt: „Und für diese Pferde hast du nichts bezahlt? Man hat sie dir freiwillig überlassen?“
„Ganz genau so ist es, Vater!“, bestätigte Hans. „Ein wenig Unterdrückung hier, ein bisschen Androhung von Folter dort und schon sammelt man die schönsten Pferde ein. Du bist jetzt noch mächtiger und reicher als je zuvor, und mehr noch, du bist gefürchtet, aber auch respektiert im ganzen Land. Du bist ein wahrer König, Vater! Und das ist der Sinn Deines Lebens!“
Zufrieden ließ der König seinen Sohn aus der Umarmung frei und lächelte ihn an. „Ich danke dir, mein Sohn! Komm, zeig mir alle Pferde und dann warten wir gemeinsam bei einer Brause auf deine Brüder!“
Doch während der folgenden drei Monate (man kann hier ein klares Schema erkennen) ließ sich kein weiterer Sohn blicken. Der König und sein Sohn Hans hatten Spaß mit der neuen Pferdeherde, ließen sich von wichtigen Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland feiern, gaben der internationalen Presse Interviews ohne Ende und erließen zwischendurch vor lauter Langweile neue, gemeine Steuergesetze, die ihre Pferdeherde weiter anwachsen ließ.
(Hier geht’s zum dritten Teil)