Die taz hat ein Interview mit Bernd Stange, ehemaligem irakischen, jetzt weißrussischem Nationaltrainer, geführt, das viel zu erzählen weiß über Opportunismus, politischer Selbstblendung und dem Zusammenhang von Sport und Sport. Kleiner Ausschnitt:
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Was nun Ihr Ziel mit Weißrussland sein wird. Ein Land, das als letzte Diktatur Europas gilt.
Genau. Nur das ist mein Ziel. Und wenn mir die Leute mit der Politik in diesem Land kommen, da kann ich nur abwinken und sagen: alles Kokolores, nächste Frage. Diese Fragen hängen mir so zum Hals raus, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Wenn irgendwer ein Problem mit diesem Land hat, sag ich nur: Kommen Sie nach Minsk und schauen sich an, was hier entstanden ist. Die Stadt strahlt, es ist sauber, das muss man einfach mal gesehen haben.
In Weißrussland finden massive Menschenrechtsverletzungen statt, die Wahlen werden manipuliert, Oppositionelle ermordet und Medien zensiert. Da kann man doch nicht entspannt arbeiten.
Das ist mir so was von wurscht. Ich bin Fußballnationaltrainer in einem Land mit riesiger Fußballtradition, nur das zählt. Mit meinem Kollegen Harald Irmscher will ich hier das Beste herausholen. Das ist meine Mission und mit allem anderen habe ich nichts zu tun. Ich lasse mich auch von niemandem hinreißen, irgendetwas zur politischen Situation zu sagen. Ich habe hier so tolle Bedingungen vorgefunden, wie ich sie selten in meinem langen Fußballerleben erlebt habe. Es ist eine nagelneue, brillante Föderation, die vor sechs Monaten von Michel Platini eröffnet wurde. Es gibt 18 Fußballplätze, eine überdachte Fußballhalle mit dem Rasen, den auch Trapattoni in Salzburg zur Verfügung hat. Da sag ich doch: Hallo, was für eine tolle Herausforderung? Die möchte ich doch annehmen.
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Gross. Ganz gross!
ich bin da voll seiner meinung.
Womit hat er Recht? Dass die letzte Diktatur Europas toll sei, weil sie ihm tolle Arbeitsmöglichkeiten biete, und endlich alles wieder schön sauber ist in der Hauptstadt?
Ich finde seine Formulierungen jetzt auch äußerst unglücklich, bin aber schon der Meinung, dass er im Prinzip Recht hat: Er ist Fussballtrainer, die politische Situation muss ihn nicht direkt etwas angehen. Wenn er das mit sich selbst vereinbaren kann geht es in Ordnung. Wo ziehen wir denn bitte sonst die Grenze? Weißrussland ist nicht okay, Russland ginge schon? Georgien? Türkei? War denn sein Amt als irakischer Trainer akzeptabel? In den genannten Ländern gibt es auch Menschenrechtsverletzungen und politisch motivierte Morde.
Sollte man wegen Probleme innerhalb eines Landes alle Interaktion mit diesem Staat einstellen? Interaktion, die zuweilen durchaus positive Nebeneffekte auf eine Gesellschaft haben? Ich meine man sollte die Integrationsfunktion des Sports gerade in Konfliktgebieten nicht ignorieren.
Es geht nicht darum, was okay ist und was nicht, sondern dass, wenn man ihm „tolle Arbeitsmöglichkeiten“ bietet, der Herr Stange offensichtlich über so manches hinwegsehen kann. Dass er mit so einer Einstellung beileibe nicht allein ist, steht nochmal auf einem ganz anderen Blatt.
Und die Geschichte mit der „Integrationsförderung des Sportes“, das ist so ein Märchen, das seit dem ersten Fußballspiel erzählt wird. Die Integrationsleistung eines Herrn Stange besteht darin, zu sagen, dass alles gar nicht so schlimm sei. Wo da die Leistung bleibt, frag ich mich.
Ich würd jetzt ja gerne auf dem politischen Hintergrund von Stange rumreiten, kenne ihn aber leider nicht gut genug.
Auf jeden Fall wundern mich diese Aussagen nicht, ich halte es aber für bedenklich, wenn man so vor dem Alltag die Augen verschließt. Ein wenig Verantwortung würde dem Herrn Stange hier sicher gut zu Gesicht stehen.