Ich war zwar noch nie auf dem Jahrestreffen der Kartoffelchips-Inspekteure (den „Crunchies“?) und auch die Verleihung des „Goldenen Brötchens“ durch die Bäckerinnung ist bisher an mir vorbeigegangen. Dennoch bin ich ziemlich sicher, dass sich alle größeren Branchen-Treffen stark ähneln.
Man feiert sich selbst und zieht sich entsprechend fein an (hier gibt es zwischen den Branchen sicher einen gewisses Niveaugefälle bei der Krawattenmuster- und Dekolletétiefen-Wahl), man trinkt viel, weil kost‘ ja nix (branchenübergreifend, international, geschlechtsunabhängig) und man mäkelt am Buffet rum, obwohl man nicht einmal fähig ist die angebotenen Lebensmittel bei ihrem Namen zu nennen. Zwischendurch flirtet man etwas zu laut mit dem Neuen aus der IT und zieht eifrig und mit vollem Mund (so schlecht ist das Buffet nun doch nicht und: kost‘ ja nix!) über die anderen Gäste her. Wie die schon wieder aussieht. Die blöde Kuh.
So muss das sein, so macht das Spaß. Und die nächste Fahrt geht rückwärts, denn am folgenden Tag ist man seinen Job los, die blöde Kuh leitet jetzt nämlich die Personalabteilung und ist gerade bei dem Neuen aus der IT eingezogen. Doch trotz des möglichen Karrierefiaskos sind solche Veranstaltungen für die jeweiligen Branchenmitspieler offenbar ein Muss und ein Vergnügen.
Etwas anders sieht es für Branchenfremde oder, wie in meinem Fall, Branchenfremdelnde aus. Ich fühle mich bei Events wie der Verleihung der Lead Awards am vergangenen Mittwoch meist wie auf einer Party, zu der ich von einem Gast uneingeladen mitgebracht wurde („Das ist der Johnny, alter Bekannter, der wusste nicht wohin heute, da hab‘ ich den mal mitgebracht, is’n ganz Netter“) und habe das Gefühl, alle würden sich, aber nicht mich kennen. Was natürlich auch eine Menge Vorteile hat. Man kann z.B. noch mehr trinken, weil kost‘ ja nix, und rauswerfen kann mich eh nur meine Gattin, die somit mächtigste (nicht nur Medien-) Frau der Welt, was meine Person angeht.
Die Lead Awards in Hamburg waren ein Grenzfall — in Sachen Medien gehört Spreeblick sicher irgendwie dazu, dann aber auch wieder nicht, was zunächst daran liegt, dass mir die meisten bekannten Medienleute völlig unbekannt sind und ich das auch nicht weiter schlimm finde. So schwankte ich beim Durchwandern der Party zwischen „Ich will die alle gar nicht“- und „Ihr werdet mich schon noch“-Kennenlernen-Stimmungen, plauderte mit den wenigen mir bekannten Gesichtern, trank und lästerte über die anderen Gäste.
Vor der Party stand jedoch die Preisverleihung. Glücklicherweise hatte ich zu Beginn der Veranstaltung die langjährige Freundin eines langjährigen Freundes getroffen, die sich zusammen mit ihrer langjährigen Freundin dazu bereit erklärte, neben mir zu sitzen und im Falle eines ersten Platzes für Spreeblick in hysterisches Kreischen zu verfallen, während ich mir die Tränen aus den Augen wischen wollte. Dazu kam es zwar nicht, doch immerhin saßen wir direkt neben Rainald Goetz, dessen Notizbuch zu diesem Zeitpunkt schon voller war als ich den ganzen Abend lang und der ob der eigenen Nominierung einigermaßen aufgeregt schien. Die Pfefferminzbonbongeschichte, die er niedergeschrieben hat, stimmt übrigens, das war die langjährige Freundin der langjährigen Freundin eines langjährigen Freundes, der er seine Fisherman’s verweigert hat. Aus welchem Grund auch immer. Asozial erschien mir Goetz jedoch wenig später überhaupt nicht, nachdem ich ihn mit dem Klassiker „Entschuldigung, sind Sie Rainald Goetz?“ angesprochen hatte. Ganz im Gegenteil, er wirkte begeistert und nett und offen. Und er vermisst Ulf Poschardt sehr.
Dagegen erschienen die Jungs von unseren neuen Büronachbarn, der Titanic, als hätten sie gerade SatireVZ gegründet und wären mit einer Videokamera auf dem Hundeklo erwischt worden. Es gelingt mir auch nach dem inzwischen dritten oder vierten Zusammentreffen mit Martin Sonneborn (Die Partei) nicht, den Eindruck zu erhalten, er würde sich an die anderen Gespräche erinnern. Vielleicht mag er mich auch einfach nicht, das wäre zwar höchst unverständlich, doch verzeihbar, vielleicht hat er aber auch genau wie ich ein mäßiges Personengedächtnis, dann würde ihn beim nächsten Mal nur mit einem kräftigen Schlag auf die Schulter begrüßen und ihn beim sofortigen Weitergehen mit Daumen am Ohr und dem kleinen Finger am Mund wissend anlächeln.
Ein scheinbar hervorragendes Personengedächtnis hingegen bewies die langjährige Freundin der langjährigen Freundin eines langjährigen Freundes, die unsere zufällig entstandene Gesprächsrunde schwerstens beeindruckte, als sie die wenige Meter entfernt stehende Alice Schwarzer mit den Worten „Hallo Frau Wedekind, was machen Sie denn hier? Wie gefällt Ihnen die Party?“ aufs Allerherzlichste und in scheinbar enger Vertrautheit begrüßte. Niemand von uns wusste bis dahin, dass Frau Schwarzer in Wirklichkeit Frau Wedekind heißt. Heißt sie auch gar nicht. Die langjährige Freundin der langjährigen Freundin eines langjährigen Freundes entdeckte daher kurz darauf eine Gesprächsrunde am anderen Ende der Veranstaltungshalle. Weit weg von der Frau, die sie für Frau Wedekind gehalten hatte.
Man erkennt: Auch für Branchenfremdler wie mich ist es möglich, ein wenig Spaß zu haben auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten, der eine jede Party nun einmal auch ist. Man darf nur nicht zu viele Leute kennen.
Achja. Der Grund für den Titel:
der artikel hat noch keine überschrift. ;-)
Jetzt ja. :)
Sehr schöner Text, Danke für die unterhaltsame Mittagspause.
Du wärst dort wahrscheinlich der Einzige gewesen, dessen Gesicht ich wenigstens vom Foto gekannt hätte.
Für mich hat der Lead Award ein ähnliche Funktion, wie damals™ die Poll-Ausgabe der Spex am Ende des Jahres: Alles, was ich verpasst habe und noch nicht kenne – zum Nachholen.
da mußt du dir nix bei denken johnny, die halten dich alle für reinhardt may und trauen sich nicht dich anzusprechen.
rainald goetz lebt noch? ich dachte sein gehirn wird an irgendeiner pharmazeutischen fakultät, in nährlöung, kommenden generationen zur mahnung aufbewahrt.
Also die Crunchies sind schon vergeben worden, haben aber soweit ich sehen kann wenig mit essbaren Dingen zu tun…
@#671277: Wenn diese Vergleiche so weitergehen, hol‘ ich bald wieder meine akustische Gitarre raus! :)
was hat das mit der überschrift zu tun ? die überschrift ist bescheuert