Kürzlich erschien das neue Stijlroyal-Magazin, mit Texten von u.a. Sibylle Berg, dem Vergrämer, Else Buschheuer und vielen anderen mehr. Das Heft gibt es hier zu kaufen, am Samstag findet in Wiesbaden die Releaseparty statt. Statt vieler weiterer Worte folgt mein übellauniger Text zum Thema Heimat, der es auch ins Magazin geschafft hat. Nach dem Baumstamm.
Es gibt keinen Plural für Heimat. Heimat ist ein Singularetantum, das klingt zwar nach Begräbnis, heißt aber genau das: Es gibt keinen Plural für Heimat. Es gibt auch keinen Plural für Weltall oder Lärm. Auch das sind Singulariatantum, das ist der Plural von Singularetantum. Was ist das für eine Welt, die für den Begriff, dass es für manche Worte keinen Plural gibt, einen Plural kennt.
Im Französischen sagt man für Heimat pays natal. Geburtsland. Geboren bin ich in einem Kaff in Süddeutschland, das ist schon ein bisschen her. Im Allgäu, das heißt Berglandschaft. Ich hasse Berge, ich hasse Natur. Es ist schon ein bisschen her, das heißt: es war 1982. Mein Vater ist aus Frankreich zwischen all die Berge gezogen, weil er dachte, Heimat sei da, wo meine Mutter wohnt. Meine Mutter ist Deutsche. Später hat sich herausgestellt, dass sich mein Vater geirrt hat. Jetzt wohnt er in Deutschland und meine Mutter in Frankreich. So gleicht sich alles wieder aus im Leben.
Ich bin aufgewachsen in der deutschesten aller Landschaften, lauter Eichen und andere idiotische Bäume. Karpfen in den Seen, Hechte, was weiß ich. Trotzdem bin ich französisch sozialisiert. An unserem Gartenzaun hörte Deutschland auf. Jedes Abendessen dauerte vier Stunden. Die Plattensammlung bestand ausschließlich aus Edith Piaf und Georges Brassens. Schimmelten im Kühlschrank Lebensmittel, wurden sie nicht weggeworfen, sondern als Delikatesse den Nachbarn aufgetragen, wenn sie mal zu Besuch kamen. Wir bekamen wenig Besuch von den Nachbarn.
Ich bin zweisprachig aufgewachsen. In früher Kindheit äußert sich das so: Man nimmt alle Sprachen als eine war. Es gibt nicht Deutsch und Französisch, sondern nur Worte für Dinge. Manches sind gemütlichere Worte, andere sind schwerer auszusprechen. Ein pf zum Beispiel ist sehr schwer auszusprechen, das kriegt ein Kleinkind kaum über die Lippen. In meiner Sprache gab es keine pf, wenn ich einen Apfel wollte, habe ich pomme gesagt. Und wenn ich auf den Topf musste, pot. Das ging dann so: „Bitte eine pomme, merci.“ Oder: „Auf pot!“ Ich habe lange in diesem Mashup gesprochen, bis mich meine nicht eben fremdsprachenaffine Erzieherin nach meinem Kindergartentag zum Sozial-Psychiatrischen Dienst überstellen wollte, weil sie mich für verhaltensgestört, mindestens aber für schwachsinnig hielt.
Im Allgäu war immer viel von Heimat die Rede, da regiert die CDU. In unserem Wahlkreis hätte die CDU einen fußlahmen Ochsen aufstellen können, der wäre trotzdem in den Bundestag eingezogen. Die hätten den sogar auf einen Wagen gehoben und eigenhändig hingekarrt, wenn er es von selbst nicht gepackt hätte. In solchen Gegenden hält man noch viel von Tradition und Volksgut. Die Mutter meiner Exfreundin war Vorsitzende eines Trachtenvereins. Heimat, das war für sie einige von Kühen zugeschissene Hügel, ein bisschen Ringelreihen, ein paar Kässpätzle und der sonntägliche Kirchgang. So kriegt der Tag Struktur, zwischen Herd und Kommunion.
Ich habe sie mal gefragt, was sie an ihrer Heimat schön findet, ich frage das eigentlich nie, aber was will man sonst am Küchentisch mit einer Person reden, die die Zitter für bedeutender hält als das Klavier. Sie sah mich an und kaute. Sie hat noch nicht einmal nachgedacht, sie wusste es schlicht nicht. Später habe ich in diesem Käseblatt, das der Stern geworden ist, etwas gelesen, was sie hätte sagen können:
„žSolange Heimat da ist, spürt man sie kaum. Wie gute Luft, die man atmet und für selbstverständlich hält. Erst wenn beides fehlt, erkennt man ihren Wert. Dann schmerzt die Lunge von Kneipenqualm und die Seele von Heimatverlust.“
Ach was, die Seele schmerzt. Das hat so viel – Tiefgang. Die Mutter meiner Exfreundin war, denke ich, sehr unglücklich. Verachtet von ihren Töchtern, weil leicht aus der Fassung zu bringen, engstirnig und verbohrt, von ihrem Mann, den sie hasste, auf die gleiche Weise zurückgehasst, gab es nicht viel, woran sie sich festhalten konnte. Und dieses „nicht viel“ ist ihr alles geworden. Zugeschissene Hügel, ein bisschen Ringelreihen, ein paar Kässpätzle und der sonntägliche Kirchgang.
Es gibt kein Konzept für Heimat. Was Heimat ist, hat bisher noch keiner erklären können. Vielleicht wird es deswegen immer so unansehnlich, wenn die Deutschen anfangen, Heimatliebe zu empfinden. Normalerweise passiert das ja nur, wenn eine Weltmeisterschaft im Land ist. Dann holen alle ihre schwarz-rot-goldenen Fahnen aus dem Keller und spielen Party. Unverkrampfter Patriotismus nennt das Feuilleton sowas. Besoffener Nationalismus stimmt auch.
Es hat etwas tragikomisches, dass ausgerechnet den Deutschen mit ihrer „žHeimat“ alle Gründungsmythen kaputt gegangen sind. Die anderen haben Revolution, Unabhängigkeitstage, Weltkriegssiege, die Deutschen müssen einen albernen Weltmeistertitel zur Weltsensation aufblasen.
Deswegen hat Der Spiegel, früher einmal Sturmgeschütz der Demokratie, inzwischen Konfettikanone des Spaßkonservatismus, versucht, Hermann den Cherusker zum Deutschen umzuschreiben. Damit man was hat, worauf man stolz sein kann. „žDie Geburt der Deutschen“ hieß der Spiegeltitel, im Artikel wurde die Enthaltsamkeit und die Ehetreue der Germanen gepriesen und die Römer verteufelt, die Germanien romanisieren und einem Rechtssystem unterwerfen wollten. Hermann trat ins Feld und rettete Deutschland. „žOhne ihn gäbe es heute vielleicht weder Currywurst noch Saumagen,“ meint der Spiegel. Gott weiß, ich will kein Deutscher sein.
Seele, Currywurst, Trachtenverein: Ein Heimatgefühl ist im Grunde eine bessere Dorfkneipe. Es ist ein dem Deutschen typisches Tresenbedürfnis. Heimatliebe, das ist etwas für Leute, die sich Alkoholismus nicht zutrauen.
Inzwischen lebe ich in Neukölln, am Richardplatz, hier gibt es viele Eckkneipen. Die Nachbarin gegenüber beschimpft ihren Mann gerade als huju, das heißt Wichser, mehr verstehe ich nicht. Der algerische Papa sitzt einen Balkon tiefer und raucht seine Tüte. Jemand schreit auf Türkisch in sein Telefon. Die lettische Oma im Untergeschoss gießt ihre Blumen auf dem Hinterhof.
Nein, Heimat ist das hier nicht. Aber es fühlt sich wie zu Hause an.
Sehr schön. :)
Noch schöner: eine Spreeblick-Delegation in meiner hessischen Wahlheimat zu haben. Was freue ich mich! :)
Stimmt, das ist ja Hessen! Da war ich noch nie oder habs verdrängt.
Heimat auf Französisch dürfte mit „patrie“ präziser übersetzt werden (sorry fürs Korinthenkackern…)
Sonst sehr lesenswert :-)
@#735641: patrie ist eher Vaterland. Aber chez-soi wäre noch eine angebrachte Übersetzung. Bloß ist das viel privater als das Deutsche Heimat.
Danke, ich schließe mich dem letzten Absatz an, auch wenn ich in Mitte wohne ;)
Nagel auf den Kopf unso…
Ich mag den Schluss. Er ist mir als Kind zwischen zwei Stühlen, wie das immer so schön in der Schule hieß, näher als DIE HEIMAT™.
Aaah, jetzt kam noch jemand drauf, dass es zu Heimat auf Deutsch keinen Plural gibt. Verdammt.
:)
Ich komme aus dem Schwäbischen und habe kein Problem damit. Und ich freue mich, ab und zu daheim sein zu können. Als ich beim Zivi in Erlangen auf Heimaturlaub [ :) ] war, habe ich zum ersten Mal sowas wie Heimatgefühle bekommen. Etwas sehr einfaches, das sich mit Sicherheit auch psychologisch erklären lässt. So etwas wie ein Rückzugsort, wo man nicht für seine Sprache verspottet wird zum Beispiel. Das kennt man ja in Berlin, alle Dialekte außer den Märkischen sind zu verachten. Bayerisch schon gleich zehn Mal, wegen der CSU. Schwäbisch ebenfalls, weil die nehmen uns die Wohnräume weg, die Schwaben.
Die gleichen Gefühle hatte ich, als ich nach Jahren wieder in den Ort in den Vogesen gefahren bin, an dem ich viel Zeit in meiner Kindheit verbracht habe. Ich bin sowohl deutsch als auch französisch. Meine Mutter ist Französin, ich habe beide Pässe. Der Bruder meines schwäbischen Vaters hat auch eine Französin geheiratet, die Schwester meines Vaters ist nach Frankreich ausgewandert. 90% meiner Verwandtschaft ist also französisch. Und ich fühle mich bei denen extrem heimisch, weil sie einfach toll sind.
Das sind vielleicht Erinnerungen an die Kindheit, das ist mit Sicherheit alles irgendwie hirnphysiologisch zu erklären. Fakt ist aber, dass ich nicht der einzige bin, dem das so geht. Ich freue mich über das schwäbische Türkisch des Kurden im besten Döner der Welt (City Kebap Backnang, unbedingt auschecken). Sprache ist für mich Heimat und in Mainz und sonstwo darf ich auf Grund meiner Empfindlichkeit Nachäffungen gegenüber nicht so reden, wie ich würde, gäbe es eine etwas tolerantere Welt.
Und ich kotze ab über die politischen Verhältnisse in meiner Heimat, über die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, über Filz und negative Provinzialität. Deswegen kann ich da ja auch nicht leben, nicht in meinem jetzigen Alter. Aber ich weiß ja auch, dass ich nicht der einzige bin, der sich daran stört (z. B. die Liste Weissacher Bürger: http://www.liste-weissacher-buerger.de) des weiteren sind nicht alle Empfehlungen aus dem nichtschwäbischen Ausländle immer geprägt von Kenntnissen der Welt vor Ort. Will sagen, genauso wenig wie der durchschnittlich hasserzeugende Kleingartenidiot aus Esslingen sich nicht zu sehr zu Urteilen übers Ruhrgebiet aufschwingen sollte, weil er es gar nicht kennt, sollten andere (das bist ja jetzt du nicht, aber es gibt sie ja, die Schnellurteiler) allzu schnell wissen, wie es aussieht in der Provinz.
Ich bin da Gutmensch. Die Freude über den Ort oder die Orte, die einem emotional zusagen und denen man sich verbunden fühlt, so sehr man auch andere Dinge daran hasst, diese Freude allein schadet noch niemandem. Gefährlich wird es, wenn man trennt, sich wichtiger als andere macht etc. Aber das tut man nicht automatisch dadurch, dass man etwas sehr mag. Auch wenn ich dem Konzept der Identität relativ skeptisch gegenüber stehe, weil ich selten identisch sein kann, ist es hin und wieder auch ganz tröstend und hilfreich, sich auf etwas mit sich selbst einigen zu können.
Ich sehe eben auch viele Menschen, die extreme Probleme mit sich haben, weil sie sich für ihre nicht vollständig flurbereinigte Sprache, ihre provinzielle Herkunft, ihr nicht ausreichendes Kenntnis über die gesamte Welt so furchtbar schämen. Dabei sollte doch jeder Mensch erst mal sein dürfen, was er ist.
Also: Wenn Heimat zu Scheiße führt, bin ich vollständig mit dir einer Meinung. Aber das ist nicht per se so. Heimat ist per du sein mit seiner Umgebung, für mich jedenfalls.
„Heimat ist per du sein mit seiner Umgebung, für mich jedenfalls.“
Sehr schöner Satz. Der müsste in die Wikipedia ;)
Die Mehrzahl von Einzahl ist Einzahlen.
Alle die das Wort „Heimaten“ benutzen koennen also kein Deutsch? Und wenn jemand behauptet Man kann auch zwei Heimaten haben ist das Unsinn?
„Das kennt man ja in Berlin, alle Dialekte außer den Märkischen sind zu verachten. Bayerisch schon gleich zehn Mal, wegen der CSU. Schwäbisch ebenfalls, weil die nehmen uns die Wohnräume weg, die Schwaben.“
Nein, das ist so nicht richtig. Schwäbisch wird nicht aus politischen Gründen verachtet, sondern weil es sich scheiße anhört. Manchmal ist die einfachste Antwort richtig ;-).
@#735656: Grammatikalisch ist das im strengen Sinne falsch, ja.
Ein positives Beispiel inniger Heimatverbundenheit ist m.E. Heidi, deren „Welt“ (in diesem Fall imho gleichzusetzen mit „Heimat“) u.a. die Berge waren. Insofern kann man den Text auch als gelungenen Gegenentwurf zum Konzept „Heidi“ sehen.
Was dem einen der Ziegenpeter ist dem anderen der lettische Kioskverkäufer. Ich finde beides völlig in Ordnung.
Marcel R.-R. (der Literaturkritiker) meinte mal seine Heimat sei die Literatur. Das finde ich interessant. Menschen, die ihre Heimat verlieren in ihrer Kindheit, können nicht wählen zwischen, Heimatverbundenheit oder – verdrossenheit. Sie haben keine Wahl, sie sind zunächst heimatlos.
@#735658: Du solltest Politiker werden. Technisch richtige Antwort, aber der eigentlichen Frage weichst Du aus.
@#735664: Ich hab sie für mich beantwortet, das Ergebnis ist der Text. Und ich glaube, dass „zwei Heimaten“ zu haben Blödsinn ist und beäuge jeden misstrauisch, der das von sich behauptet. Eventuell lass ich mir dann von ihm ein Bier ausgeben und erklären, was er damit meint.
Heimat? Heimat!, Heimat! und peinlich, peinlich, aber war mein Lieblingslied als Kind war „Unsere Heimat“.
Heimat ist das Gefühl, wenn man ein deutsches Straßenschild sieht oder ein Salami-Brötchen isst.
Meistens fühlt man nichts.
Ich kann mich der (8) nur anschliessen. Seitdem ich im Ausland bin, habe ich einige Dinge an Berlin schätzen gelernt. Erst durch das Vermissen ist mir aufgefallen was mir alles an Berlin gefällt. Nachdem ich in Berlin und auch im Ausland Deutsche aus allen Ecken näher kennengelernt habe, sehe ich das mit den Schwaben auch nicht mehr so eng. Als ich aber nur die Prenzlauer Berg Perspektive hatte, war ich auch ein wenig angenervt. Mittlerweile freue ich mich über Menschen die Akzent sprechen. Solange ich sie verstehe. Für mich ist das wie Charakter haben. Nichts ist schlimmer als 100% Hochdeutsch. Das klingt nach Stock im Arsch.
Für mich ist Heimat auch etwas lokales, begrenztes. Deutschland mit seinen 80 Millionen, das ist veil zu gross um mit ihm per Du zu sein. Von Berlin kann ich das schon eher behaupten, vom Prenzlauer Berg ohne Bedenken. Wenn ich nach einem halben Jahr Abwesenheit durchs Bötzowviertel schlender, dann ist vieles sehr anders. Gleichzeitig kommen viele gute Erinnerungen auf. Ich fühle mich wohl. Für eine Weile. Dann ist alles wieder ganz normal und selbstverständlich.
Besonders schön ist dieses Gefühl von Vertrautheit, wenn zu Weihnachten die Freunde und Verwandte von Überall anreisen. Für mich sind sie ein ganz wesentlicher Teil des Heimatgefühls.
@ Fred: Danke.
@ Topic:
Schwarzbrot ist für mich auch Heimat, sehr wichtig. Das vergaß ich.
Regiert im Allgäu nicht die cSu?
@#735665: Entweder gibt es Heimat gar nicht, oder man kann sehr wohl mehrere haben.
Ich bin in Münster geboren, kann mich aber nicht mehr an die Zeit erinnern weil ich zu klein war. Wir sind dann erst nach Hessen in den Taunus gezogen und schliesslich in Franken in Bayern gelandet, wo ich die längste Zeit meines Lebens verbracht habe. Wenn man als Norddeutsch sprechendes Kind in Franken landet und sich als einziges im Kindergarten über den Namen ‚Strullendorf‘ beömmelt, weil alle anderen, wenn sie pinkeln müssen, schiffen gehen, aber niemals strullen würden, dann wird man schon mal etwas seltsam angeguckt -verzeihung- angeschaut.
Wenn man dann noch ständig mit langgezogenen Vokalen um sich wirft und ‚Guuuten Taaaaag‘ sagt anstatt ‚Grüß Gott‘ und ‚HaaloOo‘ anstatt ‚Servus‘, dann behandeln einen die weniger aufgeschlossenen Franken in der Nachbarschaft auch gerne mal wie einen Sonderling. Einige Jahre später sind wir in ein noch viel kleineres Kaff ins Niemandsland zwischen Erlangen, Würzburg und Bamberg gezogen, wo es als dünkelhaft galt, wenn man seine Kinder aufs Gymnasium schickt, nur weil man keinen Bauernhof zu vererben hat. Das soziale Leben im Dorf kreiste um Kirche, Freiwillige Feuerwehr, Motorradclub und Fußballverein und selbstständige Ingenieure, die noch dazu aus der Kirche ausgetreten waren, galten als Aussätzige. Um es kurz zu sagen: ich hatte nicht den Eindruck, dass wir willkommen waren.
Was ich als Kind im Gegensatz zu Frédéric allerdings liebte, war die Natur. Ich kann mich an keinen einzigen Tag erinnern, an dem ich nicht mit dem Fahrrad die Landschaft erkundete und Landkarten von den umliegenden Wäldern malte, denen ich wohlklingende Namen gab und mit Monstern und Fabelwesen bevölkerte. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, wie man als Kind in der Großstadt seine Zeit verbringt. Mir fällt einfach nichts ein, was es zu tun gäbe.
Was ich damit sagen will ist, die Umgebung, die Landschaft und meine geheimnisvollen Wälder waren (und sind) mit Sicherheit eine Art Heimat; die Menschen und ihre Gewohnheiten waren es eher nicht.
Aber bevor hier jemand Mitleid kriegt: ich habe mich über die Jahre doch noch prächtig sozialisiert und pflege immer noch engen Kontakt zu vielen alten Freunden da unten. Nur Ihre enge Verbundenheit mit dem Landstrich, ihrem Dialekt und ihrer regionalen Kultur teile ich nicht und obwohl ich es lieben gelernt habe (die Aufkleber auf manchen Autos mit dem Spruch ‚Bayerns Preissn san die bessdn!‘ haben mich nachhaltig versöhnt), bleibe ich letztlich immer Zuschauer.
Franken ist meine Kindheit- und Jugendheimat. NRW meine Sprach- und Großelternheimat, Hamburg meine Schwesterheimat und Berlin meine Zuhauseheimat. Überall fühle ich mich auf eine ganz eigene Art wohl und doch fehlt immer das, was ich im jeweils anderen finde. Wahrscheinlich ist es nur folgerichtig, dass ich in Berlin gelandet bin. Hier wimmelt es von Leuten, die so einen Heimatflickenteppich mit sich herumtragen und endlich mal zur Ruhe kommen können, weil im Grunde jeder drauf scheisst wo man eigentlich herkommt.
Jetzt hab ich doch glatt vergessen, dir ein Bier auszugeben „¦ (und danke für den schönen Artikel)
@#735709: Das hast du schön gesagt.
Hast du tatsächlich noch Erinnerungen an deine Zweisprachen-Mashups im Kindergarten? Oder hat man dir das später erzählt? Das einzige an das ich mich erinnern kann, ist das ich total verdutzt war, dass die anderen Kinder mich nicht verstanden, weil ich englisch sprach.
@#735708: Der größte Teil des Allgäus, ja. Ich bin allerdings im württembergischen Allgäu aufgewachsen.
@#735709: Und danke für die Erläuterung. Wahrscheinlich nehmen wir da einfach unterschiedliche Worte her; und vermutlich bin ich in einem Landstrich aufgewachsen, den ich bis auf Bier und Brot aus Niedersträchtigste verachte, schon immer verachtet habe.
Deswegen ist mir Thomas Bernhard auch so ans Herz gewachsen.
@#735714: Doch, ich weiß das noch. Ich hab noch ein paar Erinnerungen an meine Kindergartenzeit.
@#735715: Ich hoffe doch sehr, du hast das Bier und das Brot aus deiner Verachtung ausgeschlossen. Das wird nämlich zwecks eventuell unkorrekter Kommasetzung nicht wirklich deutlich (ich stehe auf Kriegsfuß mit den doofen Kommas. Sprechpausen haben eine 50%ige Fehlerquote, aber damit werde ich wohl leben müssen).
j’ai deux amours, mon pays et Paris.
Wer braucht schon Heimat, wenn es einen Platz hat, der sich wie zu Hause anfühlt? Pf, Heimat. Vollkommen überschätzt!
@#735721: definitiv ausgeschlossen. es gibt nichts besseres als süddeutsches brot.
Frédéric: Wobei badisches Brot und Bier das württembergische um Längen schlägt. Und schwupps hab ich hier wieder alte süddeutsche Rivalitäten entfacht. ;-)
Home is where I lay my head ..
Eventuelle Ähnlichkeiten mit bekannten Texten, Zitaten etc. sind rein zufällig und nicht gewollt – vergleiche hierzu beispielsweise Epikur und Seneka – und die Jungs hatten echt nix miteinander gemeinsam außer der Zeit in der sie gelebt haben …
@#735931: Troll Dich! ;)
Eigentlich ein echt guter Text, nur manchmal unnötigerweise latent aggressiv…
Apropos latent aggressiv, das werde ich auch immer wenn mir irgendwelche Medien was vom Heimatsender vorsingen.
Sehr interessant finde ich den kurzen Teil über das Sprach-Mashup. Dort wo ich herkomme (Saarbrücken), gibt es viele Ehen zwischen Deutschen und Franzosen, dies- und jenseits der Grenze.
Ein großer Teil meiner Freunde dort, spricht ein solches Mashup zu bestimmten Gelegenheiten, z.B. eines dieser Marathon-Essen, idelaerweise mit viel Wein. Allerdings mischen sich dort Französisch und Hochdeutsch dazu saarländischer sowie lothringischer Dialekt. Mein Eindruck war, dass in den Gesprächen immer das Wort genommen wird, welches zuerst in den Sinn kommt.
Ich verstehe diese Sprache, finde sie grandios und ich schweige und genieße, wenn die so genannten „Saar-Franzosen“ sich warmgeredet haben. Du warst wahrscheinlich leider am falschen Platz um das Mashup schätzen zu lernen und es zu kultivieren. Ich finde es wirklich einzigartig.
Ich hoffe imer noch, dass sich einmal ein Dokumentarfilmer erbarmt und es für aufzeichnet. Es geht nämlich aus Mangel an Nachwuchs mehr und mehr verloren.
Was Heimat betrifft: Für mich ist es eher ein diffuses Gefühl und ich verbinde es nicht mit einem Ort. Ich trage Heimat mit mir rum, es sind Gefühle, Erinnerungen und Begebenheiten.
Manno
Da kann man es leicht mit der Angst zu tun bekommen,
wenn man alles intensiv durchliest.
http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/01-Laender/Seychellen.html
Blöd ist die Unwissenheit von mir selbst.
Danke allen für die Beantwortung einer
nicht gestellten Frage.
Jetzt bin ich auch erleichtert zu wissen.
Merci
gerade war ich eine woche in der „heimat“, auch ein dorf, mitten in franken. meine schwester hat geheiratet, mit fränkischen rundtänzen und all sowas. ich hatte auch mein dirndl an, in der kirche.
und ja, das fühlte sich schon an wie heimat – dreher tanzen, fränkisch sprechen…
und obwohl es sowas wie eine „andere welt“ ist, ist es doch eine welt, die mir so vertraut ist, dass es fast schmerzt, zu fühlen, wie sehr ich mich ihr entfremdet habe…
und jetzt, zurück in der stadt (und hey, ich wohne seit 12 jahren in immer anderen städten in verschiedenen ländern), fühle ich mich wieder ein stück verloren… und doch auch angekommen in meinem „richtigen leben“, in der „richtigen welt“, jenseits von folklore, dialekt und all diesen gesprächsthemen, die in meinem hiesigen umfeld keine rolle spielen (häuslebauen, kindererziehung…) –
das ist toll. und schade. manchmal habe ich heimweh.
Was ist Heimat?
Ein persönlicher Erklärungsversuch
>Heimat ist der geografisch einheitlich erlebte Raum, die Landschaft oder Siedlungsform, mit dem sich der Mensch durch Geburt, Tradition und Lebensweise besonders verbunden fühlt, in dem seine Persönlichkeit maßgeblich geprägt wurde und seine ersten entscheidenden sozialen Beziehungen zustande kamen.<
Damit meint das Lexikon, aus dem diese Darstellung stammt, dass Heimat vornehmlich ein Synonym für die Kindheit ist. Das könnte ich bestätigen, denn für mich sind das die Gerüche, die Geräusche, das Erleben der Unbeschwerdheit der Kindheit — das sind die Erinnerungen an die Mutter, den Vater in frühsten Kindertagen, an die Spielkameraden, an lange Ferien im Sommer, an schöne Erlebnisse im Wald, am See. Für mich verbinden sich besonders damit die Erinnerungen, an die Großmutter, wenn sie das Brotbacken vorbereitete und dann das köstlich Erleben des ersten Bisses von dem noch backwarmen Brot, das mit der eben selbst geschlagenen Butter bestrichen war; an das Pfropfen der Obstreiser an den Obstbäumen im großen Garten, wo mir der Großvater erklärte wie sie in die Augen eingesetzt, mit Bast umwickelt und Baumteer eingestrichen werden; an das abendliche familiäre Zusammensitzen auf der Veranda, wo wir den Erzählungen der Erwachsenen lauschten, die von der "alten Heimat" mit Wehmut in der Stimme erzählten oder an das aufgeregte Zwitschern der Rauchschwalben unter dem Dach, die sich ebenfalls zu einem Schwatz vor der Nachtruhe zusammengefunden hatten; und natürlich an das sommerliche Blaubeerpflücken im August mit der Familie im Wald, wo uns die Mücken zwar schrecklich zerstachen, wir aber nach dem anschließenden Backen dann mit riesigen Stücken von dem großen Blaubeerstreuselkuchen belohnt wurden.
Heimat bedeutet anheimelnd, heimelig, heimisch – das war für uns Kinder Geborgenheit und Schutz vor den Wirrnissen und den Gefahren der Welt da draußen, die sich z. B. besonders dräuend im Jahre 1953 für uns Kinder darstellte, als die Erwachsenden sich nur mit flüsternden Stimmen vom Aufstand in Berlin erzählten. Da war die Rede von Panzern die aufgefahren, von Schüssen die gefallen und von Toten, die auf dem Pflaster zurückgeblieben waren. Wir waren sicher, uns konnte nichts passieren — die Eltern und Großeltern ließen das nicht zu, sie waren unser Garant für Schutz und Sicherheit in unserer kleinen Kinderwelt — wir fühlten uns einfach geborgen. Doch Heimat war auch Neid, Zank und Hass, den wir als Vertriebene, als Flüchtlingskinder, man nannte uns „žUmsiedler“, erfuhren, weil wir doch etwas anders redeten und andere Sitten und Bräuche kannten und: weil wir in die Kirche gingen.
Doch jeder hat seine eigenen Erinnerungen und sein eigenes Heimatbild, die ihn ein ganzes Leben begleiten werden. Oder wie der österreichische Autor Heimito von Doderer einst schrieb: „žDie Kindheit bekommt man wie einen Eimer über den Kopf gestülpt. Und das rinnt dann ein ganzes Leben an einem herunter, egal ob man das Kostüm wechselt oder nicht.“
Ich meine, es irritiert mich, wenn sogenannte KOSMOPOLITEN oder WELTBÜRGER behaupten, sie brauchen keine Heimat, denn sie seien überall zu Hause. Aber wahrscheinlich ziehen sie deswegen so ruhelos durch Raum und Zeit — ohne Erinnerung an eine Heimat. Wer keine Heimat hat, der hat auch keine Wurzeln, der ist wie eine abgeschnittene Ranke, die nicht weiß wo sie hinwachsen soll. Heimat bedeutet Ankommen von weiter Reise durch eine hektische Zeit, bedeutet Atemholen, Ausruhen und seinen persönlichen Frieden finden in einer Umgebung, die man kennt und sich zurechtfindet – die Heimat prägt uns und gibt uns unsere Identität!
Unter Heimat verstehe ich auf keinen Fall die Heimattümelei von TV-Sendungen eines bestimmten Genres, das mit volkstümelnden Liedern uns weismachen möchte, dass wir Deutschen mit Lederhose, auf der Klampfe spielend und jodelnd unsere Heimat darstellen — das glauben vielleicht nur die Amerikaner! Heimat hat auch nichts mit reaktionärer oder einer anderen vergangenen Gesinnung zu tun, die sich eines abstrakten Heimatbegriffes bediente, um eine anmaßende und überhebliche Haltung gegenüber anderen Völkern zu demonstrieren, die uns letztendlich durch die Ereignisse im Krieg den Verlust der Heimat brachten.
Heimat heißt ganz einfach zu Hause zu sein – sich wohl und geborgen fühlen!
frédéric, schade, dass du keine heimat hast. aber ich befürchte je weniger die menschen rausgehen und echte erlebnisse erleben, umso weniger werden sie jemals so etwas wie heimat empfinden. heimat internet? glaube kaum…
Sehr guter Text! Ich bin auch zweisprachig (deutsch-spanisch) aufgewachsen und wurde auch öfters nicht ganz verstanden. Im Grunde fühlt man sich, wenn man Angewohnheiten aus zwei Ländern/ Kulturen hat wie ein Weltmensch. Jemand, der auf der ganzen Welt zu Hause ist.