Für diejenigen Leserinnen und Leser, die geregelten Arbeitszeiten nachgehen: Chatroulette ist eine Website, die je zwei Webcam-Nutzer zufällig und anonym miteinander verbindet. Die beiden können miteinander chatten und sehen ihre Webcam-Bilder, ein Klick ruft sofort die nächste Kamera auf. Chatroulette wird u.a. relativ häufig von Männern frequentiert, deren Geschlechtsteile sonst nicht oft an die frische Luft kommen.
Das Künstlerpaar Eva and Franco Mattes von 0100101110101101.org hat wieder zugeschlagen und in einer Medialen Performance Art Installation oder so einen Selbstmord im Chatroulette vorgetäuscht: Zu sehen war ein Mann (Franco Mattes himself), der sich anscheinend erhängt hatte. Von einigen Reaktionen der jeweils anderen Chatroulette-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer war Eva Mattes „schockiert“. Video und ein paar Zeilen mehr nach dem Klick.
„Da wir online leben“, so erklärt Franco Mattes die Aktion, „sollten wir uns daran gewöhnen, online zu sterben“. Dem Kunstkenner fällt auf, dass dabei noch jede Menge Gefasel fehlt, das schleunigst vom New Yorker Professor Marco Deseriis nachgeliefert wird:
No Fun raises disturbing questions on the hyperreality of the contemporary mediascape as much as on the Orwellian spectacularization of daily life and death. But it would be simplistic to blame the Internet for the dramatic exhaustion of social interaction at a distance. What is more difficult to recognize is our own complicity and desire to be seduced by the latest technological wonders. In our daily obsession with media attention, frequently disguised as search for authentic communication, we end up being so narcissistically preoccupied with looking at ourselves that we can no longer recognize the other.
Natürlich stellen sich einige Fragen bei einer solchen Aktion, zuerst die von Mercedes Bunz gestellte: Wie hätte man selbst reagiert? Es gibt kaum einen Weg, den vermeindlichen Selbstmörder zu lokalisieren, der auch in den Reaktionen vorkommende Anruf bei der Polizei ist also recht sinnlos (naja, und eh zu spät …).
Aber geht man davon aus, dass viele der Chatroulette-Nutzer von einem Fake ausgegangen sein dürften (was sie natürlich nicht wirklich wissen konnten), sind manche (!) Reaktionen nicht ganz so schockierend und es würde mich nicht überraschen, wenn die ganze Aktion ein Doppelfake, das Video also ein Mashup ist und es den Erhängten auf Chatroulette niemals gegeben hat. Ehrlich gesagt fänd ich die Aktion dadurch viel besser, denn ich hatte schon immer eine Abneigung gegen Kunstaktionen, die dem Rest der Menschheit vorhalten sollen, wie schlecht sie ist und nicht etwa die Frage stellen, wie schlecht jemand ist, der Menschen solch einem Fake aussetzt und keine Möglichkeit hat, die Hereingelegten darüber zu informieren. Außerdem halte ich es für recht manipulativ, nur Auszüge aus den Reaktionen zu zeigen, man kann davon ausgehen, dass hier die „schockierendsten“ gewählt wurden.
Nun ja. For art’s sake, wahrscheinlich. Ich gehe davon aus, dass die Aktion dem sicher anstehenden Verkauf von Chatroulette nicht schaden wird und es nicht mehr lange dauert, bis der 17-jährige Erfinder Andrey Ternovskiy Millionär ist. Er ist schon umgezogen: Von Moskau nach Palo Alto.
hmm, old?
soweit ich das sehe sind entsprechnde „schock“ auftritte, meist mittels GIFs, schon laenger ueblich. Entsprechende Threads tauchen bei 4chan jedenfalls schon laenger auf.
Das erinnert mich aber ganz stark an http://5secondfilms.com/watch/jackpot :-D
@#759588: Aber jetzt steht „Kunst“ drauf!
Da stimme ich zu. Wie ich überhaupt diese „jetzt enthüllen wir mal, wie schlecht die Menschheit ist“-Aktionen ziemlich fragwürdig halte. Egal ob sie jetzt das Etikett „Kunst“ oder „Journalismus“ oder „Unterhaltung“ tragen.
Erstens würde ich mir wünschen, die Situation mit dem „Enthüllenden/Künstler“ umzudrehen und zweitens halte ich die Fähigkeit von Personen einen Fake zu durchschauen für unterschätzt.
Ich kenne diese Chatroulettegeschichte nicht, aber wenn ich mir so ansehe, was im TV für „mangelnde Zivilcourage“-Beiträge laufen, dann riechen diese „Geschichten“ meistens meilenweit gegen den Wind nach Schmiere aus der tiefsten Provinz.
Pffff. Wie versteckte Kamera nur filmen die Leute sich selber.
Aus dem Kontext gerissene Emotionen Dritter als eigene künstlerische Arbeit zu zeigen, ist mau. Billiger Paparazzi-Style, mehr nicht.
@titi(4): Nun das Video wuerde ich auch nicht als Kunst ansehen, die Installation (also den Fake) an sich aber schon. Das Video ist also eher die Dokumentation von Kunst, vergleichbar mit dem Video eines Flashmobs oder so.
das ist allerdings von anderen auch schon gemacht worden, woanders und bei chatroulette, man findet davon einige videos auf youtube.
Was kommt als nächstes als Kunst-Event? Rape-Fake auf Chatroulette?
Naja, eine Lokalisierung ist nicht ganz so unmöglich, siehe z.B. hier. Aber wenn man auf Chatroulette einem Typen begegnet, der so rumhängt, würde wohl sowieso jede Hilfe zu spät kommen. Geht man davon aus, dass er sich erhängt hat, ist er sicher längst schon tot. Jedenfalls sicher, bis man ihn lokalisiert und bei ihm ist.
Schaut man auf den Bildschirm unten im Video, sieht mein eine Weile dort das gleiche Bild der Partner. Aber nur eine Weile, denn zum Ende hin nicht mehr.
Schaut man auf den Bildschirm unten im Video, sieht mein eine Weile dort das gleiche Bild der Partner. Aber nach einer Weille, am Ende, nicht mehr.
Chatroulette ist da, wo alle drei Klicks jemandem einer steht. Warum soll nicht mal einer hängen?
Wen wundert oder schockt im Netz überhaupt noch irgendwas?
@Sascha(07) + @Sascha(08): Oh, Aufmerksamtkeitsdefizit …
Ich glaub den Link auf deren Blog hätte man sich bei der Art von Aktion sparen können, muss ja nun wirklich nicht jeder Scheiß mit Klicks belohnt werden.
Normalerweise ist es der Künstler der andere schockiert, das selbst „schockiert“ sein ist Teil der Aufführung. Und ja, ich habe das Video nicht gesehen und denke auch gar nicht daran es zu tun. Das ist auch einer der Gründe warum ich fast keine TV mehr schaue, dieses Vorführen der bösen Menschheit langweilt mich einfach nur noch.
wirklich die frage, was kunst ist. die interaktion mit dem betrachter als teil der arbeit zu nutzen ist beliebt, auch schön, aber ist kein merkmal für kunst…
ich finde die offensichtliche kritik und den moral-zeigefinger auch immer etwas beschämend.
die frage welche „reatkionen“ rausgeschnitten wurden, weil sie nicht den erwartungen entsprachen (weil sie vielleicht zu normal waren?) hätte mich dann noch interessiert.
http://www.spiegeleule.blogspot.com
Eine „Vorführung der bösen Menschheit“ ist es aber lediglich in der lückenhaften, englischsprachigen Interpretation/Erklärung, die im Eintrag mitgepastet wurde. Ohne diesen Text, der an dem Missglauben krankt, jeder nähme den Hängenden für voll, wäre es ganz interessant. Wirklich als ’schockierend‘ lässt sich doch nur die Reaktion des einen, der beim Bild eines Suizids erst mal seinen Schwanz polieren muss, zählen.
Allgemein finde ich die „schlechte Kunst!“-Kommentare nicht sonderlich hilfreich. Die Einschätzung von Sachen und Ereignissen und (Kunst-)Erzeugnissen muss doch nicht zwangsläufig auf der Binary „gut-schlecht“ stattfinden. Das ist so furchtbar öde und führt zu nichts Gutem.
zum titel: nice pun, johnny!
zur aktion: überfällig!
zur reaktion (insbesondere 7:07): KRASS
zur erinnerung:
vor 2 jahren haben 1500 menschen einen angekündigten selbstmord bis zum eintreffen der polizei am „tatort“ teilweise kommentierend begleitet.
http://www.discourse.net/archives/2008/11/florida_teen_films_his_suicide_on_webcam.html
macht der Typ im Bademantel bei min 07:00 wirklich das, wonach es aussieht???
Aehm… ist es bei chatroulette nicht so, dass man klicken muss, damit man einen neuen Gespraechspartner bekommt?
Insofern weiss man als Chatpartner schon, dass das ein Fake ist. Ausser er hat den Chatroulnexter: http://www.youtube.com/watch?v=HiCG0WjjteM
Kunst ist Kommunikation. Also finde ich es ganz natürlich, dass ein Künstler sich dafür interessiert, die Ecken dieses Themas auszuleuchten.
Und ich finde nicht nur die Reaktionen bemerkenswert, sondern auch noch die Reaktionen auf die Reaktionen. Insofern möchte ich von einer gelungenen Aktion sprechen.
Denn einen moralischen Zeigefinger entdecke ich in der ganzen Sache nicht unbedingt. Schön zu sehen, dass der Zuschauer, erschreckt davon, dass er sich hier eben gerade unter seinem Niveau amüsiert haben könnte, meint, hier eine belehrende Botschaft erkennen zu müssen (»Die Menschheit ist schlecht«), das Ganze also von der Sensationslust zum Lehrfilm uminterpretiert, um dann im nächsten Schritt als abgeklärter Elfenbeinturmbewohner zu posaunen, wie unglaublich schlecht und langweilig das alles ist.
Das sind schon ganz komplexe Reaktionen für so einen »Scheiß«. :-)
Bei diesen Chatroulette-Sessions würd ich meinen geht’s drum etwas spektakuläres zu veranstalten und die Aufmerksamkeit des gegenüber irgendwie sicherzustellen. Klar geht jeder davon aus das es ein Fake ist , aber die Möglichkeit das es nicht so ist und jemand hier seinen Selbstmord zelebrieren will geht glaub ich jedem kurz durch den Kopf.
aha… wieso eigentlich nicht ¿
der nächste der sich vor chat roulette erhängt wird kein fake sein
Sowohl die kranke Gesellschaft als auch den dazu gehörigen Zeigefinger wird’s immer geben. Der Nagel am Finger ist nur jedes mal anders gefärbt.
Hab vor kurzem „La grande abbuffata“ von Marco Ferreri gesehen. N Film der 1973 produziert wurde, in dem 4 wohlhabende Menschen durch kollektives Überfressen Selbstmord begehen.
Irgendwie seh ich den Unterschied zu diesem Projekt hier nicht wirklich. Es geht immer wieder um dieses Spiegel-Vorhalten. Ich denk schon, dass das der ehrlichere Weg ist, denn die einzige Alternative dazu ist Sensibilisiren und das ist meist so ungezielt konzipiert, dass niemand sich angesprochen fühlt.
Sowohl die kranke Gesellschaft als auch den dazu gehörigen Zeigefinger wird’s immer geben. Der Nagel am Finger ist nur jedes mal anders gefärbt.
Hab vor kurzem „La grande abbuffata“ von Marco Ferreri gesehen. N Film der 1973 produziert wurde, in dem 4 wohlhabende Menschen durch kollektives Überfressen Selbstmord begehen.
Irgendwie seh ich den Unterschied zu diesem Projekt hier nicht wirklich. Es geht immer wieder um dieses Spiegel-Vorhalten. Ich denk schon, dass das der ehrlichere Weg ist, denn die einzige Alternative dazu ist Sensibilisieren und das ist meist so ungezielt konzipiert, dass niemand sich angesprochen fühlt.
Ist Doppelposten auch Aktionskunst?
Sehr geehrter Herr Rob ich kann mich glücklich schätzen, dass sie als guter Mitkommentator wissen worauf es ankommt.
Liebe Spreeblickler, sorry war n Versehen, zweimal geklickt, könntet ihr den ersten Bitte löschen
Das war gar nicht mokierend gemeint. Sorry, dass das bei dir so angekommen ist. :(
Die Aktion ist schon wegen der Persönlichkeitsrechtsverstöße nich so doll (Recht am eigenen Bild).
Die Aktion ist schon wegen der Persönlichkeitsrechtsverstöße nich so doll (Recht am eigenen Bild).
Die Aktion ist schon wegen der Persönlichkeitsrechtsverstöße nich so doll (Recht am eigenen Bild).
okay, irgendwas scheint hier mit der kommentarfunktion nicht richtig zu laufen. bitte alles überflüssige löschen, danke.
Hm
dachte bisher, dass das mit ein Grund wäre, eben sich auf die Expedition zu begeben um die Menschlichen Abgründe kennen zu lernen.
Die Leute erfahren wohl, dass es ein Fake war. Und zwar über dieses Video. Und wer sagt, dass sowas nicht auch „real“ schonmal passiert ist, hat nur halt keiner gefilmt.
Nach anschauen des Videos fällt mir auf, dass ich so ne Aktion schonmal auf YouTube gesehen hab. Da konnte man nur den hängenden Torso + Beine sehen…
Auch hier stellt sich die Frage: „Ist das Kunst oder kann das weg?“