Heute beginnt der Prozess gegen die Täter im Fall Dominik Brunner. Vor zehn Monaten war der Manager von zwei Jugendlichen erschlagen worden, als er in einen S-Bahn-Überfall intervenierte. Der Fall hat der bundesweiten Debatte über eine „Welle der Jugendgewalt“ neu befeuert, die es – wie man heute weiß – so nicht gibt.
Inzwischen gilt als ausgemacht, dass es immer weniger Gewalttäter unter den Jugendlichen gibt. Andererseits sollen diese Gewalttäter immer brutaler vorgehen. „Die Gewaltkriminalität ist in den vergangenen zwei Jahren leicht gesunken, die Brutalität und Hemmungslosigkeit jedoch gestiegen. Immer häufiger gehen Heranwachsende grundlos auf wehrlose Menschen los“, schreibt der Spiegel.
Gibt es Zahlen, Studien oder Untersuchungen, die diese Behauptungen stützen? Ist die Jugend derart verroht?
2008 erschien eine Studie, die von 1993 bis 2003 je 1000 Schüler auf die Folgen von Schulhofgewalt untersucht hat. Das Ergebnis:
Dabei nimmt der Anteil der Jugendlichen zu, die keine ernsthaften Verletzungen davongetragen hat, der Anteil an Jugendlichen, die eine ärztliche Behandlung benötigten, nimmt signifikant ab.
Ihr Fazit:
Es existiert keine Brutalisierung, sondern eine Bagatellisierung von Jugendgewalt.
Auch Wiebke Steffen, Dezernatsleiterin beim bayrischen Landeskriminalamt, kommt zu diesem Ergebnis, genauso wie der Deutsche Präventionstag [pdf] und der Bundesverband der Unfallkassen, bis hin zu Joachim Kersten von der Polizeihochschule Baden-Württemberg.
Eine Studie, die eine Brutalisierung der Jugendgewalt zum Ergebnis hat, existiert meines Wissens nicht.
Wie kommts, das trotzdem ständig von der Verrohung der Jugend die Rede ist?
Der Fall Mehmet, die Amokläufe von Erfurt, Winnenden, Emsdetten und Ansbach, unzählige Porträts über prügelnde Jugendliche nach dem Übergriff auf Dominik Brunner: das sind gute Geschichten. Der Spiegel macht einmal im Jahr einen Titel darüber – fast so oft wie über Hitler. Welt Kompakt freut sich schonmal über einen Fanclub für Prügelvideos.
Gewalt, das zieht. Das wollen die Leute sehen.
Weil man selbst darüber schreibt, schreiben die anderen auch darüber, weswegen man selbst wieder darüber schreibt. Klassischer Zirkelschluss: etwas wird so lange behauptet, bis es in die Stellung eines unhinterfragten Fakts erhoben ist. Dann fangen Politiker wie damals Roland Koch an sich dazu zu äußern, was am Ende in der völlig unbegründeten Forderung mündet, das Jugendstrafrecht zu verschärfen, weil uns sonst – slippery slope – bald das Ende des Abendlandes droht.
Die Jugendgewalt in Deutschland ist ein Schattenboxkampf auf Zeitungsseiten.
Genau wie früher: Brot und Spiele unter der Ägide der Meinungsgeilheit
„Die Jugendgewalt in Deutschland ist ein Schattenboxkampf auf Zeitungsseiten.“
Streiche „Deutschland“, setze „beliebiges Land Deiner Wahl“. Das duerfte so ziemlich ueberall das gleiche sein.
Mal ganz ohne Studien und Heckmeck. Als in den 70ern udn 80ern groß gewordener, ich kann mich nicht erinnern dass es damals jemals einen Fall in den Medien gab in dem Jugendliche Erwachsene in der Form angegriffen haben. Gab es nicht. Ich selbst kenne einen Fall der nach 2000 passiert ist. Früher waren Erwachsene gar nicht im Schema solcher Taten. Omas denen die Handtaschegeklaut wir mal ausgenommen das ist aber eine ganz andere Tat.
Bitte bleien wir doch sachlich. Statt Spiegelgebashe und „uh uh alles gar nicht wahr“-Gerede, die armen Jugendlichen brauchen nur mehr Zuwendung…
@#765897:
In diesem Kommentar hat unser Zeichner eine kleine Inkonsistenz versteckt.
Können Sie den Fehler entdecken?
Schon Mitte Mai präsentierten Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière und Hamburgs Innensenator Christoph Ahlhaus den überraschten Journalisten in Berlin die Kriminalitätsstatistik für 2009.
Mehr unter http://www.bmi.bund.de/cln_174/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2010/mitMarginalspalte/05/pks2009.html
Darin wird de Maizère wie folgt zitiert : „Der erneute Rückgang der Fallzahlen der Kinder- und Jugendkriminalität gibt Hoffnung, dass die bereits im Vorjahr festgestellte Trendwende im Hinblick auf die Gewaltbereitschaft Jugendlicher anhält. Bei der Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität sind alle an Erziehung, Sozialisation und Bildung beteiligten gesellschaftlichen Akteure gefordert, um Ursachen wie eine instabile Familiensituation, dem Wunsch nach einem die finanziellen Möglichkeiten übersteigenden Lebensstil, Alkohol- und Drogenmissbrauch oder negativen Medieneinflüssen entgegen zu wirken.“
Fakten, Fakten, Fakten
Das sind doch nicht die Medien schuld. Die Menschen sind im Durchschnitt ausgemachte Pessimisten. Es fangen ja schon Mittzwanziger an mit „Früher war alles besser“.
Wir alle sind veranlagt die Vergangenheit zu verklären und sehen deshalb stets eine Entwicklung zum schlechteren.
Irgendwie ist das aber auch wunderbar: Es treibt uns vorwärts, zum immer Besseren.
Von einer „Welle der Jugendgewalt“ würde ich auch nicht sprechen und die Zahlen geben das auch nicht her. Aber die Frage ist doch ob nicht Egescheck doch teilweise Recht hat. Sicher nicht mit dem Punkt Studien außen vor zu lassen, denn das ist die einzig seriöse Herangehensweise. Das Autoritätsgefälle war wohl schon früher ein größeres als heute. Damit will ich gar nicht sagen, dass das gut so war. Allerdings trifft eine Studie über Schulhofgewalt auch nur eine Aussage über den Umgang von Jugendlichen untereinander und nicht mit Erwachsenen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass die Gewalt von Jugendlichen gegenüber Erwachsenen angestiegen ist. Natürlich bedarf es da Studien (oder es gibt sie bereits) und am Besten vernünftiger Metaanalysen, denn einer einzelnen Studie schenke ich im Zweifelsfall auch keinen Glauben.
@#765905: Es wäre schön, wenn es dazu Studien gäbe. Ich habe keine gefunden. Allerdings sagt gerade das Verhalten auf dem Schulhof etwas über Gewalt gegen Erwachsene und insbesondere Autoritätspersonen aus, denn für gewöhnlich sind Schulen voll mit Lehrern.
Hierzu der Hinweis auf :
Die Reportage/Dokumentation
http://mediathek.daserste.de/daserste/servlet/content/487872
–
PiPi
Ich wohn seit 22 Jahren in einer sozialschwachen Gegend und es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Die „“““Teenies“““““ sind gewaltbereiter denn je. Es gibt kaum noch 12 jährige die sich auch altersentsprechend verhalten. So gut wie jeder trägt „Free Fight,Schwererziehbar“ Tshirts und macht einen „harten“. Ob diese Assi Kids nun wirklich etliche Leute verprügeln oder nur den Anschein vermitteln wollen ist erstmal zweitens. Bei Grundschülern seh ich genau die selbe entwicklung. Ich hab 1 Jahr an einer Grundschule gearbeitet und im Vergleich zu früher geht es um einiges respektloser zu.
Also wenn man mal weg kommt vom PC und die Augen auf macht im Alltag sind Studien nicht mehr von Nöten…
„Es existiert keine Brutalisierung, sondern eine Bagatellisierung von Jugendgewalt.“
Ist zwar nur ein Zitat, aber ist Bagatellisierung nicht das falsche Wort dafür?
Es besteht ja in dem Sinne keine Verharmlosung von Jugendgewalt, sondern eher Übertreibung.
Oder komm ich da mit der Definition von Bagatellisierung durcheinander?
„Bagatellisierung: Darstellung einer Sache als weniger bedeutsam, als sie tatsächlich ist“
@#765922: Was die Autoren damit sagen wollten, war: die Jugendgewalt wird nicht brutaler, sondern harmloser. Ich glaube nicht, dass die Verwendung des Begriffes durch die Autoren korrekt ist, aber vielleicht ists ein wissenschaftlicher Fachterminus.
@#765923: Nach mehrmaligem Lesen habe ich es doch verstanden.
Das Zitat im Zusammenhang im Ganzen ist ein wenig verwirrend.
Trau keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast!
Wenn’s hier, wie bei mobo, ins Anekdotische abdriftet, will ich auch was beisteuern: Ich wohne ebenfalls in einem eher sozialschwachen Stadtteil, der gerne von den Medien herbeizitiert wird, wenn’s mal wieder um Jugendgewalt gehen soll. Tatsächlich habe ich hier noch nie derartiges erlebt, auch als ich eine Weile in Neukölln lebte bin ich nie Zeuge oder Opfer von Jugendgewalt geworden.
Und dass die Grundschulkinder immer schlimmer würden, kann ich ebenso wenig bestätigen. Ich erlebe einen Haufen ratloser Kinder, die schon mit ein wenig Empathie und Respekt gerne und gewissenhaft mitarbeiten. Es kommt aber natürlich immer darauf an, wie man in den Wald hineinruft. Gibt ja, weiß Gott, genug Lehrer, die schon mit einer absolut negativen Einstellung ihren Schülern gegenüber die Klasse betreten.
Und weil sich Anekdoten eben gerne widersprechen, finde ich Studien wie diese wichtig.
Zudem: Selbst wenn es eine Zunahme von Jugendgewalt gäbe, inwiefern sollte dann eine reißerische und dramatisierende Berichterstattung hilfreich sein?
Dass Berichte über Gewalttaten, Amokläufe oder Selbstmorde eben das provozieren, dürfte den Medienschaffenden nicht erst seit Enkes Selbstmord bekannt sein.
„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“
Sokrates, * um 469 vChr,† 399 vChr
@#765989:
Danke!
@#765989:
Wunderbar unverfänglich wenn man sich Zitaten
bedient. Die Alten wussten es schon immer bes-
ser. ;-)
http://www.gierhardt.de/schulsprueche.html
–
Nur bringt das alte Wissen nichts, wenn die
Verantwortlichen – dazu gehören u.a. die
Erziehungsberechtigten – keinen Plan haben.
Mein ja nur
PIPI