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Mit wehenden Fahnen dem Untergang entgegen – Rundblick SPD


Was ist nur los mit der SPD? Wo sind die Zeiten geblieben, als es noch 40+ hieß, und was ist denn passiert bisher? Ist sie „stehengeblieben“ (was auch immer das heißen soll)? Hat sie keine Antworten mehr, und wenn ja, auf welche Fragen? Die letzten Tage haben sich viele Kommentatoren um eine Antwort bemüht. Zeit für einen Rundblick.

Michael Spreng sieht vor allem die personellen Entscheidungen der SPD als Grund, warum sie im begriff ist, aus der Rolle zu fallen. Nach den Wahllügen Gerhard Schröders 2002 und dem unterwürfigen Gang in die große Koalition 2005

…hatte die SPD noch die glorreiche Idee, einen Beamten zum Kanzlerkandidaten zu machen, nur weil dieser – wie einst Klaus Kinkel – im Amt als Außenminister ganz beliebt war. Der kantig-kompetente Peer Steinbrück wäre in der Weltwirtschaftskrise wahrscheinlich der Bessere gewesen, aber dann hätte Andrea Nahles endgültig den Übertritt zur Linkspartei erwogen. Und deshalb bleibt die SPD jetzt auf Steinmeier sitzen – bis zum bitteren Ende.

Hätte Merkel die letzte Wahl verloren, wären ähnliche Artikel ihrzuliebe geschrieben worden. Steinmeier hat sich nicht als Opel-Retter profilieren können, so wie ein viele SPD-Granden während der Insolvenz-Guttenberg-Debatte vor allem dadurch geglänzt haben, größtmöglichen Unsinn zu verbreiten. Natürlich wirkt Steinmeier wie die Inkarnation des Peter-Prinzips, und natürlich habe ich bei jedem Auftritt Münteferings das Bedürfnis, ihm einen handgeschnitzten Stock zu schenken.

Steinbrück hätte aber in der Opel-Sache, die die titelseiten dominierte, keine andere Wahl gehabt, als sich entweder Guttenberg anzuschließen oder Steinmeiers Versuch zu unternehmen, den hemdsärmeligen Anpacker zu geben. Sich Guttenberg anzuschließen läge zwar voll im moemtanen Koalitionsfluß, allein: so lässt sich kein Profil ausarbeiten. Es gibt nicht viele Möglichkeiten für die SPD, sich für den Wähler wichtig zu machen. Vermutlich deswegen hat man sich entschieden, diese „Arschlöcher würden die anderen wählen“-Kampagne durchzuführen.

Reinhard Bütikofer sieht das ähnlich:

Wie sonst hätte sie auch positiv für Europa werben sollen? Als Bürgerrechtspartei — die im Online-Bereich Bürgerrechte abbaut? Als Umweltpartei — die mit ihrem Kohlekurs Klima-Killer-Politik umsetzt? Sie mußte versuchen, die soziale Karte zu ziehen.

Warum das nicht hingehauen hat, dafür gibt es mehrere Gründe. Einerseits ist seit Hartz 4 keine Partei derart mit dem Makel behaftet, Sozialraubbau zu betreiben. Andererseits wird in Europa keine Sozialpolitik gemacht. Und drittens interessiert sich offenbar niemand in der SPD für Europa.

Dass die Wahlniederlage der SPD ihr Ende als Volksparteien markiert, ist falsch. Stefan Reinecke hat dieses Vorurteil im bisher besten Kommentar zum Thema widerlegt:

Ihr Problem ist, dass sie in gewisser Weise die letzte Volkspartei ist, die ziemlich gleichmäßig von Arbeitern und Arrivierten, von Arbeitslosen und Angestellten, von Erstwählern und Rentnern gewählt wird. Bei der Konkurrenz ist das anders. Fast die Hälfte der Rentner hat für die Union gestimmt, aber nur ein Fünftel der Arbeitslosen. Die FDP ist bei den Selbständigen stark, die meisten Arbeitslosen haben Linkspartei gewählt. Nur die SPD-Wählerschaft bildet in etwa die Struktur der Republik ab. Wenn die Verteilungskämpfe schärfer werden, ist das kein Bonus, sondern ein Malus.

Das heißt im Umkehrschluß: Die SPD wäre gut beraten, ihr Ende als Volkspartei einzuläuten. Und wenn sie sich tatsächlich ihrer Wurzeln erinnern will, wird der Schulterschluß mit der Linken bald unumgänglich werden. Und das nicht nur aus wahltaktischen Erwägungen oder weil Opposition so sehr pfui ist, sondern weil es dann endlich einmal wieder zu einer ideologischen Ausrichtung kommen könnte.

25 Kommentare

  1. 01

    Das Problem beider großer Volksparteien wird künftig sein, daß man mehr und mehr an Taten gemessen wird. Was hat die SPD nicht alles versprochen, wie hat sie doch gegen Mitbewerber gewettert: „Finanzhaie“, „heiße Luft“.

    Vor Jahren konnte man noch sagen, es gab DAS Volk (16 Jahre Kohl), da war der Wähler noch berechenbar. Solch eine lange Regierungszeit wird es nicht mehr geben, jedenfalls nicht so schnell. Die Bereitschaft, Politiker abzustrafen, ist gewachsen. Die Union wird das auch noch zu spüren bekommen. Ich gehe aber davon aus, daß die heutigen Umfrage nicht mehr viel mit dem zu tun haben werden, was am 27.09. herauskommen wird.

    Die SPD versucht zur Zeit, den Bürgern nach dem Mund zu reden, aber der Bürger redet längst ganz anders. In weiten Teilen der Bevölkerung war eine Finanzspritze für Opel höchst umstritten. Merkel hat den Kanzlerinnenbonus, der nicht zu unterschätzen ist.

    Das größte Problem ist aber das Personal der SPD. Schröder, Müntefering, Platzeck, Beck, Müntefering. Soviel zum Parteivorsitz. Dieser ständige Wechsel kommt nicht gut an. Steinmeier war vor fünf, sechs Jahren weitgehend unbekannt. Gerhard Schröder war jahrelang Ministerpräsident von Niedersachsen, man kannte ihn. Steinmeier kam aus dem Nichts und daß so einer nicht so schnell vom Wähler in den Himmel gehoben wird, ist mehr als verständlich.

    Und man darf die LINKE nicht vergessen. Die LINKE hat es leicht. Sie kann Versprechen hinausposaunen, die unrealistisch und unbezahlbar sind. Der Himmel auf Erden scheint ganz nah. Die SPD versucht, diesen Forderungen und Versprechen hinterherzulaufen. Es ist wie bei „Hase und Igel“. Immer wenn Steinmeier hechelnd das Ziel erreicht, sind Lafontaine oder Gysi längst da. Meistens kommt Steinmeier gar nicht erst im Ziel an. Dieses Ziel ist aber meist auch nur „heiße Luft“.

  2. 02
    Mr.Pallantine

    Es liegt doch nicht an den Personen der Führungsriege, sondern am Programm. Die SPD hat ihre Wähler verraten, so sehe ich das. Ich bin übrigens auch „verraten“ worden, in meinem Fall heißt das fast dreißig Jahre gearbeitet zu haben und dann durch krankheitsbedingte Erwerbslosigkeit zur „Unterschicht“ zu gehören…
    Was ich nicht verstehe: Die Europawahl war doch eine Möglichkeit zur Abstrafung unserer Volksvertreter, ich hatte mir mehr Wahlbeteiligung erhofft, aber scheinbar geht es den Menschen ja noch gut. Hat die „Bild“ am Ende doch Recht?

  3. 03

    Die Zeichen der blindwütigen Verzweiflung in der SPD häufen sich ja anscheinend auch. Das äußert sich zurzeit in einem ziemlich wahllosen Umsichschlagen und Herumpöbeln der Führungsmannschaft, das auch für mich als an eigentlich routinierten Zeitungsleser noch Raum zum Staunen lässt.
    Mann kan zum Beispiel zu unserem Wirtschaftsminister stehen, wie man will, aber was Steinmeier in letzter Zeit so alles über ihn gesagt hat, ist einfach peinlich, wenn man bedenkt, dass er selbst Außenminister im selben Kabinett ist.

  4. 04
    Frédéric Valin

    @#719064: Oder vielleicht doch eher die taz.

  5. 05

    Der Schulterschluss der SPD mit der Linkspartei wäre keine Rückkehr zu den Wurzeln. Die Wurzel der SPD war der aufstiegsorientierte Teil dessen, was mal die Arbeiterschaft war. Die Linke ist eher die Partei des Prekariats, klassisch würde man ihre Klientel wohl als Subproletariat bezeichnen. Vielleicht nicht im Osten, wo sie noch von Teilen der ehemaligen DDR-Elite getragen wird, aber im Westen allemal. Die Wertvorstellungen und Probleme beider Gruppen passen nicht zusammen, so dass die faktische Spaltung der SPD, die ja mit dem Aufkommen der Linkspartei vollzogen wurde, nur folgerichtig war. Die SPD hat zwei Hauptprobleme: Ihre Kernklientel wird immer kleiner – sie hat von der erfolgreichen sozialdemokratischen Politik der 70er Jahre profitiert und ist dabei sich durch Aufstieg aufzulösen.
    Das andere Problem ist das Personal: Die SPD hat eine ganze Generation an die Grünen verloren. Wem fallen profilierte SPD-Politiker unter 50 ein? Das war noch in den 80er und 90er Jahren anders. Nahles und Böhning kann man mit Leuten wie Lafontaine, Schröder, Clement oder Engholm nicht vergleichen, die damals nicht nur in den Startlöchern saßen, sondern zum Teil bereits Verantwortung trugen. Steinmeier ist eine Art letztes Aufgebot – Personell kommt nach ihm nichts mehr. Aber es braucht Persönlichkeiten mit Ideen, um eine Partei weiter zu bringen, sie zu entwickeln, neu aufzustellen. Die Krise der SPD hat an der Spitze, auf der Bundesebene, noch gar nicht richtig begonnen. Sie beginnt aus den Kommunen und Länder langsam hochzukriechen.

  6. 06

    Opposition mag Quatsch sein, aber Regierungen sind nun mal unsexy. Und die SPD ist immerhin die Partei, die aktuell am längsten in der Regierung ist. Man hat auch nicht das Gefühl, dass sie selbst noch wissen was sie wollen. Hoffentlich finden sie es heraus, bevor wir irgendwann auf 16 Jahre Merkel zurückblicken müssen.

  7. 07

    Man darf nicht vergessen, dass die 40+-Zeiten für die SPD schon immer eher die Ausnahme als die Regel war. Eigentlich nur ziemlich genau die 70er Jahre.

  8. 08
    Jan(TM)

    Eine Sozialistische Einheitspartei wäre der Tod der Sozialdemokratie. Mehr Abgrenzung zu „Den Linken“ ist notwendig, klare und langfristige Politik und Leute die das verkaufen können. Ich warte seit Jahren das Andrea Nahles aus der Deckung kommt und die Partei mal richtig aufmerkelt. Aber langsam glaub ich, die fühlt sich ganz wohl auf ihrem sicheren Sofa. Die SPD braucht mehr starke Frauen, die Männer in der Politik sind fast alle nur noch aalglatte Opportunisten oder [Bitte das Wort das einem beim Namen „Thilo Sarrazin“ spontan einfällt einsetzen!].

  9. 09

    Die SPD sollte vielleicht wirklich von dem Volksparteien-„Privileg“ Abstand nehmen. Dann nämlich könnte sie damit aufhören, irgendwelchen Hirngespinsten hinterher zu laufen(„Wir stellen den Kanzler“). Sie sollte sich lieber an der Realität orientieren. Der Wahrheit ins Auge blicken um sich dann zu sammeln und neu zu formieren.
    Momentan ist die SPD mit ihren hilflosen Versuchen auf irgendeine Weise Wählerstimmen zu bekommen ziemlich erfolglos. Und ich glaube das liegt einfach daran, dass man der SPD ihre Aussagen und Forderungen nicht mehr abnimmt. Natürlich lügen alle Parteien im Wahlkampf. Aber bei der SPD wirkt das alles einfach nur unauthentisch, weil sie sich an ihrem Machtanspruch festklammert.
    Vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn sich die SPD mit ihrer Oppositionsrolle abfindet. Dann kann sie die Zeit nutzen, als Oppositionsführer Vertrauen gewinnen und die Leute schon mal an eine Rot-Rot-Grüne Regierung gewöhnen. Dann nämlich, wenn sich die Leute an das Szenario aus der Opposition erinnern und es sich bewährt hat.

  10. 10

    Woher rührt Euer wissen um die Aussage?
    Etwa von Medienberichten? Ja dann kann man diese auch benennen.
    Auf der Seite http://www.spd.de liest sich so manches anders.

    Ich bin mit Fred`s Beitrag insoweit zufrieden, als er doch noch offen
    lässt, sich auch mal selber schlau zu machen bevor die Bundestagswahl
    am 27. September 2009 stattfindet.;-)

    Siehe auch:

    http://www.bpb.de/methodik/1LFB7F,0,0,Wahlen_2009.html

  11. 11
    Head

    „…weil es dann endlich einmal wieder zu einer ideologischen Ausrichtung kommen könnte.“

    Einer der schlimmsten Sätze, den ich seit langem gelesen habe. Ideologien sind nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen endlich checken, dass es in der Politik darum gehen muss, die realen Probleme zu lösen, ganz pragmatisch, zum Wohle aller. Common Sense statt politischer Ausrichtung, Menschenverstand statt Ideologie, effektive Problemlösungen statt inhaltlichen Debatten.
    Wenn man eine Ideologie suchen möchte, dann nicht mehr links oder rechts, oben, unten oder in der Mitte – sondern in dem, was die Menschenrechte meinen. Das reicht völlig aus.

  12. 12

    zum thema der niedergang der sozialdemokratie und seine ursachen schrob franz walter schon verschiedentlich interessantes.

    spd vor desaströsem wahljahr

    eine volkspartei implodiert

    spd und unterschicht

    die letzte volkspartei leidet unter verschleiß

    und das schönste zum schluß union,
    das schleichende ende der volkspartei

  13. 13

    Was mit der SPD nicht stimmt liegt doch auf der Hand: Zuviele Steinbrücks. Zuviele Wiefelspütze. Zuviele Abgeordnete und Vorstandsmitglieder die meinen, in dieser Partei zu sein, bedeutet immer automatisch auch auf der richtigen Spur zu sein. Und zu guter Letzt: viel zu wenig Keynesianer, die auch verstanden haben, dass man Geld nicht nur in Krisenzeiten unters Volk bringen muss, sondern in guten Zeiten auch wieder reinholen sollte :-)

  14. 14

    @head Ehrlich, der schlimmste Satz ist der, in dem dem „gesunden Menschenverstand“ gehuldigt wird. Der ist gefährlicher als alle sogenannten Ideologien. Mit Pragmatismus, Problemlösung und Reflexion hat der nämlich recht wenig zu tun. Dafür schon eher mit Reflexen…

  15. 15
    topmodel

    Finde the SPD sollte die Grünen rechts vorbeizeihen lassen und sowas wie ne realpolitisch orientierte Linke werden. Kann irgendwie derzeit kein zwingendes alleinstellungs Merkmal finden, mit dem sich die SPD im linken Spektrum profilieren könnte.

  16. 16

    Vielleicht hat die Koalition mit der CDU der SPD auch so sehr zugesetzt, weil in dieser Regierung irgendwo das „[S]oziale“ fehlte. CDU Wähler verzeihen das eher, aber bei der SPD wandern die Leute dann zu anderen Parteien ab. Man hat sich in Berlin nicht grad für die Arbeiter krumm gemacht.

  17. 17

    Die SPD hat mittlerweile so viele Schnittpunkte mit den Linken, dass ein Zusammenschluss nur noch eine Frage der Zeit ist.

    Im SPD-Wahlkampfprogramm finden sich reichlich Punkte wieder, die bis vor kurzem noch ausschließlich im Programm von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine standen. So fordern die Sozialdemokraten einen einheitlichen Mindestlohn, eine Börsenumsatzsteuer, eine Anhebung des Spitzensteuersatzes, keine Teilprivatisierung der Bahn bis mindestens 2014 und die Abschaffung von Studiengebühren.

    Die SPD schlingert also mal wieder einer Bundestagswahl entgegen, eher als dass sie ihr entschlossen entgegenschreitet. Doch auch schon 2002 und 2005 schien die Sozialdemokratie hoffnungslos abgeschlagen und konnte dann doch weiter regieren.

  18. 18

    Das beste für die SPD wäre es, wenn sie bei den Bundestagswahlen ordentllich abkackt und es dann zu einer Ernererung in der Opposition kommt. Die alten Männer gehen dann, die neuen suchen wieder inhaltlich und taktisch nach Mehrheiten, und zwar links von der Union. Ich kann mir nicht vorstellen, dass innerparteilich eine Mehrheit noch ernsthaft vom aktuellen Kurs überzeugt ist.

    Blöd wäre es, wenn die SPD wieder irgendwie auf 30 Prozent kommt und Steinmeier, Steinbrück und Co. weiterwurschteln dürfen. Besser ein Ende mit Schrecken als… ihr wisst schon.

  19. 19

    also 1924 war die spd (gleich 2x) mit etwas über 20% stärkste kraft…

  20. 20
    Henker

    Ganz einfach, die hätten Steinbrück nehmen sollen, Landesvater aus NRW sind immer beliebt bei Wahlen. Steinmeier is nicht nur charismatisch wie ein Fisch er wirkt auch so. Und es ist doch klar, dass nach ne großen Koalition einer in die Opposition muss und dieses mal wirds die SPD

  21. 21

    Nachdem die SPD so gut wie alles verraten hat, was sie einmal wählbar machte, wäre es fatal, sollte sie wieder in die Regierungsverantwortung gelangen. Dann wäre sie weiterhin wie der Ochs hinter dem neoliberalen Karren angebunden, der ja geradewegs auf die Wand zurumpelt. Darum SPD: „Abkacken. Für unser Land.“

    http://abcypsilon777.blog.de/2009/08/04/mann-mittelmasse-ziert-ganze-limmerstrasse-6649386/