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Video-Interview mit Eleanor Saitta: Vor der Überwachungskamera sind manche Menschen gleicher

Eleanor Saitta

Überwachung trifft nicht alle Menschen mit der gleichen Härte, sagt die amerikanische Künstlerin, Hackerin und Forscherin Eleanor Saitta im Interview mit Spreeblick. Im Gegenteil: Während für einige Videokameras eine Stadt zu einem feindseligen Ort machen, profitieren andere von privilegierten Formen der Überwachung. Video-Interview mit Untertiteln und Transkript nach dem Klick.


Direktüberwachung auf Youtube

Spreeblick: Ich fand besonders interessant, dass du erwähnt hast, dass Überwachung nicht immer schlecht ist. Warum das?

Eleanor Saitta: Wenn du die Person bist, welche die Überwachung veranlasst oder die Person, welche die Überwachung kontrolliert oder dafür bezahlt, dann arbeitet sie natürlich in deinem Interesse. Überwachung deckt wirklich ein weites Feld ab, das sind nicht nur Überwachungskameras auf Dächern. Wenn du zu den Leuten gehört, die von Überwachung profitieren, dann ist es nicht zwingend eine schlechte Sache.

Kreditkartenbetrugs-Kontrolle ist definitv eine Form von Überwachung, aber es ist sehr hilfreich für die Leute, deren Kreditkarten-Konten überwacht werden. Aber das ist eine Form von Überwachung, in die man sich einkaufen muss. Man muss eine Kreditkarte haben, man muss sie bezahlen und die Kreditkarte für Transaktionen nutzen. Das kostet alles Geld. Und viele Fälle, in denen Überwachung gut oder nützlich ist finden sich dort, wo Leute für diese Überwachung bezahlen. Herzschrittmacher, die im Falle von Herzproblemen Ärzte benachrichtigen können. Oder OnStar und ähnliche Systeme in Luxusautos, die bei einem Unfall die Polizei rufen, solche Sachen.

Das alles sind nützliche Formen von Überwachung. Aber es gibt da immer diesen engen Zusammenhang mit dem sozialen Status. Die Nutznießer von Überwachung sind vermögender, besser verknüpft, haben dafür bezahlt. Selbst bei Überwachung im öffentlichen Raum, die normalerweise Kriminalität verhindern soll, sind die Leute, die davon profitieren, unverhältnismäßig gut situiert.

Spreeblick: Was du beschreibst ist, dass die Nutznießer von Überwachung häufig weiß, aus der Mittelschicht…

Saitta: … Oberschicht, ja…

Spreeblick: … meistens männlich sind, richtig?

Saitta: Es variiert. Das hängt von der Situation ab, der spezifischen Form der Überwachung. Aber generell gibt es bei positiver Überwachung diese Hierarchie und eine Menge verschiedene Levels – je weiter du weg bist vom Typus des reichen, weißen, männlichen Managers, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass eine gewisse Form der Überwachung dir zu Gute kommt.

Selbst wo es spezifische Sicherheitsmechanismen in Datenverwaltungssystemen gibt, wird, wenn du reich oder berühmt bist und jemand deinen Datensatz aufruft, ein Alarm ausgelöst. Es werden immer wieder Leute gefeuert, weil ungerechtfertigterweise die Daten von Promis abrufen, aber bei normalen Leuten passiert sowas nicht. Und das ist eine Sache, wenn es eine private Datenbank ist, aber eine vollkommen andere, wenn es ein staatliches System ist. Das ist wirklich beunruhigend. Der Staat sollte sich nicht darum kümmern.

Spreeblick: Jetzt hast du aufgezeigt, dass einige Leute von Überwachung profitieren, aber es gibt natürlich auch eine Kehrseite, also Leute, die unter Überwachung leiden?

Saitta: Ja. Wenn du Kameras hast und du bekommst das Gefühl ‚oh, das ein Raum, wo du als Unterschichtler nicht willkommen bist, wir überwachen dich‘, das schafft ein Gefühl von Argwohn. Es macht das Erleben von Raum feindseliger. Außerdem ist es sehr leicht, Überwachungs-Daten ihrem Zweck zu entfremden – wenn’s einmal digitale Daten sind, kannst du alles damit machen -, deshalb werden diese Systeme am Ende missbraucht. Wenige Regierungen bauen Kamera- oder Trackingsysteme, um Dissidenten zu überwachen, aber wenn das System einmal existiert, wird’s natürlich dafür benutzt.

Und es ist richtig schwer, den Missbrauch dieser Systeme zu verhindern, wenn sie einmal da sind. Die gleichen Eigenschaften, die sie flexibler und anpassungsfähiger machen – leichterer Zugriff auf Daten, mehr Transparenz in verschiedenen Organisationen – machen es ungleich schwieriger, diesen Missbrauch zu verhindern.

Spreeblick: Ich finde es sehr interessant, dass du aufzeigst, dass Überwachung Orte feindseliger macht, denn häufig steht ja bei der Einführung die Idee dahinter, diese Plätze weniger feindselig zu machen. Gerade Videoüberwachung wird häufig mit dem Argument beworben, dass sie Orte weniger feindselig mache.

Saitta: Ich denke, die Sache ist die, dass man mit den Kameras irgendwie freie soziale Interaktionen hat. Es gibt die Leute, die beobachten, die entscheiden können, wer beobachtet wird und worauf sie reagieren. Und dann teilt die Kamera in gewisser Weise die Leute, die beobachtet werden, in zwei Kategorien.

Da gibt es die Leute, das sind die Beobachteten, diejenigen Leute, von denen die Beobachter, die Polizei, wer auch immer denken, dass die am ehesten ein Verbrechen begehen werden, denn die Kamera interessiert sich nicht für die Handlungen aller. Sie interessiert sich nur für Verbrechen. Und dann gibt es noch all die anderen Leute, die denken ‚oh nein, ich bin kein Krimineller, die beobachten nicht mich, das dient nur meinem Schutz‘.

Wenn du also in einer dieser Kategorien bist, die von der Polizei häufig verdächtigt werden, etwas anzustellen – in Deutschland etwa, wenn du arm und Türkisch bist… Dieses Profiling passiert. Die Kamera macht den Raum nicht freundlicher, sie macht ihn abweisender. Sie ist wie ein sichtbarer, massiver Beweis für die Argwohn der Gesellschaft gegenüber deiner Anwesenheit an diesem Ort.

Spreeblick: Deine Argumente basieren zu großen Teilen darauf, dass Profiling nicht gut funktioniert, dass die Profile nicht gut begründet sind, zum Beispiel, dass türkische Immigranten in Deutschland als potentielle Kriminelle gesehen werden, weil das Profiling nicht feiner arbeitet.

Was würdest du also sagen, wenn die Überwachung eine bessere technische Qualität hätte? Wenn zum Beispiel Überwachungskameras wirklich so gut arbeiten würden, dass sie Gesichter erkennen könnten und so zumindestens bei der Aufklärung eines Verbrechens genutzt werden könnten? Denkst du, dass bessere Technologie Überwachung zu einem geringeren Problem machen würde?

Saitta: Nein, und das aus mehreren Gründen. Einer der Gründe ist, dass ich nicht glaube, dass die Technologie so schnell besser werden wird, und wenn sie es tut, wird sie unglaublich aufdringlich sein. Eine Kamera zu haben, die buchstäblich sagen kann ‚du warst hier und hier und hier‘ und die Regierung kann das buchstäblich aus den Kamera-Daten erfahren… Das Maß des Ausspähens der Leben von Leuten, das nötig wäre, damit ein solches System wirklich so funktionieren könnte, wie es von diesen Systemen häufig behauptet wird, oder wovon die Leute sagen, dass sei, was sie tun – damit ein System so funktionieren könnte, müsste es extrem tief in die Privatsphäre eingreifen.

Die Möglichkeit eines Missbrauchs ist dabei erstaunlich. Und es gibt schon Fälle, wo Polizeibeamte ihre Ex-Frauen per Kamera stalken und solche Sachen. Diese Sachen passieren wirkliche Personen, das zerstört das Leben von wirklichen Menschen. Ein System, das so viel mächtiger ist und so viel tiefer in die Privatsphäre eindringt wird auch so viel schädlicher für die Menschen sein.

Und es ist auch so, dass eine Überwachungskamera derzeit nur eines kann, nämlich Leute filmen. Theoretisch kann sie vielleicht nach einem Verbrechen die Täter aufspüren, aber es gibt eine Menge Sachen… Man muss der Polizei eine gewisse Anerkennung zollen und sagen: Ja, sie können sehr, sehr nützlich sein. Ein Polizist kann Leuten helfen, kann ihnen den Weg beschreiben, er kann Teil der Gemeinde sein.

Ich bin Techie, aber ich denke auch, dass wir menschlichere Städte bauen müssen, nicht rein von der Technik getrieben Städte. Und wenn wir die Macht über die Verbrechenskontrolle an ein vollständig automatisiertes System übergeben, dann haben wir am Ende eine weit weniger menschliche Kultur, wir werden viel weniger menschliche Städte haben, weit weniger menschliche Straßen.

Die Beweise zeigen sehr, sehr deutlich, dass die derzeitigen Systeme nicht funktionieren, dass sie nicht einmal im Nachhinein eines Verbrechens nützlich sind. Aber selbst wenn sie irgendwie zu funktionieren begännen, glaube ich nicht, dass das helfen würde, glaube ich nicht, dass das eine echte Verbesserung wäre.

Spreeblick: Eines der Länder, die sehr für ihre Nutzung von Überwachung kritisiert worden sind, ist das Vereinigte Königreich und jetzt hat die bürgerliche Liberal-Konservative Regierung angekündigt, dass sie Überwachung abbauen wird, indem sie Überwachungskameras reduziert, einige Gesetze verwirft… was hältst du davon, gerade aus dem Gesichtspunkt heraus, dass die neue Regierung die Leute repräsentiert, die dir zufolge am meisten von Überwachung profitieren?

Saitta: Die Liberaldemokraten, die für die meisten diese Veränderungen verantwortlich sind – sie kommen nicht von den Konservativen -, sie haben versucht, diesen Kampf zu kämpfen. In vielerlei Sicht ist das ein libertarianischer Kampf, in dem sie einfach versuchen, so viele staatliche Strukturen wie möglich abzubauen.

Sie haben einige wirklich, nützliche Siege errungen, die helfen werden, das Gefühl eines Polizeistaates, der ‚Festung Britannien‘ zu reduzieren. Aber das kam im Tausch für den Abbau der Reste des Wohlfahrtsstaates. Ist es am Ende ein Gewinn? Vielleicht, vielleicht auch nicht… Wir werden sehen. Jetzt noch nicht, aber in zehn Jahren werden wir das sagen können.

Ich wäre sehr froh zu sehen, dass etwas von diesem Zeug verschwindet, besonders angesichts der Studien, die in Großbritannien quasi die vollständige Ineffizienz bei der tatsächlichen Aufklärung von Verbrechen gezeigt haben, wobei die Tatsache, dass ein Verbrechen gefilmt wurde – als sie zehn oder fünfzehn Jahre in der Geschichte dieser Kameras zurückgegangen sind – keinen Unterschied macht.

Es gibt sehr, sehr, sehr wenige Beweise dafür, dass diese Kameras – trotz des tiefen Eindringens in die Privatsphäre und und den Problemen mit Missbrauch – ihrem ursprünglichen Zweck gedient haben. Daher bin ich wirklich froh, dass sie diese Hinweise ernstnehmen und sagen ‚hey, das hat nicht funktioniert, lasst uns was anderes ausprobieren!‘

Diese Systeme sind wirlich teuer. Das gleiche Geld investiert in traditionelle Polizeiarbeit mit Polizisten auf der Straße, die Teil der Gemeinde werden, hätte einen viel größeren Effekt, und das nicht nur, was die Verhinderung von Verbrechen angeht, sondern auch allgemein durch das helfen von Menschen.

Spreeblick: Interessanterweise hat Großbritannien nie eine große Bewegung gegen Überwachung erlebt, wie wir sie hier in Deutschland haben, und es ist auffällig, dass die Menschen sich häufig für Überwachung eingesetzt haben – nicht etwa, wie die Regierung, im Kampf gegen Terrorismus, sondern weil sie hofften, dass sie gegen Kleinkriminalität helfen würde.

Wenn also die Bürger weiterhin Überwachung wollen, oder zumindestens ein Teil von ihnen, denkst du, dass private Anbieter auftreten werden, dass es wie ‚Gated Communities‘ privat überwachte Gemeinden geben wird?

Saitta: Das passiert überall. Wir nennen es ‚Einkaufszentren‘. Es gibt bereits eine wirklich, wirklich große Menge privater Überwachung in der Welt, und Großbritannien ist da keine Ausnahme. Ich bin kein Experte für die öffentliche Meinung dort, aber ich denke, der Einzug der Liberaldemokraten in diese Koalition zeigt, dass es zumindestens eine gewisse Gegenreaktion gibt und Kampagnen Erfolg gehabt haben.

Ich denke auch, dass es den Leuten so verkauft worden ist. Die Lobby- und Werbefirmen der Überwachungsunternehmen – – diese Dinge sind wirklich teuer und sie haben ihre Lobbies – haben ihnen gesagt, dass dies alle diese Sachen tun werde und dann das und das passieren werde. Und ich denke, die Leute haben vielleicht endlich realisiert, das nichts davon uns sicherer gemacht hat und nichts davon irgendeinen dieser Effekte hatte, es hat nur den Grad der sozialen Isolation erhöht und diese Feindseligkeit verstärkt. Es hat überhaupt nicht geholfen.

Ich denke, die Probleme, die durch die Jugendkultur oder was auch immer das Schlagwort der Woche zur Rechtfertigung dieser Sachen ist, kommen von weit größeren sozialen Probleme um finanzielle Ungleichheit. Eine kürzlich erschienene Studie zeigt das London die größten finanziellen Ungleichheiten hat – sicher innerhalb der G8, ich meine sogar, weltweit – wo einige – ich glaube, die obersten zehn Prozent – 273 mal so viel verdienen wie die untersten zehn Prozent. Das ist riesig! Ich meine, wir reden nicht vom obersten und untersten einen Prozent. Die obersten zehn Prozent der Bevölkerung sind ein großer Batzen. Und das dieser 273 mal reicher ist, dass ist die größte finanzielle Ungleichheit von der wir zumindestens in den Industriestaaten wissen.

Das vergiftet eine Gesellschaft mit der Zeit. Und ja, dann bekommt man Kleinkriminalität, dann bekommt man eine ganze Reihe sozialer Probleme, die aus sowas entstehen. Ich denke, wenn sie wirklich was gegen solche Kleinkriminalität tun wollten, müssten sie die fundamentalen Fragen um finanzielle Ungleichheit und solche Einkommensunterschiede angehen und dann sehen wir vielleicht wirkliche Veränderungen.

Spreeblick: Ein anderes Thema, dass ebenfalls sehr wichtig war in Großbritannien, ist Polizeigewalt. Da gab es den Tod mehrerer Menschen, etwa eines Mannes, der starb, nachdem er in der Nähe eines Protestes in Londen geschlagen worden war, und du hast vorgeschlagen, dass die Leute zurückfilmen sollen. Wie dich heute jemand aus dem Publikum gefragt hat, warum sollte man gleiches mit gleichem bekämpfen?

Saitta: Wenn man in einem modernen Staat, in einer modernen Metropole protestiert, wird man so oder so aufgenommen. Egal was, du wirst gefilmt. Das ist sicher, egal, ob du einfach die Straße lang läufst oder protestierst. Aber bei Protesten gibt es viel mehr dieser Fälle des Missbrauchs von Polizeigewalt und -Brutalität in solchen Situationen. Und es ist leichter, sowas wie Kameras zu organisieren. Aber da du bereits aufgenommen wirst verlierst du im Grunde keine Privatsphäre, wenn du selbst filmst. Das Video wird so oder so da sein.

Und wenn die Polizei das Video benutzen kann, um dich zu beschuldigen, dann wird sie das tun. Ein häufiges Problem ist, dass die Polizei entscheiden kann, wann so ein Video als Beweis verfügbar ist. Wenn man versucht, Polizeigewalt strafrechtlich zu verfolgen, dann heißt es häufig ‚Nein, das Video haben wir nicht‘. Und dieses Video, das einen Polizeibeamten bei ganz klar illegalen Handlungen zeigt, für die er ins Gefängnis gehen müsste, ‚wurde leider letzte Woche gelöscht, sorry‘. Und solche Sachen passieren die ganze Zeit und überall auf der Welt. Es ist eine große Frustration für Menschenrechtsanwälte, die versuchen, diese Fälle vor Gericht zu bringen.

Deshalb mach stattdessen deine eigenen Aufnahmen. Nimm es so auf, dass keine einzelne Person mit der Kamera verknüpft ist, dass der Film nicht auf der Kamera verloren geht, dass er sofort online veröffentlicht wird. Bring die Aufnahmen an die Öffentlichkeit und werde dieses Machtungleichgewicht los, wer entscheiden kann, was mit dem Video passiert und wann es im Netz landet.

Was ich vorgeschlagen habe ist ein Wettbewerb, der in den nächsten sechs Monaten stattfinden wird. Ich bin gespannt zu sehen, wie die Teilnehmer sich beim Bau von Kameraeinheiten für den Einsatz in städtischen Umgebungen schlagen. Nicht nur für den Einsatz in Industriestaaten, sondern für überall auf der Welt.

Wir haben z.B. in Iran, in Burma gezeigt, dass die Veröffentlichung von Videos zwar keinen großen direkten Einfluss auf die politische Situation hatte, aber das öffentliche Bewusstsein verändert hat. Es gibt also einen großen Wert in dieser Art von Arbeit, selbst wenn man sich nicht legal wehren kann. Ich glaube, ja, es gibt einen großen Wert in diesen Dingen und ich will Entwicklungen an dieser Art von Hardware starten sehen.

Spreeblick: Ich denke, der Start dieses Wettbewerbs ist ein mutiger Schritt, aber damit wird nur ein einem der vielen Felder zurückgeschlagen, von denen du gesprochen hast. Ich würde gerne wissen, was du vorschlägst, um auf Überwachung zu reagieren. Was können Bürger als Reaktion auf Überwachung vom Staat und auch von privater Seite tun?

Saitta: Es gibt da im Grunde vier Sachen. Dokumentieren, was passiert – Überwachung, die da draußen passiert, ist häufig nicht wirklich öffentlich. Du kennst vielleicht die Initiativen für Kameras, die Schüsse erkennen können, die in einigen Städten aufgehängt werden, aber diese Systeme sind nicht wirklich öffentlich.

Also das, was es gibt auf grundlegende, strukturierte Weise dokumentieren: Das alles sind Wege, auf denen du an einem normalen Tag beobachtet wirst, oder hier hängen all die Kameras in der Stadt. Solche Sachen sind wirklich nützlich. Und die Informationen an die Öffentlichkeit bringen, öffentliche Aufmerksamkeit schaffen, damit Leute verstehen: ‚O.k., wenn ich morgens aufstehe und zur Arbeit gehe, dann haben beim Betreten des Büros 20 verschiedene Unternehmen und sechs Regierungsbehörden Daten über mich aufgezeichnet.

Das ist wirklich interessant. Ich glaube nicht, das die Leute unbedingt dieser alltäglichen Überwachung bewusst sind. Das ist keine paranoide Verschwörungstheorie, das ist einfach normale, wirkliche banale Alltags-Überwachung, das alltägliche Übel, das den Leuten geschieht. Den Leuten helfen, zu verstehen, was los ist – ich denke, das ist einer der Gründe, warum wir nicht mehr allgemeines Interesse gesehen haben, weil die Leute einfach nichts davon wissen.

Sich in solchen Projekten engagieren, wenn sie stattfinden. Diese Überwachungsprojekte sind teuer, es gibt Möglichkeiten zur Stellungnahme, wenn es eine staatlich finanzierte Initiative ist. Und auch über die Gesetze, auf denen sie aufbauen, gibt es da draußen Diskussionen – also sich an denen beteiligen, sich bei den Planungstreffen engagieren. Wenn sie sagen, ‚hey, wir wollen diese Überwachungstürme aufstellen‘, dann wird es Planungen dazu geben. Niemand wird kommen… aber du, du kommst! Mach dich bemerkbar, mach deutlich, dass nicht alle diese Überwachung wollen.

Und dann auch, das System zu unterlaufen, was auch immer das heißt. Z.B. Aktionen, bei denen man zeigt, wie lächerlich und vollkommen nutzlos viele dieser Systeme sind.

Oder Werkzeuge, die Leuten helfen können, ihre Privatsphäre zu stärken – TOR für anonymes Surfen im Internet und um mit Internetüberwachung und -Zensur klarzukommen, oder OTR, ein sicheres Instant-Messaging-System, um mit ähnlichen Probleme fertigzuwerden, oder Sachen wie der Anti-Überwachungs-Kamera-Wettbewerb. Wenn du die technischen Fähigkeiten hast, an sowas teilzunehmen, dann hilf Leuten auf diese Weise.

Spreeblick: Was du jetzt gezeichnet hast, ist ein etwas negatives Bild der Gegenwart, indem du aufgezeigt hast, dass es eine Menge alltäglicher Überwachung gibt. Direkt nach deinem Talk auf der Sigint gab es eine Präsentation über „denkende Städte“, die auf gewisse Weise ein positives Bild der Zukunft von Städten zeichnete, die von positiver Überwachung profitieren, und ich wüsste gerne, was du denkst, wie sich westliche Städte entwickeln werden. Wird es eher ein Szenario Orwell’scher Überwachung, oder eher eines ‚positiver‘ Überwachung, welche die Bürger stärkt?

Saitta: Ich denke, es wird ein wenig von beidem sein. Die Zukunft ist immer viel chaotischer und weitaus langweiliger, als wir sie uns vorstellen. Ich denke, es wird nicht die strahlende Netzwerk-Stadt auf dem Hügel geben – alles ist schön und magisch und die Dinge arbeiten für dich, weil du ihnen all diese Daten gibst und jeder hat diesen fröhlichen Schwarm…

Ich denke, für einige Leute wird es so sein. Aber wenn man die Macht und das Geld und die sozialen Privilegien nicht hat, dann wird es für einen nicht so sein. Für einige Leute wird es zu einer gewissen Zeit sehr brutal und sehr Orwell-mäßig sein.

Ich hoffe, dass Menschen aufstehen und Nein sagen. All diese Initiativen für denkende Städte und so sind großartig und wunderbar, aber man muss unsere Privatsphäre dabei bewahren, man muss die richtigen Entscheidungen treffen. Es ist nicht o.k., wir werden nicht unser Brot und Circus nehmen und unsere glänzenden Spielzeuge und Foursquare-Accounts im Austausch für das grundlegende Recht auf Privatsphäre und Selbstbestimmung.

Spreeblick: Vielen Dank für das Interview!

Saitta: Danke dir.

16 Kommentare

  1. 01

    Ich schließe mich an: “ Vielen Dank für das Interview!“

  2. 02

    Gehe absolut konform…WORD!!!!!

  3. 03

    Gibt es einen Link zu diesem Kamerawettbewerb ?

  4. 04
    Simon Columbus

    @#762108: ja, den gibt es, und zwar hier

  5. 05

    Wow, ein gutes Interview, Simon! Es sind im Transkript einige Tippfehler und sogar 1-2 Stellen, an denen man nicht weiß, was gemeint ist. (z.B. „Ich hoffe, dass, wenn Menschen aufstehen und Nein sagen.“) Ich hab‘ mir das Video jetzt nicht angeschaut, aber vielleicht könnte man da nochmal nachbessern. :)

  6. 06
    Simon Columbus

    @#762356: Das Transkript ist aus den Untertiteln für das Video zusammengesetzt, ich hab’s danach nicht nochmal geglättet, daher diese Stellen (ich habe die genannte mal bereinigt).

  7. 07

    @#762358: Ich weiß, dass es viel Arbeit ist, daher auch nur als Hinweis formuliert und nicht als Forderung.

    BTW: Wie kommt es eigentlich, dass euer Replysystem die Kommentare anders zählt als die Kommentaranzeige? Wenn da noch nicht freigegebene Kommentare oder gelöschter Spam zwischen sein sollte, sollte doch trotzdem die aktuelle Kommentarnummer für den Reply genutzt werden, oder nicht?
    Vielleicht eher eine Frage an Johnny oder Christoph.