Gestern habe ich die Petition „Buntspenden“ unterzeichnet, die vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), dem Christopher Street Day e. V. Berlin und DDB Tribal Berlin initiiert wurde und mit einer grafisch und technisch großartig gemachten Website beworben wird.
Mir war – wie vermutlich vielen anderen Menschen – vorher nicht bewusst, dass bi- und homosexuelle Männer in Deutschland kein Blut spenden dürfen und ich fand das ungeheuerlich. Denn auf mögliche Infektionen wird doch sicher jede Blutspende untersucht, und somit kann die Sicherheit der Spenden-Empfängerinnen und -Empfänger jederzeit garantiert werden, dachte ich.
Im Detail ist die ganze Sache dann aber mal wieder doch nicht ganz so einfach.
Es stimmt, dass „Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben“ (abgekürzt MSM, wieder was gelernt) von der Blutspende ausgeschlossen sind, ebenso wie „heterosexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten, z. B. Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partnern“ und „männliche und weibliche Prostituierte“, zusammengefasst „Personen, deren Sexualverhalten ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten wie HBV, HCV oder HIV bergen“ (Quelle).
Dass die genannten Personengruppen zu einer höheren Risikogruppe gehören, ist dabei durch epidemiologische Zahlen des Robert-Koch-Instituts belegt. Etwa 68 Prozent der Neuinfektionen mit HIV treten in der Gruppe der MSM auf, von 78.000 HIV-infizierten Menschen in Deutschland sind 51.000 homosexuell und das Risiko von Neuinfektionen ist bei Homosexuellen rund 100-fach höher als bei Heterosexuellen (Quelle).
Das ist tragisch, aber diese Zahlen sind nicht von der Hand zu weisen, zumal bei den Tests noch ein „diagnostisches Fenster“ als geringes Risiko bleibt, „die Ergebnisse dieser Tests können in der Frühphase nach HIV-Infektion falsch negativ ausfallen“.
Der Twitter-Account von Buntspenden antwortete gestern auf eine Nachfrage meinerseits, wie man zu diesen Zahlen stünde:
@spreeblick Es geht darum das Sexualverhalten und nicht die sexuelle Orientierung zu bewerten. Siehe Petitionstext #EU-Grundrechtecharta.
— Bunt Spenden (@BuntSpenden) June 25, 2014
Womit ich dann die Petition etwas besser verstand. Nicht um den Ausschluss von Risikogruppen scheint es zu gehen, sondern eben um die Trennung von Sexualverhalten und sexueller Orientierung. Anders gesagt will die Petition die Verallgemeinerung beenden, nach der Schwule generell ein risikoreicheres Sexualleben führen.
Da einige schwule und teilweise auch verheiratete Paare, die ich kenne, nach meinem Kenntnisstand nicht weniger monogam leben als die Hetero-Paare, bei denen meine Kenntnisse auch nicht weiter reichen, halte ich diese Forderung für gerechtfertigt und verständlich. Sicher gibt es verheiratete Hetero-Männer, die sich auch mal mit einem Mann vergnügen und auch schwule Männer, die froh sind, dass sie glücklich mit dem einen Partner sind. Statistische Zahlen sind mir in diesem Bereich nicht bekannt.
Ich habe meine Unterschrift für die Petition nicht zurückgezogen, weil ich den Ansatz der Trennung von Sexualverhalten und sexueller Orientierung wichtig finde. Da auch die Bundesärztekammer überlegt, wie man die Gesetze diskriminierungsfrei gestalten könnte (PDF), bringt die Petition vielleicht etwas Schwung und öffentliche Debatte in die Sache.
Dennoch bleibt leider ein etwas bitterer Beigeschmack bei der ganzen Sache, der in erster Linie durch die Website der Petition ausgelöst wird: Toll gestaltet, inhaltlich jedoch stark vereinfachend. Die Petition erweckt den Eindruck, als ginge es bei den aktuellen Regelungen allein um homosexuelle Männer, ich finde an keiner Stelle Links zu Zahlen oder Statements der Bundesärztekammer und das, was die Initiatoren mir so gut in einem kurzen Tweet erklären konnten, taucht auf der Site nicht auf. Dass man als bisher Unwissender den Eindruck bekommen könnte, es gäbe irgendwo böse Menschen, die einfach keine Schwulen beim Blutspenden wollen, ist vielleicht nicht ganz unbeabsichtigt, so mein Verdacht.
Natürlich lässt sich eine klare Botschaft leichter und erfolgversprechender kommunizieren als die dann eben doch etwas komplexeren Sachverhalte und auch Forderungen, weshalb ich den Initiatoren der Petition beste Absichten unterstellen und keine wirklichen Vorwürfe machen möchte. Ein bisschen mehr Information und Differenzierung hätte ich mir trotzdem gewünscht.
UPDATE Offenbar habe ich mich etwas zu blöd angestellt, denn im ganzen Petitionstext werden die Forderungen deutlicher. Diesen findet man nicht durch Klick auf den Menüpukt „Petition“, wo ich ihn gesucht hatte, sondern auf einem Button beim Schritt vorher in der Geschichte, die auf der Site erzählt wird. Direkt verlinken kann man ihn leider derzeit nicht. Danke für die Hinweise in den Kommentaren und durch @BuntSpenden auf Twitter!
Mit bestem Dank an Moritz und Marius, die mich unaufgeregt und sachlich in den Facebook-Kommentaren auf ein paar Links aufmerksam gemacht haben.
Artikel und Informationen:
Bunt spenden? Aber sicher! (@kpeterlBW und @Raven_SN bei der Piratenpartei)
n-tv.de: Warum Schwule nicht Blut spenden dürfen
Erläuterungen zum Ausschluss von der Blutspende (Paul-Ehrlich-Institut)
Erläuterungen des WB-AK „Richtlinien Hämotherapie“ (PDF)
Das Problem, warum das Ganze praktisch nicht umsetzbar ist, würde schon im Text genannt:
„Statistische Zahlen sind mir in diesem Bereich nicht bekannt.“
Die bisherige Entscheidung wurde anhand von statistischen Daten getroffen und bis es neue Daten gibt, die die These dieser Initiative unterstützen, ist es schwer gegen das bisherige Konzept zu argumentieren, weil das Risiko ja da ist.
Aber ich sehe kein Problem für die Initiative zu fördern, dass neue, differenziertere Daten und Zahlen ermittelt werden.
Naja. In der Bildergeschichte geht es schon mal nicht um einen homo- sondern einen bisexuellen Mann, in der Petition sind Bi-Männer auch genannt. Und schon in der Bildergeschichte lese ich:
„Wir glauben, dass sicheres Blut nichts mit der sexuellen Orientierung der Spender zu tun hat.“
und in der Petition selbst:
„Wir glauben, dass die Sicherheit von Blut mit dem Lebensstil der Spender zu tun hat und nicht mit ihrer sexuellen Orientierung. […] Wir fordern daher, dass es, anders als in den Richtlinien zur Hämotherapie beschrieben, nicht von der sexuellen Orientierung abhängen darf, ob ein Spender infrage kommt, sondern vom individuellen Risikoverhalten.“
Das ist doch ganz klar formuliert. Ich bin ziemlich beeindruckt davon, wie eine so simple Seite das Problem knapp und deutlich benennt. Aber anscheinend ist es doch nicht so deutlich, wie ich dachte. Schade!
@#933506: Daten zu Fremdgehen/Polygamie usw. hat man vorher ja auch schon nicht herangezogen. Es ging lediglich um statistische Verteilung von Neuinfektionen und die Frage der Nachweisbarkeit von Krankheiten.
In einer Situation wie den 80ern oder frühen 90ern ergab es auch Sinn, alle Ampeln erstmal vorsorglich auf rot zu stellen. Die Diskriminierung liegt also eher darin, dass man den Zustand 30 Jahre so beibehalten hat, obwohl schon seit geraumer Zeit Kritik daran geäußert wurde. Insofern fällt das in die gleiche Kategorie des Vermeidungswesens und der Dickfelligkeit gegenüber Minderheiten wie Rollstuhlrampen, Blindengerechte Ampeln und so weiter: Keine böse Absicht, es gibt halt meist wichtigeres zu tun. Nichts wofür jemand auf den Scheiterhaufen müsste, aber gleichzeitig darf man sie nicht so leicht vom Haken lassen.
Die Statistik mit dem 100fachen Ansteckungsrisiko mag noch stimmen, passt aber nicht mehr zur Situation. Wisschaftlich gesehen ist es nun mal Unfug, dass jemand, der vor 30 Jahren in der Pubertät mal mit einem Freund herumexperimentiert hat, lebenslang ein höheres Ansteckungsrisko hat. Anders als jemand, der noch vor vier Monaten ungeschützen Sex mit einer Hafennutte hatte – der darf wieder.
Immerhin wurde die Risikogruppe auf dem Formular mittlerweile von „homosexuelle Männer“ in „Männer die Sex mit Männern haben“ geändert – vorher hatte ja offenbar das bloße Coming Out schon Seuchengefahr verursacht.
Auf der Seite wir doch ganz klar gesagt, dass es darum geht nicht die sexuelle Orientierung zu bewerten.
„Wir glauben das sicheres Blut nichts mit der sexuellen Orientierung der Spender zu tun hat.“
Und wenn man sich die Petition durchliest, was du ja sicher gemacht hast, dann kriegt man doch ein recht detailliertes Bild.
@#933689: @#934136: Ich ergänze das auch gleich noch oben im Text: Mein Fehler. Den kompletten Petitionstext habe ich tatsächlich nicht gefunden und daher auch nicht gelesen, denn ich habe ihn unter dem Menüpunkt „Petition“ vermutet. Dass er auf einem Button vorher verlinkt ist (nachdem man sich gerade ans weiterscrollen gewöhnt hatte), ist mir leider entgangen.
Vielleicht doof von mir, vielleicht auch von der Nutzbarkeit nicht ganz super toll (denn links steht ja „Petition“, da ist aber der Text nicht), vielleicht eine Mischung aus beidem.
Ich werde da eine Änderung morgen vorschlagen.
Da haben wir nicht dran gedacht.
@#934250: Naja, und ich war zu schnell beim Scrollen.
Obwohl ich dafür bin, dass auch homo- und bisexuelle Männer Blut spenden dürfen, sofern diese sich kein erhöhtes HIV-Infektionsrisiko aufweisen, unterschreibe ich diese Petition nicht.
Diese Forderungen dieser Petition zielen darauf ab, die erhöhten Risiken der Gruppe der MSM zu verschleiern.
“Wir glauben, dass die Sicherheit von Blut mit dem Lebensstil der Spender zu tun hat und nicht mit ihrer sexuellen Orientierung. […] “
Eine Aussage, die schlichtweg durch die statistischen Daten kaum naheliegt.
“Anzahl und Anteil der homo- und bisexuelle Männer an den HIV-Erstdiagnosen sind seit dem Jahr 2001 kontinuierlich gestiegen, von knapp 50 Prozent der Meldungen im Jahr 2001 auf 74 Prozent der Meldungen im Jahr 2012.” (Quelle: RKI Epidemiologisches Bulletin Nr. 24 S. 216)
Die Daten des RKI zeigen, dass das HIV-Infektionsrisiko und homo- oder bi-sexuelle Orientierung stark korrelieren.
Dies kann eigentlich nur dadurch erklärt werden, dass das Sexualverhalten dieser Gruppe tatsächlich risikoreicher ist, oder dass die Ansteckungsgefahr trotz verantwortungsvollem Sexualverhalten erheblich höher ist.
Da der Schutz des Lebens der Empfänger an erster Stelle steht, ist es gerechtfertigt den Ausschluss von Risikogruppen breit anzulegen.
„Wir fordern daher, dass es, anders als in den Richtlinien zur Hämotherapie beschrieben, nicht von der sexuellen Orientierung abhängen darf, ob ein Spender infrage kommt, sondern vom individuellen Risikoverhalten.”
Das Problem ist nur, dass die Ermittlung des individuellen Risikoverhaltens deutlich aufwendiger ist und viel stärker in die Privatsphäre eindringt, als ein genereller Ausschluss.
Ich sehe kein grundsätzliches Problem homo- oder bi-sexuellen Männer das Blutspenden zu ermöglichen, allerdings darf dies auf keinen Fall mit einer Erhöhung des Inkfektionsrisikos einhergehen.
So ist es in der Diskussion, den Ausschluss von MSM von der Blutspende nicht mehr dauerhaft, sondern zeitlich begrenzt einzuführen. Dazu laufen bereits Untersuchungen, allerdings malen die Mühlen langsam und bevor die allgemeinen Regeln geändert werden, müssen die Ergebnisse abgewartet werden.
Irgendwie kommt mir bei dieser Petition das Gefühl hoch, dass die Initiatoren dieser Petition ein höheres Infektionsrisiko bei Blutspenden als Preis für die Aufhebung der Diskriminierung als höheres Ziel billigend in Kauf nehmen. Zumindest wenn man davon ausgeht, dass den Initiatoren die Zahlen des RKI bekannt sind.
Übrigens herrscht in Deutschland kein Mangel an Spenderblut, sondern wird sogar reichlich ins Ausland verkauft.
@#934216: Stimmt, das ist nicht optimal. Ich fand die Seite so cool gemacht, dass ich auf alles geklickt habe, was klickbar war… viel war’s ja nicht.
Man darf ja Spenden. Nur wird das gespendete Blut wird nicht verwendet. Es wird also nicht der Mensch, sondern sein Blut diskriminiert.
Danke Johnny, dass Du meinen Anstoß hier noch einmal etwas kritisch beleuchtest, am Ende aber ja zu dem Ergebnis kommst, dass die Petition das richtige Ziel verfolgt.
Für mich ist entscheidend: Die Sicherheit in Sachen HIV – für Hepatitis gilt im Grunde das Gleiche – lässt sich über die weitere Verbesserung der Testmethoden hinaus nur über individuelle Verantwortung regeln. Nur die einzelne Spenderin kann beurteilen, welche bekannten Risikofaktoren bei ihr vorliegen. Um diese Verantwortung wahrzunehmen, braucht es gute Aufklärung aber keinen generellen Ausschluss von Menschen mit bestimmter sexueller Orientierung.
Die aktuelle Regelung unterstellt, Schwule könnten dieser Verantwortung weniger gerecht werden. Das ist diskriminierend.
Hallo Johnny,
danke, dass du auf das Thema aufmerksam machst. Das Missverständnis welches du hattest (und aufgelöst hast) ist eines, das sicherlich auch andere haben und in sofern ist es gut, dass es ebenfalls thematisiert wurde.
Viele Grüße
Deef