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England – Portugal: penalties again

Schon als man diesen verlogenen Campino im imagekonformen England-Jersey Eigenmarketing betreiben sah, musste man sich zwingend eine Niederlage Englands wünschen. Und dann ließ der Sven auch noch ein höchst unenglisches 4-1-4-1 spielen, weil er sich nicht traute, Lampard auf der Bank zu lassen. Luis Felipe Scolari auf der anderen Seite hatte zuvor schon zwei Mal gegen England gewonnen. Einmal mit Brasilien, einmal mit Portugal. Klare Sache eigentlich. Dass zumindest in diesem Spiel für ein paar Minuten drei Löwen in der käsigweißen Brust pochen würden, konnte man beim Anpfiff noch nicht ahnen. Dass Owen Hargreaves über sich und alle anderen Spieler hinauswuchs, auch nicht. Dass England nach 120 torlosen Minuten im Elfmeterschießen scheitern würde, das allerdings schon.

Als Becks nach seiner Auswechslung heulte wie ein vom Schulschläger verprügelter kleiner Waisenjunge, als 10 Engländer zwar besser als 11 Portugiesen, aber genauso ziellos spielten, als Becks himself später den von Weinkrämpfen geschüttelten Rio Ferdinand tröstete und als Terrys Tränen sein Trikot benetzten wie ein melancholischer Herbstregen die Dächer von Westminster, da war aus dem unansehnlich spielenden, mit Mühe und Glück gewinnenden Rumpel-England wieder Ye Olde England geworden: die mit den drei Löwen, kämpfend, weinend, verzweifelt, vor dem eigenen Schatten fliehend und – natürlich – geschlagen. Jeder Spieler, jeder Zuschauer im Königreich ahnte nicht nur, sondern wusste ganz genau, dass ein Sieg Englands im Elfmeterschießen so unmöglich sein würde wie Hamlets Überleben im fünften Akt seiner eigenen Tragödie.

Gut für die neutralen Zuschauer: die Engländer spielten ihr bestes Spiel bei dieser WM, die Portugiesen hingegen konnten es ohne Deco nicht einseitig dominieren. Schlecht für die Zuschauer: kaum Torszenen, keine Tore. Glaubt man den von uns gepflegten Fußballklischees, waren die Gründe für Portugals zögerndes und ängstliches Überzahl-Spiel die ihrer Seele inne wohnenden Fado und Saudade. Irgendwann klickt es im Kopf eines portugiesischen Fußballers und genau dann, wenn er alle Chancen auf den Sieg hat, will er den nicht mehr. Den stürmerlosen 10 Engländern fehlte in der Schlussphase ein echter, nunja, Stürmer. Peter Crouch mag von englischen Medien unterschätzt worden sein, doch ein Rooney ist er nicht. Was seine Freundin übrigens sehr freuen dürfte, nicht aber den Sven.

Und Rooney. Man sagt, echte Mittelstürmer müssten ein bisschen blöde sein, um zu treffen. (”Wenn’s denkst, is eh zu spät.” – Gerd Müller. “Ich denk nie, ich schieß einfach.” – Lukas Podolski) Dass ein Stürmer aber so blöde sein muss, einen Meter vom Schiedsrichter entfernt Carvalho mit Schmackes in die Eier zu treten, sagt man nicht. Aus gutem Grund, und der ist rot. Wie zynisch wirkt das letzte Titelblatt der Sun jetzt. Und wo wir die Sun gerade im Blick haben: den Vorgang des Elfmeterschießen nannte sie hübsch “German Roulette”.

Letztlich hat Portugal, wie man so schön unkreativ sagt, “verdient gewonnen”. Vor allem, wenn man sich an die vergangenen WM-Spiele beider Mannschaften erinnert. Allerdings hätte Portugal gegen rooneylose Engländer schon in der regulären Spielzeit gewinnen müssen. 58 Minuten Überzahl! 58 Minuten! Figo mühte sich, rackerte, aber zauberte nie. Frankreichs Zidane hingegen legte gut geplante Altherren-Päuschen ein, um in den entscheidenden Momenten Kraft für ZZ-Zaubereien zu haben. Dass Scolaris Weltschmerz-Kicker Leh Blöh im Halbfinale schlagen können, glaube ich nicht (mehr). Deco hin oder Deco her.

England kann sich trösten. Immerhin hatte es Shakespeare. Vor 400 Jahren.

(Warum dieser Spielbericht erst so spät erscheint, mag sich der eine oder die andere fragen, doch – so unglaubwürdig das klingen mag – am Wochenende sind sogar wir auch nur Mensch.)

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Das EM-Halbfinale steht

Die erste Mannschaft, die es sich zugetraut hat, hat Brasilien geschlagen. Das ganze Gerede der Brasilianer, sie würden sich von Spiel zu Spiel steigern, war ein Werbegag, genau wie die Fama vom Joga Bonito. Sie konnten den Hebel nicht finden, den es umzulegen galt, es war, als würde jemand betrunken Tomb Raider spielen. Wie hieß es vorher: Ohne Ball ist Brasilien nicht stärker als Island. Eine Beleidigung der normalerweise gut aufgestellten Wikinger. Das neue Frankreich ist wieder das alte Frankreich – schnell, ballsicher, Zidane, Henry.
Die Schweiz geht aus dem Turnier mit der Erkenntnis, stärker als Brasilien zu sein.
Ist doch auch schön.

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Ach ja. Dann also gegen Italien…

Hatten ja sowieso viele alle schon vorhergesagt. Einem so hochkarätig besetzten Außenseiter wie der Ukraine hätte man mehr zutrauen können. Wenn die vorherigen Spiele besser gewesen wären. So spielten sie sogar fast bemüht und hatten ihre Chancen. Aber gegen die abgebrüht zockenden Italiener blieben nur wenige Möglichkeiten. Toni (Fanchor hinter mir: Riga-Toni. Kalauer, haha.) machte fast locker sein Double, nachdem seine Mannschaft durch das Tor von Zambrotta schon in Führung lag. So wurde dann auch der sich ansatzweise zeigende Spielfluß der Ukrainer zu Beginn der zweiten Halbzeit schnell abgebrochen. Wenig Sheva-Schenkel.
Italien spielte fast überraschend. Ja spielte. Nicht mal schlecht, leider. Und eigentlich war’s das auch, denn…


Es ist so verdammt schwer, solch ein Spiel als begeisternswert zu empfinden, wenn nur wenige Minuten zuvor der deutsche Jubel verklang, weil man sich von der Straße entfernt hat. Wenn man eigentlich noch ein bißchen genießen will, weil man nicht weiß, ob es vielleicht das letzte Mal ist. Schließlich ist bei einer WM alles möglich. Auch, dass Italien ein Spiel gewinnt. Rationales Fußballdenken dann morgen wieder.
So, ich fange jetzt erstmal an, Jens Lehmann zu mögen. Und warte auf das dritte, vielleicht einfachere, Finale für Deutschland. Nichts mehr mit 1:4. Pah! Und gehe wieder feiern. Prost!

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Hört nicht auf mich

Was mache ich hier eigentlich?
Meine so sorgfältig ausgearbeitete Vorweg-Analyse war in jedem einzelnen Punkt falsch.
Argentinien war ungeheuer zweikampfstark, variabel, bei Kopfbällen überlegen. Die Wechsel jedoch haben die Argentinier geschwächt und die Deutschen stärker gemacht. Borowski und Odonkor waren die Gewinner dieses Spiels, obwohl doch ein Spielertyp wie Schweinsteiger gebraucht wurde.

Argentinien war es, das mit der Führung nicht zurecht kam, sie ließen sich zu weit nach hinten drängen, Deutschland kam besser ins Spiel. Und in der zweiten Hälfte der Verlängerung hatten die Argentinier noch mehr Kraft als die Deutschen.
Ballack hat noch nicht ein einziges Mal getroffen, aber Deutschland!Ist!Im! Halbfinale!
Was immer Gültigkeit haben wird: Niemand kann Deutschland im Elfmeterschießen schlagen.
Nein, lassen wir das, es wird sowieso wieder falsch sein. Versteht jemand dieses Spiel?
Aber das Größte fand heute abseits des Spielgeschehens statt.
Wer bei der Szene zwischen Kahn und Lehmann keine Träne im Auge hatte, hat keine Tränendrüsen.

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Evita

Don’t cry too much Argentina
The truth is that luck has left you
All through this wild match
Diego was missing
We kept our promise
You can go fishing.

Auf diese Art zu singen.

0

Ist doch

langweilig.

5

Lehmann

Lehmann!

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1:1

So, jetzt könnte das Spiel zu Ende sein. Ist es aber nicht. Jetzt beginnt das, was wir unseren Enkeln erzählen können.

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Der Frings, die Nummer 6

“Der Frings, der taugt doch nix”, hat mein Onkel vor der WM oft gesagt. Mein Onkel versteht viel vom Fußball, wie er früher im Pott gespielt wurde. Wenn ich wissen will, wer 1971 als dritter Torwart bei Rot-Weiss (mit Doppel-s) Essen auf der Bank saß, frage ich ihn. Mit ihm habe ich mein erstes Fußballspiel besucht: Schwarz-Weiß (mit ß) Essen, Uhlenkrug-Stadion, auf dem Platz ein junger unbekannter Jens Lehmann. Heute spielt Crazy Jens in einer ganz anderen, nämlich der Champions-Liga, globalisierten Konzeptfußball. Den versteht mein Onkel aber nicht mehr so doll, und deswegen sagt der auch solche Sachen über den Frings.

Torsten FringsTorsten Frings trägt in der Nationalelf die 8. Da geht’s schon los! Natürlich entsprechen die Nummern des nationalen Patchworks oft nicht den Positionsnummern der altvorderen Fußballgeometrie. (Ballack etwa trägt die 13 auf dem Hemd, aber die 10 im Herzen.) Und so spielt Frings die Nummer 6, den holding midfielder, wie die Mutterländer gerne sagen, den defensiven Mittelfeldspieler. Die vielleicht wichtigste Position des modernen Fußballs.

Damals, als es noch Spielmacher und Ausputzer gab, war der Ausputzer der Blutgrätscher vor der Abwehr, der biedere Wasserträger des strahlenden Spielmachers. Ende der 60er hatte ein junger Kaiser Franz keine Lust mehr, entweder als Ausputzer oder als Mittelläufer starr herumzuwarten und kombinierte beide mit einer Prise Innenverteidiger zum Libero. Heute muss die Nummer 6 die klassischen Aufgaben eines Ausputzers, eines Spielmachers und eines Liberos beherrschen, und das möglichst effizient. Hochspezialisiert und trotzdem Allround-Talent, brachial wie Katsche Schwarzenbeck und dennoch elegant wie Beckenbauer, schnörkelloser Ballwegdrescher und gleichzeitig intelligenter Passgeber, dazu möglichst knallharte Schussgewalt. Kein Wunder also, dass auf dieser Position nur wenige Fußballer Weltruhm erlangen. Und wenn doch, stehen sie im Glamour-Schatten des vor ihnen spielenden attacking oder des centre midfielder mit der Nummer 10.

Zwar ergibt erst die Symbiose der beiden den Spielmacher, doch das Ausputzer-Image haftet der Nummer 6 noch immer an. Het totale voetbal war nur möglich mit der 10 Johan Cruijff und der 6 Arie Haan. Eine der besten Mittelfeld-Symbiosen überhaupt war die des AC Milan mit Ruud Gullit und Frank Rijkaard. Chelseas Spiel wird (noch) von WM-Versager Frank Lampard und Claude Makélélé bestimmt. Immer ist der eine ein bisschen berühmter, ein bisschen reicher, ein bisschen werbeverträglicher als der andere.

frings-ballack.jpg
Ballack (10) plus Frings (6) = Sweet Sixteen

Wenn Torsten Frings gut drauf ist, spielt er – von Jahrhunderttoren abgesehen – unauffällig. Das ist auch gut so. Auffallen sollen andere. Ballack zum Beispiel. Beide müssen sich blind aufeinander verlassen, und wenn sie das nicht tun, spielt man selbst gegen Japan nur 2:2. Fällt die Nummer 6 doch mal auf, dann oft negativ. Durch gigantische Defensivlöcher, die in der Presse als “Abwehrproblem” bezeichnet werden. Durch nicht vorhandenes Offensivspiel und Quergekicke. Durch Notbremsen der Innenverteidiger, die keine Wahl mehr haben, weil die 6 versagt hat. Torsten Frings war lange Zeit nicht so gut drauf.

Jetzt aber sind Ballack und Frings zu Zwillingen zusammengewachsen. Frings spielt in der Nationalmannschaft auf seiner Lieblingsposition, bleibt als Libero vor den Innenverteidigern zurück, wenn die Außenverteidiger flügelstürmen, als gäbe es kein Morgen, sichert den dickköpfigen (gut so!) Ballack nach hinten ab, wenn der unbedingt sein Tor schießen will, holt sich die Bälle, eröffnet das Spiel, zuppelt adrett am Haarbändchen als wäre er Italiener und schießt schon mal aus der vierten Reihe Tore.

Spielmacher Ballackfrings beherrscht blitzschnelles Rasenschach, stellt ein starres 4-4-2 im Vorbeischweben auf ein als Zahlenkolonne absurd, auf dem Platz aber torgefährlich aussehendes 4-1-2-1-2 um, fächert je nach Bedarf eine Raute auf oder zieht sich auf eine zweite Viererkette zurück und behält noch ein bisschen das eigene Tor im Blick, falls man gegen Polen mit sieben Stürmern anrennt.

Auf der Insel der Überheblichkeit sang man vor der WM gerne “Klinsmann has only got one Ballack”. Ja, das stimmt beinahe. Denn während die Insel mit Gerrard, Lampard, Cole und Beckham vier isolierte Ballacks im Mittelfeld aufbietet, spielt Deutschland mit nur einem einzigen kreativen Kollekivballack: Schweinsteiger-Schneider-Ballackfrings. Und der Körperteil, der Torsten Frings heißt, ist inzwischen verdammt gut drauf.

“Fakt ist einfach, dass wir stärker sind.”
“Wir können 90 Minuten marschieren, und wenn es sein muss, auch 120.”
Aussagen vor dem Spiel gegen Argentinien von Torsten Frings.
Der Nummer 6.

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Die Welt und Frankreich freuen sich

Die Welt:

ohne...Sie wissen ja.

Frankreich darf sich auch freuen. Noch.

warten auf Ronaldo

File under: Emails lesen am Morgen [via]; Zwei Tage Entzug.

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11 Gründe, warum Argentinien gefährlich ist (plus 3 für schlechte Zeiten)

  1. Die Argentinier haben hübschere Handtaschen als die deutschen Spielerfrauen. Und was kann man in einer solchen Handtasche transportieren?
    Klar, die Hand Gottes.
    Argentinien
  2. Jens Lehmann ist ein schöner Mann.
    Sie werden seine Nähe suchen.
  3. Man stelle sich den Geruch vor, der herrscht, wenn 10000 Argentinier die würzige Note ihrer Achseln mit T-Shirts in der Luft verteilen.
    Betäubend Betörend.
  4. Sie haben Diego Armando Maradona.
    Also seinen Geist, seinen Spirit.
    Na gut, sie haben seinen ranzig aussehenden Leib auf der Tribüne.
    Aber trotzdem.
  5. Riquelme sieht aus wie der gestiefelte Kater in Shrek 2. Und der konnte mit seinem traurigen Blick ganze Armeen aufhalten.
    puss_in_boots
  6. Sie haben einen untherapierten Messi, der Unordnung, Chaos gar ins Spiel bringt.
  7. Anders als den Schweden kann man den Argentiniern nicht mit Boykott drohen. Das Land ist schon pleite und bei Steaks weiß sowieso kein Mensch, wo die herkommen.
  8. Jeder Körperkontakt mit Crespo könnte vom Schiedsrichter als sexuelle Belästigung bestraft werden.
  9. Weiß-blau sind die Farben der Hertha. Und Berliner sind nicht so schnell im Kopf.
  10. Die Fingernägel. Vorsicht, die sind lang.
  11. Angela Merkel könnte Geheimnisse aus der deutschen Kabine ausplaudern, während sie sich von der argentinischen Abwehr eine Typberatung verpassen lässt.
    Merkel
  12. Gleiches gilt für Dr. Müller-Wohlfahrt. Der ist verunsichert, weil der Squaw-Look angeblich out ist.
    Dr. Müller-Wohlfahrt
  13. Vorsicht! Trockene Wortspielsüchtige bitte Finger weg vom nächsten Satz!
    Wer Indianer ausrottet, der ist auch eine Gefahr für Lehmannitou. (deutsch: Der, wo ein Näschen vorn liegt).
  14. Arne Friedrich.
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Spanien gegen Frankreich 1:3

Zizzel, den alten Zausel, habe ich wohl eindeutig zu früh abgeschrieben.
Wie verzweifelt müssen die Spanier sein?

Hätten sie sich von der Ukraine abschlachten lassen, hätten sie jetzt ein gemütliches Spiel gegen die verschnarchten Schweizer gehabt, aber wer konnte ahnen, dass Frankreich in dieser Gruppe nur den zweiten Platz schafft?
Fußball ist halt gemein.
Frankreich ist durchaus ein Sieg gegen Brasilien zuzutrauen.
Jetzt geht´s los, die Endspielpaarung von 98, die von 90, das umkämpfte Viertelfinale der EM 2004 –
und Italien gegen die Ukraine.