Der Vollständigkeit halber und fürs eigene Archiv: Der Text, den ich für die re:publica-Beilage des Freitag geschrieben hatte. Nach dem Klick.
„One of the most important things you learn from the internet is that there is no ‚them‘ out there. It’s just an awful lot of ‚us'“.
Douglas Adams, Autor des Meisterwerks „Per Anhalter durch die Galaxis“, beschrieb mit diesem Satz 1999 das Internet als die Abwesenheit von „denen“ und die Anwesenheit einer enormen Menge von „uns“. Und da Adams ein äußerst kluger Mann war, meinte er diesen Satz natürlich nicht separatistisch. Nicht um die Trennung zwischen „denen“ und „uns“ ging es ihm, sondern um die Vereinigung der beiden Begriffe zu einem einzigen: Wir.
Es ist in mehrfacher Hinsicht schade, dass Douglas Adams 2001 starb. Zu gerne hätte man die Kommentare des unermüdlichen Technologie-Optimisten zum aktuellen Status des Internets gehört, schließlich hat sich in den letzten elf Jahren einiges getan und viele der Prognosen, die Adams in anderen seiner Texte voraussagte, sind eingetroffen. Während man 1999 als Reaktion auf den Satz „Das weiß ich aus dem Internet“ noch die gleichen Blicke erntete, die einen nach dem Bekenntnis „Ich habe gerade eine kleine Katze getreten“ erwarteten, ist das Netz 2010 zumindest in unseren Breitengraden allgegenwärtiger Mainstream, seine Nutzung selbstverständlich.
„Schon gehört?“, fragte mich meine Mutter neulich am Telefon. „Ab Mai kostet jede E-Mail einen Cent!“ – „Super“, erwiderte ich, „dann bekomme ich in Zukunft weniger Werbe-Mails, und wenn wir auch noch ein hohes Zusatzporto für PowerPoint-Attachments erheben, könnte E-Mail wieder brauchbar werden!“
Das sagte ich natürlich nicht, ich wollte meiner Mutter nicht den Spaß verderben. Es war der 1. April, und sie versuchte mich ein wenig zu erschrecken, wohlwissend, dass die angebliche Nachricht den finanziellen Ruin für ihren Sohn bedeutet hätte.
Bemerkenswert an diesem Aprilscherz ist nicht, wie alt er inzwischen ist, sondern die Tatsache, dass meiner Mutter, für deren Generation Briefe oder Telefonate gewohnter sind als Computer, der Gedanke an ein E-Mail-Porto genauso absurd vorkommt wie mir. Es ist bemerkenswert, wie das Internet auch für sie längst eine alltägliche Technologie geworden ist, die durch eine monatliche Zugangspauschale nutzbar ist. Bemerkenswert, weil dies keineswegs so selbstverständlich ist, wie es erscheint.
Wir können schließlich nur froh sein, dass das Internet zum Großteil auf offenen Strukturen und Technologien basiert und sein derzeit populärster Dienst – das World Wide Web – nicht von einem Unternehmen, sondern von einem Informatiker namens Tim Berners-Lee erfunden wurde. Wäre es anders, würde das Internet vielleicht jemandem „gehören“ und wir müssten uns den Zugang zum weltweiten Wissen in unterschiedlichen Inhalts- und Zugangstiefen erkaufen:
Das Basis-Paket „Shop’n’Family“ ließe uns bespielsweise für nur 19,90 Euro bis zu 1.000 E-Mails von bis zu vier Adressen senden (jede zusätzliche Adresse nur 2,99 Euro) und insgesamt 20.000 Webseiten der Kategorie „Family & Friends“ abrufen – wichtige Shoppingportale inklusive. Die Wissensdurstigen könnten das Paket „Power Knowing“ mit Wikipedia- und Suchmaschinen-Zugang hinzubuchen, bei Jugendlichen wäre der Tarif „Play4Fun“ eine beliebte Option. Wer eigene Inhalte im Web veröffentlichen wollte, müsste „Share’n’Publish“ erwerben, Geschäftsleute hingegen kämen an „Business@home“ kaum vorbei, mit dem für zusätzliche 29,90 Euro auch E-Mail-Adressen im Ausland erreichbar wären.
So grotesk dieses Szenario auch erscheinen mag: Einige Unternehmer und Politiker denken ernsthaft darüber nach – weshalb sich sowohl private als auch kommerzielle Internet-Nutzer schützend für den Erhalt der „Netzneutralität“ einsetzen, die allen Menschen mit Internetanschluss den gleichen, uneingeschränkten Zugang zu bestehenden und zukünftigen Netzinhalten sichern soll.
Womit wir auch schon mittendrin wären in einem der vielen Themen der re:publica. Und da diese Themen zwar manchmal technisch klingen, im Kern aber meist gesellschaftlicher Natur sind, hat sich die re:publica seit 2007, als sie erstmalig als Treffen von etwa 700 Blogger/innen stattfand, zu einer Social-Media-Konferenz entwickelt, die rund 2.500 Gäste nach Berlin lockt. Mit „Social Media“ sind hier genau jene neueren Technologien gemeint, die im Gegensatz zu ihren Vorgängern wie Zeitung, Radio oder TV den gegenseitigen Austausch zulassen und somit die Bezeichnung „Kommunikationsmedium“ tatsächlich verdient haben. In über 150 Vorträgen und Workshops mit mehr als 230 Sprecher/innen aus aller Welt liefert die re:publica 2010 erneut Einblicke in die vielen unterschiedlichen Aspekte dessen, was Soziologen als die „digitale Gesellschaft“ bezeichnen.
Dabei hat dieser Begriff etwas von „die Besatzung der USS Enterprise“ und impliziert, dass wahlweise von einer Elite, einer Außenseitergruppe oder dem ominösen „Internet-Freak“ die Rede ist, der mit verbundenen Augen die Kapazität einer Festplatte an ihrem Geruch erkennen kann. Was irreführend und falsch ist. Denn mit der „digitalen Gesellschaft“ ist keine kleine Gruppe, sondern die Adamssche enorme Menge von uns allen gemeint, die wir dem grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel durch digitale Technologien unterliegen, welcher unser aller Leben und Arbeiten in einem Maße beeinflusst, wie es zuvor die Erfindungen des Buchdrucks oder der Dampfmaschine taten.
Information und der Zugang zu ihr, aber auch Wirtschaft und Politik sind zentrale Themen einer jeden Gesellschaft – und damit Themen der re:publica. Während sich auf der einen Seite immer mehr Nichtregierungsorganisationen die Möglichkeiten der globalen Vernetzung zunutze machen, messen sich an anderer Stelle mächtige Online-Unternehmen auf bisher unbekannte Art öffentlich mit den Regierungen der Welt. Und während unsere Kinder mit digitalen Medien aufwachsen und sie so selbstverständlich nutzen wie ihre Eltern den Fernseher, reagiert die ältere Generation, vertreten durch Politik, Erziehungs- und Lehrkörper, auf den Vorsprung der Jüngeren oft mit Ängsten und Restriktionen statt mit Neugier und Förderung. Während wir Internet-Dienste statt mit Geld mit den neuen Währungen „Aufmerksamkeit“ und „Daten“ bezahlen, diskutieren Experten eine Neudefinition der Begriffe „Privatsphäre“ und „Individualität“ – und stellen in Anbetracht von Vorratsdatenspeicherungungen und Datenschutzskandalen die Frage: Wem vertrauen Sie ihre Daten mit ruhigerem Gewissen an? Einem Unternehmen oder dem Staat?
Dieser nämlich kommt derweil seinen Aufgaben als Vermittler zwischen den Interessen der Menschen und der Wirtschaft einerseits und als Förderer von Innovation und sozialem Fortschritt andererseits kaum noch nach. „Don’t be medieval!“ möchte man einigen Regierungsvertretern zurufen, welche die Unabhängigkeit und Freiheit der Internet-Grundstrukturen nicht als Chance für die Demokratie erkennen wollen, sondern sie allein als Bedrohung ihrer eigenen Macht empfinden.
Es gilt, Brücken zu bauen, um Flüssen ihren Lauf zu lassen. Der Untertitel der diesjährigen re:publica ist mit „nowHere“ absichtlich doppeldeutig gewählt. Digitale Kommunikation hat Echtzeit-Tempo erreicht und kann uns jetzt und hier – „now here“ – verbinden. Sie lässt uns bislang jedoch auch im Nirgendwo – „nowhere“ – stehen, verlangt ob der oben beschriebenen Herausforderungen konstante Neuorientierung und Positionsbestimmung auf dem Weg in die Zukunft, die natürlich wie immer schon längst begonnen hat.
Doch Zukunft gestaltet man nicht, indem man jede mögliche kommende Gefahr zu verhindern sucht. Zukunft gestaltet man, indem man sich bemüht, die denkbar beste Version davon vorzubereiten. In besonders waghalsigen Momenten hoffe ich, dass sich auf der re:publica Menschen und Unternehmen treffen, die sich dessen bewusst sind. Als Teil dieser enormen Menge „Wir“.
Was für Soziologen sind das eigentlich?
Na jedenfalls bin ich ziemlich enttäuscht: Erwartet habe ich eine Auseinandersetzung mit dem endlos nervenden Konsensfiktionsproduktionsapparat „Wir“, bekommen habe ich den zehntausendsten Artikel über Netzneutralität.
@#757951: Die Freitag-Leser_innen hatten vielleicht noch nicht ganz so viele Artikel zu dem Thema bekommen. Die Welt besteht, als ich zum letzten Mal nachsah, nicht allein aus dir. ;)
Das mit den Soziologen hätte ich auch gern erklärt. Oder ist das nur eine Phrase, weil man Soziologen alles zutraut? Dann outet das aber das hohe Alter des Autors, denn dieses „Soziologen sagen“ ist voll 80er-Style.
Und wenn es um die „digitale Gesellschaft“ geht, traue ich Soziologen genauso viel zu, wie etwa PR-Beratern.
„In über 150 Vorträgen und Workshops mit mehr als 230 Sprecher/innen aus aller Welt liefert die re:publica 2010 erneut Einblicke in die vielen unterschiedlichen Aspekte dessen, was PR-Berater als die „digitale Gesellschaft“ bezeichnen.“
Aber das wäre wohl voll New Economy-Style.
@#757951: @#757962: Lasst mich raten: Ihr seid Soziologen? ;)
hehe! der soziologe geht allerdings von der informationsgesellschaft aus, da ist das internet dann auch nur ein medium, dass die geschwindigkeit des austausches erhöht. die digitale gesellschaft ist wohl doch eher pr-dingens.
@#758084: Ich gebe gerne Patzer zu – bin mit allerdings sicher, dass ich den Begriff in zwei soziologischen Studien gelesen habe. Was nicht bedeutet, dass er nicht auch von PR genutzt wird. Falls ich den Soziologen mit dem Satz Unrecht getan habe, bitte ich um Entschuldigung. Aber beleidigend sollte er eigentlich gar nicht sein.
Hat jemand den Meisterwerk „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams gelesen?
Ich habe seid langem keine Büche rmehr gelesen und habe heute beim Gespräch mit Kollegen festgestellt, das ich wieder im Laufenden sein muss:-)
Ich würde mich freuen, wenn jemand mir Tipps über einige interresante Bücher geben kann. Kann mir jemand einen guten Buch empfehlen?
irgendein soziologe wird mit sicherheit mal digitale gesellschaft gesagt haben. das macht sie ja zu den kreativen köpfen in der wissenschaft. alles bekommt früher oder später sein label durch einen windigen soziologen verpasst.
es wird ja viel schon lange und viel über technologisierung geredet. die digitalisierung sehe ich da aber auch nur als nächsten schritt. den wandel würde ich aber immer noch hin zur informationsgesellschaft betrachten und ja, das internet macht es noch schneller, informationen sind mittlerweile auch von unterwegs allzeit verfügbar, die tendenz bleibt aber dabei immer noch die gleiche. mehr und schneller.
und nur weil ein soziologe sagt, dass er von so einer „gesellschaft“ ausgeht, dann bekommt das erstens nicht gleich gewicht, weder innerhalb der soziologie noch im gesellschaftlichen diskurs.
ich will nur sagen, der satz unfassbar reißerisch klingt und sich damit gut verkaufen lässt, aber eher nicht so innerhalb der soziologie. da würde wahrscheinlich jeder sagen, schöne neue wortschöpfung, hatten wir aber alles schon.
man könnte sich natürlich auch am begriff der gesellschaft aufhängen. aber das mir schon wieder alles viel zu komplex. und mit sicherheit kann man auch vollkommen anderer meinung sein als ich.
@#758128: Ich hätte schreiben sollen „… was manchmal als ‚digitale Gesellschaft‘ bezeichnet wird …“, dann wäre es besser gewesen. Wieder was gelernt.
nice!!!!