Während der Arbeit an unserem Buch „Netzgemüse“ (hier der Partnerlink für frühe Vorbestellungen) haben Tanja und ich uns natürlich erneut und besonders intensiv mit Facebook beschäftigt. Eine spannende Arbeit – und ein schwer zu schreibendes Kapitel im Buch.
Denn es soll dabei nicht darum gehen, Eltern von Facebook abzuraten oder sie dazu zu überreden, sondern stattdessen so viel Wissen zu vermitteln, dass Kinder und Eltern die Entscheidung pro oder kontra Facebook selbst treffen und den Dienst im Falle einer Pro-Entscheidung wenigstens relativ bewusst und umsichtig benutzen können. Und da man sich bei Facebook sowieso nie irgendeiner Sache wirklich sicher sein kann und ein Text über das Unternehmen somit dauernd hin und her argumentiert, haben wir irgendwann verzweifelt in die Tasten gehauen: „Facebook ist ein Biest“. Was vermutlich auch stimmt.
Während dieser Arbeit sprachen wir im Zusammenhang mit der Datennutzung von Facebook für Werbezwecke aber auch mit diversen Marketing-Fachleuten und bekamen bestätigt, dass der Handel mit persönlichen Daten keine Internet-Erfindung ist, sondern dass Unternehmen in Deutschland schon seit Ewigkeiten sehr genaue Datensätze für Direktvertrieb und -marketing anfordern und einkaufen können. Und zwar völlig legal – Richard Gutjahr hatte das hier mal sehr detailliert dargestellt.
Der gar nicht mal so lustige Witz an der ganzen Geschichte ist nun, dass Facebook aber im Gegensatz zu Versandhäusern, Verlagen und Direktmarketing-Firmen – zumindest nach eigenen Angaben und bisher – Nutzer-Daten eben nicht an Dritte verkauft, sondern den Werbetreibenden Zugriff auf die demografische Auswertung der Nutzerprofile gestattet, um Werbung gezielt schalten zu können („zeige diese Werbung allen drei Männern im Raum Hamburg zwischen 20 und 30, die sich nicht für Fußball interessieren“). Das ist – egal, wie man es wertet – etwas anderes als der oben beschriebene Adresshandel.
Auch wenn die knapp 900 Millionen Nutzer-Daten von Facebook eine andere Qualität und Tiefe haben mögen (hier übrigens ein spannender Artikel dazu: What Facebook knows) und ohne Facebook als harmloses Lamm darstellen zu wollen, fasziniert mich an diesem Umstand, dass sich der Sturm der Entrüstung in Sachen Datenschutz bzw. -handel seit Jahren um Facebook, Google, Apple und Amazon dreht, sonstiger massiver und gezielter Datenhandel mit politischer Unterstützung und endlosen Firmenverstrickungen jedoch Medien und Öffentlichkeit im Großen und Ganzen scheinbar kalt lässt.
Vielleicht ändert sich das ja jetzt mal, nachdem der Bundestag das „Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens“ (PDF) verabschiedet hat, nach dem es so gut wie unmöglich scheint, der Weitergabe der eigenen Daten durch das Meldeamt (!) zu widersprechen.
Die meisten Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer, mit denen wir gesprochen haben, wissen, dass ihre Daten für Werbezwecke genutzt werden – und fühlen sich damit mal mehr und mal weniger wohl. Im Vergleich dazu wäre es sicher interessant, sich mal vors Meldeamt zu stellen und die Besucher dort zu fragen, ob ihnen bewusst ist, dass die Behörde ihre Daten an Direktmarketing-Unternehmen weitergibt. Und wie sie das finden.
Ergänzend: Ich habe irgendwann in rebellischer Laune mal zurückverfolgt, woher ein Post-Spammer meine Adresse hatte (da ich nicht an Gewinnspielen o.ä. Teilnehme war ich sehr gespannt)
Die Antwort war: Im letzten Nachsendeantrag der Post beim letzten Umzug stand im Kleingedruckten, dass die Post meine Daten verkaufen durfte.
Einen Umzug später habe ich dann versucht, das aus dem Nachsendeauftrag rauszustreichen – der Aufstand den der Postbeamte machte, war echt sehenswert.
Aber auch Leute bei den Meldeämtern reagieren komisch, wenn man ihren Vorlagen rumstreicht, [Zynismus an] da ist es doch schön, wenn das jetz einheitlich unmöglich gemacht wird.[Zynismus aus]
„Facebook ist ein Biest“
Dazu nur die deutsche Übersetzng: Fratzenbuch = Facebook
Dazu kommt, dass Facebook&Co kein Interesse daran haben, Adressen zu verkaufen oder sonstwie ausser Haus gelangen zu lassen: Geschaeftsmodell ist schliesslich deren Pflege und Nutzung.
>>> sonstiger massiver und gezielter Datenhandel mit politischer Unterstützung und endlosen Firmenverstrickungen jedoch Medien und Öffentlichkeit im Großen und Ganzen scheinbar kalt lässt.
Das große Problem ist, dass „die Medien“ ja selbst eng in diesen Adresshandel verstrickt sind. Es gab ja 2008/09 den Versuch, das Listenprivileg abzuschaffen. Das wäre zwar vielleicht nicht das Ende dieses Adresshandels gewesen, aber immerhin eine massive Einschränkung. Gerade die großen Verlage haben ja massiv gegen diese Pläne lobbyiert und die schlimmsten Szenarien an die Wand gemalt. Siehe dazu hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Listenprivileg und die entsprechenden Artikel bei netzpolitik & Co.
Es ist leider klar, dass eine Branche, die laut Eigenaussage ihre Abos zu 60% per Briefspam gewinnt, kein Interesse hat, dieses Thema in den eigenen Blättern groß zu schreiben. Vor allem, da momentan ja alle Auflagen von Printmedien implodieren. Und so schön Blogs sind, ohne die großen Nachrichtenseiten kommt so ein obskures Thema nicht in der Öffentlichkeit an.
Im Artikel hättet ihr aber ruhig noch auf http://www.selbstauskunft.net hinweisen dürfen. Auch wenn viele Firmen gerne Adressen sammeln, man hat immer noch ein Auskunftsrecht. Diese Seite bietet eine kostenlose und automatische Anfrage. Datenkraken darf man ruhig etwas ärgern.
Und auch das Heimliche, was Banken und Finanzämter und so machen (Daten nach USA und so), finde ich ja hochspannend; würde mich freuen, wenn das in die Öffentlichkeit gezerrt wird.
(Habe auch mal bei Amazon auf „Ich möchte das Buch auf dem Kindle lesen geklickt“)
Adressenhändler handeln nicht nur mit Adressen, sie werten diese auch aus, zum Beispiel nach Kaufkraft oder Verschuldung einer Wohngegend.
Mich stören beide Biester, aber was will man machen, wenn man von unzähligen dieser Hyperhydras umzingelt ist? Während man gerade noch die Datenschutzverletzungen der einen Instanz beklagt, laden die anderen einem schon wieder das Adressbuch runter und verknüpfen es mit den Gesundheitsdaten und dem Kontostand, um alternativlose Serviceverbesserungen zu erzielen. Es ist schlichtweg zu viel, um sich noch zielführend empören zu können.
Falls sowas von Interesse/relevant ist:
Am ZAR (Institut für angewandte Rechtswissenschaft am KIT) in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl
für Soziologie wird gerade an einem Seminar zu Fragestellung Facebook-Like-Button erarbeitet, dazu haben die auch ne Online-Umfrage gemacht:
http://wurstware.com/limesurvey/index.php?sid=67827
Das Ausschlachten der Daten, die man ja selbst und höchst freiwillig verschenkt ist die eine Sache. Wie gut aber kann ich bei jedem Facebookbesuch übersehen, ob das, was ich dort veröffentliche und ggf. auch wie ich das tue, nicht morgen ein kräftiges Stirnrunzeln bei mir selbst hervorruft? Warum muss ich mir von einer Firma gefallen lassen, dass sie mir unfreiwillig eine neue Mailadresse verpasst und diese dann gleich verwendet, um die von mir vorgegeben Adresse in die „zweite Reihe“ zu versetzen? Wie sehr will ich einer Firma darüber berichten mit wem ich befreundet bin, wer zu meiner Familie gehört etc.? Selbst wenn ich gewisse Daten vor anderen Facebookteilnehmern verstecke, die Firma erfährt es in jedem Fall und wird dieses kostbare Geschenk auspressen bis zum geht nicht mehr. Ich selbst habe beschlossen meinen Faceboook Account langsam einzuschläfern und mich den Alternativen zuzuwenden. Die heissen bei mir Diaspora und Zurker und geben mir ein wesentlich besseres Gefühl. Das Manko, dass dort nicht viel los ist besteht ohne Zweifel, aber ich hoffe, dass im Lauf der Zeit schon noch viele Menschen auf den „neuen“ Geschmack kommen. Bei Zurker z.B. werden alle Geldflüsse online offengelegt und ich kann als Member selbst Anteilseigner werden, das sind Qualitäten von denen Facebook Lichtjahre entfernt ist.
Interessant auch der Weg von Adressdaten bei ach so harmlosen Gewinnspielen – „Nur mal rasch die Adressdaten auf die Postkarte schreiben“.
Ich habe da auch mal testweise mitgemacht und mich ehrenhalber zum Doktor erkoren. Spannend was da so an den Herrn Dr. Raoul so im Briefkasten liegt.
Total Off-topic, aber trotzdem wichtig, vielleicht, weil Ihr ja auch gerade Euer Buch schreibt:
„scheinbar“ ist, wenn etwas so aussieht wie, tatsächlich aber nicht so ist.
„anscheinend“ ist, wenn etwas den Eindruck erweckt und es sich vielleicht auch so verhält:
„Deine Katze maunzt schon wieder.“ – „Ja, anscheinend hat sie schon wieder eine Maus gefangen.“
„Scheinbar kann man bei Jamba einkaufen, ohne automatisch ein Abo abzuschließen.“
Bei Deinem Satz oben weiß man noch, was gemeint ist, aber es gibt viele Fälle, in denen der Sinn nicht mehr klar ist. „Scheinbar hat Assad eingelenkt.“ Oder „Anscheinend hat Assad eingelenkt.“ Beinhalten z. B. zwei verschiedenen semantische Bedeutungen.
Ich schreibe das nicht, um klugzuschwätzen, sondern weil ich hoffe, dass der Unterschied irgendwann mal wieder so klar ist, dass man nicht bei jedem Artikel, egal wo, überlegen muss, was eigentlich gemeint ist.
Viel Spaß beim weiteren Schreiben!
Ich weiß gar nicht, ob es stimmt. Und habe daher „scheinbar“ benutzt. Im Buch lasse ich dann die Lektorin entscheiden. :) Und trotzdem natürlich: Danke dir, wir sind bald fertig. Hoffentlich …
Hat man eigentlich Einfluss auf die Werbetexte?
Sollte ich jemals ein Buch schreiben (sehr unwahrscheinlich) werde ich vertraglich festlegen lassen, dass mein Buch nicht mit solchen völlig bescheuerten Werbesprüchen angepriesen werden darf. Das ist doch geschäftsschädigend, sowas.
@#806956: Man hat einen gewissen Einfluss, na klar, sucht aber am Ende gemeinsam mit der Marketing-Abteilung Wege und hört auch mal, was die dazu zu sagen haben.
„Völlig bescheuert“ wäre dabei jetzt nicht so richtig das Kracher-Argument, konkrete Vorschläge ziehen meistens besser. Aber auch dann wird dir niemand eine solche Forderung vertraglich zusichern.
@ Johnny Haeusler
Bei der Ausdifferenzierung der Märkte für Bücher oder CDs müssen Autor_innen sich schon freuen, wenn überhaupt noch irgendeine Notiz zu dem Produkt im Netz vorhanden ist.
Sogenannte Klappentexte sind glücklicherweise nicht immer ein wirklicher Rückschluss darauf was einen erwartet, wenn man den eigentlichen Text liest. Bücher schreiben ist das Eine. Bücher verkaufen das Andere. Klappentexte orientieren sich eher daran, das Bücher g e k a u f t werden. Insofern vielleicht eher eine Frage der angepeilten Zielgruppe durch das Marketing des Verlages.
@#806965: Wie „völlig bescheuert“ ist kein juristisch korrekter Fachausdruck? Diese Juristen… die sind doch… völlig bescheuert! ;)
Aber mal im Ernst: Beim erneuten durchlesen des Amazon-Klappentexts kommt bei mir der Verdacht auf ich sei in die Ironiefalle getappt. Schlieslich wird dort das Wort Internetexperte benutzt *brüller*.
‚Meldewesen‘
siehe:
http://www.bundestag.de/Mediathek/index.jsp?isLinkCallPlenar=1&action=search&contentArea=details&ids=1771400&instance=m187&destination=search&mask=search
–
Irgendwie bekomme ich nicht immer alles relevante mit.
„Die Heimatstadt soll zum Adresshändler werden!“
http://www.tagesschau.de/inland/meldewesen102.html
Hoffe dass der Bundesrat dieser Entscheidung nicht zustimmt.
@#806981: Du musst das Buch kaufen, am besten jetzt schon! Da sind noch viel tollere Wörter drin, das wird dir Spaß machen! :)
@#807022: Nur fürs Protokoll: Hab das Buch gerade bestellt. Und wehe da sind keine tollen Worte drin!
Eine interessante und erhellende Betrachtung, vielen Dank!
Es ist wahr: Facebook hat den Handel mit personenbezogenen Daten nicht erfunden. Aber die Auswirkungen des Handels und Handelns von Facebook hat bisher unerreichte Ausmaße angenommen.