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Nach den Rechten sehen

Vom entspannten Patriotismus zum frohgemuten Volkskörper in nur drei Weltmeisterschaften. Das geht ja doch so schnell wie erwartet.

Und trotzdem besteht die CDU dringlich darauf, den Linksextremismus zu verurteilen und zu bekämpfen. Denn im Grunde sind es ja auch Extremisten, gleich schlimm, gleich gefährlich, intolerabel.

Nein, natürlich ist das nicht gleichzusetzen. Ideologisch nicht, und faktisch auch nicht.

Die Zahlen

Politisch motivierte Kriminalität nimmt zu. Das Innenministerium vermeldete für 2015 einen Anstieg um 19,2 Prozent. Von den 38.981 politisch motivierten Straftaten waren 22.960 rechts motiviert, 9.605 links. Auch die Gewalttaten nahmen um 30,7 % zu, hier insbesondere die Körperverletzungen, die bei 1.354 (links) beziehungsweise 1.117 (rechts) liegen. Es kam zu 20 Fällen versuchter Tötungsdelikte, acht rechtsextrem motiviert, acht linksextrem motiviert.

Man könnte also meinen, gerade bei politisch motivierter Gewalt gäbe es an beiden Enden des Spektrums ein Problem.

Das Problem mit den Zahlen

Grundlage für diese (und neuere) Zahlen ist die Polizeiliche Kriminalstatistik. Das Problem: Die PKS zählt keine Straftaten, sondern bearbeitete Anzeigen. Sie ist Arbeitsnachweis der Polizei, kein Kriminalitätspanorama. Eine Untersuchung zur tatsächlichen Kriminalität existiert in Deutschland nicht. Ältere Stichproben nähren den Verdacht, dass die PKS linksextreme Gewalt überbetont.

Das könnte viele Gründe haben, zum Beispiel:

– Überdurchschnittliche viele als linksextremistisch eingeschätzte Straftaten werden im Laufe von Demonstrationen begangen und/oder richten sich gegen Polizisten; in beiden Fällen gibt es eine hohe Anzeigenbereitschaft. Sobald mehr demonstriert wird in Deutschland, steigt die Anzahl linker Gewaltdelikte in der PKS überproportional.

– Die aufmerksamkeitsstarken Fälle vermeintlich linksextremer Gewalt, die die letzten Jahre aufkamen, hielten einer näheren Überprüfung nicht stand. Der Versuch, aus der Militanten Gruppe eine terroristische Vereinigung zu machen, verpuffte; die beiden großen Brandanschlagsserien auf Autos in Berlin erwiesen sich als Taten Einzelner, die mutmaßlich aus persönlichen Motiven handelten.

– Währenddessen scheint es, als hielte sich die Justiz damit zurück, Gewalttaten als rechtsextrem bzw. fremdenfeindlich zu bezeichnen – möglicherweise, weil es schwer ist, eine Gewalttat so einzuordnen, wenn sich der Angeklagte nicht eindeutig äußert. Oder auch, weil es bei bestimmten Taten juristisch keine Rolle spielt.

Beim Mord an Luke Holland beispielsweise sammelte der Täter NS-Memorabilia und fiel mehrfach durch fremdenfeindliche Äußerungen auf. Trotzdem schloß das Gericht einen extremistischen Hintergrund aus, weil es kein Zeugnis darüber gegeben habe, dass er Dritten gegenüber eine Ideologie vertreten habe. Die Annahme, die Tat selbst sei Ausdruck zumindest von Rassismus, verwarf das Gericht, obwohl es kein Motiv feststellen konnte. Der Täter, Rolf Z., gilt auch als einzige Spur im Mordfall Burak B. Das mögliche Motiv: Fremdenhass. Beide Fälle tauchen in den Statistiken nicht auf.

Bisweilen liegt es auch an den Ermittlungsbehörden. Ob es ein systematisches Problem bei der Polizei gibt, ob sie auf dem rechten Auge blind ist, weiß man nicht – die letzte Untersuchung zum Thema ist schon ein paar Jahre alt. Ein Blick ins Nachbarland allerdings nährt den Verdacht, dass Polizisten nach rechts tendieren.

– Die Frage, ob gewisse der „Ausländerkriminalität“ zugeschlagenen Gewalttaten rechtsextreme Hintergründe haben, wird selten gestellt. Dabei gibt es da durchaus Verdachtsmomente, im Großen wie im Kleinen. Eine ausführliche Auswertung ist mir nicht bekannt.

Die Statistiken suggerieren schon jetzt, dass es ein rechtes Gewaltproblem gibt. Es ist wahrscheinlich aber noch schwerwiegender, als die Zahlen behaupten.

Ideologische Hintergründe

Wenn linksextreme Gewalt überschätzt wird, warum sprechen wir so oft darüber? Das liegt nicht zuletzt auch am Opportunismus rechtskonservativer Politiker, die auf Machtgewinn oder wenigstens Machterhalt spekulieren. Prototyp und gleichzeitig Karrikatur dieser öffentlichen Figuren ist Schill, der Koks-Cowboy. Ihm ist es wohl zu verdanken, dass in Hamburg selbstverwaltete Jugendclus zum Tätigkeitsfeld für rechtswidrig handelnde verdeckte Ermittler werden. Aktuell steht Henkel paradigmatisch für diese kurzsichtige Strategie, sich auf Ressentiments gegen das linksextreme Milieu zu verlassen, um sich zu profilieren.

Man kann am Beispiel Kristina Schröder auch sehr schön sehen, wie sehr das danebengreift. Schröder hat während ihrer Amtszeit immer wieder versucht, rechtes Gedankengut in den Mainstream einzuschleusen, und dazu gehörte auch: jeder Extremismus ist gleich scheiße.

Einfache Botschaft. Als Konsequenz war geplant: Massive Kürzung der Mittel bei Initiativen gegen Rechts. Stattdessen sollten auch Opfer linksextremer Gewalt entschädigt werden, allein: es fanden sich keine. Und zwar auf Jahre. Da war Schröders hirngespinstische Gleichstellung ohnehin in sich zusammengebrochen, nachdem der NSU aufgeflogen war. Angesichts dessen hielt man sich einige Zeit zurück mit der Gleichsetzung von linker und rechter Gewalt (inzwischen gilt das nicht mehr).

Sidenote, die ganze Bücher füllen könnte: Dazu kommt eine – ich bleibe mal wohlmeinend – opportunistische Haltung der Medien. Diese Landpartien bei Kubitschek, diese „Gespräche“ mit der Petry, und dann tut man so, als ginge einen das alles nix an.

Ist die AfD rechtsextrem?

Das neue an der neuen Rechten ist ein Strategiewechsels, der Wechsel von der Täter- in die Opferrolle. Paradigmatisch dafür ist die Entwicklung des Front National: Unter Jean-Marie Le Pen eine antisemitische, revanchistische Partei, die geführt wurde wie ein Mafia-Clan, rekalmiert Marine Le Pen die Rolle der Résistance für die Rechten: als antiislamische, protektionistische Partei, die gegen den Mainstream steht und Opfer der Eliten ist.

Dieser Strategiewechsel ist enorm erfolgreich. Es gilt als wahrscheinlich, dass Marine Le Pen bei der französischen Parlamentschaftswahl in die zweite Runde einzieht; als das ihrem Vater gelang, mobilisierte das noch weite Teile der Zivilgesellschaft. Inzwischen inzwischen hat sich das Verhältnis zum FN normalisiert.

Der FN selbst allerdings hat sich freilich nicht normalisiert. Die französische Gesellschaft ist deutlich nach rechts gerückt.

Ob die AfD bereits jetzt in Teilen rechtsextrem ist oder nicht, ist nebensächlich: wie alle Parteien der neuen Rechten folgt sie einer Logik der Eskalation. Auf Lucke folgte Petry, die man damals dem rechtskonservativen Flügel zurechnete, und jetzt treiben Gauland, von Storch und Höcke Petry vor sich her, die sich inzwischen – ohne sich inhaltlich bewegt zu haben – in der Mitte ihrer Partei wiederfindet.

Es geht also um eine Eskalation, nicht um Inhalte. Das liegt auch am verwirrten Opportunismus dieser Bewegungen. Johnson, Farrange und Trump verbindet dieses: es gibt eine Gelegenheit, aber keinen Plan. Was tun, wenn man die Verantwortung hat? Bestenfalls fallen sie in sich zusammen, wie das den Brexit-Befürwortern passiert ist. Oder es wird immer weiter und weiter eskaliert. Das ist auch ganz im Sinn jener ihrer Wähler, die in keine starke Verbindung zur Rechten empfinden und vor allem deswegen rechts wählen, weil sie sonst, wie Eribon sagt, politisch ignoriert werden und wirtschaftlich stagnieren.

Sich mit den Rechten verständigen

Für die meisten Rechten gilt, was Sartre über Antisemiten gesagt hat:

Glauben Sie nicht, die Antisemiten würden sich über die Absurdität dieser Antworten etwas vormachen. Sie wissen, daß ihre Reden oberflächlich und fragwürdig sind; doch darüber lachen sie, ihrem Gegner obliegt die Pflicht, die Wörter in ernster Weise zu verwenden, da er an die Macht des Wortes glaubt; sie haben das Recht zu spielen. Sie spielen sogar gern mit dem Diskurs, denn indem sie lächerliche Gründe nennen, diskreditieren sie den Ernst ihres Gesprächspartners; sie sind genußvoll unaufrichtig, denn ihnen geht es nicht darum, durch gute Argumente zu überzeugen, sondern einzuschüchtern oder irrezuleiten. Wenn Sie sie zu heftig bedrängen, verschließen sie sich und geben Ihnen von oben herab zu verstehen, die Zeit des Argumentierens sei vorüber; nicht, daß sie Angst hätten, überzeugt zu werden: sie fürchten nur, lächerlich zu erscheinen oder einen schlechten Eindruck auf einen Dritten zu machen, den sie in ihr Lager ziehen wollen. Wenn der Antisemit, wie jeder sehen konnte, sich Vernunftgründen und der Erfahrung verschließt, dann nicht, weil seine Überzeugung stark ist; seine Überzeugung ist vielmehr stark, weil er von vornherein gewählt hat, verschlossen zu sein.

Mich wundert, wie oft es heißt, man müsse sich um diese Leute kümmern, sie abholen, sie überzeugen; als wären sie Kinder, die man mit väterlicher Güte erziehen müsste. Als wären sie zu blöd, die Dinge klarzusehen, als wüssten sie nichts von den Konsequenzen, die ihre Einstellungen und Worte mit sich bringen. Man müsste ihnen ein wenig das Köpfchen streicheln, das Händchen halten, ihnen zuhören und dann gut zureden. Als ginge uns nur mittelbar an, was sie an Stuss von sich geben. Als würde uns das nicht direkt betreffen.

Es macht keinen Unterschied, ob AfD-Anhänger tatsächlich meinen, was sie sagen: die Leute, die sie wählen, die meinen das durchaus. Und um die geht es am Ende: sie sind eine Verheerung. Um sich das klarzumachen, braucht man auch keine schiefen NS-Vergleiche, ein Blick über die Grenze reicht. Es gibt in Europa genug Rechtspopulisten, man muss sie sich nur einmal ansehen, um zu verstehen, wie diese Alternative für Deutschland aussieht: Korruption, Repression, sozialer Unfriede, Geschichtsvergessenheit, Provinzialismus.

Und schön saubere Straßen.

Wie wird man sie wieder los?

Eribon sagt: Wir müssen sehen, welche politische Lücke die Rechtspopulisten schließen.

Wenn eine es eine linke Partei gäbe, die für die Rechte der Arbeiterklasse genauso einstehen würde wie für die Rechte der LGBT-Community, der ethnischen Minderheiten und all den anderen, könnte das eine Instanz sein, die zwischen diesen Gruppen vermittelt und ihnen bewusst macht, wie sehr sich ihre Situationen ähneln, anstatt sie zu Gegnern zu erklären. Es ist natürlich wahr, dass es in der Arbeiterklasse Rassismus und Homophobie gibt. Das sind sicher keine Engel, auch meine Familie hat rassistische Ansichten. Aber meine Familie war auch schon rassistisch, als sie noch die Kommunisten gewählt hat. Sie sind heute nicht mehr oder weniger rassistisch als früher. Um also auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, warum meine Mutter gegen ihre eigenen Interessen stimmt: Wenn es eine linke Partei gäbe, von der sie sich repräsentiert fühlte, würde sie auch jederzeit für diese Partei stimmen, selbst wenn sie sich für die Rechte von Schwulen und ethnischen Minderheiten einsetzt. Niemand wählt eine Partei, weil er mit ihr in jedem einzelnen Punkt übereinstimmt. Wir wählen Parteien, weil wir in dem Weltbild, dass sie vor Augen haben, selbst vorkommen. Und viel mehr wollen die Arbeiter auch nicht.

Davon sind wir freilich weit entfernt, in Europa und in Deutschland. In Europa hat man (und insbesondere die deutsche Regierung) Griechenland untersagt, linke Politik zu machen. Die Parallelen zum Frankreich der 80er liegen auf der Hand: ein ähnliches Scheitern hat in Frankreich den Aufstieg des Front National eingeläutet. Wenn europaweit linke Politik sabotiert wird, gibt es nur noch eine Alternative zu einem System, mit dem viele unzufrieden sind: eine rechte.

Und die bedroht uns als Gesellschaft. Keine abstrakten Werte, sondern Personen. Ganz konkret.

PS: Viele der Entwicklungen, die in Deutschland nach Aufkommen der AfD beobachtbar sind, haben in anderen Ländern längst stattgefunden. Ich habe das am Beispiel des Front National zu zeigen versucht, und ich hoffe sehr, dass die Entwicklung hierzulande einen anderen Verlauf nimmt.
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5 Kommentare

  1. 01

    Ich finde die Überlegungen zu „Wie wird man sie wieder los“ ziemlich interessant.
    Aus meiner Sicht – ich stamme aus einer Arbeiterfamilie – wird dieses Milieu viel zu oft verteidigt und zum Opfer misslungener linker Politik stilisiert. Unsere Gesellschaft bietet jedem Mitglied die Chance zu gesellschaftlichem Aufstieg. Wem dies nicht gelingt, der ist selbst schuld. Niemand sonst.
    Doch anstatt sich dies einzugestehen, sucht man die Schuld lieber bei Ausländern und läuft rechten Hetzern hinterher.
    Da mag der Sozialstaat noch und nöcher ausgebaut werden: Es wird immer eine Schicht geben, der es relativ zur Durchschnittsbevölkerung schlechter geht, und deren Mitglieder werden sich nicht von rechtem Gedankengut lösen.

  2. 02
    Mister T

    @#1876088: Bietet unsere Gesellschaft tatsächlich diese Durchlässigkeit? Ich kenne Einzelfälle, in denen es der Fall sein mag, aber im Großen und Ganzen ist es ein Kampf gegen Windmühlen. Und ich werfe niemandem vor, sich wie Dreck zu fühlen, wenn ihm von klein an erzählt wurde, dass es sich bei ihm um Dreck handelt.
    Und gibt es überhaupt noch eine „Arbeiterklasse“? Ich befürchte, wir haben eher eine Klasse der sozial abgehängten und einen Mittelstand, der in stetiger Furcht lebt, in diese hinabzufallen. Dabei geht es nicht mal um den unmittelbarer Wohlstand, sondern um die Perspektiven. Und die bietet die AfD mit ihrer „Teile und herrsche“ Mentalität. Sie macht ihre Wähler zu etwas besserem, indem sie es erlaubt, auf andere Herabzuschauen. Diese Argumentation wurde und wird immer noch von unseren Politikern brav aufgenommen, und zwar durch die Bank von CSU bis zu Linken. Damit findet die Diskussion grundsätzlich auf dem Terrain der AfD statt: es gibt „uns“ und „die“. Sich auch nur darauf einzulassen ist bereits eine Bestätigung der AfD Philosophie.

  3. 03
    AndreW.K.

    @#1876088: Ein jeder kann es also, sozusagen, vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen, ja? Interessant.

  4. 04
    m

    Ja, schon erstaunlich: Erst wird die weiße Mittel- und Arbeiterschicht von den Etablierten, den Eliten, jahrzehntelang ignoriert, lächerlich gemacht, vom oben herab beschimpft und als rundweg überflüssig und unmoralisch verunglimpft. Dann zerren die Linken Identity Politics in die Öffentlichkeit, stellen Gruppen her, verteilen Menschen starr nach Geburtsmerkmalen in jeweils Opfer und Täter, Benachteiligte und Privilegierte und beschimpfen unbeirrt weiter. Wie waschechte Rassisten das eben so machen.

    Dann, plötzlich, haben die so Gescholtenen die Schnauze voll davon und erinnern sich, dass sie ja auch so etwas wie Identität haben. Diese ist ja nach Massgabe der Linken schmutzig. Aber wen interessiert das schon noch?

    Das Spiel kann man von beiden Seiten spielen aber das ist von da oben im linken, warmen Elfenbeinturm wo sich nie etwas ändert natürlich schwer zu erkennen.

    Wie war das noch? „Ihr dürft sie auch einfach anspucken.“ Mach mal, Johnny, mach mal.

  5. 05

    @#1880021: Die „Mittel- und Arbeiterschicht“ wurde, je nach Textstelle, von der „Elite“ oder von „den Linken“ jahrelang „ignoriert, lächerlich gemacht, von oben herab beschimpft und als rundweg überflüssig und unmoralisch verunglimpft“? Kannst du das mal präzisieren bitte?

    Und mir dann erklären, warum diese Mittelschicht sich nach rechts wendet, wenn das alles stimmte, was du schreibst? Weil da ihre Identität ist? Und kannst du außerdem erklären, wo dieser linke Elfenbeinturm steht?