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Popgun! 64 Deichkind auf finaler Tour


Heute starten Deichkind in Düsseldorf ihre — wie sie im Vorfeld ankündigten — vorerst letzte Tour. Und weil die Hamburger ja irgendwie eine Relevanz für die jüngeren Spreeblick-Leser und -Leserinnen zu haben scheinen, hat mich Johnny am Wochenende nach Pankow raus gejagt, um bei der Deichkind-Generalprobe einmal rein zu hören, in diesen Soundtrack der jüngeren Generation.

Das Konzert beginnt mit der filmischen Projektion einer Tierprozession, die dem Meer — die Kamera mal mystisch und verwackelt aus der Ferne, mal harlekinesk und extrem nah — durchs Unterholz entgegen kreucht. Ein Spielmannszug der Skurrilitäten, der in seiner Inszenierung mit all den Tiermasken, Kostümen und naturalistischen Motiven Wald, Wiese und Strand, sehr fever-rayig wirkt, dabei aber im Deichkind-Universum keineswegs affektiert, lediglich sonderbar konventionell unkonventionell ist. Diese anfängliche, mit klassischer Musik unterlegte Verwirrung hält nicht einmal bis zum Ende des Einspielers an, ist doch das Ziel dieser mäandernden Kunsthochschulgesellschaft der ästhetische Bruch, eine im Wasser dümpelnde, mit farbigen Lichtern gespickte, schwarze Pyramide. Während die Waldbewohner also in Zeitlupe dem Monolithen entgegendelirieren, mischt sich in die klassische Musik ein elektronisch-hypnotisches Beatgemurmel, seinerseits der Versuch das Video in die nächste Dimension zu überblenden. Im immer schneller werdenden Stakkato der Scheinwerfer wird die Leinwand nun von hinten bestrahlt und enthüllt nach und nach fünf Gestalten mit ebendenen, pyramidenförmigen Köpfen, deren LEDs immer komplexere, synchrone Signalfolgen abgeben. Allmählich nimmt auch der Beat Fahrt auf, wird die Lichtmaschinerie mehr und mehr ausgereizt, die Bühnenbesatzung Stück für Stück aufgefüllt. Eine einzige, 15-minütige Steigerung, die sich orgiastisch in Deichkinds postindustrielle Grundeinkommenshymne ‚Arbeit nervt‘ ejakuliert.

Die Leinwand fällt und man ist mitten drin in der neongrellen Plastikwelt aus Wohlstandsmüll, die für das Deichkind Konzert die Bühne bildet. Selbstironisch steckt dabei die Band in den schwarzen Müllsäcken mit Neonstreifen, die jeden Stéphane Chapuisat-Fan neidisch werden lassen, während sie kultisch um einen Stargate-Thron tanzt, der fortlaufend Wesen aus nahegelegenen Proll-Dimensionen auf die Bühne spuckt. Version 3.0 nennt Deichkind diese Show und diese Nummerierung verdient sie sich, weil sie nicht auf altbekannte Accessoires wie: Die Couch, Die Hüpfburg, Der Heimtrainer und Die Zitze verzichtet, die, ähnlich wie einige Bandmitglieder, regelmäßig zurück auf die Bühne geschoben werden, ganz so als könnten sie ihr nie wieder entkommen.

Mit der Beschreibung des Bühnenequipments ist auch der inhaltliche Ablauf des Konzertes vorgegeben. Die Hamburger halten was ihr Ruf verspricht. Missionarisch uneinsichtig verbreiten sie ihre Botschaft vom Leben als einzige Party mit anschließendem Ausnüchtern unter der Bierdusche. Spannend wird die Show als Gesamtheit darüber hinaus, wenn sich Deichkind der Referenzen aus 60 Jahren Popgeschichte bedienen und daraus das Amalgam machen, das die Show zusammen hält. Über all die Dead Kennedys, Garry Glitter, Frankie Goes To Hollywood, Boney M., Michael Jackson etc. Zitate wird schließlich klar, dass diese Show nicht weniger will, als in der Tradition der großen Rockopern und -inszenierungen von The Who und Queen zu stehen. Dabei verliert sie sich in der Mitte ein wenig genau an der Stelle, an der die Songs allzu wörtlich inszeniert werden. Dank des grandiosen Intros und des traditionell exzessiven Finales jedoch, ist auch die dritte Version ein großartiges Liveerlebnis. Neben fantastischen Singles und Videos sind letztendlich die legendären und leidenschaftlichen Konzertauftritte, vor allem auf dem Melt, der Grund für die Aufnahme Deichkinds in die Playlist des Soundtracks dieser nuller Generation.

Eine andere, nicht weniger treffende Zusammenfassung des Konzertphänomens Deichkind folgte kürzlich auf die ungewöhnliche Kollaboration mit einer anderen Hamburger Band. Anläßlich der Plattenladenwoche Anfang November forderten Deichkind guttural mit einem ironisch apokalyptischen Black Metal-Stück: ‚Die Toco Die‘. Woraufhin sich die Jungs um Dirk von Lotzow, nicht gerade für ihren Humor, aber ihrerseits generationsprägenden Soundtrack bekannt, nicht lange bitten ließen. Sie antworteten auf der mit 500 Exemplaren limitierten Splity-Vinyl-Single mit dem 1996er ‚Ich verabscheue Euch wegen Eurer Kleinkunst zutiefst‘. Im Spex-Kurzinterview erklärt der Tocotronic-Sänger die Songauswahl und kommt dabei auch dem Hauptelement eines Deichkind-Konzertevents sehr nahe:

Angesichts des spektakelhaften Deichkind’schen Bühnengebahrens erschien uns dieser Evergreen aus dem Jahre 1996 geradezu prophetisch. Der Titel passt zu Deichkind wie die sprichwörtliche Faust auf’s Auge.

25 Kommentare

  1. 01

    Also auch wenn ich die Musik von Deichkind teilweise recht amüsant finde, konnte ich, als ich sie damals Live erlebt habe, nichts damit anfangen.
    Das lag allerdings eher an der Atmosphäre. Ich war auf dem ChiemseeReggae-Festival und die Menge tobte zu Deichkind.

    Eine Band, die auf der Bühne keine Instrumente hat, ist mir schon immer suspekt gewesen. Und als die Menschen nach dem Deichkind-Konzert die Festival-Wiese verließen, gerade als eine super RootsReggaeBand auftreten sollte, war ich enttäuscht.

    Vielleicht sollte ich mir Deichkind doch noch mal anschauen. Beim Comeback oder so :D Die Musik ist ja ganz ok.

  2. 02

    yeah! jetzt freu ich mich noch ein bißchen mehr aufs morgige konzert!

  3. 03

    Pyramidhead! Yeah!

    http://en.wikipedia.org/wiki/Pyramid_Head

    Du bist wirklich überall.

    Und ja, Deichkind ist immer relevant.

  4. 04
    Lord Y. of Hamburg

    Ich hasse mich dafür das ich zu geizig war mir eine Karte zu kaufen! Die Kinder vom Deich sind einfach großartig (waren sie auf jeden Fall auf dem Hurricane Festival 08) und mit glücklichem Gesicht Bier auf Gesicht und Kleider spritzen zu lassen ist sowieso einer meiner liebsten Hobbys. Leider finde ich die Location für das Konzert in HH absolut schrecklich so dass mir der Preis von, ich lasse mich gerne korrigieren, ca. 30 – 40 € zu hoch erschien.

    Allerdings muss ich gestehen dass mir nach dieser Vorschau die Sabber im Kleinhirn zusammenläuft, mein Bier-Herz wie wild pocht und ich meine Hände nur mit Anstrengung vom zittern abhalten kann. Nächstes mal überlege ich mir es vorher noch einmal gründlich bevor ich der Ekstase, wegen ein paar lächerlicher Ocken, entsage…

    „Shame on me“.

  5. 05
    Jens

    ich weis noch vor knapp 5 jahren, da hat einer aus der Band die Ische vom Kollegen geickt. Seitdem hab ich die ziemlich ignoriert.
    Sind die denn immernoch in Orginalbesetzung?
    Falls es im artikel steht sry, net gelesen.

  6. 06
    AJJB

    Ende der eigenen Musik erreicht (inklusive Luxus Tourbus: schwarzer VW Transporter, inklusive kein Geld) – Check

    Die Karre an die Wand fahren wollen – Check

    Nochmal absolut herrlich abgehen – Check

    Plötzlich den Kids und Dummen, die es nicht besser wissen, oder denen, die auch mal dumm sein wollen, wieder gefallen – Check

    (Karriere also Profi-Pokerspieler) – Check

    Zweites Album – Check

    Arbeit nervt echt, auch Konzerte sind Arbeit – Check

    Schlechte Konzerte abliefern – Check

    Es bleiben nur die wirklich Dummen hängen – Check

    Aber die finden ja zum Glück trotzdem alles geil – Check

    Irgendwie kein Bock mehr zu haben, aber Hauptsache nochmal Geld (dementsprechend 40€) – Check

    Erstmal genug Geld für den Jägermeister (PROMILLE, Champagneros) zu haben – Check

    In fünf Jahren die Sache wieder zu starten, wenn auch Das Bo kein Geld mehr hat – …

    Kurz: Ich habe mitlerweile das Gefühl, dass da gedoubelt wird, fast absolut beginnerisch. Würd ich auch nicht anders machen, vor den ganzen Diskokids würde ich auch nicht auftreten wollen.

    (Und ja, ich war mitlerweile bei drei Konzerten, nur aus Zufall, und unbezahlt.)

  7. 07

    @#740292: Die sind schon länger nicht mehr in Originalbesetzung, allen voran Malte war ein sehr kreativer Kopf, der nach der Kehrtwende hin zu minimalen Elektro-Sounds das Handtuch warf.

    Deichkind haben bei mir sowieso so ziemlich jede Sympathie verspielt. Damals kam von denen noch richtig innovativer Hip-Hop, das heute is‘ einfach nur noch purer Fanservice für die jüngeren Leute, die einfach Party machen wollen. Und spätestens, seitdem die Formation sich auf Antifa-Demos zum antideutschen Spektrum gesellt, sind die bei mir absolut unten durch.

  8. 08
    mackenzen

    @#740295: nur partyfanservice oder politisch antifa oder wasn jezze?! hae?! und ‚richtig innovativ‘ was isn ditte bitte?!

    ‚Bullen Bonzen Banken,
    Alle müssen tanken!
    Denn kein Mensch ist illegal,
    schon gar nicht wenn er breit ist!

    Kein Gott, Kein Staat!
    Lieber was zu saufen!
    Kein Gott, Kein Staat!
    Lieber was zu saufen!
    Kein Gott, Kein Staat!
    Lieber was zu saufen!
    Kein Gott, Kein Staat!
    Lieber was zu saufen!‘

  9. 09
    Antimensch

    Ich kann Sminky nur zustimmen. Haben ja schon 2-3 lustige Songs, aber meine Live-Erfahrung auf einem Festival war eher negativ. Entweder versteh ich diese Art der Darbietung nicht oder man sollte doch eher ein schlichtes Gemüt sein. Es zielt eben sehr auf diese Ballermannschiene, nur dass die Fans darin eine Art Kunstform sehen. ;)
    Sollte dies wirklich eine Art Bewegung oder Gefühl dieser Generation sein, so möchte ich nicht mit in diesen Topf geworfen werden.
    Aber jedem das seine.

  10. 10

    @#740304: Zur Aufklärung: In der linken Szene macht sich momentan der Trend hin zu (meist minimalistischer) elektronischer Musik breit. Und auf den Zug wollten Deichkind offensichtlich auch noch aufspringen ($$$), weil die Mehrheit des Publikums dort, na sagen wir mal, noch recht grün hinter den Ohren ist und somit perfekt in die Zielgruppe von Deichkind passt. Allerdings haben sie sich mit der Aktion selbst einen Bock geschossen, da sie sich auf einer Demonstration (05.09.2009 in Dortmund) dem antideutschen Block angeschlossen haben – der nicht nur innerhalb der Antifa sondern auch generell im linken Spektrum sehr, sehr kritisch betrachtet wird.

    Und weshalb fragst du, was ich mit „richtig innovativ“ meine? Bilde dir selbst eine Meinung und hör‘ die bspw. ihr erstes Album „Bitte ziehen Sie durch“ an. Vergleiche es anschließend mit dem, was heute so von denen dem jungen Publikum vorgesetzt wird. Und dann wirst du verstehen.

  11. 11
  12. 12
    christoph

    muss Unterhaltung immer kreativ / innovativ / intellektuell ansprechend sein? Ich finde gerade den Ansatz „die hör ich nich, die sind ja jetzt kommerziell“ oder „nee, die waren mal für die Antifa unterwegs, jetzt gefällt mir die Musik nicht mehr“ unglaublich pubertär.

    ich glaub ich werd für Hamburg Karten kaufen, guilty plesure nennt man das wohl heute, muss man nicht diskutieren

  13. 13

    hm. ich versteh dieses plakative partypartyparty-hedonismus-geballer einfach nicht, die post-hiphop-deichkind fand ich vermutlich deswegen erst langweilig und dann schlicht egal bis mist. dass das überaus nervige remmidemmi mittlerweile (naja, was heißt ‚mittlerweile‘.. in den letzten zwei+x jahren) auch bei vermeintlichen ‚antideutschen‘ respektive allgemein auf antifademos aufgetaucht ist, spricht letztendlich für keine/n von beiden. ähnliches phänomen tritt teilweise auch im zusammenhang mit den geschwistern im geiste – egotronic – auf. knallerzitat eines neonfarbenen jungen aufm melt letztes jahr: „naja, raven für deutschland wär‘ mir zwar lieber, aber ist trotzdem geil.“ anything more to say?

  14. 14
    christoph

    @jo
    schaust du dir in allen Lebensbereichen vorsichtshalber erstmal an, wer das denn noch so gut findet, bevor du dir eine Meinung bildest?

  15. 15
    Lord Y. of Hamburg

    das sich Deichkind nicht stark von Ballermann Musik unterscheidet ist 100 % richtig. Weil:Es ist die reine Parodie. Dass einige bis viele das nicht verstehen oder wahrhaben wollen ist mir klar, sind ja eine verdummte Spaß-Gesellschaft, aber für alle anderen sollte die offensichtliche Satire eigentlich klar werden.

    Ich muss sagen das ich Musik höre und bewundere die von Menschen gemacht wird die „was drauf haben“ und das sind für mich nur Menschen die noch richtiges Handwerk auf die Bühne jagen! D.h. Instrumente, Live und dreckiger Rock n´Roll. Genau aus diesem Grund finde ich Deichkind so klasse! Sie überspitzen alles und zeigen auf das aus den schwachsinnigsten Texten noch ein bis zwei Moment zu ziehen sind die einfach geil sind. Das Leute die keine Ahnung von Musik haben den Unterschied zwischen Scooter und Deichkind nicht erkennen können ist mir klar, trotzdem musste ich das an dieser Stelle noch mal loswerden.

  16. 16

    pfft, da hab ich mich mal gefreut das die Deichkinder gute Musik machen und dann das. Was hat der Song mit Black Metal zu tun?

    Aber besser als Toco ists allemal, aber das ist ja auch nicht schwer

  17. 17

    hammer! da geh ich heute abend hin. ich hoffe es wird nicht zu kriminell ^^

  18. 18
    Robert

    Geht’s noch? „mäandernden Kunsthochschulgesellschaft der ästhetische Bruch“
    Deichkind muss man erleben, aber richtig. nicht analysieren.

  19. 19

    @#740527: nein, aber du kannst mir sicher erklären, wie du gemessen an meinem beitrag auf diese frage kamst. ist mir nämlich komplett schleierhaft.

    @#740536: schöne deutsche arroganz gepaart mit ‚das konzept satire nicht verstanden haben‘ und mangelhafter grammatik. respekt.