Archiv
WM 2011 – Halbfinale
Frankreich – USA 1:3
Allez adieu. So ist das eben, wenn man eine Torhüterin hinten drin hat, die den Strafraum beherrscht wie ein Suppenhuhn den Fond. Traurig und enttäuscht bin ich nicht, weil Frankreich ausgeschieden ist: traurig bin ich, weil der pragmatischere, weniger verträumte, weniger überraschende Fußball einmal mehr den Sieg davon getragen hat. Aber der Reihe nach.
Das Spiel im Sinne eines Spieles begann eigentlich erst nach 30 Minuten. Davor waren die Franzosen nervös wie auf Turkey. Mich erinnerte das an die liebenswerte Unbeholfenheit und naive, aber bestimmte Tappsigkeit aus Pieces of April, was Frankreich da spielten. In der neunten Minute sah man bereits, was ihnen später endgültig zum Verhängnis werden sollte: die Innenverteidigerin Laura Georges, die langsam ist und immer, wenn sie raus muss zur Seitenlinie hilflos wirkt wie eine Provinz-Familie in der großen Stadt; und die Torhüterin Berangere Sapowicz, die eigentlich Dérangere Sapowicz heißen müsste und auf der Linie hängen blieb wie Frédéric Moreau auf seinen Gefühlen: und genau wie bei Moreau war es am Ende das kleine Glück, das den Franzosen ausreichen muss, das Glück, tatsächlich einmal in einem Halbfinale gestanden zu haben. Zur großen Tragödie reicht es nicht. (Noch nicht.)
Fußball-WM 2011 – Viertelfinale
Deutschland – Japan 0:1 n.V.
Am Ende sagte Silvia Neid diesen einen Satz. Einen uninspirierten, ideenlosen, entlarvenden Satz. Ein Satz, der das große Missverständnis zwischen Sommermärchen und Silvia Neid war. Sie sagte: „Wir waren nicht in der Lage, ein Tor zu machen, obwohl wir viele Standards hatten.“
Standards? Wieso denn Standards? War das der Matchplan? Eckbälle schinden und hoffen, dass die Japanerinnen nicht hoch genug hüpfen können? Es sah ganz danach aus. Es ist den Deutschen ja auch weiter nichts eingefallen. Nicht einmal haben sie in 120 Minuten gefährlich aufs Tor geschossen. Nicht einmal. Es gab auch kaum einmal eine Idee, wie man das machen könnte: einmal gefährlich aufs Tor zu schießen. Es interessierte sich auch kaum jemand dafür, dazu eine Idee zu entwickeln. Stattdessen standen hinten drei Verteidiger um eine bedauernswerte Japanerin herum, um mögliche Konter und hohe Bälle abzufangen. Davor das defensive Mittelfeld, das nach vorne in etwa so viel Kreativität entwickelte wie ein Karaokeabend im Altersheim.
Da kann die Nationalmannschaft seit den 50ern das 4-2-3-1 spielen, wenn die Idee hinter dem System nur darauf abzielt, das Spiel zu zerstören. Man kann Chopin nicht mit Boxhandschuhen an den Händen spielen. Solche Spiele zu sehen ist schon bei Erfolg kaum erträglich. Wenn man so auch noch verliert, bleibt überhaupt nichts mehr, woran sich der Zuschauer freuen kann.
Fußball-WM 2011 – Vorrunde
Das wunderbare an dieser WM: keine Erwartung wird erfüllt, keine Voraussage hat Bestand, der Fußball zeigt sich von seiner uneinnehmbarsten, sprödesten Seite. Bajramaj das Gesicht der WM? Potenzierter Nutella-Fluch. Die schöne Seite des Fußballs? Blutgrätsche Nigeria. Torreiche, aber abwechslungsarme Spiele? Knappe Ergebnisse und 2,5 Tore pro Spiel, nix mit 60er Jahre Männerfußball. Da klingelt bei mir am Tag häufiger die Post an der Tür. Und als man dachte, die deutsche Nationalmannschaft versteife sich endgültig darauf, Pässe in die Spitze ausschließlich von Nadine Angerer spielen zu lassen, legen sie gegen Frankreich ein Feuerwerk hin, dass zum ersten Mal seit Anpfiff dieser WM die Laola-Welle im Publikum eine Berechtigung hatte.
Bundesliga 34
Das wars also. Dass am letzten Spieltag Unvorhergesehenes vor sich ging, wird man guten Gewissens nicht schreiben können: einzig die absolute Hilflosigkeit, mit der Eintracht Frankfurt abgestiegen ist, war dann doch überraschend. Derart gottergeben sich in sein Schicksal zu fügen, das hat schon etwas hübsch bescheidenes, beinah mönchisches. Mehr als ein bisschen ora et labora war das ja auch nicht das letzte viertel Jahr, unverhältnismäßig viel ora allerdings. Und der bärtige Guru redet unverständliches, mysthisch-kryptisches. Lasst uns Kerzen anzünden, gedrechselt aus Daumschen Haarwachs.
Bundesliga 32
Gestern lag sie mir heulend in den Armen. Wir kennen uns kaum, wir sind Fussballfreunde. Fussballbekannte. Wir kennen unsere Namen nicht, wir sitzen jeden Samstag in dieser dunklen, verrauchten, wunderschönen Kneipe, am gleichen Tisch häufig, und sehen uns die Konferenz an. Und einmal, da ist ihr aufgefallen, dass ich mich gefreut habe, als Dortmund ins Tor traf, und sie hat sich auch gefreut, sie ist Borussin. Da hat sie mir einen Schnaps ausgegeben, mittags um vier. Einen Mexicana.
Bundesliga 31
Tränen liegen schwer im Trend gerade: Stanilawski tropfte ein wenig Wasser über seine Lachfalten, Dede kullerten ein paar Tropfen aus den Augen, als er sich von den Fans verabschiedete, und Manuel Neuer verschluckte sich während seiner Abschiedspressekonferenz an seinen Emotionen. Es wurde die letzten Tage mehr Sekret geflossen als in einer herkömmlichen DSDS-Folge.
Bundesliga 30
Irgendwann saß Jupp Heynckes auf seiner Trainerbank, die Lippen zusammengekniffen, die Brille schon beinah beschlagen von dem starren, wutheißen Blick aus seinen zusammengekniffenen Augen, die Couperose-Äderchen auf den Wangen zu purpurnen Flüßen aufgebläht, wenn er einen Stock zur Hand gehabt hätte, hätte er nach den jungen Männern geschlagen, die da vor ihm den Rasen kaputttraten. Das war nach Minute 30. Der arme Mann.
Bundesliga 29
Eleganz ist selten effektiv, im Gegenteil: in aller Regel will sie genau das nicht sein. Sinn der Eleganz ist es ja, ein ästhetisches Konzept herauszustellen genau dadurch, dass man auf Brauchbarkeit scheißt, pardon: sich entleert. Einen Bodenschleier zu tragen, weil man es sich leisten kann, langsam zu gehen. Einen breitkrempigen, geschwungenen Hut, weil man die Zeit hat, auf Luftstöße zu achten. Eleganz ist die Zurschaustellung der eigenen Sinnlosigkeit bei gleichzeitigem Versuch, genau diese Überflüssigkeit zu überdecken.
Bundesliga 27
Schade eigentlich, dass das Trainerkarussel Rangnick und Magath an alte Stelle hinerbrochen hat: was genau so faszinierend daran ist, dass Vorstände gerne mit Leuten zusammenarbeiten, mit denen sie bereits erfolgreich zusammengarbeitet haben, weiß ich nicht. Am Ende nichts oder sogar noch ein bisschen weniger. Es ist nur eine schöne Geschichte, und natürlich ist es sensationell, wenn man sich die Geschichte nicht mehr selber zusammenschustern muss, sondern sie sich komplett von selbst schreibt: sensationell früher Feierabend, da darf man schon mal jubeln.
Bundesliga 24
Man müsste eigentlich über Dortmund reden, aber seit Wochen wird über Dortmund fortwährend das gleiche geschrieben, immer das gleiche geschrieben, durch die Bank wird das gleiche geschrieben, das gleiche das gleiche das gleiche, so sehr das gleiche, dass es eigentlich das selbe sein könnte. So abwechslungsreich das Dortmunder Spiel ist, so erschreckend uninspiriert sind die Fragen, die es aufwirft.
Bundesliga 23
In keinem Hollywoodfilm identifiziert man sich mit dem Mächtigen, immer nur mit dem Rebell. Es gibt keinen guten Film über eine Machtkonsilidierung. Packende Geschichten gehen immer nur über Umstürze, um Momente, wo die Ordnung in Aufruhr gerät. Der Fussball liefert diese Geschichten zuverlässig, weil es eines der wenigen Spiele ist, das auch der Unterlegene gewinnen kann (auch wenn das angemessen selten ist).