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Im Jahr Eins nach Snowden

Viel ist geschrieben worden für den heutigen Jahrestag der ersten Veröffentlichungen durch Edward Snowden, kaum noch etwas bleibt den vielen guten Texten hinzuzufügen. Fehlen tut mir dennoch einiges, und damit adressiere ich nicht einmal die Regierungspolitik, von der ich gar nichts mehr erwarte nach den Lügen der vergangenen Monate.

Es fehlen zum Beispiel inländische Kampagnen im Stil von RESET THE NET, die Forderungen und sinnvolle technische Hilfestellung zusammenfassen, Software zur Selbstverteidigung gegen Überwachung sammeln und einfach Aufmerksamkeit generieren. Etwas ähnlich Schickes, Klares und Durchdachtes wäre auch in Deutschland wichtig, darf aber nicht nur in ein paar Blogs passieren, sondern braucht die Unterstützung großer Online-Medien, die auch mal mehr tun könnten, als zwar wichtige, aber eben immer selektiv gelesene Artikel zu veröffentlichen. Fast hätte ich getippt: „Wir brauchen die BILD“, aber das ist natürlich Unfug, denn es geht auch ohne dieses Drecksblatt. Es würde ja schon genügen, wenn sich die Presseorgane mit Restanstand mal zusammentun würden, davon haben wir ja glücklicherweise einige.

Außerdem wird mir auch bei den großen Unternehmen immer noch zu viel rumgeschwurbelt. Ich will klare Worte und Angaben dazu, wie welche meiner Daten durch das Netz kursieren und an welchen Stellen sie so gut wie möglich verschlüsselt sind, wenn sie das sind. Denn schließlich hängt auch die Zukunft der großen Player von den Entwicklungen der nächsten Jahre ab, davon nämlich, ob wir ihnen als Nutzer von Hard- und Software wenigstens bis zu dem Punkt vertrauen können, an dem ihr eigener Einfluss aufhört. Die Integration von GPG in Apples Mail-Client unter OS X und iOS wäre z.B. ein erster wichtiger Schritt, schließlich hat es sogar Google endlich geschafft, eine GPG-Chrome-Extension für Gmail anzukündigen. Und denen tun verschlüsselte Mails ganz sicher mehr weh als Apple.

Mir ist klar, dass sich Unternehmen möglicherweise auf rechtlich dünnem Eis bewegen, wenn sie sich zu lautstark äußern, vielleicht ist es also aus der Sicht dieser Firmen wirklich klüger, sich gemeinsam für politische Reformen zu engagieren. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht werden wir die aktuelle Situation rückblickend als Startschuss für einen Paradigmenwechsel betrachten, denn europäische Firmen sind schon jetzt dabei, die Gunst der Stunde zu erkennen und daraus neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und es ist kein Zufall, dass die wirklich verschlüsselt funktionierenden Chat-Clients für Smartphones zu einem großen Teil aus Europa stammen. Vor einem Jahr haben wir vielleicht noch gelacht über die Idee vom „europäischen Google“, inzwischen halte ich das nicht mehr für undenkbar.

Und so versuche ich, etwas Positives aus den Veröffentlichungen durch Snowden zu ziehen. Zusammengefasst in drei Worten wäre das:

Wir wissen es.

Vor Snowden haben wir geahnt, vermutet, befürchtet. Jetzt wissen wir es. Und das ist gut. Wir können debattieren, analysieren und reagieren. Nichts wird sich in kürzester Zeit ändern, sehr vieles aber auf lange Sicht. Das Internet, wie wir es kannten, mag kaputt sein. Aber das bedeutet ja nicht, dass man es nicht reparieren kann.

Lesetipps:

Der Kronzeuge, der nicht sagen soll, was er weiß
1 Jahr Snowdenleaks: Deine Mudder und die NSA
Hat Snowden die Welt verändert? [x] Ja [x] Nein [x] Mir egal
Snowden macht das Internet sicherer
Deutschlands digitales Staatsversagen
Was bisher geschah: Der NSA-Skandal im Jahr 1 nach Snowden

Verschlüsselung leicht gemacht:

Für Mac OS X
Für Windows
Für Linux

7 Kommentare

  1. 01

    Eine GPG-Chrome-Extension für Gmail? Das ist doch ein schlechter Witz oder? Das klingt für mich so, als würd die NSA jetzt Facebook und Samsung kaufen, dann behaupten, alle Daten würden verschlüsselt und wären sicher und jeder glaubt’s.

  2. 02

    Bei fast allen Resümees, die wir ein Jahr nach den ersten Veröffentlichungen von Edward Snowden lesen, bleibt als Kern Hilflosigkeit. Es berührt mich sehr, dass viele der Protagonisten des Web zwar einerseits erklären, dass eben jenes Netz tot sei, sie sich aber Monate nach dieser Erkenntnis weiter an Wiederbelebung versuchen. Traurig und hilflos – sehr hilflos sogar.
    Diese symptomatischen Ansätze, die davon ausgehen, dass die Unternehmen, die nur allzu bereitwillig die NSA-Attacken mit geritten sind, in Zukunft die Heilsbringer sein werden, sind naiv.
    Das eigentliche Problem ist nach wie vor, dass sich die vermeintlich demokratisch bestimmten Würdenträger völlig von ihren Wählern entfernt haben. Und dass viele unserer Mitbürger entweder das Ausmaß dieser Katastrophe noch nicht erkannt haben oder das Ausmaß und die Konsequenzen schlicht negieren.
    Und nachdem die CIA jetzt auch auf Twitter und Facebook aktiv geworden ist (mit Tausenden von Followern), schalte ich meine Rechner immer häufiger und früher ab…

  3. 03
    primär

    90 Kommentare zur Wohnungs- und Stadtbaupolitik Berlins, 2 Kommentare zum Thema Überwachungsstaat.

    Die Prioritäten der Leute und das Gefühl Einfluss nehmen zu können sind kaum deutlicher zu veranschaulichen.

  4. 04

    @primär: Indertat! Ich bin auch bafferstaunt. Das hier ist doch Spreeblick. Also DAS Spreeblick …

  5. 05

    @#900399: @#900295: So ganz stimmt das ja nicht, http://www.spreeblick.com/2013/06/25/das-internet-ist-kaputt/comment-page-3/#comment-896768
    Gab doch immerhin 127 Statements dazu. Ist eben doch Spreeblick.
    Man muss sich natürlich fragen, selbst wenn man sich mal nicht der journalistischen Zunft zugehörig fühlt, was bringt es eigentlich darüber zu schreiben und zu schreiben … .
    Tatsache ist, dass sich in wenigen Wochen für Edward Snowden die Frage stellt, ob die Russen sein Asyl verlängern. Das ist existentiell für Snowden, da nützt auch das ganze Geschreibsel nix. Und im Falle des Falles, wirklich helfen kann ihm – bei aller Sympathie – damit auch keiner von uns. Vielleicht mit ein Grund für die Ohn_Macht der Kommentarfunktion, hier mit Blick auf die virtuelle Spree.

  6. 06
    andre

    1. Angst verspüre ich wegen der Schnüffelei keine, als Ossi (Bj. 65), komme ich eh aus einem Schnüffelstaat.
    2. Snowden hat den Menschen die Augen geõffnet, und bekommt dafür die Rechnung von einem Friedensnobelpreisträger und seinen Vasallen gereicht.
    3. Für die deutsche Politik empfinde ich sowieso nur noch Verachtung und ein klein wenig Mitleid.
    4. Auf das Internet werde ich, „Trotz allerdem!“, nicht verzichten.

  7. 07
    primär

    @#901449 + @ben: Mein Kommentar war nicht als Kritik an Spreeblick oder die Leser/innen hier gemeint, sondern als generelle Bestandsaufnahme gedacht.

    Weder aus der Zivilbevölkerung, noch aus den Parteien/NGOs heraus hat sich ein breiter Protest entwickelt. Bisher zumindest – etwas Hoffnung habe ich noch.

    @andre: Du wirst bestimmt auch davon gehört haben (oder sogar Leute kennen), die durch Bespitzelung „Nachteile“ in der DDR hatten. Warum also jetzt den selben Scheiss ignorieren? Oder stört es dich wirklich nicht, das deine Browserhistory mitgelesen wird?